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Eine Truppe junger Soldaten bricht nach Afghanistan auf. Sie chatten und telefonieren mit ihren Freundinnen und Frauen zu Hause, sehnen sich nach dem Vertrauten und sind doch auf der Suche nach neuen Thrills. Ihre Geschichte wird choral erzählt. Da ist Alessandro Egitto, Militärarzt und ungeliebter Sohn von ehrgeizigen Eltern. Da sind die Soldaten: René, der verantwortungsbewusste Zugführer, der naive Ietri, der politisch unkorrekte Cederna, Di Salvo, der sich vom Übersetzer mit Marihuana versorgen lässt, der Sarde Torsu, der mit der Unbekannten Tersicore89 im Chat Erotik sucht, die Soldatin…mehr

Produktbeschreibung
Eine Truppe junger Soldaten bricht nach Afghanistan auf. Sie chatten und telefonieren mit ihren Freundinnen und Frauen zu Hause, sehnen sich nach dem Vertrauten und sind doch auf der Suche nach neuen Thrills.
Ihre Geschichte wird choral erzählt. Da ist Alessandro Egitto, Militärarzt und ungeliebter Sohn von ehrgeizigen Eltern. Da sind die Soldaten: René, der verantwortungsbewusste Zugführer, der naive Ietri, der politisch unkorrekte Cederna, Di Salvo, der sich vom Übersetzer mit Marihuana versorgen lässt, der Sarde Torsu, der mit der Unbekannten Tersicore89 im Chat Erotik sucht, die Soldatin Zampieri, die ihre Forschheit nur vorgibt.
Sie alle treffen Entscheidungen, deren Folgen sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen werden. Denn es kommt der Moment, in dem sie aus ihren Sicherheitszonen herausmüssen: Die Soldaten begleiten afghanische Lastwagenfahrer durch ein von den Taliban kontrolliertes Tal. Von da an verändert sich ihr Leben.
Nach dem Einsatz kehren sie zurück in eine ihnen fremd gewordene Welt. Wie können sie die, nach denen sie sich aus der Ferne sehnten, noch lieben?
Mit psychologischer Meisterschaft beschreibt Paolo Giordano, wie Gefühle entstehen. Ein existenzielles Buch voll emotionaler Kraft.
Autorenporträt
Paolo Giordano, geb. 1982 in Turin, studierte und lehrte Physik . Nach einigen Kurzgeschichten und Auftritten auf Literaturfestivals feierte er mit 'Die Einsamkeit der Primzahlen' ein sensationelles Romandebüt. Es war das meistverkaufte Buch Italiens im Jahre 2008. In der über 60-jährigen Geschichte des Premio Strega des wichtigsten Literaturpreises in Italien ist er der jüngste Preisträger überhaupt. Sein Roman wurde in 26 Länder verkauft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014

Zweierlei Schlachtfelder

Der italienische Erfolgsautor Paolo Giordano erzählt in seinem neuen Roman "Der menschliche Körper" über Afghanistan und den Krieg in der Familie.

Von Niklas Bender

Paolo Giordano war das Wunderkind des Jahres 2008: Der damals erst 25 Jahre alte Teilchenphysiker legte da mit seinem Erstlingsroman "Die Einsamkeit der Primzahlen" das meistverkaufte Buch Italiens vor, das auch den Premio Strega, den wichtigsten Literaturpreis des Landes, einheimste; die Verfilmung durch Saverio Costanzo (2010) war nur noch das Sahnehäubchen. Die Messlatte für den Nachfolgeroman "Der menschliche Körper" liegt entsprechend hoch, und es sei gleich gesagt: Giordano schafft es drüber. Mit diesem Autor wird die Literaturwelt noch lange rechnen müssen - er ist jetzt zarte 31 Jahre alt.

Auf den ersten Blick trennen die zwei Romane Welten: War im alten die abstrakte, kristalline Primzahl die zentrale Metapher, so ist es im neuen der menschliche Körper in seiner Wärme, Impulsivität und Undurchschaubarkeit. War der erste Roman Mattia und Alice, einem unwahrscheinlichen Paar von radikalen Individualisten, gewidmet, die sich aneinander annähern, völliges Verständnis entwickeln und doch wieder auseinanderdriften, so ist der zweite ein Roman über eine mal liebenswerte, mal ordinäre Gruppe: "Der menschliche Körper" erzählt die Geschichte eines Zuges italienischer Soldaten im humanitären Afghanistan-Einsatz - Krieg darf es ja nicht heißen.

