Produktdetails
- Verlag: P.O.L.
- Seitenzahl: 320
- Erscheinungstermin: 16. Januar 2014
- Französisch
- Abmessung: 206mm x 140mm x 23mm
- Gewicht: 340g
- ISBN-13: 9782818019245
- ISBN-10: 2818019249
- Artikelnr.: 40146637
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2016Privatreise ins Herz der Harmlosigkeit
Frau Coppola, bitte nicht anrufen: Marie Darrieussecqs neuer Roman "Man muss die Männer sehr lieben" folgt dem Prinzip der Schwärmerei
In den letzten Jahren wurde viel über Plagiate diskutiert: Einem Autor soll die eigene Schöpfung nicht ungestraft entrissen werden dürfen, das ist schon richtig. Vergessen wird darüber, dass neben dem Eltern- auch ein Kinderrecht existieren sollte. Es gibt bedauerliche Fälle von Literaturmisshandlung, in denen es wünschenswert wäre, wenn dem Schriftsteller schnellstmöglich die Vormundschaft entzogen würde; zumindest sollten die Figuren ein Streikrecht haben oder wie in Flann O'Briens "In Schwimmen-zwei-Vögel" (1939) die Möglichkeit, ihrem Schöpfer den Prozess zu machen.
Ein Fall akuter Figurenmisshandlung liegt in Marie Darrieussecqs neuem Roman "Man muss die Männer sehr lieben" vor. Im Vorgänger "Prinzessinnen" hatte Darrieussecq eine exzentrische und originelle Heldin entworfen: Solange aus dem kleinen Örtchen Clèves im Baskenland. Mit der Romanheldin von Madame de Lafayette hatte Solange Jugend und Gefühlsverwirrung gemein, ihr sexueller Erfahrungshunger, der den Kern des Romans ausmacht, erinnerte aber eher an Catherine Breillats Filmheldin in "Une vraie jeune fille" oder an die Fünfzehnjährige aus Marguerite Duras' "Liebhaber". In "Man muss die Männer sehr lieben" lebt die nunmehr erwachsene Solange in Los Angeles, ist ein Filmsternchen und "hatte mit den berühmtesten Regisseuren gedreht, kleine Rollen, das schon, aber in großen Produktionen". Aus der Jugendlichen, die ihre Entjungferung kaum erwarten konnte, ist eine Frau Mitte dreißig geworden, die mental wenig älter scheint als die Pubertierende in "Prinzessinnen": Sie ist das, was man in Frankreich "fleur bleue" nennt: eine naiv-sentimentale Träumerin.
Das ist mehr als eine Charaktereigenschaft, und man könnte sie mit trockener Distanz schildern. Darrieussecq aber steht voll dahinter, dieselbe schwärmerische Unbedarftheit liegt leider sowohl Setting als auch Handlung und damit dem Roman insgesamt zugrunde - ein kapitaler Fehler, an dem er scheitert. Bereits die Idee, eine Heldin zu entwerfen, die mit "George" (offensichtlich Clooney) und Steven Soderbergh auf Du und Du ist, eine Villa in Bel Air hat, halb Hollywood kennt und von einer Party zur nächsten schwebt, setzt einen Abstand voraus, der Darrieussecq hier fehlt: Auch im Fach Humor war der Vorgänger besser. Spätestens in der Mitte, als immer noch keine Ironiesignale blinken, fragt man sich, ob die Autorin wirklich naiv ist oder (wagemutig? blauäugig? zynisch?) auf eine Verfilmung durch Sofia Coppola kalkuliert.
Die Handlung gehorcht gleichfalls dem Prinzip Schwärmerei. Solange verfällt Kouhouesso, einem Kollegen, den sie auf einer Party trifft, einem Charismatiker, der sie völlig in seinen Bann zieht: "Und dann ist sie in das Herz der Welt hinabgetaucht, mit ihm, in das Kraftfeld, in den Nebel, der den Laurel Canyon ausfüllte, in das vollkommene Glück, opak und weiß, das Glück, das zersetzt." So geschieht das, was in allen schlechten Hollywood-Komödien passiert: Aus der selbstbewussten Frau wird ein schmachtendes Etwas: "Aber dieses Warten war neu. Sie lebte nur von seiner Anerkennung. Sie wartete darauf, dass das Leben von neuem begann."
Nun soll Solanges Hörigkeit dadurch interessant werden, dass sie auf einer doppelten Alterität aufbaut: Der Geliebte ist nicht nur als Mann das fremde Wesen, sondern auch deshalb, weil er ein Schwarzer ist, denn Kouhouesso hat zwar die kanadische Staatsbürgerschaft, kommt aber aus Kamerun. Seine Herkunft bestimmt die Gegenwart, er hat eine "Große Idee": Er will "Das Herz der Finsternis" von Joseph Conrad neu verfilmen und dabei das wahre Afrika zeigen. Tatsächlich gelingt es ihm, das Projekt zu finanzieren, Vincent Cassel, George und Solange in den Dschungel zu verfrachten und dort den Film zu drehen. Solange spielt mit, begreift jedoch nach Ende der Dreharbeiten - das gleichbedeutend ist mit dem ihrer Beziehung -, dass der Regisseur sie nicht nur aus seinem Leben geschnitten hat.
