Die digitale Welt im Post-Snowden-Zeitalter: Wir wissen, dass wir unter Überwachung stehen, aber machen weiter, als ob es nichts zu bedeuten hätte. Obwohl Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon unsere Privatsphäre immer stärker infiltrieren, bleibt die Nutzung der sozialen Medien ungebrochen - unterstützt durch immer kleinere Geräte, die sich fest in unseren Alltag eingenistet haben. Wir sind hin- und hergeworfen zwischen Angst vor Abhängigkeit und verdeckter Obsession.
Mit diesem fünften Teil seiner laufenden Untersuchungen zur kritischen Internetkultur taucht der niederländische Medientheoretiker Geert Lovink in die paradoxe Welt der neuen digitalen Normalität ein: Wohin bewegen sich Kunst, Kultur und Kritik, wenn sich das Digitale immer mehr in den Hintergrund des Alltags einfügt?
Der Band behandelt u.a. die Selfie-Kultur, die Internet-Fixierung des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen, das Internet in Uganda, die Ästhetik von Anonymous und die Anatomie der Bitcoin-Religion: Wird die Geldschaffung durch Cyber-Währungen und Crowdfunding zu einer Neuverteilung des Reichtums beitragen oder die Kluft zwischen reich und arm eher vergrößern? Was wird in diesem Zeitalter des Freien das Einkommensmodell der 99% sein?
Geert Lovink zeichnet nicht einfach ein düsteres Bild der leeren Wirklichkeit einer 24/7-Kommunikation, sondern zeigt auch radikale Alternativen hierzu auf.
Mit diesem fünften Teil seiner laufenden Untersuchungen zur kritischen Internetkultur taucht der niederländische Medientheoretiker Geert Lovink in die paradoxe Welt der neuen digitalen Normalität ein: Wohin bewegen sich Kunst, Kultur und Kritik, wenn sich das Digitale immer mehr in den Hintergrund des Alltags einfügt?
Der Band behandelt u.a. die Selfie-Kultur, die Internet-Fixierung des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen, das Internet in Uganda, die Ästhetik von Anonymous und die Anatomie der Bitcoin-Religion: Wird die Geldschaffung durch Cyber-Währungen und Crowdfunding zu einer Neuverteilung des Reichtums beitragen oder die Kluft zwischen reich und arm eher vergrößern? Was wird in diesem Zeitalter des Freien das Einkommensmodell der 99% sein?
Geert Lovink zeichnet nicht einfach ein düsteres Bild der leeren Wirklichkeit einer 24/7-Kommunikation, sondern zeigt auch radikale Alternativen hierzu auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2017Wenn es kaputt ist, kann man es reparieren
Verlorenes Paradies: Geert Lovink überlegt, wie das Netz als Instrument der Befreiung wiederentdeckt werden kann
Die Gegenwart nimmt sich finster und lähmend aus - für das Internet, für den Nutzer, für die Welt. Zumal die Menschheit das Internet nur noch durch die Schlüssellöcher der Plattformen zu betrachten scheint. Vornehmlich solcher Plattformen, die als "soziale Medien" bezeichnet werden und sich in den Händen weniger großer Konzerne befinden. Ist das Internet zu einer Peepshow verkommen? Das Netz als ewiger Hochglanz-Rummelplatz, auf dem Nutzer jeden Alters um des billigen Vergnügens und der damit einhergehenden flüchtigen Endorphinschwemme willen unbemerkt mit ihrem Leben bezahlen - zumindest dem durch autonome Programme quantifizierbaren Teil davon?
Die erste Hälfte des Buches "Im Bann der Plattformen" des niederländischen Medientheoretikers, Internetaktivisten und -kritikers Geert Lovink, einem mitteilungsfreudigem Mann der ersten Stunde, zeichnet zunächst ein trauriges Bild der gescheiterten Ur-Idee des Internets - als Instrument zur Konstruktion einer positiv konnotierten Weltgesellschaft. Gleichzeitig, und das ist das Erfrischende an diesem Buch ist Lovink davon überzeugt, dass, wenn das "Internet kaputt" ist, man es auch reparieren kann. Romantischen Offline-Flucht-Phantasien erteilt er als "Lifestyle-Lösung" eine Absage. Denn das ändere schlicht nichts an der Tatsache, dass das Internet all das geworden ist, was niemand wollte.
