Als junges Mädchen tut Amal etwas Unerhörtes: Sie verprügelt ihren Mitschüler Younes. Ihr Vater verteidigt ihr Verhalten und ermuntert sie, sich in der Welt zu behaupten. Trotzdem wird Amal fortan von allen gemieden. Und dann verlässt der Vater die Familie. Zuflucht findet Amal ausgerechnet bei Younes und seiner Mutter Shahira, die ebenfalls Außenseiter sind. Als sich die Situation Jahre später zuspitzt und der Streit mit der Clique um Raffiq eskaliert, flieht Amal nach Kurdistan und begibt sich auf die Suche nach ihrem Vater.Raffiqs Freund Younes steht ungewollt im Zentrum der Aufmerksamkeit ihres Viertels. Der Grund ist seine Mutter Shahira, die durch ihre Freizügigkeit alle Regeln bricht. Auch Raffiqs Gedanken kreisen ständig um Shahira: Er ist gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Als Younes die Situation nicht mehr aushält, plant er abzuhauen. Für Raffiq, dessen Freundin Amal ebenfalls wegziehen möchte, bricht eine Welt zusammen. Er versucht, ihre Pläne zu sabotieren. Undes stellt sich die Frage, was er mit seinem Leben eigentlich anfangen will.
buecher-magazin.deDer zweite Roman von Karosh Taha ist ein Wenderoman. Von der einen Seite aufgeschlagen handelt die Geschichte von Amal, dem „Mogli-Mädchen“, das in einem Wohnviertel im Ruhrgebiet aufwächst, sich oft prügelt und in dem traurigen Riesen Younes einen Komplizen findet. Amals Vater hat die Familie verlassen, um in Kurdistan als Architekt zu arbeiten. Dreht man das Buch um, kann man Raffiqs Geschichte lesen, ein in der Gemeinschaft gut integrierter Junge, der auch mit Younes befreundet ist. Zwischen den beiden Hälften gibt es viele Parallelen. Figuren tauchen in beiden auf. Es ist dabei interessant zu verfolgen, wie anders eine Geschichte verläuft, sobald nur Details verändert werden. Die dritte, geheime und doch sehr präsente Hauptfigur haben beide Hälften gemeinsam: Younes Mutter Shahira. Sie zieht Younes allein groß, wird von den Frauen in der Nachbarschaft gehasst und von den Männern verehrt. Shahira hält sich nicht an Konventionen, führt wechselnde Beziehungen zu verschiedenen Männern. Karosh Taha zeigt sie als Projektionsfläche für Vorstellungen, Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen, Schmerzen der Menschen um sie herum – und porträtiert somit überaus kunstvoll ein ganzes Viertel.
© BÜCHERmagazin, Katharina Manzke
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Dankbar" für die in diesem Buch liegenden Belehrungen schreibt Burkhard Müller über diese zwei Halbbücher in einem, die aus zwei Perspektiven vom Leben kurdisch-stämmiger Jugendlicher im Ruhrgebiet erzählt. Der Kritiker berichtet uns von typischen Szenen des sozialen Aufstiegs, beschreibt den vom falschen Deutsch des Vaters beschämten Sohn und seine auf dessen Arbeitgeber umgelenkte Wut. Die titelgebende "Königin" und ihr Bauch werden nicht sehr deutlich in dieser Besprechung - offenbar aber ist sie eine freizügig und stolz lebende Mutter von einem der Jugendlichen. Dass die beiden Erzählperspektiven in der Mitte aufeinanderstoßen und beide gewissermaßen ratlos bleiben, findet der Kritiker offenbar angemessen. In jedem Fall aber lobt er die Kraft der Sprache und ist da wieder ganz bei sich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.08.2020Die Komödie der unkonjugierten Verben
Von zwei Seiten lesbar: Karosh Tahas schmerzhaftes Wendebuch „Im Bauch der Königin“ über zwei deutsch-kurdische Familien
Wo soll man mit diesem Roman beginnen? Er hat zwei Titelseiten, die völlig gleich aussehen; von beiden Titeln aus erstreckt sich der Text bis in die Mitte, dann trifft er auf den Gegentext, der auf dem Kopf steht. Zwei unterschiedliche Klappentexte begleiten die Halbbücher, zweimal erscheint dort die Autorin, die 1987 geborene Karosh Taha, mit verschiedenen Porträtfotos. Doch heimlich scheint das Buch dem Leser zuzuzwinkern: Fang da an, wo das Lesebändchen oben ist! Und so steigt er ein mit der Geschichte Amals, die offenbar viel mit ihrer Autorin gemeinsam hat.
