Mildred Scheel brachte die Protokollchefs ins Schwitzen. Rut Brandt wickelte Breschnew um den Finger. Hannelore Kohl feilte am 10-Punkte-Programm zur Einheit. Doris Schröder-Köpf legte bei George W. Bush ein gutes Wort ein. In der Verfassung sind die First Ladies gar nicht vorgesehen, dabei sind wenige so nah an der Macht wie sie. Aber wie setzten sie ihren Einfluss in den letzten 70 Jahren um und prägten damit das Land?
Heike Specht hat zahlreiche Interviews mit den First Ladies, ihren Nachfahren und Weggefährten geführt und akribisch recherchiert. Sie lässt uns hinter die Kulissen der Staatsführung blicken und entwirft ein faszinierendes Panorama deutscher Geschichte. Und natürlich geht es auch um den ersten First Husband: Joachim Sauer.
Heike Specht hat zahlreiche Interviews mit den First Ladies, ihren Nachfahren und Weggefährten geführt und akribisch recherchiert. Sie lässt uns hinter die Kulissen der Staatsführung blicken und entwirft ein faszinierendes Panorama deutscher Geschichte. Und natürlich geht es auch um den ersten First Husband: Joachim Sauer.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2019Die
Politikbegleiterinnen
Heike Specht porträtiert Deutschlands First Ladies
Sie arbeiten unter den Argusaugen der Öffentlichkeit, Vollzeit, ohne Gehalt, ohne Sozialversicherung. Auch im Privaten sollen sie tunlichst ein paar Spielregeln einhalten. Dazu gehört: keine Ansprüche an den Partner stellen, pflegeleichtes Verhalten trainieren und Kinder im Alleingang erziehen. Dieses komplexe Berufsprofil heißt mal „Kanzlergattin“, mal „Gefährtin des Bundespräsidenten“. Rein rechtlich existiert es nicht. Was seiner Stabilität so wenig Abbruch tut wie den Ehebündnissen, die es stützt. Nur zwei von bislang sieben Tandems im Kanzleramt – die Ehepaare Brandt und Schröder – gingen nach dem Ende der Amtszeit getrennte Wege. Von den zwölf Bundespräsidenten landete mit Christian Wulff nur ein einziger vor dem Scheidungsrichter.
Die Arrangements an der Staatsspitze nimmt die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Heike Specht ins Visier. „Ihre Seite der Geschichte“ heißt Spechts Buch, das „Deutschland und seine First Ladies seit 1949“ porträtiert. Jene Damen also, die eher Staatsaffären als Herrenhemden wegbügeln und bisweilen tatsächlich die bessere Hälfte abgeben – dank Charme, Kompetenz und eiserner Disziplin. Deren Auswüchse Specht mitunter im Stil eines Promi-Magazins kolportiert.
Vielleicht fällt ihre Analyse deshalb streckenweise recht dürftig aus. Einerseits knüpft die Chronistin sehr geschickt den historischen Faden, andererseits lähmen Wiederholungsschleifen den Lesefluss. Das Talent der Ersten Damen, ihren Männern als Mitstreiterinnen, Ratgeberinnen, Verteidigerinnen, Anstifterinnen, Konfliktlotsinnen beizustehen, wird munter ausgewalzt, statt es ein- für allemal als Schlüsselqualifikation auszuweisen. Leicht betulich schreitet Heike Specht die Gattinnen-Galerie von Elly Heuss-Knapp über Loki Schmidt bis Elke Büdenbender ab. Schärferes Hinschauen und intensivere Ursachenforschung hätten hier nicht geschadet.
Was hat zum Beispiel eine Hannelore Kohl veranlasst, ihre schwere Erkrankung unter Verschluss zu halten? Der psychische Druck, den das Dasein im Schlepptau eines „Narzissten“ (Specht über Helmut Kohl) mit sich bringt, bleibt seltsam nebulös. Ebenso wie die familiären Katastrophen und zweitehelichen Kollateralschäden, die sowohl Willy Brandt als auch Helmut Kohl ihren Söhnen zumuteten.
