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Produktdetails
  • Verlag: J.B. Metzler
  • Seitenzahl: 604
  • Abmessung: 255mm
  • Gewicht: 1540g
  • ISBN-13: 9783476013354
  • Artikelnr.: 24997949
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.1999

Nach Orpheus drehte sich niemand um
Die großen Opern waren nicht die einflußreichen: Roger Parkers Geschichte des Musiktheaters seit dem sechzehnten Jahrhundert

Anders als im deutschsprachigen Raum, wo "Populärwissenschaft" noch immer ein Wort mit negativem Beigeschmack ist, haben englischsprachige Wissenschaftler wenig Scheu, wenn es gilt, ihr Wissen ohne allzuviel Fachjargon vor interessierten Amateuren auszubreiten. Roger Parker, ein Spezialist für die italienische Oper des neunzehnten Jahrhunderts und Mitherausgeber des "Cambridge Opera Journal", hat für sein 1994 publiziertes Buch "The Oxford Illustrated History of Opera", das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist, eine Mannschaft (und dieser Begriff ist durchaus wörtlich zu nehmen) renommierter Musikforscher als Autoren gewinnen können. In klarer und für jedermann verständlicher Form wird die Geschichte der Oper von ihren Anfängen im späten sechzehnten Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart hinein erzählt - informativ und flüssig zu lesen; die Disposition des Stoffes nach Jahrhunderten, dazu nach ernster und komischer Oper im achtzehnten Jahrhundert, nach nationalen Ausprägungen im neunzehnten Jahrhundert und nach zwei durch die Epochenzäsur 1945 getrennten Hälften des zwanzigsten Jahrhunderts ist dabei durchaus traditionell.

Und da sich das Buch, wie Parker in der Einleitung betont, an den Vorlieben des gängigen Repertoires orientiert, liegt das Hauptaugenmerk auf der Oper des neunzehnten Jahrhunderts. Erfreulicherweise aber geht diese quantitative Gewichtung nicht mit einer qualitativen Wertung nach Art des beliebten Fortschrittsmodells von "Vorläufer", "Höhepunkt" und "Verfall" einher; die Opera seria des achtzehnten Jahrhunderts etwa, sonst generell in Operngeschichten als verstaubt und reformbedürftig abgetan, kommt in gleicher Weise zu ihrem Recht wie Wagners Musikdramen, aber auch wie - in einem sehr lesenswerten Kapitel von John Tyrrell - die Oper in Osteuropa.

In drei Kapiteln am Schluß des Buches macht Parkers Operngeschichte ernst mit der scheinbar abgedroschenen Bemerkung im Vorwort, daß die Oper ein "gemeinschaftliches Unternehmen" sei, "das Werk von Komponisten, Dichtern, Bühnengestaltern und Interpreten jeglicher Art". Denn hier wird die Geschichte der Oper noch einmal unter jenen Aspekten neu aufgerollt, die sonst eher am Rande und anekdotisch abgehandelt werden - Inszenierung, Sänger und Publikum, wobei das glänzend konzipierte, unter dem eher nichtssagenden Titel "Oper als gesellschaftliches Phänomen" verborgene Kapitel von John Rosselli besondere Erwähnung verdient: Rosselli nimmt den Leser gleichsam an die Hand, betritt mit ihm wie in einer Zeitmaschine die Operntheater vergangener Jahrhunderte und läßt ihn teilhaben an allem, was den Opernbesuch jenseits des Kunsterlebnisses ausmachte.

Großen Wert legt das Buch auf eine umfangreiche Bebilderung, die nicht bloße Textillustration sein will, sondern eine Art zweiter Schicht der Darstellung. Schon beim Durchblättern fügen sich die Abbildungen samt ihren ausführlichen Legenden zu einer eigenen Geschichte der Oper. Neben vielen vertrauten Illustrationen finden sich dabei zahlreiche weniger bekannte Abbildungen, die ungewohnte und bisweilen überraschende Einblicke möglich machen und neue Verbindungen, etwa zur bildenden Kunst, herstellen.

Ein Dilemma dieser "Illustrierten Geschichte der Oper" liegt freilich in der Grundsatzentscheidung des Herausgebers und seiner Autoren, die musikalischen Aspekte der Oper zugunsten einer dramaturgie- und sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise zu vernachlässigen. Die Tücke ist dabei ein Teil des Objektes selbst: Denn die musikalisch herausragenden, kompositionsgeschichtlich bedeutsamen Werke erweisen sich für die Geschichte der Gattung Oper oft als marginal; weder Monteverdis "Orfeo" noch Händels "Alcina", noch Mozarts "Idomeneo" hinterließen - außer den eigenen - in der Operngeschichte irgendwelche Spuren. Wer also den Auftrag, eine Gattungsgeschichte zu schreiben, ernst nimmt, darf bei solchen Werken nicht allzu lange verweilen - und verzichtet damit auf die wichtigsten Momente der Operngeschichte. In diese Falle gerät Thomas Bauman in seinen beiden Kapiteln über das achtzehnte Jahrhundert bei Händel ebenso wie bei Mozart.

Das Vernachlässigen der Musik mag eine Reaktion auf die bisher übliche Darstellung einer Geschichte der musikalischen Meisterwerke sein, die alle anderen Aspekte der Oper außer acht ließ; sie geht jedoch am Phänomen Oper, die sich nun einmal durch die Musik von allen anderen Theatergattungen unterscheidet, nicht weniger vorbei. Eine Operngeschichte unter anthropologischen Aspekten, wie Parker sie im Vorwort ausmalt, sollte aber gerade die beiden scheinbar unvereinbaren Seiten der Oper, die sozialgeschichtliche und die musikalische, aufeinander beziehen.

Parkers "Illustrierte Geschichte der Oper" ist für ein englischsprachiges Publikum geschrieben; in der deutschen Übersetzung führt das nicht nur inhaltlich zu einigen seltsamen, wenngleich unvermeidlichen Verzerrungen, sondern auch und vor allem in der Bibliographie, die neben den muttersprachlichen zwar einige italienische, aber praktisch keine deutschen Titel kennt - nicht einmal zu Richard Wagner fällt den englischen Autoren ein deutsches Buch ein. Die Idee des Metzler-Verlages, diese Bibliographie durch zusätzliche Hinweise für deutschsprachige Leser zu ergänzen, ist daher sehr zu begrüßen; leider herrscht in diesen weder nach dem Alphabet noch nach der Chronologie des Erscheinens geordneten und nach teilweise undurchschaubaren Kriterien zusammengestellten Listen ein nicht gerade geringes Durcheinander. SILKE LEOPOLD

Roger Parker (Hrsg.): "Illustrierte Geschichte der Oper". Aus dem Englischen von Ute Becker. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 1998. XII, 604 S., 336 Farb- u.

S/W-Abb., geb., 98,- DM.

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