»Intelligent und klar wir brauchen mehr Denker, die so weise sind wie Fukuyama.« The New York Times
In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der demokratischen Staaten weltweit erschreckend schnell zurückgegangen. Erleben wir gerade das Ende der liberalen Demokratie? Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, Autor des Weltbestsellers Das Ende der Geschichte, sucht in seinem neuen Buch nach den Gründen, warum sich immer mehr Menschen antidemokratischen Strömungen zuwenden und den Liberalismus ablehnen. Er zeigt, warum die Politik der Stunde geprägt ist von Nationalismus und Wut, welche Rolle linke und recht Parteien bei dieser Entwicklung spielen, und was wir tun können, um unsere gesellschaftliche Identität und damit die liberale Demokratie wieder zu beleben.
»Einer der bedeutendsten Politikwissenschaftler der westlichen Welt.« Die Welt
In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der demokratischen Staaten weltweit erschreckend schnell zurückgegangen. Erleben wir gerade das Ende der liberalen Demokratie? Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, Autor des Weltbestsellers Das Ende der Geschichte, sucht in seinem neuen Buch nach den Gründen, warum sich immer mehr Menschen antidemokratischen Strömungen zuwenden und den Liberalismus ablehnen. Er zeigt, warum die Politik der Stunde geprägt ist von Nationalismus und Wut, welche Rolle linke und recht Parteien bei dieser Entwicklung spielen, und was wir tun können, um unsere gesellschaftliche Identität und damit die liberale Demokratie wieder zu beleben.
»Einer der bedeutendsten Politikwissenschaftler der westlichen Welt.« Die Welt
"Fukuyama hat eines der wichtigsten Bücher verfasst, die man derzeit lesen sollte, wenn man den Zustand unserer Demokratie verstehen will." Sebastian Christ Huffingtonpost.de, 22.10.2018
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2019Alles eine Frage der Würde?
Jeder Gruppe ihre eigene Bedrohung: Francis Fukuyama untersucht die Gründe für das Wiedererstarken von Identitätsfragen in der Politik. Aber seine Argumentation ist nicht stichhaltig.
Wer, wenn nicht der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der vor dreißig Jahren "Das Ende der Geschichte" prophezeite, könnte erklären, warum der proklamierte Sieg der liberalen Demokratie dann am Ende doch ausgeblieben ist, diese sich vielmehr auf dem Rückzug zu befinden scheint. Nicht nur ist die Gesamtzahl demokratischer Staaten rückläufig.
Darüber hinaus sind viele autoritäre Staaten, wie etwa China und Russland, selbstbewusster geworden, und Länder - darunter Ungarn, Polen, Thailand und die Türkei -, die noch in den neunziger Jahren den Eindruck erweckten, sich in eine demokratische Richtung zu entwickeln, gleiten plötzlich wieder in Richtung Autoritarismus ab. Noch bedeutsamer sind die Wahlsiege, die populistische und nationalistische Rechtsparteien in den Vereinigten Staaten und Europa erzielt haben.
Was sind die Ursachen dafür, dass sich überall auf der Welt und selbst in den reichen Ländern immer mehr Menschen von modernen Demokratien abwenden und sich lieber autokratischen Führern oder nationalistischen und religiösen Protestbewegungen zuwenden? Für Fukuyama ist diese Frage eng mit einer anderen Frage, jener nach dem erstaunlichen Aufstieg der Identitätspolitik zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, verbunden.
Während im zwanzigsten Jahrhundert das politische Denken überwiegend von Wirtschaftsfragen bestimmt worden sei, werde die heutige Politik auf beiden Seiten des politischen Spektrums durch eine obsessive Beschäftigung mit Fragen von Anerkennung und Status bestimmt. Die Linke richte ihr Augenmerk nicht mehr primär darauf, ökonomische Gleichheit herzustellen, sondern konzentriere sich zunehmend darauf, die Interessen einer breiten Vielfalt benachteiligter Gruppen - wie etwa von Frauen, ethnischen Minderheiten, Flüchtlingen und der LGBT-Community - zu fördern. Der Rechten läge vor allem der Patriotismus am Herzen, der Schutz der nationalen Identität, die häufig explizit mit Rasse, Ethnizität, Heimat oder Religion verknüpft wird.