Vorzüglich gelingt es Specht dagegen, den Gründungselan wie die Lebensleistungen ihrer Protagonistinnen und deren allmähliche Emanzipation nachzuzeichnen. Schon Elly Heuss-Knapp, die allererste Frau mit Präsidialgemahl, rief mit dem Müttergenesungswerk eine wegweisende Sozialeinrichtung ins Leben. Mildred Scheels „Krebshilfe“ oder Hannelore Kohls Stiftung für Hirngeschädigte sind aus dem gemeinnützigen Spektrum nicht mehr wegzudenken. Jede First Lady hat eine selbstgewählte Mission verfolgt und dafür die Werbetrommel gerührt, Türen geöffnet, Geldströme zum Fließen gebracht. Die Resolutesten wussten auch ihr Privatrevier zu verteidigen. So gab die Ärztin und dreifache Mutter Mildred Scheel bei Amtsübernahme die Devise aus: „Mein Mann macht Bundespräsident von Montag bis Freitag und Samstag und Sonntag haben wir frei.“
Interessanterweise war es die unspektakuläre Ägide von Karl Carstens, in die – nahezu vergessen – die womöglich revolutionärste Neuerung fiel: Veronica Carstens blieb nach dem Amtsantritt ihres Mannes berufstätig und praktizierte weiterhin als Internistin. Anders sah es Jahre später für Doris Schröder-Köpf und Daniela Schadt aus, die Lebensgefährtin von Joachim Gauck. Beide waren erfolgreiche Journalistinnen, beide fürchteten Interessenskollisionen und verzichteten auf ihre Posten. Ob das noch zeitgemäß ist?
Angela Merkels Gatte Joachim Sauer ist nicht nur der erste Mann in einem bis dato ausschließlich weiblich besetzten Feld, sondern auch der erste Rundumverweigerer, was karitatives Engagement und Damenprogramme betrifft. Sollte sein Vorbild Schule machen, ist das ranghöchste Ehrenamt der Republik dem Untergang geweiht. Bedauerlich oder nicht? Heike Specht lässt die Antwort offen.
DORION WEICKMANN
Joachim Sauer ist nicht nur
der erste Mann, sondern auch
ein Rundumverweigerer
Elly Heuss-Knapp, hier 1951, war beim Volk sehr beliebt.
Foto: SZ Photo
Heike Specht:
Ihre Seite der Geschichte.
Deutschland und seine First Ladies von 1949
bis heute. Piper-Verlag,
München 2019.
400 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Politikbegleiterinnen
Heike Specht porträtiert Deutschlands First Ladies
Sie arbeiten unter den Argusaugen der Öffentlichkeit, Vollzeit, ohne Gehalt, ohne Sozialversicherung. Auch im Privaten sollen sie tunlichst ein paar Spielregeln einhalten. Dazu gehört: keine Ansprüche an den Partner stellen, pflegeleichtes Verhalten trainieren und Kinder im Alleingang erziehen. Dieses komplexe Berufsprofil heißt mal „Kanzlergattin“, mal „Gefährtin des Bundespräsidenten“. Rein rechtlich existiert es nicht. Was seiner Stabilität so wenig Abbruch tut wie den Ehebündnissen, die es stützt. Nur zwei von bislang sieben Tandems im Kanzleramt – die Ehepaare Brandt und Schröder – gingen nach dem Ende der Amtszeit getrennte Wege. Von den zwölf Bundespräsidenten landete mit Christian Wulff nur ein einziger vor dem Scheidungsrichter.
Die Arrangements an der Staatsspitze nimmt die Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Heike Specht ins Visier. „Ihre Seite der Geschichte“ heißt Spechts Buch, das „Deutschland und seine First Ladies seit 1949“ porträtiert. Jene Damen also, die eher Staatsaffären als Herrenhemden wegbügeln und bisweilen tatsächlich die bessere Hälfte abgeben – dank Charme, Kompetenz und eiserner Disziplin. Deren Auswüchse Specht mitunter im Stil eines Promi-Magazins kolportiert.