Amal, ihre Familie und ihre Nachbarn sind aus dem irakischen Kurdistan geflohen und leben nunmehr seit vielen Jahren in Deutschland, irgendwo im Ruhrgebiet. Sie sind dort heimisch geworden und doch auch wieder nicht, und dieses Zweierlei der Heimaten entfaltet zerreißende Kraft.
Die Mutter will unbedingt bleiben, denn ihre Tochter soll in einem Land aufwachsen, wo Mädchen radfahren dürfen und man nicht immer Angst vor der nächsten Autobombe haben muss. Der Vater hingegen ist unzufrieden mit seinem Job in einem Großlager und weigert sich, trotz der harten körperlichen Arbeit, sein weißes Hemd und seine schwarze Stoffhose gegen eine dreckige Jeans einzutauschen, fühlt er sich doch immer noch als der Architekt, der er früher einmal war; und als er die Chance erhält, setzt er sich bei Nacht und Nebel nach Kurdistan ab, gründet mit über vierzig eine eigene Firma und eine neue Familie und hinterlässt die alte in einem Zustand der Betäubung. Ähnlich trifft es Younes, den großen, schweigsamen Jungen, der, nachdem sein Vater grußlos verschwunden ist, jeden Tag auf dem Bürgersteig sitzt, mutlos mit einem Basketball dribbelt, nicht reagiert, wenn die anderen Jungs ihn verspotten, und – wartet. Vergeblich, wie sich versteht. Nachdem Amal (damit geht das Buch los) den viel stärkeren Younes verprügelt hat, sehr zur Missbilligung der kurdischen Community, die sie als „Mogli-Mädchen“, als Wolfskind also, aburteilt, wird er ihr bester Freund und kommt ihr vielleicht näher als ihr eigentlicher Freund Raffiq.
Raffiq wiederum ist, ebenfalls als Ich-Erzähler, der Protagonist des anderen Halbbuchs. Auch in seiner Familie knirscht und kracht es, auch sein Vater will zurück, und bei Tisch bricht Streit aus, weil die Mutter die typischen irakischen Gewürze nicht mehr kriegt: was ist das für ein Fraß, das schmeckt ja wie bei den Almans! Überhaupt wird viel gestritten; Streit und der Trost durch Dritte, der dann unweigerlich fällig wird, sind die wichtigsten Formen sozialer Interaktion.
Und alle hegen ihre eigenen Ausbruchspläne: Younes will mit seinem Kumpel Raffiq zum Studieren nach Frankfurt, wo sein Vater lebt, Amal mit ihrer Freundin Jenny als Au-pair nach Amerika. Das Paar Amal-Raffiq zerbricht daran. Younes und Amal schaffen es schließlich zu ihren Vätern und stellen beide enttäuscht fest, dass dort kein Platz für sie ist. Wo aber dann? Weiter führen beide Bücher nicht und enden in Ratlosigkeit.
Diese Geschichte muss hier so ausführlich wiedergegeben werden, weil man aus den Ereignissen und in der dichten Atmosphäre des Doppelromans viel darüber erfährt, wie es einer bestimmten Migrantengruppe, die schon lang in Deutschland ist und teilweise auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ergeht; wie selbst an der jüngeren Generation, die schon mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen ist und Kurdisch nur auf dem Niveau eines Fünfjährigen beherrscht, das hochtrabende Wort von der Integration irgendwie vorbeigeht.