Ein Großteil der Probleme kreist bei Lovink um die Dichotomie offen - geschlossen. Die Neunziger seien "das Jahrzehnt der Netzwerke" (offen) gewesen, heute befänden wir uns nun im titelgebenden "Bann der Plattformen" (geschlossen). In diesem Sinne stellt Lovink die Plattform als "strategischen" Begriff vor.
Mit Verweis auf den amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Tarleton Gillespie zeigt Lovink, dass sich das Konzept der Plattformen aus den Nachwehen des Dotcom-Crashs entwickelte: Nachdem um die Jahrtausendwende hoch bewertete IT-Unternehmen die oft völlig aus der Luft gegriffenen Gewinnerwartungen nicht erfüllen konnten und der Wirtschaftszweig über Nacht in sich zusammenfiel, habe man den Plattform-Begriff gewählt, um sich eine neue Unschuld zu verleihen. Die "gegensätzlichen Aktivitäten der Online-Dienste" sollten als "neutraler Boden" für Do-it-yourself-Nutzer und "größere Medienproduzenten" erscheinen. Zugleich sei der "Kollision von Privatsphäre und Überwachungsaktivitäten, Gemeinschafts- und Werbeinvestitionen die Tür" geöffnet worden.
Mit diesem Buch, das als fünfter Teil einer Reihe über kritische Internetkultur erscheint, die der Professor für Medientheorie an der European Graduate School und Leiter des "Institute of Network Cultures" an der Hochschule von Amsterdam im Jahr 2002 begonnen hat, setzt er ein Zeichen gegen das allgegenwärtige Lamento, das "die Fixierung über den Verlust der Privatsphäre" begleite. Stattdessen betrachtet Lovink die Auswirkungen der als "Black Boxes" bezeichneten Plattformen, widmet sich den Einkommensmodellen des Internets in einem "persönlichen Bericht", blickt dorthin, wo sich ganz andere Formen des Austauschs etabliert haben ("Netcore in Uganda") und arbeitet sich an der "symptomatischen" Internetkritik des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen ab. Auch wenn Lovink sich oft darin erschöpft, den Finger in die Wunde zu legen, ist er mehr an Lösungen interessiert als an der Dekonstruktion des Apparats.
Eine zentrale Rolle spielen für Lovink die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, die das Ausmaß der Internet-Überwachung aufdeckten. Es gebe kaum einen Nutzer, der sich der "existenziellen Unsicherheit" erwehren könne, die in dem Moment eintrete, in dem "alles, was man sagt, gegen einen verwendet werden kann und wird". Gleichzeitig stagniere das Nachdenken über das Internet im alles vereinnahmenden "Big-Data-Hype".
Statt sich in den geschlossenen Systemen der Großkonzerne zu verausgaben, solle der Nutzer, meint Lovink, das Heft wieder selbst in die Hand nehmen. Dazu sei es nötig, die Überwachungstechniken im Netz wenigstens sichtbar zu machen oder zu umgehen. Die Herausforderung des Internets sei nicht dessen Allgegenwart, sondern die "Unsichtbarkeit".
Lovink formuliert Handlungsansätze für Nutzer, aber auch die Wissenschaft. Vor allem Letztere müsse helfen, den Computer als "Instrument der menschlichen Befreiung" wiederzuentdecken. Doch bis dato fehle es an Theoretikern und Intellektuellen, die akademisch etabliert seien und Kenntnisse im Programmieren, also der eigentlichen Materie, besitzen.
Problematisch wird es, wenn Lovink so viele Fragen aneinanderreiht, dass der Leser meint, sich in einer Art intellektuellem Brainstorming wiederzufinden. Manche Idee funkt ins Leere, da sich Lovink nicht immer bequemt, sie auszuführen. Die Perspektiven aber, die er mit seinem Wissen über die letzten dreißig Jahre des Internets aufzeigt, haben das Potential, unsere Sichtweise nachhaltig zu erschüttern: Es scheint bisweilen, dass ein großer Teil der privilegierten Nutzer - darunter Intellektuelle, Politiker und Journalisten - Konzerne wie Facebook und deren eingezäunte Gärten als unrevidierbar akzeptiert hat.