Vielleicht fällt ihre Analyse deshalb streckenweise recht dürftig aus. Einerseits knüpft die Chronistin sehr geschickt den historischen Faden, andererseits lähmen Wiederholungsschleifen den Lesefluss. Das Talent der Ersten Damen, ihren Männern als Mitstreiterinnen, Ratgeberinnen, Verteidigerinnen, Anstifterinnen, Konfliktlotsinnen beizustehen, wird munter ausgewalzt, statt es ein- für allemal als Schlüsselqualifikation auszuweisen. Leicht betulich schreitet Heike Specht die Gattinnen-Galerie von Elly Heuss-Knapp über Loki Schmidt bis Elke Büdenbender ab. Schärferes Hinschauen und intensivere Ursachenforschung hätten hier nicht geschadet.
Was hat zum Beispiel eine Hannelore Kohl veranlasst, ihre schwere Erkrankung unter Verschluss zu halten? Der psychische Druck, den das Dasein im Schlepptau eines „Narzissten“ (Specht über Helmut Kohl) mit sich bringt, bleibt seltsam nebulös. Ebenso wie die familiären Katastrophen und zweitehelichen Kollateralschäden, die sowohl Willy Brandt als auch Helmut Kohl ihren Söhnen zumuteten.
Vorzüglich gelingt es Specht dagegen, den Gründungselan wie die Lebensleistungen ihrer Protagonistinnen und deren allmähliche Emanzipation nachzuzeichnen. Schon Elly Heuss-Knapp, die allererste Frau mit Präsidialgemahl, rief mit dem Müttergenesungswerk eine wegweisende Sozialeinrichtung ins Leben. Mildred Scheels „Krebshilfe“ oder Hannelore Kohls Stiftung für Hirngeschädigte sind aus dem gemeinnützigen Spektrum nicht mehr wegzudenken. Jede First Lady hat eine selbstgewählte Mission verfolgt und dafür die Werbetrommel gerührt, Türen geöffnet, Geldströme zum Fließen gebracht. Die Resolutesten wussten auch ihr Privatrevier zu verteidigen. So gab die Ärztin und dreifache Mutter Mildred Scheel bei Amtsübernahme die Devise aus: „Mein Mann macht Bundespräsident von Montag bis Freitag und Samstag und Sonntag haben wir frei.“
Interessanterweise war es die unspektakuläre Ägide von Karl Carstens, in die – nahezu vergessen – die womöglich revolutionärste Neuerung fiel: Veronica Carstens blieb nach dem Amtsantritt ihres Mannes berufstätig und praktizierte weiterhin als Internistin. Anders sah es Jahre später für Doris Schröder-Köpf und Daniela Schadt aus, die Lebensgefährtin von Joachim Gauck. Beide waren erfolgreiche Journalistinnen, beide fürchteten Interessenskollisionen und verzichteten auf ihre Posten. Ob das noch zeitgemäß ist?
Angela Merkels Gatte Joachim Sauer ist nicht nur der erste Mann in einem bis dato ausschließlich weiblich besetzten Feld, sondern auch der erste Rundumverweigerer, was karitatives Engagement und Damenprogramme betrifft. Sollte sein Vorbild Schule machen, ist das ranghöchste Ehrenamt der Republik dem Untergang geweiht. Bedauerlich oder nicht? Heike Specht lässt die Antwort offen.
DORION WEICKMANN
Joachim Sauer ist nicht nur
der erste Mann, sondern auch
ein Rundumverweigerer
Elly Heuss-Knapp, hier 1951, war beim Volk sehr beliebt.
Foto: SZ Photo
Heike Specht:
Ihre Seite der Geschichte.
Deutschland und seine First Ladies von 1949
bis heute. Piper-Verlag,
München 2019.
