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Der Roman erzählt die über ein Jahrhundert reichende Chronik einer Familie. Das faschistische Italien, der Krieg und die Nachkriegsjahre sind Stationen auf einer Reise durch die Zeit, die in unseren Tagen endet. Im Mittelpunkt des Romans steht Antenora, die Großmutter der Erzählerin, und die Beziehung der Enkelin zu dieser starken und eigenwilligen Frau, die gegen alle Widrigkeiten der Welt halsstarrig ihre Autonomie und Würde verteidigt.

Produktbeschreibung
Der Roman erzählt die über ein Jahrhundert reichende Chronik einer Familie. Das faschistische Italien, der Krieg und die Nachkriegsjahre sind Stationen auf einer Reise durch die Zeit, die in unseren Tagen endet. Im Mittelpunkt des Romans steht Antenora, die Großmutter der Erzählerin, und die Beziehung der Enkelin zu dieser starken und eigenwilligen Frau, die gegen alle Widrigkeiten der Welt halsstarrig ihre Autonomie und Würde verteidigt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.1996

Die Ameisenkönigin
Alle Wetter: Margaret Mazzantinis Debüt Von Michael Maar

Das eine Buch, auf das die Frankfurter Verlagsanstalt ihr Programm der Saison beschränkt, hat einen so grellfarbigen Umschlag, daß der empfindlichere Leser sich zur Lektüre nicht wie Nietzsche beim "Tristan" die Handschuhe, dafür aber eine Sonnenbrille anziehen wird. Das Innere entschädigt für den Augenschmerz - so stark, alle Wetter, allen Respekt, weht es uns nicht aus vielen Erstlingswerken entgegen. "Die Zinkwanne" ist der erste Roman der 1961 in Dublin geborenen und in Irland und der Toskana aufgewachsenen Margaret Mazzantini, eine Familienchronik, die in Italien gefeiert wird und die selbst eine Feier ist, wenn auch eine unfröhliche; eine Totenfeier - die römische Großmutter, deren Leben die Enkelin erzählt, liegt am Anfang und am Ende in der Kapelle aufgebahrt -, aber eine Feier doch, ein Fest der starken Momente und Geschichten, das Leben in der Essenz, im Duftkonzentrat.

Die Autorin dieser Chronik muß so etwas haben wie den absoluten Geruchssinn und so etwas sein wie eine olfaktorische Prinzessin auf der Erbse. Sie sieht viel, noch mehr aber wittert sie, ihr Buch verströmt hundert Gerüche, bis zum Ende, dem nach Alter riechenden Bettlaken der Toten und bis zum Dunst aus Kerzen, Lilien, Moder, Naphtalin und Eau de Cologne, der in der Kapelle des Eingangs steht. Zwischen dem letzten Satz und dem ersten liegen nur ein paar Minuten, dazwischen vergeht ein Jahrhundert, Anfang und Ende der Chronik liegen dicht beieinander, wie sich die Generationen ineinander verwandeln und zyklisch durch Leben und Tod wogen. Die zirkuläre Anlage des Romans ist die formale Übersetzung des Gefühls, das die Enkelin an die Großmutter bindet, eines Gefühls von Über-Identität und Trotz gegen den Tod und die Zeit. Wie Nabokov in "Sprich, Erinnerung" erklärt diese Erzählerin, an die Zeit nicht zu glauben. Margaret Mazzantini hat nicht nur Gespür für die großen Momente und fluiden Atmosphären, sie hat Tiefe, eine Art tiefer Dickköpfigkeit und mystischen Starrsinns, die sie von der Großmutter geerbt haben könnte, deren Vater beim Mittagstisch in stummer Wut über die Zurücksetzung der Töchter seinen vollen Teller über die Balkonbrüstung ins Leere wirft. "Betrübt bleibt er draußen stehen, den Blick auf die belaubte Schaukel der Bäume im Abendwind geheftet. Ein paar Spaghetti hängen im Drahtseil der Trambahn."