Die primäre Ursache für den Politikwechsel hin zu Identitätsfragen sieht Fukuyama in einem aus zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheiten erwachsenden Würdedefizit in den verarmten oder vom Abstieg bedrohten Bevölkerungsschichten. Die Linke hätte versäumt, an eine geteilte Erfahrung der Ausbeutung zu appellieren: Statt ihr Augenmerk weiterhin auf die Verringerung ökonomischer Ungleichheit zu richten, konzentrierte sie sich auf immer kleinere Gruppen, die auf spezifische Weise marginalisiert werden.
Durch die einseitige Unterstützung von Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter und die Behauptung, die Lebenserfahrungen von Frauen oder Schwarzen seien grundsätzlich andere als die von Männern oder Weißen, habe die Linke von den eigentlichen gesellschaftlichen Problemen und den Abstiegssorgen weitaus größerer Gruppen abgelenkt; von Problemen, wie sie sich gegenwärtig etwa in der Opioid-Krise, der hohen Arbeitslosigkeit in den Staaten des sogenannten Rustbelts und der Zunahme gesellschaftlicher Armut zeigten.
Das größte Problem linker Identitätspolitik sieht der Autor darin, dass die sozialen Gegenbewegungen der Linken unfreiwillig eine Vorreiterrolle für die gegenwärtige Identitätspolitik der Rechten gespielt hätten. Ähnlich wie die Politik der Schwarzen- oder der Frauenbewegung sei auch die Politik der Trump-Anhänger zutiefst vom Gefühl gruppenspezifischer Benachteiligung durchdrungen.
Trumps Wähler unter der weißen Arbeiterschaft hätten sich von der Linken und den liberalen Eliten abgewandt, weil sie ihre traditionellen Werte von der urbanen Mittelschicht bedroht gesehen und den Eindruck gewonnen hätten, dass den identitätspolitischen Anliegen von Minderheiten der Vorzug gegenüber den Interessen der Arbeiter und der einfachen Landbevölkerung gegeben werde. Trotz ihrer Zugehörigkeit zur dominierenden Volksgruppe hielten sich viele weiße Arbeiter deshalb für ausgegrenzt und fühlten sich ungerecht behandelt. Diese Gefühle, so Fukuyama, ebneten nun den Weg für eine rechte Identitätspolitik, die im Extremfall die Gestalt eines unverhohlen rassistischen weißen Nationalismus annehmen könne.
Doch so plausibel Fukuyamas Argumentation zunächst erscheint, so wenig stichhaltig ist sie auf den zweiten und dritten Blick. Das Problem besteht nicht allein darin, dass hier einmal mehr Klassenpolitik gegen Identitätspolitik ausgespielt wird. Gemessen an den strengen Kriterien Fukuyamas, wäre nämlich auch die während des zwanzigsten Jahrhunderts von den Gewerkschaften betriebene Klassenpolitik überwiegend als Identitätspolitik zu werten, da sie ihrer Natur nach keineswegs universalistisch, sondern partikularistisch war und in erster Linie den Interessen der weißen männlichen Arbeiter und Angestellten diente.
Die Partikularität des Klassenkampfes konnte nur deshalb so lange unbemerkt bleiben, weil die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Schwarzen und Weißen oder Einheimischen und Migranten in der Praxis lange Zeit schlicht kein Thema war. Wenn man nun, wie Fukuyama, diese Bewegungen als Identitätspolitik apostrophiert, lässt man sich auf eine fragwürdige Hierarchisierung sozialer Ungerechtigkeiten ein - und fällt damit zurück in eine fruchtlose Debatte, die schon in den siebziger Jahren die Linke gespalten hatte: Auch damals wurden der Hauptwiderspruch - der zwischen Kapital und Arbeit - und der sogenannte Nebenwiderspruch - die Ausbeutung von Frauen durch unbezahlte Sorge- und Hausarbeit - gegeneinander ausgespielt.
Das eigentliche Defizit des Erklärungsansatzes von Fukuyama liegt darin, dass sich seine Frage, warum und unter welchen Bedingungen sich gesellschaftliche Würdedefizite durch populistische oder nationalistische (und nicht etwa durch linke) Bewegungen mobilisieren lassen, auf diese Weise nicht beantworten lässt, unterschlägt sie doch eine fundamentale Differenz zwischen rechten und linken Bewegungen: Während linke Politik auf die künftige Aufhebung von Ungleichheiten im Interesse der Benachteiligten zielt, tritt rechte Politik gerade umgekehrt für den Erhalt beziehungsweise die Wiedererlangung verlorener oder verloren geglaubter Privilegien von bislang etablierten Gruppen ein.