400 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dorion Weickmann hätte sich mehr Tiefe gewünscht von Heike Specht. Wenn die Autorin sich der deutschen First Ladys und Kanzlergattinnen annimmt, sowie ihrer staatstragenden wie privaten Rolle, dann vermisst Weickmann analytische Schärfe. Stattdessen behandelt Specht ihr Thema mit Kolportage und Betulichkeit, kritisiert die Rezensentin. Auch wenn Specht "geschickt" historische Fäden knüpft, lähmt sie die Lektürefreude der Rezensentin allzu oft durch Redundanzen und ungebührliches Auswalzen der Qualitäten von Loki Schmidt, Hannelore Kohl und Co. Was es mit Hannelore Kohls Erkrankung und ihrem Verschweigen auf sich hatte, erfährt Weickmann hingegen leider nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2019In der Verfassung nicht vorgesehen
Mit ganzer Seele dabei: Die Gattinnen der Präsidenten und Kanzler - und ein sehr zurückhaltender Professor
Die Damen treten mit einer Naturgewalt auf: Heike Specht stellt ihrer Geschichte der First Ladies im Nachkriegsdeutschland eine Szene voran, die sich kurz nach dem Tsunami 2004 zutrug. Christina Rau und Doris Schröder-Köpf engagierten sich spontan für die Opfer der Katastrophe. Das Initial ging vom Bundeskanzler aus, die damalige Gattin musste Gerhard Schröder nicht lange überzeugen, und auch Christina Rau war rasch bereit, ihre Prominenz als Ehefrau des kurz zuvor aus dem Amt geschiedenen Bundespräsidenten für die Flutgeschädigten einzusetzen. Die Eröffnungsszene scheint willkürlich gewählt. Alle Gattinnen der Herren an der Staatsspitze geben ihren guten Namen für eine gute Sache her.
Die Verfassung nennt sie nicht - und doch repräsentieren sie an der Seite ihrer Ehepartner unser Land. Sie sind nicht gewählt, nehmen aber in der öffentlichen Sphäre einen festen Platz ein. Sie verfügen seit Wilhelmine Lübke über eine Sekretärin und inzwischen über ein Büro, erhalten aber kein Salär für ihren zumeist ganztägigen Einsatz: die Gattinnen der Bundespräsidenten und Kanzler der Bundesrepublik sowie Herr Professor Sauer, der erste Kanzlerinnengemahl, und Frau Schadt, einzige nicht angetraute Gefährtin eines Bundespräsidenten.
Joachim Sauer ist der Zurückhaltendste von ihnen allen - sein Fernbleiben bei der Vereidigung Angela Merkels zur ersten Kanzlerin war ein Statement. So variantenreich moderne Interpretationen der Ehe auch sein mögen: Mit seinem Fernbleiben an diesem für das Land und für seine Frau markanten Moment hat er das Signal gesetzt, dass sie diesen Job allein macht. Joachim Sauer absolviert inzwischen protokollarische Pflichttermine, gleichwohl haben sich die Ehegattinnen von Kanzlern und Präsidenten intensiver in die Pflicht nehmen lassen.
Die Damen waren und sind auf ihre Weise einflussreiche Politprofis und bekannter als mancher Minister. Die Bilder der Rücktritte von Horst Köhler oder Christian Wulff sind auch Bilder von Eva-Luise Köhler und Bettina Wulff.
Die zumeist beliebten Gattinnen nahmen sich auf sehr eigene Weise die Freiheit, ihre nicht definierte Rolle in der Öffentlichkeit und Politik zu gestalten. Sie suchen eine Balance zwischen der Rolle als Landesmutter und Vertraute, als Sparringspartnerin, als Mutter der Kinder - verantwortlich dafür, diese vor der neugierigen Öffentlichkeit zu schützen und die Abwesenheit des Vaters zu kompensieren -, als Eisbrecherin in den frostigen Zeiten des Kalten Krieges, als Wächterin über Haus und Protokoll sowie als Bindeglied zur Bevölkerung. Die Ehefrauen steigen mit ganzer Seele in ein Geschäft ein, in das sie ungefragt hineingeheiratet haben - und zwar beiderseits der Mauer: Heike Specht stellt auch Lotte Ulbricht und Margot Honecker vor. Auch an den beiden First Ladies der DDR lässt sich der gesellschaftspolitische Wandel ablesen: Trat die eine noch als realsozialistische Vorzeigemutti und Tischtennispartnerin des SED-Generalsekretärs auf, wählte ihre kämpferische Nachfolgerin dann eine Doppelrolle als gestrenge Gattin und hochideologische Ministerin für Volksbildung.
