»Tief in ihre Seele hatte sich damals das Gefühl eingegraben, einen Makel zu haben, minderwertig zu sein, der Willkür anderer preisgegeben zu sein. Es lebte immer noch in ihr.«
1945. Die Halbjüdin Anna hat die Schrecken der Nazizeit überlebt, aber die Jahre haben Spuren auf ihrer Seele
hinterlassen. Wie soll das Leben nun für sie weitergehen? Gegen den Widerstand ihrer Mutter Gertrud arbeitet…mehr»Tief in ihre Seele hatte sich damals das Gefühl eingegraben, einen Makel zu haben, minderwertig zu sein, der Willkür anderer preisgegeben zu sein. Es lebte immer noch in ihr.«
1945. Die Halbjüdin Anna hat die Schrecken der Nazizeit überlebt, aber die Jahre haben Spuren auf ihrer Seele hinterlassen. Wie soll das Leben nun für sie weitergehen? Gegen den Widerstand ihrer Mutter Gertrud arbeitet sie an der Erfüllung ihres Lebenstraums, Schauspielerin zu werden. Aber letztlich lässt sie sich doch in eine Ehe drängen, wird das, was sie eigentlich nie werden wollte: Hausfrau und Mutter.
Nach außen hin wirkt sie wie eine zufriedene Frau, tatsächlich jedoch wird sie von Depressionen gequält. Erst in den 60er Jahren erhält ihr Leben eine neue Perspektive: Sie wird Lehrerin. Doch schon tauchen neue Probleme auf, denn ihr Ehemann Ralf verfällt dem Alkohol…
In diesem Buch begleiten wir Anna durch die Jahre 1945 – 1975. Die ersten Nachkriegsjahre sind noch von großer Not geprägt, zeitgleich jedoch entsteht der Wunsch nach einem Neuanfang, nach einer Rückkehr zum normalen Leben. Deutlich wird gezeigt, wie stark das Erlebte weiter in Anna wirkt, wie sehr es sie noch Jahrzehnte später belastet.
Ein weiteres Thema des Buchs ist der Wunsch einer jungen Frau, aus dem sie umgebenden Geflecht aus Regeln und veralteten Ansichten auszubrechen. Anna tut sich damit sehr schwer, denn ihre Mutter Gertrud ist fest davon überzeugt, dass der beste Weg einer Frau der in die Ehe ist.
»Will sie mich nicht verstehen, oder kann sie es nicht? Als ob den Frauen schon bei ihrer Geburt ihr Lebensweg vorgezeichnet würde; als ob sie keine Wahl hätten, kein Recht auf eine persönliche Lebensgestaltung; als ob dies nur ein Privileg der Männer sei.«
Wer schon den ersten Band dieser Familiensaga „Im Zwielicht der Zeit“ gelesen hat, den werden die Konflikte zwischen Anna und Gertrud stark an die zwischen Gertrud und ihrem Vater erinnern. Ich fand es ungemein interessant, dies zu verfolgen.
Auch dieser Band hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gepackt. Es ist erschütternd zu lesen, wie eine junge Frau einerseits Glück hatte, weil sie die Nazi-Zeit überlebt hat und andererseits noch Jahrzehnte später von dem Erlittenen gequält wird. All dies ist wieder so eindringlich und realistisch beschrieben, dass ich die ganze Zeit dachte: Das klingt nicht nach etwas, das man sich ausgedacht hat oder das einem berichtet wurde. Das klingt nach etwas, das man selbst erlebt oder gesehen hat.
Erlittene Schäden an der Seele, Depressionen, Alkoholismus – viele ernste Themen stehen im Vordergrund. Trotzdem kann auch dieses Buch Mut machen, sich den Herausforderungen zu stellen, die das Leben manchmal bereithält.
Die Geschichte der Familie während der Jahre 1912 – 1945 wird im ersten Band der Saga „Im Zwielicht der Zeit“ beschrieben. Ich würde empfehlen, mit der Lektüre „vorne“ anzufangen. Allerdings gibt es dank Rückblenden auch keine Verständnisschwierigkeiten, wenn der erste Band nicht gelesen wurde.
Fazit: Aufwühlend, packend, realistisch. Auch für dieses Buch gebe ich wieder eine volle Leseempfehlung.
»Was ist die Summe von allem? Was wird bleiben?«