Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gerät auch in Deutschland der Klassizismus als Neoklassizismus unter Beweisdruck, er rechtfertigt sich nicht mehr einfach durch die Berufung auf traditionelle Autoritäten sondern bedarf der Kompatibilität mit den neu aufgekommenen Argumentationsstrategien der empirischen Wissenschaften. Darüber hinaus stellt der nunmehr unbestrittene Erfahrungsvorrang grundsätzlich das überkommene klassizistische Ideal Natur nachahmender Kunst in Frage, die Repräsentation der objektiv wahren Mensch-Natur zu gewährleisten. In diesem Spannungsfeld zwischen zufälliger Erfahrung und absolutem Geltungsanspruch bildet J. J. Winckelmanns normative Kunsttheorie einen eigentümlichen Begründungskomplex von ästhetischen und naturwissenschaftlichen Diskursen aus, der seine empirischen Grundlagen in den damals aktuellen biogenetischen Hypothesen des Naturhistorikers Buffon sucht: Im Zeitalter der Aufklärung konvergieren Neoklassizismus und anthropologische Naturwissenschaft. Die Studie folgt zunächst dem Leitfaden der empiristischen Erkenntniskritik in Winckelmanns Schönheitslehre und findet ihre Quellen vor allem unter seinen naturkundlichen Exzerpten aus den Schriften Johann Gottlob Krügers und Buffons. Darauf wird vor dem Hintergrund früherer klassizistischer Kunstliteratur Winckelmanns biologische Neuformulierung des griechischen Naturideals untersucht. Das letzte Kapitel reflektiert seine naturwissenschaftliche Apologie der antiken Vorbilder im Spiegel der frühen Winckelmann-Rezeption in Frankreich, besonders innerhalb des enzyklopädistischen Umkreises Diderots.