Heike Specht beschreibt kurz die familiären Hintergründe ihrer Protagonistinnen, wobei sie nichts ausspart, aber auch nicht auswalzt, was es über Ehe und Beziehung zu wissen gibt. Ohne Partnerin war bei Amtsantritt einzig Konrad Adenauer, dessen zweite Frau Auguste die Gründung der Bundesrepublik nicht mehr erlebte. Als Theodor Heuss für das höchste Staatsamt im Gespräch war, gab er zu bedenken, es wäre "für Elly eine wunderbare Funktion". Dafür war die Zeit noch nicht reif. Die Zusammenschau der volksnahen und hochpolitischen Damen legt die Frage nahe, warum in siebzig Jahren allenfalls symbolische Wettbewerberinnen, nie aber eine aussichtsreiche Kandidatin für das höchste Amt im Staate zur Wahl stand.
Schon Elly Heuss-Knapp nutzte ihre Position auch so. Wenn Ralf Dahrendorf über Heuss urteilt, er habe seine Zeit eher verkörpert, als dass er sie gestaltet habe, so gilt dieses Urteil für die zupackende Gattin nicht. Elly Heuss-Knapp, die während der Präsidentschaft ihres Mannes verstarb, hat die Messlatte für ihre Nachfolgerinnen hoch gelegt. Für die Ärztin Mildred Scheel, mit der - noch bevor es den Begriff gab - eine erste Patchwork-Familie nebst Hund und Heiterkeit ins Amt einzog, war es selbstverständlich, den eigenen Beruf an den Nagel zu hängen. Eine präsidiale Amtsperiode später war es Veronica Carstens möglich, die eigene Praxis weiterzuführen und dennoch zu wichtigen Anlässen an der Seite des Bundespräsidenten präsent zu sein.
Die achtzehn Damen interpretierten ihre Aufgabe höchst individuell, füllten sie aber mit Verve, hohem Bewusstsein für die eigene Rolle, verschwiegen und verantwortungsvoll aus. Bisweilen wurde ihr Beitrag zu den Dienstgeschäften als bloße Dekoration für Staatsbesuche und -bankette missachtet - und stets wurden sie für die Politik ihrer Männer in Mithaftung genommen. Es ist jedoch, das beleuchtet der Band, ihr eigenes Tun, das Bewunderung verdient.
Heike Specht, Historikerin und Lektorin, versteht nicht nur etwas von ihrem Sujet, dem sie sich über Zeitzeugengespräche genähert hat, sondern viel von Sprache und angemessenem Erzählstil. Sie geht chronologisch durch die Geschichten, verschränkt diese über Amtsperioden hinweg und macht auf Brüche und Kontinuitäten aufmerksam. Der Band mag auf den ersten Blick in die Kategorie "human interest" fallen, ist aber von halbseidenen Herzblattgeschichten weit entfernt. Wer sich Enthüllungen über das Privatleben in Villa Hammerschmidt, Palais Schaumburg, Kanzlerbungalow oder Schloss Bellevue verspricht, kann ihn getrost stehenlassen. Heikle Momente erledigt Heike Specht unaufgeregt, schmutzige Wäsche wird nicht gewaschen - sie geht respektvoll und wohlwollend mit ihren Protagonistinnen um, vertieft Gerüchte über Affären nicht und zeigt sich allenfalls befremdet über Bettina Wulff und deren Autobiographie.
So erzählt die anekdotenreiche Geschichte der eigenwilligen Damen viel über das bundesrepublikanische Pathos der Nüchternheit, über gesellschaftliche Verantwortung und über die sich wandelnde Stimmung in Politik, Ehe und Familie. Der Gelehrte Jacob Burckhardt bemerkte einst, die Geschichte liebe es bisweilen, sich in einem Menschen zu verdichten. Burckhardt meinte die Herren auf Thronen und Schlachtrössern. Die andere Seite der Geschichte verdichtet sich in deren Ehepartnerinnen - und ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.