Doch genau darum geht es: um Krieg. Dem Leser wird gleich zu Anfang verraten, dass es im afghanischen Tal der Rosen zur Katastrophe gekommen ist. Dann porträtiert Giordano erst einmal seine Truppe, die 66. Kompanie: den pflichtbewussten Feldwebel René, der sich als Gigolo was dazuverdient; den Obergefreiten Ietri, der erst zwanzig Jahre alt, ehemaliger Punk und auf der Suche nach dem anderen Geschlecht ist; dessen Mentor, den zehn Jahre älteren Cederna, ein brutales Großmaul und (bisweilen) ein guter Kamerad; Mitrano, Cedernas Opfer; den Stabsgefreiten Torsu, der nicht weiß, ob seine Internetliebe ein Mann oder eine Frau ist; Zampieri, die einzige Frau, die hart um Achtung ringt und sich mit dem Falschen einlässt; den Familienvater Camporesi, der sich nach Frau und Sohn verzehrt; und an der Spitze Oberst Ballesio, ein egoistischer Offizier mit Herz und Bier im Medikamentenkühlschrank. Er ist nie um ein klares Wort verlegen, etwa angesichts einer Schlange: "Sogar Oberst Ballesio lässt sich blicken, begutachtet das Tier mit verschränkten Armen und sagt: ,Mutter Natur hat wirklich eine Menge ekelhaftes Zeug hervorgebracht', dann rückt er sich die Eier zurecht und geht."

Die Kompanie findet sich in der Operationsbasis "Ice" wieder, "am nördlichen Zugang zum Gulistan-Tal, unweit der Provinz Helmland", wo offen gekämpft wird. Am Rand der Truppe, aber im Zentrum der Erzählung, steht der Oberleutnant Alessandro Egitto, ein Arzt, dessen Perspektive der Roman des Öfteren folgt. Er ist der einzige, dessen Vergangenheit entwickelt wird: Seine ältere Schwester Marianna hat sich mit den Eltern überworfen und selbst das Totenbett des Vaters gemieden, mit der Mutter liegt sie weiter überkreuz. Egitto steht zwischen den Fronten und dröhnt sich mit Antidepressiva zu. So "MASH", so gut.

Lange Zeit passiert wenig, Truppenalltag und Privates machen den Großteil des Romans aus - genau das Gewöhnliche und seine Untiefen entwickelt Giordano allerdings abermals mit großem Feingespür. Der Stil wirkt unaufgeregt, neutral, fast banal, die Figuren überzeugen in ihrer durchschnittlichen Abgründigkeit: Man akzeptiert sofort, was einem dieser Autor erzählt, schlüpft hinein wie in ein Paar eingelaufene Schuhe. Und dann ist da, wie Generatorbrummen im Hintergrund, eine bedrohliche Stimmung, aufgebaut durch Vorwegnahmen und Andeutungen.

Als die Kompanie einen Lastwagenkonvoi durch Feindesland begleitet, passiert es: Der Zug wird von den Minenräumfahrzeugen getrennt und gerät in einen Hinterhalt. Was genau geschieht, sei nicht verraten. Nur so viel: Einerseits wird der Schrecken, die traumatische Wucht des Ereignisses eindringlich geschildert. Es ist kein Zufall, dass Giordano dem Roman ein Motto von Erich Maria Remarque voranstellt, seine Schilderung erinnert an Texte über den Ersten Weltkrieg. Die Soldaten geraten in einen "Zustand von Entpersönlichung": "Viele Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden, sind nicht mehr zu erkennen. Von nun an, so überlegt er, existiert er selbst nicht mehr als menschliches Wesen." Andererseits wird dem Leser gezeigt, wie skandalös, wie unerträglich heutigen Menschen Leid und Tod auch nur weniger Kameraden erscheinen. Zunächst gewinnt man den Eindruck, Giordano stimme in die Empörung ein. Aber durch die Schilderung der Verarbeitungsversuche, die zu überraschenden Ergebnissen führen, verknüpft er die vorher ausgelegten Fäden so, dass der Roman eine neue Wendung nimmt.

Exemplarisch ist der Fall Egitto: Giordano gräbt am Ende die Wurzeln des familiären Zerwürfnisses aus. Egittos vorbildliche Schwester hatte keine Lust mehr, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Ob Mathematik-Olympiade, Klavierunterricht oder Schulaufsatz: "jedes einzelne dieser Elemente hatte dazu beigetragen, Marianna aufzuziehen wie einen Federmechanismus. Eine Million Drehungen an dem Zinnsoldaten, der sie war. Der Schlüssel war abgesprungen, und sie war auf ihr Ziel losgelaufen. Dabei zählte es kaum, dass dieses Ziel die Tischkante war: Mit Abgründen hatten wir alle in der Familie eine gewisse Vertrautheit." In diesem spärlich bebilderten Roman springt die Metapher des Spielzeugsoldaten ins Auge: In den Familien findet ein anderer Krieg statt. Der reale Krieg erweist sich als nachgeordnet, als Flucht vor und Veräußerung von intimen Schlachten: Männer ziehen ins Feld, um daheim zu siegen - oder wenigstens nicht zu verlieren.

Das schlägt den Bogen wieder zu "Die Einsamkeit der Primzahlen": Mattia und Alice wirken rückblickend als Überlebende, ihre Familien wie Ruinenfelder nach der Schlacht - der zweite Roman ist eine Weiterentwicklung des ersten. Und wieder endet Giordano mit jener Note Hoffnung, die auch Versehrten zuteil wird, etwa der schlaflosen Zampieri: "Die Schaukel wiegt sie, vor und zurück, in der stehenden, lauen schwarzen Luft." Eine Minimaldosis an Lebenskraft, sicher, aber eine Maximaldosis an Literatur.

Paolo Giordano: "Der menschliche Körper". Roman.

Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 416 S., geb., 19,95 [Euro].

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