Die bodenständigen Deutschen, die „Almans“, kommen nur als Randfiguren vor, als Lehrer, Chefs, Sachbearbeiterinnen im Ausländeramt, die sich selbst bei gutem Willen durch völlige Ahnungslosigkeit auszeichnen. In gewissem Sinn übernimmt Karosh Taha die Rolle einer Spionin, die die Alteingesessenen ins Bild setzt, wie es wirklich zugeht. Und diese sollten ihr dafür dankbar sein.
Das alles findet seinen Ausdruck in der einzigartigen Sprache des Buchs, die in ihrer Lebendigkeit und charakteristischen Kraft die Verwerfungslinien nachzeichnet. Wenn Raffiq seinen Vater an dessen Arbeitsplatz als Gabelstaplerfahrer Paletten aufschichten sieht, hört sich das so an: „Er stapelt sie ordentlich deutsch, ich frage mich, warum er nicht so ordentlich Deutsch spricht, wo er doch seit mehr als zehn Jahren unter deutschen Kollegen ist, er könnte wenigstens mal die scheiß Verben konjugieren, so viel Mühe muss man sich machen.“ Dann kommt der Chef dazu: „Herr Bauer ruft nach meinem Vater, wedelt ihn mit der Hand her. Wenn er das noch einmal macht, klatsche ich ihm eine. ‚Herr Khalid! Kommen! Sohn da!‘ Ich schaue zu Herrn Bauer, der plötzlich angefangen hat, wie ein Spacko zu reden, Vater kommt lächelnd auf uns zu, klopft mir auf die Schulter: ‚Raffiq, mein großer Sohn.‘ ‚Sohn werden später fleißig wie Herr Khalid‘, meint der Chef. Alter, Sohn boxen Ihnen gleich in den Sack.“
Hier ist alles beieinander, was so schmerzlich und so hartnäckig schiefgeht: der Sohn, Gymnasiast, der sich für seinen Vater schämt und diese Scham als Unmut maskiert. Der gar nicht merkt, wie viel Arroganz in dieser Scham und diesem Unmut steckt, wenn er seinem Vater zumutet, „Verben“ zu „konjugieren“, zwei Wörter, die dieser eher nicht versteht. Wie er seine Affekte in Wut auf den Chef umwandelt, der den Vater in diesem plumpen Gastarbeiterdeutsch, als wäre dies ein Entgegenkommen, karikierend nachahmt. Dann der Chef, der voller Stolz und Selbstgefälligkeit meint, das Seine zur Ankunft der Fremden in diesem Land geleistet zu haben, wenn er so redet, dass sie es begreifen können. Und der Vater, der die komplex angespannte Situation zwischen Chef und Sohn nicht wahrnimmt oder nicht wahrhaben will, anscheinend ergeben in seine subalterne, doch lebenssichernde Position.
Die eigentliche Pointe, die man leicht überliest, liegt darin, dass der Vater, um den die beiden anderen, die kompetenten Sprecher, ihre spiegelbildliche Komödie der unkonjugierten Verben aufführen, der einzige ist, der korrektes Deutsch spricht: „Raffiq, mein großer Sohn.“
Das gemeinsame Zentrum der beiden Halbromane aber und ihr Scharnier stellt Shahira dar, Younes’ Mutter. Sie ist die titelgebende Königin, von deren wundervoll warmem Bauch die Männer sich so schwer losmachen können. Sie schlagen sich um sie auf offener Straße. Im Viertel, das weniger religiös als „kurdisch-moralisch“ denkt, wird sie als Hure verachtet, weil sie immer neue „Onkel“ für ihren Sohn anschleppt und offenbar unersättlich ist. Aber ihre Unbeirrbarkeit und verwirrende Schönheit machen sie auch zu einer Art von Göttin, der man wider Willen Verehrung zollen muss.