JACQUELINE BOYSEN
Heike Specht: Ihre Seite der Geschichte. Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute.
Piper Verlag, München 2019. 400 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit ganzer Seele dabei: Die Gattinnen der Präsidenten und Kanzler - und ein sehr zurückhaltender Professor
Die Damen treten mit einer Naturgewalt auf: Heike Specht stellt ihrer Geschichte der First Ladies im Nachkriegsdeutschland eine Szene voran, die sich kurz nach dem Tsunami 2004 zutrug. Christina Rau und Doris Schröder-Köpf engagierten sich spontan für die Opfer der Katastrophe. Das Initial ging vom Bundeskanzler aus, die damalige Gattin musste Gerhard Schröder nicht lange überzeugen, und auch Christina Rau war rasch bereit, ihre Prominenz als Ehefrau des kurz zuvor aus dem Amt geschiedenen Bundespräsidenten für die Flutgeschädigten einzusetzen. Die Eröffnungsszene scheint willkürlich gewählt. Alle Gattinnen der Herren an der Staatsspitze geben ihren guten Namen für eine gute Sache her.
Die Verfassung nennt sie nicht - und doch repräsentieren sie an der Seite ihrer Ehepartner unser Land. Sie sind nicht gewählt, nehmen aber in der öffentlichen Sphäre einen festen Platz ein. Sie verfügen seit Wilhelmine Lübke über eine Sekretärin und inzwischen über ein Büro, erhalten aber kein Salär für ihren zumeist ganztägigen Einsatz: die Gattinnen der Bundespräsidenten und Kanzler der Bundesrepublik sowie Herr Professor Sauer, der erste Kanzlerinnengemahl, und Frau Schadt, einzige nicht angetraute Gefährtin eines Bundespräsidenten.
Joachim Sauer ist der Zurückhaltendste von ihnen allen - sein Fernbleiben bei der Vereidigung Angela Merkels zur ersten Kanzlerin war ein Statement. So variantenreich moderne Interpretationen der Ehe auch sein mögen: Mit seinem Fernbleiben an diesem für das Land und für seine Frau markanten Moment hat er das Signal gesetzt, dass sie diesen Job allein macht. Joachim Sauer absolviert inzwischen protokollarische Pflichttermine, gleichwohl haben sich die Ehegattinnen von Kanzlern und Präsidenten intensiver in die Pflicht nehmen lassen.
Die Damen waren und sind auf ihre Weise einflussreiche Politprofis und bekannter als mancher Minister. Die Bilder der Rücktritte von Horst Köhler oder Christian Wulff sind auch Bilder von Eva-Luise Köhler und Bettina Wulff.
Die zumeist beliebten Gattinnen nahmen sich auf sehr eigene Weise die Freiheit, ihre nicht definierte Rolle in der Öffentlichkeit und Politik zu gestalten. Sie suchen eine Balance zwischen der Rolle als Landesmutter und Vertraute, als Sparringspartnerin, als Mutter der Kinder - verantwortlich dafür, diese vor der neugierigen Öffentlichkeit zu schützen und die Abwesenheit des Vaters zu kompensieren -, als Eisbrecherin in den frostigen Zeiten des Kalten Krieges, als Wächterin über Haus und Protokoll sowie als Bindeglied zur Bevölkerung. Die Ehefrauen steigen mit ganzer Seele in ein Geschäft ein, in das sie ungefragt hineingeheiratet haben - und zwar beiderseits der Mauer: Heike Specht stellt auch Lotte Ulbricht und Margot Honecker vor. Auch an den beiden First Ladies der DDR lässt sich der gesellschaftspolitische Wandel ablesen: Trat die eine noch als realsozialistische Vorzeigemutti und Tischtennispartnerin des SED-Generalsekretärs auf, wählte ihre kämpferische Nachfolgerin dann eine Doppelrolle als gestrenge Gattin und hochideologische Ministerin für Volksbildung.
