Der Idiot ist einerseits eine Figur der Gegenwart: der dumpf seine Interessen verfolgende, verstandesferne Primitivling, dem jeder Sinn dafür fehlt, was es heißt, sich in Gesellschaft als ein ihr würdiges Mitglied zu erweisen. Andererseits aber steht hinter ihm eine Geschichte, die vom griechischen Idiotes über den Idiota der Apostel, des Franz von Assisi und des Nikolaus von Kues bis an die Schwelle zur Neuzeit reicht, an der er zum Trottel degradiert wird. Was ihn auszeichnet - das Privileg der Intuition, eine Weisheit jenseits der Schriften, die Kraft der Selbst- und Weltverwerfung, das Wissen um ein Drittes jenseits der Dialektik - wird im medizinischen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts als Nullität verworfen, der Nietzsches Sympathie allein noch gilt. Seine Wiederauferstehung feiert der Idiot als Zerrbild seiner Selbst in den plumpen, aber durchtriebenen Figuren des politischen Lebens, die der kognitive Kapitalismus und die Konjunktur der Sozialen Medien an die Oberflächespülen. Der Idiot von heute zerstört jede sinnvolle Unterscheidung von Privat und Öffentlich. Der Anspruch des Idiota, über ein drittes Wissen zu verfügen, pervertiert in der Megalomanie des Idioten zur Behauptung, alles besser zu wissen und alles besser zu können als der Rest der Welt. War er wie der Jurodivyj der Ostkirche eine Figur seliger Apatheia, ist er heute eine Figur des Bösen.