Der Autor erinnert daran, dass selbst vielversprechende Plattformen über Nacht verwaisten, nachdem ein vermeintlich attraktiverer Garten ausgewiesen wurde. Einerseits ist es ein beinahe zynischer Spaß, sich vorzustellen, was passierte, wenn Facebook die Nutzer davonliefen. Andererseits ist es beängstigend, sich auszumalen, welche Anstrengungen der Konzern unternimmt, um dies zu verhindern.
AXEL WEIDEMANN
Geert Lovink: "Im Bann der Plattformen". Die nächste Runde
der Netzkritik.
Aus dem Englischen von Andreas Kallfelz. Transcript Verlag, Bielefeld 2017. 268 S., br., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verlorenes Paradies: Geert Lovink überlegt, wie das Netz als Instrument der Befreiung wiederentdeckt werden kann
Die Gegenwart nimmt sich finster und lähmend aus - für das Internet, für den Nutzer, für die Welt. Zumal die Menschheit das Internet nur noch durch die Schlüssellöcher der Plattformen zu betrachten scheint. Vornehmlich solcher Plattformen, die als "soziale Medien" bezeichnet werden und sich in den Händen weniger großer Konzerne befinden. Ist das Internet zu einer Peepshow verkommen? Das Netz als ewiger Hochglanz-Rummelplatz, auf dem Nutzer jeden Alters um des billigen Vergnügens und der damit einhergehenden flüchtigen Endorphinschwemme willen unbemerkt mit ihrem Leben bezahlen - zumindest dem durch autonome Programme quantifizierbaren Teil davon?
Die erste Hälfte des Buches "Im Bann der Plattformen" des niederländischen Medientheoretikers, Internetaktivisten und -kritikers Geert Lovink, einem mitteilungsfreudigem Mann der ersten Stunde, zeichnet zunächst ein trauriges Bild der gescheiterten Ur-Idee des Internets - als Instrument zur Konstruktion einer positiv konnotierten Weltgesellschaft. Gleichzeitig, und das ist das Erfrischende an diesem Buch ist Lovink davon überzeugt, dass, wenn das "Internet kaputt" ist, man es auch reparieren kann. Romantischen Offline-Flucht-Phantasien erteilt er als "Lifestyle-Lösung" eine Absage. Denn das ändere schlicht nichts an der Tatsache, dass das Internet all das geworden ist, was niemand wollte.
Ein Großteil der Probleme kreist bei Lovink um die Dichotomie offen - geschlossen. Die Neunziger seien "das Jahrzehnt der Netzwerke" (offen) gewesen, heute befänden wir uns nun im titelgebenden "Bann der Plattformen" (geschlossen). In diesem Sinne stellt Lovink die Plattform als "strategischen" Begriff vor.
Mit Verweis auf den amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Tarleton Gillespie zeigt Lovink, dass sich das Konzept der Plattformen aus den Nachwehen des Dotcom-Crashs entwickelte: Nachdem um die Jahrtausendwende hoch bewertete IT-Unternehmen die oft völlig aus der Luft gegriffenen Gewinnerwartungen nicht erfüllen konnten und der Wirtschaftszweig über Nacht in sich zusammenfiel, habe man den Plattform-Begriff gewählt, um sich eine neue Unschuld zu verleihen. Die "gegensätzlichen Aktivitäten der Online-Dienste" sollten als "neutraler Boden" für Do-it-yourself-Nutzer und "größere Medienproduzenten" erscheinen. Zugleich sei der "Kollision von Privatsphäre und Überwachungsaktivitäten, Gemeinschafts- und Werbeinvestitionen die Tür" geöffnet worden.