Es heißt von ihr: „Ihr Parfum folgt ihr als ihr Schatten.“ Hat das so schon mal jemand auf Deutsch gesagt? Wahrscheinlich nicht. Und doch versteht man es sofort. Möglich, dass darin eine gängige kurdische Redewendung steckt. Wenn ja, ist sie dank Karosh Taha hier angekommen, um von nun an die deutsche Sprache zu bereichern.
BURKHARD MÜLLER
Die Deutschen zeichnen sich
durch Ahnungslosigkeit aus und
werden hier ins Bild gesetzt
Karosh Taha:
Im Bauch der Königin. Roman. Dumont, Köln 2020. 131 + 125 Seiten, 22 Euro.
Karosh Taha, 1987 in Zaxo geboren, lebt seit 1997 im Ruhrgebiet. Foto: Oliver Berg/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Von zwei Seiten lesbar: Karosh Tahas schmerzhaftes Wendebuch „Im Bauch der Königin“ über zwei deutsch-kurdische Familien
Wo soll man mit diesem Roman beginnen? Er hat zwei Titelseiten, die völlig gleich aussehen; von beiden Titeln aus erstreckt sich der Text bis in die Mitte, dann trifft er auf den Gegentext, der auf dem Kopf steht. Zwei unterschiedliche Klappentexte begleiten die Halbbücher, zweimal erscheint dort die Autorin, die 1987 geborene Karosh Taha, mit verschiedenen Porträtfotos. Doch heimlich scheint das Buch dem Leser zuzuzwinkern: Fang da an, wo das Lesebändchen oben ist! Und so steigt er ein mit der Geschichte Amals, die offenbar viel mit ihrer Autorin gemeinsam hat.
Amal, ihre Familie und ihre Nachbarn sind aus dem irakischen Kurdistan geflohen und leben nunmehr seit vielen Jahren in Deutschland, irgendwo im Ruhrgebiet. Sie sind dort heimisch geworden und doch auch wieder nicht, und dieses Zweierlei der Heimaten entfaltet zerreißende Kraft.
Die Mutter will unbedingt bleiben, denn ihre Tochter soll in einem Land aufwachsen, wo Mädchen radfahren dürfen und man nicht immer Angst vor der nächsten Autobombe haben muss. Der Vater hingegen ist unzufrieden mit seinem Job in einem Großlager und weigert sich, trotz der harten körperlichen Arbeit, sein weißes Hemd und seine schwarze Stoffhose gegen eine dreckige Jeans einzutauschen, fühlt er sich doch immer noch als der Architekt, der er früher einmal war; und als er die Chance erhält, setzt er sich bei Nacht und Nebel nach Kurdistan ab, gründet mit über vierzig eine eigene Firma und eine neue Familie und hinterlässt die alte in einem Zustand der Betäubung. Ähnlich trifft es Younes, den großen, schweigsamen Jungen, der, nachdem sein Vater grußlos verschwunden ist, jeden Tag auf dem Bürgersteig sitzt, mutlos mit einem Basketball dribbelt, nicht reagiert, wenn die anderen Jungs ihn verspotten, und – wartet. Vergeblich, wie sich versteht. Nachdem Amal (damit geht das Buch los) den viel stärkeren Younes verprügelt hat, sehr zur Missbilligung der kurdischen Community, die sie als „Mogli-Mädchen“, als Wolfskind also, aburteilt, wird er ihr bester Freund und kommt ihr vielleicht näher als ihr eigentlicher Freund Raffiq.