Kouhouesso muss für seinen Herkunftskontinent einstehen: "Genau das war das Problem Afrikas, dieses unerfüllte Versprechen, und sie konnte nicht mehr ohne leben." Am Ende wird der "Cassavetes in Schwarz" nichts als eine Erwartung gewesen sein, die sich nicht realisieren sollte. Darrieussecq wedelt mit dem Zaunpfahl: Solange unternimmt eine Privatreise ins Herz der Finsternis. Allerdings ist ihres handzahm: "Er machte den Computer aus. ,Afrika gibt es nicht.' Er hatte die seltene Gabe, Unerhörtes auszusprechen." So wird das brisante Thema Rassismus, das stets mitläuft, zum zartrosa Rohrkrepierer.
Der Titel "Man muss die Männer sehr lieben" ist ein Zitat von Marguerite Duras, das dem Roman vorangestellt ist; der ganze Text atmet Duras-Geist. Aber Duras selbst baut hart am Kitsch, und unter den Schriftstellerinnen, die sich derzeit auf sie berufen, etwa Christine Angot oder Camille Laurens, ist kaum eine ernst zu nehmen. Bei Darrieussecq, einer Absolventin der Elitehochschule École normale supérieure, promovierten Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin, wirkte die Sache weniger eindeutig: Romane wie ihr international erfolgreicher Erstling "Schweinerei" (1996) oder eben "Prinzessinnen" ließen mehr erhoffen.
Mit Laurens verbindet Darrieussecq neben der Liebe zu Duras auch eine Plagiatsaffäre. Marie NDiaye hatte Darrieussecq schon 1998 "Nachäfferei" vorgeworfen, und 2007 beschwerte Laurens sich über "psychisches Plagiat": Darrieussecq habe sich mit "Tom est mort" bei ihrem Roman "Philippe" bedient, in dem Laurens den frühen Tod ihres Sohnes verarbeitet hatte; der Vorwurf ging offenbar ins Leere. Besorgniserregender als die Übernahme fremder Figuren ist freilich die Frage, was Darrieussecq aus ihnen macht - schließlich behandelt sie nicht einmal eigene Figuren ordentlich, wenn sie die freimütige Solange zum romantischen Weibchen mutieren lässt: "Die Liebe wurde unterdessen immer schlimmer. Eine dumme Liebe, die Sorte, die einen am Leben hindert." Wenn's nur das Leben ist: Solanges Geschichte hält vom Lesen ab, dem richtigen.
NIKLAS BENDER
Marie Darrieussecq: "Man muss die Männer sehr lieben". Roman.
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Carl Hanser Verlag, München 2015. 256 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frau Coppola, bitte nicht anrufen: Marie Darrieussecqs neuer Roman "Man muss die Männer sehr lieben" folgt dem Prinzip der Schwärmerei
In den letzten Jahren wurde viel über Plagiate diskutiert: Einem Autor soll die eigene Schöpfung nicht ungestraft entrissen werden dürfen, das ist schon richtig. Vergessen wird darüber, dass neben dem Eltern- auch ein Kinderrecht existieren sollte. Es gibt bedauerliche Fälle von Literaturmisshandlung, in denen es wünschenswert wäre, wenn dem Schriftsteller schnellstmöglich die Vormundschaft entzogen würde; zumindest sollten die Figuren ein Streikrecht haben oder wie in Flann O'Briens "In Schwimmen-zwei-Vögel" (1939) die Möglichkeit, ihrem Schöpfer den Prozess zu machen.
Ein Fall akuter Figurenmisshandlung liegt in Marie Darrieussecqs neuem Roman "Man muss die Männer sehr lieben" vor. Im Vorgänger "Prinzessinnen" hatte Darrieussecq eine exzentrische und originelle Heldin entworfen: Solange aus dem kleinen Örtchen Clèves im Baskenland. Mit der Romanheldin von Madame de Lafayette hatte Solange Jugend und Gefühlsverwirrung gemein, ihr sexueller Erfahrungshunger, der den Kern des Romans ausmacht, erinnerte aber eher an Catherine Breillats Filmheldin in "Une vraie jeune fille" oder an die Fünfzehnjährige aus Marguerite Duras' "Liebhaber". In "Man muss die Männer sehr lieben" lebt die nunmehr erwachsene Solange in Los Angeles, ist ein Filmsternchen und "hatte mit den berühmtesten Regisseuren gedreht, kleine Rollen, das schon, aber in großen Produktionen". Aus der Jugendlichen, die ihre Entjungferung kaum erwarten konnte, ist eine Frau Mitte dreißig geworden, die mental wenig älter scheint als die Pubertierende in "Prinzessinnen": Sie ist das, was man in Frankreich "fleur bleue" nennt: eine naiv-sentimentale Träumerin.