Linke Bewegungen ergreifen Partei für die Interessen der Benachteiligten und versprechen eine bessere Zukunft. Rechte Parteien erweisen sich dagegen als die Anwälte der bedrohten oder bereits verlorengegangenen Vorrechte von Etablierten, weshalb die Vergangenheit zur relevanten Bezugsgröße rechter Gesellschaftsbilder wird. Der Vorschlag Fukuyamas, eine größere und einheitlichere nationale Identität zu definieren, die der Konzentration auf immer enger gefasste Gruppenidentitäten entgegenwirken und etwa kulturübergreifende, "nationale Bekenntnisidentitäten" fördern soll, die nicht mehr auf gemeinsamen persönlichen Erfahrungen oder auf einer einheitlichen Tradition oder Religion, sondern auf geteilten Grundwerten und -überzeugungen beruhten, muss vor diesem Hintergrund wie ein Placebo erscheinen.
Rechtsparteien sind keine Würdelieferanten für Benachteiligte, sondern vielmehr Stabilitätsgaranten in einer durch Umwälzungen aufgerüttelten Gesellschaft, in der die bürgerlichen Parteien Kontinuität und damit die Vorrechte der Etablierten nicht mehr zu garantieren scheinen. Dies ist auch der Grund, warum sich die Anhänger der Rechten, anders als Fukuyama behauptet, keineswegs primär in den unteren Schichten, sondern klassenübergreifend finden.
Trump und die neuen europäischen Rechtsparteien stiften eine vertikale Allianz der Globalisierungsgegner, eine Koalition zwischen konservativen Eliten und Gruppen der sozialen Mitte sowie der Unterprivilegierten, deren gemeinsames Merkmal ist, dass sie ihr persönliches Schicksal eng mit dem Schicksal der Nation verbunden sehen (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) und mit der Unordnung in der Welt in Ruhe gelassen werden wollen. Diese Gruppen erweisen sich als für das Kernversprechen der Rechtsparteien empfänglich, nämlich dafür zu sorgen, dass sich nichts ändert.
CORNELIA KOPPETSCH
Francis Fukuyama: "Identität". Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet.
Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeder Gruppe ihre eigene Bedrohung: Francis Fukuyama untersucht die Gründe für das Wiedererstarken von Identitätsfragen in der Politik. Aber seine Argumentation ist nicht stichhaltig.
Wer, wenn nicht der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der vor dreißig Jahren "Das Ende der Geschichte" prophezeite, könnte erklären, warum der proklamierte Sieg der liberalen Demokratie dann am Ende doch ausgeblieben ist, diese sich vielmehr auf dem Rückzug zu befinden scheint. Nicht nur ist die Gesamtzahl demokratischer Staaten rückläufig.
Darüber hinaus sind viele autoritäre Staaten, wie etwa China und Russland, selbstbewusster geworden, und Länder - darunter Ungarn, Polen, Thailand und die Türkei -, die noch in den neunziger Jahren den Eindruck erweckten, sich in eine demokratische Richtung zu entwickeln, gleiten plötzlich wieder in Richtung Autoritarismus ab. Noch bedeutsamer sind die Wahlsiege, die populistische und nationalistische Rechtsparteien in den Vereinigten Staaten und Europa erzielt haben.
Was sind die Ursachen dafür, dass sich überall auf der Welt und selbst in den reichen Ländern immer mehr Menschen von modernen Demokratien abwenden und sich lieber autokratischen Führern oder nationalistischen und religiösen Protestbewegungen zuwenden? Für Fukuyama ist diese Frage eng mit einer anderen Frage, jener nach dem erstaunlichen Aufstieg der Identitätspolitik zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, verbunden.