Raffiq wiederum ist, ebenfalls als Ich-Erzähler, der Protagonist des anderen Halbbuchs. Auch in seiner Familie knirscht und kracht es, auch sein Vater will zurück, und bei Tisch bricht Streit aus, weil die Mutter die typischen irakischen Gewürze nicht mehr kriegt: was ist das für ein Fraß, das schmeckt ja wie bei den Almans! Überhaupt wird viel gestritten; Streit und der Trost durch Dritte, der dann unweigerlich fällig wird, sind die wichtigsten Formen sozialer Interaktion.
Und alle hegen ihre eigenen Ausbruchspläne: Younes will mit seinem Kumpel Raffiq zum Studieren nach Frankfurt, wo sein Vater lebt, Amal mit ihrer Freundin Jenny als Au-pair nach Amerika. Das Paar Amal-Raffiq zerbricht daran. Younes und Amal schaffen es schließlich zu ihren Vätern und stellen beide enttäuscht fest, dass dort kein Platz für sie ist. Wo aber dann? Weiter führen beide Bücher nicht und enden in Ratlosigkeit.
Diese Geschichte muss hier so ausführlich wiedergegeben werden, weil man aus den Ereignissen und in der dichten Atmosphäre des Doppelromans viel darüber erfährt, wie es einer bestimmten Migrantengruppe, die schon lang in Deutschland ist und teilweise auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ergeht; wie selbst an der jüngeren Generation, die schon mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen ist und Kurdisch nur auf dem Niveau eines Fünfjährigen beherrscht, das hochtrabende Wort von der Integration irgendwie vorbeigeht.
Die bodenständigen Deutschen, die „Almans“, kommen nur als Randfiguren vor, als Lehrer, Chefs, Sachbearbeiterinnen im Ausländeramt, die sich selbst bei gutem Willen durch völlige Ahnungslosigkeit auszeichnen. In gewissem Sinn übernimmt Karosh Taha die Rolle einer Spionin, die die Alteingesessenen ins Bild setzt, wie es wirklich zugeht. Und diese sollten ihr dafür dankbar sein.
Das alles findet seinen Ausdruck in der einzigartigen Sprache des Buchs, die in ihrer Lebendigkeit und charakteristischen Kraft die Verwerfungslinien nachzeichnet. Wenn Raffiq seinen Vater an dessen Arbeitsplatz als Gabelstaplerfahrer Paletten aufschichten sieht, hört sich das so an: „Er stapelt sie ordentlich deutsch, ich frage mich, warum er nicht so ordentlich Deutsch spricht, wo er doch seit mehr als zehn Jahren unter deutschen Kollegen ist, er könnte wenigstens mal die scheiß Verben konjugieren, so viel Mühe muss man sich machen.“ Dann kommt der Chef dazu: „Herr Bauer ruft nach meinem Vater, wedelt ihn mit der Hand her. Wenn er das noch einmal macht, klatsche ich ihm eine. ‚Herr Khalid! Kommen! Sohn da!‘ Ich schaue zu Herrn Bauer, der plötzlich angefangen hat, wie ein Spacko zu reden, Vater kommt lächelnd auf uns zu, klopft mir auf die Schulter: ‚Raffiq, mein großer Sohn.‘ ‚Sohn werden später fleißig wie Herr Khalid‘, meint der Chef. Alter, Sohn boxen Ihnen gleich in den Sack.“
Hier ist alles beieinander, was so schmerzlich und so hartnäckig schiefgeht: der Sohn, Gymnasiast, der sich für seinen Vater schämt und diese Scham als Unmut maskiert. Der gar nicht merkt, wie viel Arroganz in dieser Scham und diesem Unmut steckt, wenn er seinem Vater zumutet, „Verben“ zu „konjugieren“, zwei Wörter, die dieser eher nicht versteht. Wie er seine Affekte in Wut auf den Chef umwandelt, der den Vater in diesem plumpen Gastarbeiterdeutsch, als wäre dies ein Entgegenkommen, karikierend nachahmt. Dann der Chef, der voller Stolz und Selbstgefälligkeit meint, das Seine zur Ankunft der Fremden in diesem Land geleistet zu haben, wenn er so redet, dass sie es begreifen können. Und der Vater, der die komplex angespannte Situation zwischen Chef und Sohn nicht wahrnimmt oder nicht wahrhaben will, anscheinend ergeben in seine subalterne, doch lebenssichernde Position.
