John ist sich seiner Sache ganz sicher: Niemand kennt ihn wirklich - weder seine Leute zu Hause noch die in der Schule. Und weil sie ihn alle sowieso nicht verstehen würden, schweigt er lieber und macht sich seine eigenen Gedanken. Über Lust und Liebe, seine Tuba, die in Wirklichkeit ein Riesenfrosch ist, und vor allem über seinen Vater, der nicht sein Vater ist. Der ihn verprügelt und quält.
Mit messerscharfer Ironie und einem unbändigen Spaß an skurilen Vergleichen gibt John den Dingen und Menschen neue Namen und glaubt genau zu wissen, was in ihrem Inneren vor sich geht. Erst nach und nach merkt der Leser, dass es vor allem John selbst ist, der sich nicht kennt. Und der sich selbst über alle Maßen in sich getäuscht hat.
Mit messerscharfer Ironie und einem unbändigen Spaß an skurilen Vergleichen gibt John den Dingen und Menschen neue Namen und glaubt genau zu wissen, was in ihrem Inneren vor sich geht. Erst nach und nach merkt der Leser, dass es vor allem John selbst ist, der sich nicht kennt. Und der sich selbst über alle Maßen in sich getäuscht hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Glück - das muß woanders sein
Zornig, ironisch, postmodern: David Klass macht mit John bekannt
Nichts ist, wie es scheint. John wohnt mit seiner Mutter und einem Mann, der nicht sein Vater ist, in einem Haus, das kein Haus ist. In seinem Zimmer, das nicht sein Zimmer ist, macht er Hausaufgaben, die die seiner Lehrerin sind und also nicht seine. Er spielt im Schulorchester auf einem Frosch, der so tut, als sei er eine Tuba, und sein bester Freund ist kein Freund. Wenn die Dinge nicht sind, was sie vorgeben zu sein, brauchen sie Namen, die sie besser charakterisieren. John hat für seine belebte wie unbelebte Umwelt adäquatere Bezeichnungen gefunden und setzt sie so ins rechte, also in sein ganz persönliches Licht.
Im Jugend- und erst recht im Adoleszenzroman ist die "Ihr kennt mich nicht!"-Haltung ein Grundmotiv. Kann man vom Erwachsenwerden, von der Auseinandersetzung mit Eltern und Lehrern, vom ersten Verliebtsein überhaupt noch auf neue, frische Art erzählen? Der erste ins Deutsche übersetzte Roman des amerikanischen Drehbuch- und Jugendbuchautors David Klass kommt aus der Mitte der sogenannten jugendliterarischen Postmoderne. Den Selbst- und sonstigen Reflexionen, dem Erleben des vierzehnjährigen Antihelden wird hier - in charmant-komischer und origineller Beobachtung erzählt - Gewicht verliehen. "Und so verlasse ich, parfümiert mit dem Duft abgrundtiefer Dummheit, das Haus": Johns forscher, zorniger, insgesamt durchweg phantasieschwangerer Ton erstickt nicht die eher konventionelle Geschichte dahinter. Es ist vielmehr seine persönliche Distanzierung, welche mit den ironischen und selbstironischen Schilderungen zur Sprache und damit erst zur Welt kommt.
John ist nicht nur seinen Mitmenschen, sondern immer wieder auch sich selbst fremd, etwa in den wenigen glücklichen Situationen, von denen er kaum glauben kann, daß sie ihm widerfahren. "Wer ist der junge Kerl in schäbigen Schuhen und ausgefransten Kordhosen, der über die Straße ohne Aussicht nach Hause schwebt?" fragt er nach einem Rendezvous. Und sobald ihm das obligatorische Mißgeschick geschieht: "Aha, also bin ich es doch."
"Du kennst mich nicht!" muß sich auch der Leser permanent sagen lassen, wenn ihm John wiederholt nach passagenlangen, durchaus amüsanten Beschreibungen mitteilt, daß es so natürlich nicht gelaufen sein kann. Stellenweise ist es allerdings zuviel, vor allem, wenn als Erzähler nicht mehr der Vierzehnjährige spricht, sondern, gerade in der Wortwahl, wohl der Autor persönlich.