Während im zwanzigsten Jahrhundert das politische Denken überwiegend von Wirtschaftsfragen bestimmt worden sei, werde die heutige Politik auf beiden Seiten des politischen Spektrums durch eine obsessive Beschäftigung mit Fragen von Anerkennung und Status bestimmt. Die Linke richte ihr Augenmerk nicht mehr primär darauf, ökonomische Gleichheit herzustellen, sondern konzentriere sich zunehmend darauf, die Interessen einer breiten Vielfalt benachteiligter Gruppen - wie etwa von Frauen, ethnischen Minderheiten, Flüchtlingen und der LGBT-Community - zu fördern. Der Rechten läge vor allem der Patriotismus am Herzen, der Schutz der nationalen Identität, die häufig explizit mit Rasse, Ethnizität, Heimat oder Religion verknüpft wird.
Die primäre Ursache für den Politikwechsel hin zu Identitätsfragen sieht Fukuyama in einem aus zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheiten erwachsenden Würdedefizit in den verarmten oder vom Abstieg bedrohten Bevölkerungsschichten. Die Linke hätte versäumt, an eine geteilte Erfahrung der Ausbeutung zu appellieren: Statt ihr Augenmerk weiterhin auf die Verringerung ökonomischer Ungleichheit zu richten, konzentrierte sie sich auf immer kleinere Gruppen, die auf spezifische Weise marginalisiert werden.
Durch die einseitige Unterstützung von Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter und die Behauptung, die Lebenserfahrungen von Frauen oder Schwarzen seien grundsätzlich andere als die von Männern oder Weißen, habe die Linke von den eigentlichen gesellschaftlichen Problemen und den Abstiegssorgen weitaus größerer Gruppen abgelenkt; von Problemen, wie sie sich gegenwärtig etwa in der Opioid-Krise, der hohen Arbeitslosigkeit in den Staaten des sogenannten Rustbelts und der Zunahme gesellschaftlicher Armut zeigten.
Das größte Problem linker Identitätspolitik sieht der Autor darin, dass die sozialen Gegenbewegungen der Linken unfreiwillig eine Vorreiterrolle für die gegenwärtige Identitätspolitik der Rechten gespielt hätten. Ähnlich wie die Politik der Schwarzen- oder der Frauenbewegung sei auch die Politik der Trump-Anhänger zutiefst vom Gefühl gruppenspezifischer Benachteiligung durchdrungen.
Trumps Wähler unter der weißen Arbeiterschaft hätten sich von der Linken und den liberalen Eliten abgewandt, weil sie ihre traditionellen Werte von der urbanen Mittelschicht bedroht gesehen und den Eindruck gewonnen hätten, dass den identitätspolitischen Anliegen von Minderheiten der Vorzug gegenüber den Interessen der Arbeiter und der einfachen Landbevölkerung gegeben werde. Trotz ihrer Zugehörigkeit zur dominierenden Volksgruppe hielten sich viele weiße Arbeiter deshalb für ausgegrenzt und fühlten sich ungerecht behandelt. Diese Gefühle, so Fukuyama, ebneten nun den Weg für eine rechte Identitätspolitik, die im Extremfall die Gestalt eines unverhohlen rassistischen weißen Nationalismus annehmen könne.
Doch so plausibel Fukuyamas Argumentation zunächst erscheint, so wenig stichhaltig ist sie auf den zweiten und dritten Blick. Das Problem besteht nicht allein darin, dass hier einmal mehr Klassenpolitik gegen Identitätspolitik ausgespielt wird. Gemessen an den strengen Kriterien Fukuyamas, wäre nämlich auch die während des zwanzigsten Jahrhunderts von den Gewerkschaften betriebene Klassenpolitik überwiegend als Identitätspolitik zu werten, da sie ihrer Natur nach keineswegs universalistisch, sondern partikularistisch war und in erster Linie den Interessen der weißen männlichen Arbeiter und Angestellten diente.
Die Partikularität des Klassenkampfes konnte nur deshalb so lange unbemerkt bleiben, weil die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Schwarzen und Weißen oder Einheimischen und Migranten in der Praxis lange Zeit schlicht kein Thema war. Wenn man nun, wie Fukuyama, diese Bewegungen als Identitätspolitik apostrophiert, lässt man sich auf eine fragwürdige Hierarchisierung sozialer Ungerechtigkeiten ein - und fällt damit zurück in eine fruchtlose Debatte, die schon in den siebziger Jahren die Linke gespalten hatte: Auch damals wurden der Hauptwiderspruch - der zwischen Kapital und Arbeit - und der sogenannte Nebenwiderspruch - die Ausbeutung von Frauen durch unbezahlte Sorge- und Hausarbeit - gegeneinander ausgespielt.