Die eigentliche Pointe, die man leicht überliest, liegt darin, dass der Vater, um den die beiden anderen, die kompetenten Sprecher, ihre spiegelbildliche Komödie der unkonjugierten Verben aufführen, der einzige ist, der korrektes Deutsch spricht: „Raffiq, mein großer Sohn.“
Das gemeinsame Zentrum der beiden Halbromane aber und ihr Scharnier stellt Shahira dar, Younes’ Mutter. Sie ist die titelgebende Königin, von deren wundervoll warmem Bauch die Männer sich so schwer losmachen können. Sie schlagen sich um sie auf offener Straße. Im Viertel, das weniger religiös als „kurdisch-moralisch“ denkt, wird sie als Hure verachtet, weil sie immer neue „Onkel“ für ihren Sohn anschleppt und offenbar unersättlich ist. Aber ihre Unbeirrbarkeit und verwirrende Schönheit machen sie auch zu einer Art von Göttin, der man wider Willen Verehrung zollen muss.
Es heißt von ihr: „Ihr Parfum folgt ihr als ihr Schatten.“ Hat das so schon mal jemand auf Deutsch gesagt? Wahrscheinlich nicht. Und doch versteht man es sofort. Möglich, dass darin eine gängige kurdische Redewendung steckt. Wenn ja, ist sie dank Karosh Taha hier angekommen, um von nun an die deutsche Sprache zu bereichern.
BURKHARD MÜLLER
Die Deutschen zeichnen sich
durch Ahnungslosigkeit aus und
werden hier ins Bild gesetzt
Karosh Taha:
Im Bauch der Königin. Roman. Dumont, Köln 2020. 131 + 125 Seiten, 22 Euro.
Karosh Taha, 1987 in Zaxo geboren, lebt seit 1997 im Ruhrgebiet. Foto: Oliver Berg/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»In gewissem Sinn übernimmt Karosh Taha die Rolle einer Spionin, die die Alteingesessenen ins Bild setzt, wie es wirklich zugeht. Und diese sollten ihr dafür dankbar sein. Das alles findet seinen Ausdruck in der einzigartigen Sprache des Buchs, die in ihrer Lebendigkeit und charakteristischen Kraft die Verwerfungslinien nachzeichnet.« Burkhard Müller, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG »Eine anregende und spannende Lektüre, die noch lange nachwirkt.« Renate Naber, WDR 5 SCALA »Der Roman ist schon formal ein besonderes Buch.« Andrea Gerk, DLF LESART »Mit grandioser Sprache zwischen Humor und Härte, Poesie und Jugendjargon, lotet Karosh Taha die Konfliktlinien zwischen den Generationen aus [und] berührt damit ganz universelle Themen. [...] Eine eindrucksvolle neue Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur.« Susanna Schürmanns, WDR WESTART »Roh, kraftvoll und voller Sinnlichkeit« Janis Voss, EMOTION »[KaroshTaha sorgt] mit ihrer bildreichen Sprache, ihrem Witz und ihren klugen Beobachtungen dafür, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen will.« Hengameh Yaghoobifarah, MISSY MAGAZIN »[Mit 'Im Bauch der Königin' liest man einen] hypnotischen, vieldeutigen, ebenso märchenhaft wie knallhart erzählten Roman« Antje Deistler, DEUTSCHLANDFUNK »Karosh Taha schreibt ebenso märchenhaft wie knallhart.« LITERATURBÜRO RUHR »'Im Bauch der Königin' ist ein sehr besonderer, kluger, moderner Familienroman, eines jener Bücher, von denen wir mehr brauchen. Weil sie etwas zu sagen haben.