Johns Leben würde sich wirklich niemand wünschen. Sein barsches "Ihr kennt mich nicht!" richtet sich konkret als ein verzweifeltes "Du kennst mich nicht!" an seine Mutter, die noch nicht einmal bemerkt, daß ihr Sohn von ihrem Freund mißhandelt wird. Sein Widerstand, der ohnehin nur in seinem Erzählen stattfindet - nach außen schweigt er -, droht zu zerbrechen, als der Mann ihn schließlich krankenhausreif schlägt. Erst die Erkenntnis, sich der Liebe seiner Mutter gewiß sein zu können, erst ihre Bestätigung erlöst ihn. Da kann er endlich bekennen, daß er sich getäuscht hat, "angefangen bei den ersten vier Worten dieser zornigen Leidensgeschichte". Und die beweist, daß man tatsächlich von Adoleszenz und ihren Begleiterscheinungen noch neu und frisch erzählen kann
SIMONE GIESEN
David Klass: "Ihr kennt mich nicht!" Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexandra Ernst. Arena Verlag, Würzburg 2001. 272 S., geb., 24,80 DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zornig, ironisch, postmodern: David Klass macht mit John bekannt
Nichts ist, wie es scheint. John wohnt mit seiner Mutter und einem Mann, der nicht sein Vater ist, in einem Haus, das kein Haus ist. In seinem Zimmer, das nicht sein Zimmer ist, macht er Hausaufgaben, die die seiner Lehrerin sind und also nicht seine. Er spielt im Schulorchester auf einem Frosch, der so tut, als sei er eine Tuba, und sein bester Freund ist kein Freund. Wenn die Dinge nicht sind, was sie vorgeben zu sein, brauchen sie Namen, die sie besser charakterisieren. John hat für seine belebte wie unbelebte Umwelt adäquatere Bezeichnungen gefunden und setzt sie so ins rechte, also in sein ganz persönliches Licht.
Im Jugend- und erst recht im Adoleszenzroman ist die "Ihr kennt mich nicht!"-Haltung ein Grundmotiv. Kann man vom Erwachsenwerden, von der Auseinandersetzung mit Eltern und Lehrern, vom ersten Verliebtsein überhaupt noch auf neue, frische Art erzählen? Der erste ins Deutsche übersetzte Roman des amerikanischen Drehbuch- und Jugendbuchautors David Klass kommt aus der Mitte der sogenannten jugendliterarischen Postmoderne. Den Selbst- und sonstigen Reflexionen, dem Erleben des vierzehnjährigen Antihelden wird hier - in charmant-komischer und origineller Beobachtung erzählt - Gewicht verliehen. "Und so verlasse ich, parfümiert mit dem Duft abgrundtiefer Dummheit, das Haus": Johns forscher, zorniger, insgesamt durchweg phantasieschwangerer Ton erstickt nicht die eher konventionelle Geschichte dahinter. Es ist vielmehr seine persönliche Distanzierung, welche mit den ironischen und selbstironischen Schilderungen zur Sprache und damit erst zur Welt kommt.
John ist nicht nur seinen Mitmenschen, sondern immer wieder auch sich selbst fremd, etwa in den wenigen glücklichen Situationen, von denen er kaum glauben kann, daß sie ihm widerfahren. "Wer ist der junge Kerl in schäbigen Schuhen und ausgefransten Kordhosen, der über die Straße ohne Aussicht nach Hause schwebt?" fragt er nach einem Rendezvous. Und sobald ihm das obligatorische Mißgeschick geschieht: "Aha, also bin ich es doch."
"Du kennst mich nicht!" muß sich auch der Leser permanent sagen lassen, wenn ihm John wiederholt nach passagenlangen, durchaus amüsanten Beschreibungen mitteilt, daß es so natürlich nicht gelaufen sein kann. Stellenweise ist es allerdings zuviel, vor allem, wenn als Erzähler nicht mehr der Vierzehnjährige spricht, sondern, gerade in der Wortwahl, wohl der Autor persönlich.
Johns Leben würde sich wirklich niemand wünschen. Sein barsches "Ihr kennt mich nicht!" richtet sich konkret als ein verzweifeltes "Du kennst mich nicht!" an seine Mutter, die noch nicht einmal bemerkt, daß ihr Sohn von ihrem Freund mißhandelt wird. Sein Widerstand, der ohnehin nur in seinem Erzählen stattfindet - nach außen schweigt er -, droht zu zerbrechen, als der Mann ihn schließlich krankenhausreif schlägt. Erst die Erkenntnis, sich der Liebe seiner Mutter gewiß sein zu können, erst ihre Bestätigung erlöst ihn. Da kann er endlich bekennen, daß er sich getäuscht hat, "angefangen bei den ersten vier Worten dieser zornigen Leidensgeschichte". Und die beweist, daß man tatsächlich von Adoleszenz und ihren Begleiterscheinungen noch neu und frisch erzählen kann
SIMONE GIESEN
David Klass: "Ihr kennt mich nicht!" Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexandra Ernst. Arena Verlag, Würzburg 2001. 272 S., geb., 24,80 DM. Ab 12 J.
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