Heike Specht beschreibt kurz die familiären Hintergründe ihrer Protagonistinnen, wobei sie nichts ausspart, aber auch nicht auswalzt, was es über Ehe und Beziehung zu wissen gibt. Ohne Partnerin war bei Amtsantritt einzig Konrad Adenauer, dessen zweite Frau Auguste die Gründung der Bundesrepublik nicht mehr erlebte. Als Theodor Heuss für das höchste Staatsamt im Gespräch war, gab er zu bedenken, es wäre "für Elly eine wunderbare Funktion". Dafür war die Zeit noch nicht reif. Die Zusammenschau der volksnahen und hochpolitischen Damen legt die Frage nahe, warum in siebzig Jahren allenfalls symbolische Wettbewerberinnen, nie aber eine aussichtsreiche Kandidatin für das höchste Amt im Staate zur Wahl stand.
Schon Elly Heuss-Knapp nutzte ihre Position auch so. Wenn Ralf Dahrendorf über Heuss urteilt, er habe seine Zeit eher verkörpert, als dass er sie gestaltet habe, so gilt dieses Urteil für die zupackende Gattin nicht. Elly Heuss-Knapp, die während der Präsidentschaft ihres Mannes verstarb, hat die Messlatte für ihre Nachfolgerinnen hoch gelegt. Für die Ärztin Mildred Scheel, mit der - noch bevor es den Begriff gab - eine erste Patchwork-Familie nebst Hund und Heiterkeit ins Amt einzog, war es selbstverständlich, den eigenen Beruf an den Nagel zu hängen. Eine präsidiale Amtsperiode später war es Veronica Carstens möglich, die eigene Praxis weiterzuführen und dennoch zu wichtigen Anlässen an der Seite des Bundespräsidenten präsent zu sein.
Die achtzehn Damen interpretierten ihre Aufgabe höchst individuell, füllten sie aber mit Verve, hohem Bewusstsein für die eigene Rolle, verschwiegen und verantwortungsvoll aus. Bisweilen wurde ihr Beitrag zu den Dienstgeschäften als bloße Dekoration für Staatsbesuche und -bankette missachtet - und stets wurden sie für die Politik ihrer Männer in Mithaftung genommen. Es ist jedoch, das beleuchtet der Band, ihr eigenes Tun, das Bewunderung verdient.
Heike Specht, Historikerin und Lektorin, versteht nicht nur etwas von ihrem Sujet, dem sie sich über Zeitzeugengespräche genähert hat, sondern viel von Sprache und angemessenem Erzählstil. Sie geht chronologisch durch die Geschichten, verschränkt diese über Amtsperioden hinweg und macht auf Brüche und Kontinuitäten aufmerksam. Der Band mag auf den ersten Blick in die Kategorie "human interest" fallen, ist aber von halbseidenen Herzblattgeschichten weit entfernt. Wer sich Enthüllungen über das Privatleben in Villa Hammerschmidt, Palais Schaumburg, Kanzlerbungalow oder Schloss Bellevue verspricht, kann ihn getrost stehenlassen. Heikle Momente erledigt Heike Specht unaufgeregt, schmutzige Wäsche wird nicht gewaschen - sie geht respektvoll und wohlwollend mit ihren Protagonistinnen um, vertieft Gerüchte über Affären nicht und zeigt sich allenfalls befremdet über Bettina Wulff und deren Autobiographie.
So erzählt die anekdotenreiche Geschichte der eigenwilligen Damen viel über das bundesrepublikanische Pathos der Nüchternheit, über gesellschaftliche Verantwortung und über die sich wandelnde Stimmung in Politik, Ehe und Familie. Der Gelehrte Jacob Burckhardt bemerkte einst, die Geschichte liebe es bisweilen, sich in einem Menschen zu verdichten. Burckhardt meinte die Herren auf Thronen und Schlachtrössern. Die andere Seite der Geschichte verdichtet sich in deren Ehepartnerinnen - und ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.
JACQUELINE BOYSEN
Heike Specht: Ihre Seite der Geschichte. Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute.
Piper Verlag, München 2019. 400 S., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Spiegel unserer Gesellschaft.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20190827