Mit diesem Buch, das als fünfter Teil einer Reihe über kritische Internetkultur erscheint, die der Professor für Medientheorie an der European Graduate School und Leiter des "Institute of Network Cultures" an der Hochschule von Amsterdam im Jahr 2002 begonnen hat, setzt er ein Zeichen gegen das allgegenwärtige Lamento, das "die Fixierung über den Verlust der Privatsphäre" begleite. Stattdessen betrachtet Lovink die Auswirkungen der als "Black Boxes" bezeichneten Plattformen, widmet sich den Einkommensmodellen des Internets in einem "persönlichen Bericht", blickt dorthin, wo sich ganz andere Formen des Austauschs etabliert haben ("Netcore in Uganda") und arbeitet sich an der "symptomatischen" Internetkritik des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen ab. Auch wenn Lovink sich oft darin erschöpft, den Finger in die Wunde zu legen, ist er mehr an Lösungen interessiert als an der Dekonstruktion des Apparats.
Eine zentrale Rolle spielen für Lovink die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, die das Ausmaß der Internet-Überwachung aufdeckten. Es gebe kaum einen Nutzer, der sich der "existenziellen Unsicherheit" erwehren könne, die in dem Moment eintrete, in dem "alles, was man sagt, gegen einen verwendet werden kann und wird". Gleichzeitig stagniere das Nachdenken über das Internet im alles vereinnahmenden "Big-Data-Hype".
Statt sich in den geschlossenen Systemen der Großkonzerne zu verausgaben, solle der Nutzer, meint Lovink, das Heft wieder selbst in die Hand nehmen. Dazu sei es nötig, die Überwachungstechniken im Netz wenigstens sichtbar zu machen oder zu umgehen. Die Herausforderung des Internets sei nicht dessen Allgegenwart, sondern die "Unsichtbarkeit".
Lovink formuliert Handlungsansätze für Nutzer, aber auch die Wissenschaft. Vor allem Letztere müsse helfen, den Computer als "Instrument der menschlichen Befreiung" wiederzuentdecken. Doch bis dato fehle es an Theoretikern und Intellektuellen, die akademisch etabliert seien und Kenntnisse im Programmieren, also der eigentlichen Materie, besitzen.
Problematisch wird es, wenn Lovink so viele Fragen aneinanderreiht, dass der Leser meint, sich in einer Art intellektuellem Brainstorming wiederzufinden. Manche Idee funkt ins Leere, da sich Lovink nicht immer bequemt, sie auszuführen. Die Perspektiven aber, die er mit seinem Wissen über die letzten dreißig Jahre des Internets aufzeigt, haben das Potential, unsere Sichtweise nachhaltig zu erschüttern: Es scheint bisweilen, dass ein großer Teil der privilegierten Nutzer - darunter Intellektuelle, Politiker und Journalisten - Konzerne wie Facebook und deren eingezäunte Gärten als unrevidierbar akzeptiert hat.
Der Autor erinnert daran, dass selbst vielversprechende Plattformen über Nacht verwaisten, nachdem ein vermeintlich attraktiverer Garten ausgewiesen wurde. Einerseits ist es ein beinahe zynischer Spaß, sich vorzustellen, was passierte, wenn Facebook die Nutzer davonliefen. Andererseits ist es beängstigend, sich auszumalen, welche Anstrengungen der Konzern unternimmt, um dies zu verhindern.
AXEL WEIDEMANN
Geert Lovink: "Im Bann der Plattformen". Die nächste Runde
der Netzkritik.
Aus dem Englischen von Andreas Kallfelz. Transcript Verlag, Bielefeld 2017. 268 S., br., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Was der niederländische Medientheoretiker und Netzkritiker Geert Lovinks in seinem Buch über die vernetzte Stadt und das Screening unserer Mobilitätsaffekte schreibt, findet Adrian Lobe verblüffend. Bemerkenswert für ihn auch die Beoabcthtungen im Buch zu Walter Benjamins Flaneur, zum Cyberpunk und Daten-Dandy, mit denen der Autor laut Lobe der Netzkritik neue Impulse gibt. Dass es der Autor nicht beim Lamento über Datenkraken belässt, sondern luzide Zusammenhänge und Entwicklungen dekonstruiert, gefällt dem Rezensenten. Ein guter Überblick über den Debattenstand auch für weniger digitalaffine Leser, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Besprochen in:
iX, 2 (2018), Ariane Rüdiger
MEDIENwissenschaft, 2-3 (2018), Xenia Kitaeva
iX, 2 (2018), Ariane Rüdiger
MEDIENwissenschaft, 2-3 (2018), Xenia Kitaeva