Das ist mehr als eine Charaktereigenschaft, und man könnte sie mit trockener Distanz schildern. Darrieussecq aber steht voll dahinter, dieselbe schwärmerische Unbedarftheit liegt leider sowohl Setting als auch Handlung und damit dem Roman insgesamt zugrunde - ein kapitaler Fehler, an dem er scheitert. Bereits die Idee, eine Heldin zu entwerfen, die mit "George" (offensichtlich Clooney) und Steven Soderbergh auf Du und Du ist, eine Villa in Bel Air hat, halb Hollywood kennt und von einer Party zur nächsten schwebt, setzt einen Abstand voraus, der Darrieussecq hier fehlt: Auch im Fach Humor war der Vorgänger besser. Spätestens in der Mitte, als immer noch keine Ironiesignale blinken, fragt man sich, ob die Autorin wirklich naiv ist oder (wagemutig? blauäugig? zynisch?) auf eine Verfilmung durch Sofia Coppola kalkuliert.
Die Handlung gehorcht gleichfalls dem Prinzip Schwärmerei. Solange verfällt Kouhouesso, einem Kollegen, den sie auf einer Party trifft, einem Charismatiker, der sie völlig in seinen Bann zieht: "Und dann ist sie in das Herz der Welt hinabgetaucht, mit ihm, in das Kraftfeld, in den Nebel, der den Laurel Canyon ausfüllte, in das vollkommene Glück, opak und weiß, das Glück, das zersetzt." So geschieht das, was in allen schlechten Hollywood-Komödien passiert: Aus der selbstbewussten Frau wird ein schmachtendes Etwas: "Aber dieses Warten war neu. Sie lebte nur von seiner Anerkennung. Sie wartete darauf, dass das Leben von neuem begann."
Nun soll Solanges Hörigkeit dadurch interessant werden, dass sie auf einer doppelten Alterität aufbaut: Der Geliebte ist nicht nur als Mann das fremde Wesen, sondern auch deshalb, weil er ein Schwarzer ist, denn Kouhouesso hat zwar die kanadische Staatsbürgerschaft, kommt aber aus Kamerun. Seine Herkunft bestimmt die Gegenwart, er hat eine "Große Idee": Er will "Das Herz der Finsternis" von Joseph Conrad neu verfilmen und dabei das wahre Afrika zeigen. Tatsächlich gelingt es ihm, das Projekt zu finanzieren, Vincent Cassel, George und Solange in den Dschungel zu verfrachten und dort den Film zu drehen. Solange spielt mit, begreift jedoch nach Ende der Dreharbeiten - das gleichbedeutend ist mit dem ihrer Beziehung -, dass der Regisseur sie nicht nur aus seinem Leben geschnitten hat.
Kouhouesso muss für seinen Herkunftskontinent einstehen: "Genau das war das Problem Afrikas, dieses unerfüllte Versprechen, und sie konnte nicht mehr ohne leben." Am Ende wird der "Cassavetes in Schwarz" nichts als eine Erwartung gewesen sein, die sich nicht realisieren sollte. Darrieussecq wedelt mit dem Zaunpfahl: Solange unternimmt eine Privatreise ins Herz der Finsternis. Allerdings ist ihres handzahm: "Er machte den Computer aus. ,Afrika gibt es nicht.' Er hatte die seltene Gabe, Unerhörtes auszusprechen." So wird das brisante Thema Rassismus, das stets mitläuft, zum zartrosa Rohrkrepierer.
Der Titel "Man muss die Männer sehr lieben" ist ein Zitat von Marguerite Duras, das dem Roman vorangestellt ist; der ganze Text atmet Duras-Geist. Aber Duras selbst baut hart am Kitsch, und unter den Schriftstellerinnen, die sich derzeit auf sie berufen, etwa Christine Angot oder Camille Laurens, ist kaum eine ernst zu nehmen. Bei Darrieussecq, einer Absolventin der Elitehochschule École normale supérieure, promovierten Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin, wirkte die Sache weniger eindeutig: Romane wie ihr international erfolgreicher Erstling "Schweinerei" (1996) oder eben "Prinzessinnen" ließen mehr erhoffen.
Mit Laurens verbindet Darrieussecq neben der Liebe zu Duras auch eine Plagiatsaffäre. Marie NDiaye hatte Darrieussecq schon 1998 "Nachäfferei" vorgeworfen, und 2007 beschwerte Laurens sich über "psychisches Plagiat": Darrieussecq habe sich mit "Tom est mort" bei ihrem Roman "Philippe" bedient, in dem Laurens den frühen Tod ihres Sohnes verarbeitet hatte; der Vorwurf ging offenbar ins Leere. Besorgniserregender als die Übernahme fremder Figuren ist freilich die Frage, was Darrieussecq aus ihnen macht - schließlich behandelt sie nicht einmal eigene Figuren ordentlich, wenn sie die freimütige Solange zum romantischen Weibchen mutieren lässt: "Die Liebe wurde unterdessen immer schlimmer. Eine dumme Liebe, die Sorte, die einen am Leben hindert." Wenn's nur das Leben ist: Solanges Geschichte hält vom Lesen ab, dem richtigen.
NIKLAS BENDER
Marie Darrieussecq: "Man muss die Männer sehr lieben". Roman.
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Carl Hanser Verlag, München 2015. 256 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main