Das eigentliche Defizit des Erklärungsansatzes von Fukuyama liegt darin, dass sich seine Frage, warum und unter welchen Bedingungen sich gesellschaftliche Würdedefizite durch populistische oder nationalistische (und nicht etwa durch linke) Bewegungen mobilisieren lassen, auf diese Weise nicht beantworten lässt, unterschlägt sie doch eine fundamentale Differenz zwischen rechten und linken Bewegungen: Während linke Politik auf die künftige Aufhebung von Ungleichheiten im Interesse der Benachteiligten zielt, tritt rechte Politik gerade umgekehrt für den Erhalt beziehungsweise die Wiedererlangung verlorener oder verloren geglaubter Privilegien von bislang etablierten Gruppen ein.
Linke Bewegungen ergreifen Partei für die Interessen der Benachteiligten und versprechen eine bessere Zukunft. Rechte Parteien erweisen sich dagegen als die Anwälte der bedrohten oder bereits verlorengegangenen Vorrechte von Etablierten, weshalb die Vergangenheit zur relevanten Bezugsgröße rechter Gesellschaftsbilder wird. Der Vorschlag Fukuyamas, eine größere und einheitlichere nationale Identität zu definieren, die der Konzentration auf immer enger gefasste Gruppenidentitäten entgegenwirken und etwa kulturübergreifende, "nationale Bekenntnisidentitäten" fördern soll, die nicht mehr auf gemeinsamen persönlichen Erfahrungen oder auf einer einheitlichen Tradition oder Religion, sondern auf geteilten Grundwerten und -überzeugungen beruhten, muss vor diesem Hintergrund wie ein Placebo erscheinen.
Rechtsparteien sind keine Würdelieferanten für Benachteiligte, sondern vielmehr Stabilitätsgaranten in einer durch Umwälzungen aufgerüttelten Gesellschaft, in der die bürgerlichen Parteien Kontinuität und damit die Vorrechte der Etablierten nicht mehr zu garantieren scheinen. Dies ist auch der Grund, warum sich die Anhänger der Rechten, anders als Fukuyama behauptet, keineswegs primär in den unteren Schichten, sondern klassenübergreifend finden.
Trump und die neuen europäischen Rechtsparteien stiften eine vertikale Allianz der Globalisierungsgegner, eine Koalition zwischen konservativen Eliten und Gruppen der sozialen Mitte sowie der Unterprivilegierten, deren gemeinsames Merkmal ist, dass sie ihr persönliches Schicksal eng mit dem Schicksal der Nation verbunden sehen (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) und mit der Unordnung in der Welt in Ruhe gelassen werden wollen. Diese Gruppen erweisen sich als für das Kernversprechen der Rechtsparteien empfänglich, nämlich dafür zu sorgen, dass sich nichts ändert.
CORNELIA KOPPETSCH
Francis Fukuyama: "Identität". Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet.
Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Arno Widmann stellt erst einmal klar, dass Francis Fukuyama nie das Ende der Geschichte proklamiert hat, sondern höchstens das Ziel erreicht sah, demzufolge Konflikte um Anerkennung in Freiheit und Gleichheit ausgetragen werden können. Fukuyama sei ein Liberaler und Hegelianer, betont Widmann, kein auftrumpfender Chauvinist. Und deswegen liest der Rezensent auch zustimmend, dass Anerkennung Fukuyama zufolge bedeute, dass man anderen das Recht zubillige, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Widmann verrät allerdings nicht, ob Fukuyama das auf Individuen oder Gruppen bezieht. Gefallen lässt sich der Rezensent jedenfalls auch den typischen Fukuyama-Sound, der große Schneisen durch die Geschichten schlägt, vom Englischen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert zum Polen des Jahres 2018 etwa. Das Staatsragende und das mitunter unfreiwillig Komische verzeiht er Fukuyama gern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Fukuyama arbeitet sehr gut heraus, dass die unzureichende Anerkennung der Würde des Menschen in Wirtschaft und Staat eine Schlüsselrolle für die Erosion demokratischer Kultur spielt.« Ingo Zander WDR 3 Mosaik, 08.03.2019