« Mareike Fallwickl »Es ist ein verdichteter, literarisch dringlicher Stil einer Autorin, die tatsächlich etwas zu erzählen hat. Eine Position, die bleibt.« Stefanie Roenneke, NEUES DEUTSCHLAND »Was für eine tolle Idee« Nina Berendonk, DONNA »'Im Bauch der Königin' ist ein Buch über die Macht von gesellschaftlichen Erwartungen, über Weiblichkeit und die Suche nach der Wahrheit. [...] Karosh Taha [erzählt] in einer sehr besonderen Sprache vom Leben in einer kurdischen Community in Deutschland.« Mona Ameziane, 1LIVE STORIES »[Karosh Taha] findet starke, poetische Bilder für die widerstreitenden Gefühle und erzählt mit beißendem, befreiendem Witz.« Dina Netz, DEUTSCHLANDFUNK KULTUR »Bravo, Karosh Taha!« Dorthe Hansen, BARBARA »Karosh Taha gibt ihren Protagonisten etwas, was sie zuhause nicht haben, [...] eine Stimme. Und diese Stimme ist nicht larmoyant, sondern wütend, aufbegehrend, einfallsreich und witzig. Auch bei zweiten Mal: Ein erfrischender Tonfall« Dina Netz, SWR2 Lesenswert »[Karosh Taha] zeichnet Frontverläufe und Demarkationslinien nach, die zu bemerken, die Mehrheit sich hütet.« Jamal Tuschik, DER FREITAG »'Im Bauch der Königin' [zeigt], dass es nicht die eine Wahrheit gibt.« Leoni Hof, BOLERO »Karosh Taha hat mit Im Bauch der Königin ein herausragendes Buch über die Frage geschrieben, was es bedeuten kann, eine Frau zu sein.« BÜCHER MAGAZIN »Jede Geschichte hat zwei Seiten, selten aber wurde diese schlichte Wahrheit so konsequent in Literatur gegossen wie in Karosh Tahas zweitem Roman 'Im Bauch der Königin' [...] Karosh Taha gelingt es, die Konstruktion im Erzählen vergessen zu machen, so satt und schillernd leuchten ihre Sätze.« Britta Heidemann, WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE »Brillanter Roman um das Frauenbild des Islam« Schayan Riaz, BERLINER ZEITUNG »In Tahas vielschichtig poetischer Beobachtung ist jederzeit eine Wendung möglich.« Ruth Bender, HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG »Es ist spannend, es ist eine sinnliche Sprache, die die Autorin verwendet und dieses Kaleidoskop von Worten, das macht es zu einem ganz besonderen Roman« Burcu Arslan, BREMEN ZWEI »[Ein] schillernder Roman. [Karosh Taha] skizziert ihre Figuren mit deutlichen Strichen« Judith von Sternburg, FRANKFURTER RUNDSCHAU »'Im Bauch der Königin' hätte ein sehr ernstes Buch werden können, doch das große Erzähltalent der Autorin, ihre poetische Sprache, der es gelingt, aus dem tristen Ruhrgebiet eine faszinierende Welt zu machen, und feines Gespür für Komik gaben ihm bei aller Tiefe eine große Leichtigkeit.« Anne Burgmer, KÖLNER STADT-ANZEIGER »Karosh Taha lässt in diesem Wendebuch Raum für zwei verschiedene Perspektiven auf Sehnsucht, Aufbruch und Rückkehr, auf jugendliche Selbstfindung und auf Emanzipation.« Benyamin Bahri, SUBWAY »Ein herausragendes Buch« Ingrid Mosblech-Kaltwasser, DER KULTUR BLOG »So verhandelt der Roman Themen wie Identität und Geschlecht aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln und regt dadurch zum Nachdenken an.« Dani Baumgartner, FRAUENSOLIDARITÄT »Erzählerisch eine Wucht« HEINZ MAGAZIN