Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 14,00 €
  • Broschiertes Buch

Ilse Stöbe, 1911 in einer Handwerkerfamilie in Berlin-Lichtenberg geboren, arbeitete seit 1930 bei dem legendären Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff. Dort lernte sie auch Rudolf Herrnstadt kennen, der sie für eine Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Nachrichtendienst GRU warb. Gemeinsam mit ihm hielt sie sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in Warschau auf und war dort als Auslandskorrespondentin für Schweizer und deutsche Zeitungen tätig. In dieser Zeit traf sie den Botschaftsrat Rudolf von Scheliha, der ihr 1940 eine Anstellung in der Informationsabteilung des…mehr

Produktbeschreibung
Ilse Stöbe, 1911 in einer Handwerkerfamilie in Berlin-Lichtenberg geboren, arbeitete seit 1930 bei dem legendären Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Theodor Wolff. Dort lernte sie auch Rudolf Herrnstadt kennen, der sie für eine Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Nachrichtendienst GRU warb. Gemeinsam mit ihm hielt sie sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in Warschau auf und war dort als Auslandskorrespondentin für Schweizer und deutsche Zeitungen tätig. In dieser Zeit traf sie den Botschaftsrat Rudolf von Scheliha, der ihr 1940 eine Anstellung in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes vermittelte. Als die Gestapo den Namen von Ilse Stöbe in einem Funkspruch aus Moskau entdeckte, wurde sie am 12. September 1942 im Rahmen des Ermittlungen gegen die Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" festgenommen, Scheliha etwa sieben Wochen später. Beide wurden am 14. Dezember vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 22. Dezember 1942 in Plötzensee hingerichtet.
Bisher fehlt ihr Name auf der Gedenkwand, mit der Opfer des Naziregimes aus dem Auswärtigen Amt geehrt werden. Nun erscheint zum ersten Mal eine Ilse Stöbe gewidmete Publikation, befreit von Mythen und Legenden des Kalten Krieges in West und Ost.
Hans Coppi beschreibt unter Bezugnahme auf zahlreiche bisher nicht bekannte Quellen das Leben Ilse Stöbes und ihre Beteiligung am Widerstand gegen das Naziregime. Sabine Kebir befasst sich mit der Rezeption Stöbes durch ihre Zeitgenossen Theodor Wolff und den Verleger Helmut Kindler und geht den Ursachen von Fehlinterpretationen und dem weitgehenden Vergessen Stöbes in beiden deutschen Staaten nach.
Johanna Bussemer und Wolfgang Gehrcke machen in ihrem Vorwort die Notwendigkeit einer Ehrung Ilse Stöbes vor dem Hintergrund der Debatten um die (Nazi)-Vergangenheit der Diplomaten des "Amtes" im Dritten Reich und in der Bundesrepublik deutlich.
Autorenporträt
Hans Coppi, Sohn der zu der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" gehörenden und von den Nazis ermordeten Hans und Hilde Coppi. Er ist Historiker und freier Mitarbeiter an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sowie Vorsitzender der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Zahlreiche Veröffentlichungen zum Widerstand gegen das Naziregime und zu antifaschistischer Erinnerungskultur.

Sabine Kebir promovierte über "Die Kulturkonzeption Antonio Gramscis" und habilitierte im Fach Politologie in Frankfurt am Main. Seit 1988 lebt sie hauptsächlich als Wissenschaftsautorin in Berlin (Hauptgebiete: Fragen der Demokratieentwicklung, Genderprobleme, Kultur- und Bildungspolitik, Islam und Islamismus, Literaturwissenschaft). Sie ist u.a. Beirätin im Präsidium des deutschen P.E.N.-Zentrums.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2013

Das Auswärtige Amt und Ilse Stöbe
Eine Neubewertung der hingerichteten Wilhelmstraßen-Mitarbeiterin ist überfällig, auch am Werderschen Markt

Zehn Jahre nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat stellte das Auswärtige Amt (AA) Überlegungen darüber an, wer aus dem Kreis der Wilhelmstraßen-Bediensteten zu den "Todesopfern der Widerstandsbewegung" gehöre. Man erstellte 1954 eine Liste mit 13 Namen, bei denen zehn über jeden Zweifel erhaben waren. Anders sah es aus bei Rudolf von Scheliha und Ilse Stöbe, am 22. Dezember 1942 in Plötzensee hingerichtet, sowie bei Herbert Gollnow, am 12. Februar 1943 in Tegel erschossen. Sie wurden der "Roten Kapelle" zugeordnet; der "entscheidende Teil" ihrer Betätigung habe demnach im "unmittelbaren Nachrichtendienst für die Sowjetunion" bestanden.