Mazzantinis Blick auf die Geschichten des Lebens kommt wie von weit her; er ist nicht heiter, aber noch weniger sentimental. Er wirkt, als wüßte sie eine entscheidende Kleinigkeit mehr über das Leben als die andern und wüßte zugleich, daß ihr dieses Wissen nichts hilft. Die Kühle erlaubt ihr Szenen, die man nicht nacherzählen darf, weil kein empfindlicher Leser sich vorstellen kann, wie sie anderswo enden sollen als in der Katastrophe. In der genauen Mitte des Romans - man merkt es ihr nicht an, aber "Die Zinkwanne" ist penibel ausbalanciert - kommt es zu folgendem unerlaubtem Höhepunkt. Die Großmutter will ihren Sohn aus dem Krieg retten, mit einer kiloschweren Geschwulst, die in ihren Eingeweiden brennt, folgt sie nachts dem Zug, der ihn fortschafft, erreicht ihn auch wie durch Wunder - der süßliche Geruch im Waggon erinnert sie an die Ausdünstungen einer Keksfabrik -, wird aber vom fanatisierten Sohn wieder nach Hause geschickt. Unterm Mond, der mit ihr zusammen fortschreitet, als wäre er ein fluoreszierender Luftballon, am Handgelenk eines Kindes festgebunden, schleppt sie sich auf dem Bahngleis weiter, bis sie zusammenbricht. In ihrer Not ruft sie die Madonna und wird erhört. "Deine Söhne werden zurückkehren, alle drei werden sie zurückkehren." Das ist nur durch einen Millimeter von der Hölle des katholischen Kitsches getrennt, aber durch einen wirksamen Millimeter, eine Schicht aus kosmischem Eis.

Es gehört ungewöhnliches Talent dazu, fast schon Meisterschaft, bei solchen Szenen nicht abzustürzen. Mazzantini strauchelt überhaupt nur einmal, bei einer Stelle, die durch den Strich einer halben Seite zu retten gewesen wäre. Die Großmutter, im säuerlich riechenden Morgenrock, schlachtet den einzigen Freund ihres Sohnes, seinen Hasen, füllt ihn mit Rosmarin und serviert ihn dem Ahnungslosen zum Essen. Da darf kein Wort mehr folgen, vor allem nicht der Name Atreus. Daß Mazzantini selbst ihn nennt und die Szene durch Erklärung zerstört, verrät einmal den Debütanten, der vom Lektor im Stich gelassen wurde. Sonst aber geht es den Einwänden, die man machen könnte, wie Häschen, die in die Hände der Großmutter fallen - sie leben nicht lange, Mazzantini dreht ihnen den Hals um.

Die Zinkwanne des Titels könnte leicht dingsymbolisch überschäumen, aber sie wird so dezent weggestellt und nach Bedarf wieder vorgezogen, daß kein Klappern den vertieften Leser stört. Der Wechsel der Zeiten und Erzählperspektiven könnte manieriert sein, durch Mazzantinis Kunst wirkt er natürlich. Der Schlußmonolog der großen Mutter, der interpunktionslos über acht Seiten mäandernde Gedankenstrom, rauscht dicht am Vorbild aus Dublin vorbei, aber bei aller Nähe zu Molly, er ist trotzdem gut. Nicht die Erzählformen sind neu, aber die Seelenwindungen dieser einen Alten. Und immer neu ist das, worin Mazzantini erst ihre wahre Stärke beweist. Ihre hundert Geschichten sind das eine und schon das meiste, wenn sie so lange nachwirken wie hier.

Die Essenz der Literatur aber ist die Metapher. Sie ist ihr Fruchtester und ihr Duftmolekül, das diese Prinzessin nicht unbedacht vorbeifliegen läßt. Mit dem ersten Besuch der alten Weiber, die ein Gebimmel von Gold und Anhängern ankündigt "wie Schellen eine Kolonie von Leprakranken", zieht der Zug der Bilder durch dieses Buch, das sich im Kreis um den Tod bewegt, von dem sich nur in Metaphern reden läßt. Am Ende sitzt die Erzählerin im Sterbezimmer der Großmutter, und unauffällig verirrt sich eine Ameise durch ihre Gedankenbahn. Im Alter, schreibt sie lange davor, kommt der Tod nicht mehr mit Fanfaren, sondern wie eine schwarzgekleidete Ameise, die sich dem Liegenden in den Mund verirrt. Ameisen können enorm schleppen, diese hier trägt ihre Zuschneiderin in die große Literatur.

Margaret Mazzantini: "Die Zinkwanne". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Viktoria v. Schirach. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1996. 264 S., geb., 38,- DM.

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