Was Gollnow, den 1911 geborenen Konsulatssekretär und Oberleutnant der Reserve im Amt Ausland/Abwehr, betraf, so kam es zu einem Sinneswandel. Am 20. Juli 1961 enthüllte Außenminister Heinrich von Brentano im AA eine Ehrentafel für jene Angehörigen des Dienstes, die "wegen ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime" hingerichtet worden waren. Elf Namen deckten aus Zufall ein breites Spektrum des Widerstands gegen Hitler ab: von Nationalkonservativen über "Kreisauer Kreis" und "Solf-Kreis" bis zur "Roten Kapelle" und zu angeblichen "Wehrkraftzersetzern".

Bis heute nicht geehrt worden ist Ilse Stöbe. Nach Abschluss der Höheren Handelsschule arbeitete sie von 1929 bis 1933 als Sekretärin des Chefredakteurs des "Berliner Tageblatts", Theodor Wolff. Anschließend berichtete sie als Korrespondentin für Schweizer Zeitungen aus Warschau. Nach Kriegsbeginn kam sie in der Informationsabteilung des AA unter, wo Rudolf von Scheliha eine Leitungsfunktion bekleidete. Über beide hieß es in dem Buch "Kennwort: Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle" (1970), das "Spiegel"-Redakteur Heinz Höhne veröffentlichte: "Seit spätestens 1937 stand ,Arier' (so Schelihas Deckname) im festen Sold der Sowjets und lieferte alle ihm bekannten AA-Vorgänge nach Moskau"; seine Agentenführerin "Alta" war Ilse Stöbe.

Für die Rehabilitierung Schelihas setzte sich indessen seit Mitte der achtziger Jahre der pensionierte Diplomat Ulrich Sahm ein; 1990 publizierte er eine Studie über ihn. Vornehmlich auf dieser Basis urteilte im Oktober 1995 das Verwaltungsgericht Köln, "dass Scheliha aufgrund der politischen Gegnerschaft verfolgt worden" sei. Laut Zeugenaussagen sei es nicht vorstellbar, dass er "bezahlten Landesverrat" begangen habe. Darauf erfolgte die Enthüllung einer Scheliha-Plakette direkt unter der AA-Ehrentafel Ende Dezember 1995. Staatssekretär Hans-Friedrich von Ploetz bezeichnete ihn damals als "Opfer von Gewalt und Terror". Schelihas Name steht seit dem Jahr 2000 an oberster Stelle auf der - nach Todesdaten geordneten - Gedenkwand in der Halle des Leitungsbereichs im Berliner AA.

Zu Stöbe legt Hans Coppi junior, Sohn des hingerichteten Widerstandskämpfers der "Roten Kapelle", jetzt eine einfühlsame biographische Annäherung vor. Die Quellenlage bleibt schwierig, weil es wieder nicht gelang, jene Unterlagen einzusehen, die im Archiv des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU in Moskau liegen. Unterstützt wird Coppi von Sabine Kebir, die einen gelungenen Radioessay über Stöbe produzierte, den der Deutschlandfunk am 17. Mai 2013 sendete.

Wer war die junge Frau, die Theodor Wolff im französischen Exil in dem Roman "Die Schwimmerin" (1937) zu der Figur der Gerda Rohr inspirierte? Eng befreundet war Stöbe mit Rudolf Herrnstadt, der sie 1931 für die GRU anwarb. Sie ließ sich laut Coppi auf die gefährliche Verpflichtung ein, obwohl sie "kein Mata-Hari-Abenteuer" gereizt habe: "Sie sympathisiert mit dem großen sozialen Experiment im Osten, das sie durch die Feindschaft und Begehrlichkeit des Westens und auch Deutschlands gefährdet sieht." 1936 lernte sie während der Olympischen Spiele in Berlin Rudolf Huber, den Chef der "Thurgauer Zeitung", kennen. Der Schweizer starb Anfang 1940 und vermachte ihr fast sein gesamtes Vermögen.

Während ihrer Warschauer Korrespondentenzeit machte Herrnstadt sie mit dem Diplomaten Scheliha bekannt: "Herrnstadt gewinnt den Eindruck, dass der umtriebige Botschaftsrat, obwohl Mitglied der NSDAP, eigentlich die Nazis verachtet." Er habe den Kommunismus und die Sowjetunion entschieden abgelehnt. Daher ließ ihn Herrnstadt in dem Glauben, dass über ihn der britische "Secret Service" mit wichtigen Interna aus der Warschauer Botschaft versorgt werden solle. Von Januar 1940 an war Scheliha in der Informationsabteilung des AA eingesetzt, wo Stöbe im Mai eine Anstellung als Pressebearbeiterin im Referat III fand. Im Sommer erkrankte sie schwer, Kuraufenthalte und Beurlaubungen wurden notwendig, das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1940. Im ersten Halbjahr 1941 konnte sie wichtige Informationen über Vorbereitungen des Unternehmens "Barbarossa" nach Moskau "weiterleiten". Mittlerweile hatte sie dem Redakteur Carl Helfrich eine Stelle im AA verschafft und ihn "für die Mitarbeit bei der GRU gewonnen". Menschlich seien sie sich "nähergekommen", berichtet Coppi. Bis zum März 1942 arbeitete Stöbe für die Dresdener Lingner-Werke. Vieles spreche dafür, dass Scheliha "ihr im April 1942 für drei Monate zu einer erneuten Arbeitsmöglichkeit in der Informationsabteilung verholfen" habe. Dokumente darüber wurden bisher nicht gefunden.

Am 12. September 1942 wurden zunächst Stöbe und Helfrich von der Gestapo festgenommen, am 29. Oktober auch Scheliha - im Rahmen der "Aktion Rote Kapelle" der Gestapo. Dabei gehörte Stöbe nicht der Gruppe Schulze-Boysen/Harnack an, sondern agierte unabhängig. "Ilse Stöbe ist bis an die äußersten Grenzen ihrer gesundheitlich eingeschränkten körperlichen und seelischen Möglichkeiten gegangen, und sie hat nie aufgegeben, auch nicht in der Haft." Die Führung in Moskau habe "den Meldungen von ,Alta' und vielen anderen nicht vertraut, sie nicht beachtet und nicht gehandelt". Diese Ignoranz führte laut Coppi dazu, dass "die Rote Armee und auch die sowjetischen Auslandsnachrichtendienste auf den Krieg nicht vorbereitet waren".

Das Reichskriegsgericht verurteilte Scheliha und Stöbe am 14. Dezember wegen Landesverrats zum Tode; vollstreckt wurde das Urteil eine Woche später. Kurz vorher soll sie noch die "Internationale" in ihrer Zelle gepfiffen haben. Am 22. Dezember wurde sie um 20.27 Uhr mit dem Fallbeil ermordet. Helfrich überlebte die Haft, und Herrnstadt kehrte bei Kriegsende aus Moskau in das besetzte Deutschland zurück. Beide waren zunächst bei der "Berliner Zeitung", Herrnstadt als Chefredakteur: "Helfrich bezeichnet am 2. Oktober 1945 in einem Lebenslauf für seine Anerkennung als Opfer des Faschismus Ilse Stöbe als seine ,Braut'. In einem SED-Fragebogen aus dem Jahr 1951 trägt Herrnstadt unter der Rubrik ,Verhaftete Familienangehörige' Ilse Stöbe, im Dezember 1942 wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode verurteilt, als seine Frau ein und nennt sie gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern, die in Auschwitz umgekommen sind."

In der frühen DDR fiel jedoch ihr Name nicht auf großen Kundgebungen zum Gedenken der Opfer des Faschismus. Erst nachdem die "Prawda" 1967 eine Artikelserie mit dem Titel "Ihr Deckname war ,Alta'" veröffentlicht hatte und ihr 1969 postum die höchste militärische Auszeichnung der Sowjetunion, der "Rotbannerorden", verliehen worden war, verehrte man sie in Ost-Berlin als "Kundschafterin des Friedens". Demgegenüber wurde sie in Bonn - in tradierter Gestapo-Perspektive - als Spionin stigmatisiert: geltungssüchtig, verschwenderisch und sexbesessen. Dass sie in der DDR lange Zeit keine Beachtung fand, lag - so Sabine Kebir - daran, dass Herrnstadt "zur Unperson geworden war. Wegen seiner Unterstützung der Forderungen der Arbeiter in den Tagen um den 17. Juni 1953 hatte er seinen Posten als Chefredakteur des "Neuen Deutschland" verloren und war aus der SED ausgeschlossen worden."

Frau Kebir zitiert zum Schluss den Historiker Martin Kröger, einen Mitarbeiter im Politischen Archiv des AA und erfahrenen Bearbeiter für das Diplomatenlexikon. Nach seiner Meinung ist die Forschung zu den Hitler-Gegnern über den alten Stand hinweggekommen, "dass der kommunistische Widerstand nicht gleichwertig war". Mittlerweile werde berücksichtigt, "dass der Krieg gegen die Sowjetunion ein Rasse- und Vernichtungskrieg" gewesen sei: "Insofern müsste Ilse Stöbe im Auswärtigen Amt auch eine Neubewertung erfahren, das steht völlig außer Frage." Ein Antrag der Bundestagsfraktion der Linken, sie als "Widerstandskämpferin im Auswärtigen Amt" anzuerkennen, liegt seit Oktober 2011 vor. Die Leitungsebene am Werderschen Markt tut sich jedoch weiterhin schwer mit der Wilhelmstraße, seit dem Buch "Das Amt und die Vergangenheit" von 2010 noch viel schwerer. Dabei war Ilse Stöbe doch ohne jeden Zweifel - wie Scheliha - ein "Opfer von Gewalt und Terror".

RAINER BLASIUS

Hans Coppi/Sabine Kebir: Ilse Stöbe: Wieder im Amt. Eine Widerstandskämpferin in der Wilhelmstraße. VSA Verlag, Hamburg 2013. 215 S., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr