Nicht weniger als Heimat bedeutet den Heldinnen und Helden dieser Geschichten ihre Arbeit. Sie betreiben hochbetagt eine Dorfschmiede, restaurieren versehrte moderne Gemälde oder gestalten einen Volksmusikabend im Festsaal einer ostdeutschen Gaststätte. Die Künste, die niedrigen wie die höheren, wirken mit an einem anrührend heimeligen Zuhause.
Aber in der Kunst liegt nicht nur Heimat, sondern auch der Keim des Abenteuers. Und so geraten wir auf Geisterjagd in eine ehemalige Papierfabrik, zwischen die hölzernen Säulen der ersten Autobahnkirche Deutschlands und unter das Blätterdach eines geheimnisvoll fruchtbaren Walnussbaums: ins Zwischenreich von Kunst und belebter Natur.
«Umberto Eco hat einmal gesagt: Man kann ein Leben lang Kartoffeln essen und damit glücklich und zufrieden sein, aber man sollte an den Trüffeln zumindest mal gerochen haben. Die Bücher von Georg Klein sind die exquisitesten Trüffel der deutschen Gegenwartsliteratur.» Thomas Böhm, RADIOEINS
Aber in der Kunst liegt nicht nur Heimat, sondern auch der Keim des Abenteuers. Und so geraten wir auf Geisterjagd in eine ehemalige Papierfabrik, zwischen die hölzernen Säulen der ersten Autobahnkirche Deutschlands und unter das Blätterdach eines geheimnisvoll fruchtbaren Walnussbaums: ins Zwischenreich von Kunst und belebter Natur.
«Umberto Eco hat einmal gesagt: Man kann ein Leben lang Kartoffeln essen und damit glücklich und zufrieden sein, aber man sollte an den Trüffeln zumindest mal gerochen haben. Die Bücher von Georg Klein sind die exquisitesten Trüffel der deutschen Gegenwartsliteratur.» Thomas Böhm, RADIOEINS
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Schon viele literarische Formen hat Georg Klein sich zu eigen gemacht, weiß Kritiker Lothar Müller, jetzt legt er einen Erzählungsband vor, der ein "Gespür für alles Löchrige" in sich trägt. Über mehr als zehn Jahre verteilt entstanden, beschäftigen sich die einzelnen Geschichten etwa mit einem verwitweten Schmied, dessen beste Zeiten vorbei sind, auch seine technischen Geräte sind veraltet, oder mit einem Bodyguard im Bundeskanzleramt, dessen Job durch die neueste Drohnentechnik wegzufallen droht, erzählt Müller. Alle Erzähler, meint er, sind unzuverlässig, aber immer spannend, überraschend und mit einem Hauch des Teuflisch-Gruseligen. Allein wegen der Vielfalt der Geschichten empfiehlt er diesen Erzählband gerne weiter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2023Weltabrieb auf Papier
Dunkler Idealismus: Georg Klein ist einer der letzten wahren Erzähler deutscher Zunge. Das beweist sein neuer Erzählband einmal mehr. Heute wird der Schriftsteller siebzig.
Stroh zu Gold, knapper lässt sich die Poetologie Georg Kleins kaum fassen. Das Abgemähte und Ausgedroschene, die luftgetrocknete, erinnerungsgesättigte Restrealität, verwandelt sich in seinen melodischen Sätzen zur begehrten, glänzenden Kostbarkeit. "Gesponnen", das passt auch weit besser zu den Erzählungen dieses Rumpelstilzchens als ein nüchternes "geschrieben". Und weil es nun schon kein Geheimnis mehr ist, lässt der Schriftsteller auf den letzten Seiten seines jüngsten Werks durchblicken, woher seine Inspiration in Wahrheit stammt: Es hat ihm - alles - der Teufel gesagt. Ihm und allen anderen aus dem "Club" der "Kundigen", den, so wird man vielleicht übersetzen dürfen, wahren Schriftstellern. "Selbstverständlich bleiben wir Dilettanten, redliche Stümper, wenn wir an unseresgleichen weiterzugeben versuchen, was er einem unter vier Augen mitgeteilt hat. Aber als Aufbereiter seines Berichts eifern wir ihm ernstlich nach, und dass sich unser Erzählen nach der famosen Vorgabe des Leibhaftigen quasi in zweiter Instanz vollzieht, birgt einen besonderen Kitzel, einen sekundären Reiz, der sich nicht leicht beschreiben lässt."
Das Nichtleichtbeschreibbare ist allerdings die Domäne des wortgewaltigen Georg Klein, seit er im Jahr 1998 mit dem orientalisch versponnenen Roman "Libidissi", einem Juwel kristallklarer Phantastik, imposant die literarische Bühne betreten hat. So bringt er auch den eigenen Stil, den man Post- oder Transrealismus nennen könnte, über den Umweg des Einflüsterers perfekt auf den Begriff: "unheimlich getreu und zugleich lässig frei, mit einer Raffinesse, die nie den festen Grund der Wahrhaftigkeit verlässt".
Das Unheil ist immer und überall
Was für ein armer Teufel ist das aber, der hier auftritt. In "Feuchträumen" emaniert er am liebsten, salbadert auf Toilettensitzen über das Leben der Heimgesuchten, ist stets prekär in einen "grauen Overall" gekleidet und befasst sich gern mit Geld. Im konkreten Fall entwirft er einen Anlageplan für den Erzähler, dessen kümmerliche Kontostände er genau kennt. Ganz von dieser Welt ist dieser Bankberater-Satan ("Hienieden spielt uns die Musik"), kaum mehr als ein entgleister Muskel des Unterbewusstseins. Das Unheil ist immer nah bei Georg Klein, lugt oft bedrohlich aus Nebensätzen hervor, aber wir bringen es selbst hervor. Und weil all das Dämonische in dieser lustvoll im Hienieden wühlenden Prosa nicht dem Jenseits entstammt, stellt auch die Transzendenz ins Licht keinen Ausweg dar. Rätsel dürfen Rätsel bleiben bei Klein: eine gottlose Komödie. Eine Form des Arrangierens aber gibt es: die Arbeit. Und mit geradezu heiligem Ernst wird sie in diesem Band verrichtet.
Die über mehrere Jahre angesammelten, jetzt unter dem Titel "Im Bienenlicht" publizierten Erzählungen befassen sich mit dem Brummen und Summen der Welt so gut wie ausschließlich über die nie ruhenden Tätigkeiten ihrer fleißigen Bewohner. Gleich mehrere Alter Egos des Autors befinden sich darunter; das Cover zeigt denn auch passend fünf Georg-Klein-Drohnen, die an einer Königin zerren. Man muss ein Faible haben für diesen Ton, in dem etwas Altväterliches, Meisterliches mitschwingt: "Klischeehaft ausgekocht wirkende Kerle" gibt es da, einen "Schießprügel", der Tod erscheint als "Hingang". Wenn die Leser angesprochen werden, klingt es so: "Inzwischen kennen Sie mich ein gutes Stück weit. Schließlich habe ich nicht wenig Worte unserer Muttersprache darauf verwendet, Sie mit der porösen Oberfläche meines Wesens und Strebens, meines Tuns und Lassens, meines Denkens und meiner Bedenken bekanntzumachen." Das für erzählerische Betulichkeit zu halten wäre grundfalsch. Es handelt sich um eine nicht mehr geläufige Präzision des Ausdrucks.
Wenn die Verrichtungen der in ihrer Arbeit zu sich selbst findenden Protagonisten, handele es sich um Plakatmaler, Exorzisten, Kläranlagenvertreter oder Pflanzenforscher, mit einer all diesen Berufsständen angemessenen Akribie erfasst und mittels kleiner Verschiebungen elegant ins absurd Hyperreale, Beängstigende übersteigert werden, dann ist das Ausdruck einer erzählerischen Souveränität auf Augenhöhe mit dem Genauigkeitsfanatiker Thomas Mann, die trotzdem ganz gegenwärtig ist und zudem noch dem Romantiker E. T. A. Hoffmann Aufwartung macht. Dass es nämlich dunkle Kräfte gibt, denen die wackeren Figuren ausgeliefert sind, zeigt sich immer wieder, etwa in der in naher Zukunft spielenden Erzählung "Das Kissen", in der ein älterer Herr über seine "Endpflege" durch einen ihm lieb gewordenen, aber auch rigorosen Roboter berichtet. Durch einen Defekt misstrauisch geworden, steigt die Ahnung in ihm auf, der Roboter, selbst nur ein Werkzeug, halte ihn mit Suggestion und Schlafspray in einer Scheinwirklichkeit gefangen. Was dabei plötzlich schemenhaft vor uns steht, ist der dunkle Zwilling des Deutschen Idealismus. Der Selbstbetrug.
Unterteilt sind die Erzählungen in die Kapitel "Wachs" und "Honig", beides hervorgebracht von emsigen Bienen im Durchgang durch den eigenen Leib und doch nicht verwandt: Behausung das eine, Treibstoff das andere. Die Honigkapitel sind von größerer Intimität. Sie handeln von Begegnungen voller Endgültigkeit, von Nähe und Liebe - und ihren giftigen Stacheln: Verrat und Eifersucht -, im Wachs hingegen dominieren die Riten der Praxis. Das "Bienenlicht" der Titelgeschichte ist übrigens nichts Heimeliges, sondern kälteste Technik: Es geht um Minidrohnen, die einen redundant gemachten Personenschützer im Kanzleramt fatal zur Verzweiflung treiben. Gleitend wechseln die Erzählerpositionen, die Blicke von innen und außen. Selbstreflexiv nehmen viele Erzählungen auf das Schreiben Bezug, etwa wenn ein Schriftsteller, der mit einer Komponistenbiographie beauftragt ist, eine Lebenslüge durchschaut, aber nicht korrigiert: "Ich bin bereit, meinen Teil beizutragen."
Da fällt das Herz aus der Brust
Klein war immer begeistert vom Abgründigen in der Gesellschaft. Im "Roman unserer Kindheit" brach mitten in der bundesrepublikanischen Sechzigerjahre-Harmlosigkeit das Unglück auf. In der aktuellen Sammlung hat Klein das alternative Denken aufgespießt. Höchst originell ist eine Homöopathie-Parabel: Es geht um zwei geschäftstüchtige Kleingartenexistenzen, die - ehrlich überzeugt vom eigenen Ethos - Gebäude mittels esoterisch hergestellten Staubstrahls ("Gleiches durch Gleiches zu erlösen") von einem Spuk reinigen, den zahlungskräftige Investoren für ein "Vollnutzungshindernis" halten. Schließlich richtet sich der Geisterglaube gegen die verqueren Ghostbusters selbst. Wer sich mit den Gespenstern des Irrationalen einlässt, erschafft sich Gegner, gegen die er nicht ankommt.
Auch die jüngste Pandemie hat eine Verwandlung durchlaufen, wird zur "Herzsturz"-Plage: Den Menschen fällt wörtlich das Herz aus der Brust. Dauerndes Kauen und Schlucken, so wird erschlossen, biete einen gewissen Schutz: Empirie und Aberglaube gehen ineinander über. Der Erzähler, abermals ein Autor, strandet derweil in seiner Heimatstadt, dort gehalten von der Angst: "Die Welt war mir binnen eines Tages zu weit geworden." Er verkommt zum Vagabunden, hat jedoch die Stadtbibliothek zur Hand, Mausoleum und Tempel zugleich: Arbeit und Struktur, hier und immer wieder Rettung unserer Würde. Zugleich erodieren in diesen Geschichten das Vertrauen und das Vertraute, mutieren Gefühle in ihr Gegenteil. Dass das alles nicht deprimierend wirkt, sondern aufregend und erhebend, liegt zu guten Teilen an der Schönheit und Elaboration der Sprache. Einmal ist vom "Weltabrieb" die Rede. Als Feinstaub sammele er sich auf der mikroskopisch gesehen rauen Oberfläche eines Papiertaschentuchs. Weltabrieb auf Papier, das ist vielleicht die treffendste Charakterisierung des fulminanten Werks des dunklen Romantikers Georg Klein, der heute siebzig Jahre alt wird. OLIVER JUNGEN
Georg Klein: "Im Bienenlicht". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 240 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dunkler Idealismus: Georg Klein ist einer der letzten wahren Erzähler deutscher Zunge. Das beweist sein neuer Erzählband einmal mehr. Heute wird der Schriftsteller siebzig.
Stroh zu Gold, knapper lässt sich die Poetologie Georg Kleins kaum fassen. Das Abgemähte und Ausgedroschene, die luftgetrocknete, erinnerungsgesättigte Restrealität, verwandelt sich in seinen melodischen Sätzen zur begehrten, glänzenden Kostbarkeit. "Gesponnen", das passt auch weit besser zu den Erzählungen dieses Rumpelstilzchens als ein nüchternes "geschrieben". Und weil es nun schon kein Geheimnis mehr ist, lässt der Schriftsteller auf den letzten Seiten seines jüngsten Werks durchblicken, woher seine Inspiration in Wahrheit stammt: Es hat ihm - alles - der Teufel gesagt. Ihm und allen anderen aus dem "Club" der "Kundigen", den, so wird man vielleicht übersetzen dürfen, wahren Schriftstellern. "Selbstverständlich bleiben wir Dilettanten, redliche Stümper, wenn wir an unseresgleichen weiterzugeben versuchen, was er einem unter vier Augen mitgeteilt hat. Aber als Aufbereiter seines Berichts eifern wir ihm ernstlich nach, und dass sich unser Erzählen nach der famosen Vorgabe des Leibhaftigen quasi in zweiter Instanz vollzieht, birgt einen besonderen Kitzel, einen sekundären Reiz, der sich nicht leicht beschreiben lässt."
Das Nichtleichtbeschreibbare ist allerdings die Domäne des wortgewaltigen Georg Klein, seit er im Jahr 1998 mit dem orientalisch versponnenen Roman "Libidissi", einem Juwel kristallklarer Phantastik, imposant die literarische Bühne betreten hat. So bringt er auch den eigenen Stil, den man Post- oder Transrealismus nennen könnte, über den Umweg des Einflüsterers perfekt auf den Begriff: "unheimlich getreu und zugleich lässig frei, mit einer Raffinesse, die nie den festen Grund der Wahrhaftigkeit verlässt".
Das Unheil ist immer und überall
Was für ein armer Teufel ist das aber, der hier auftritt. In "Feuchträumen" emaniert er am liebsten, salbadert auf Toilettensitzen über das Leben der Heimgesuchten, ist stets prekär in einen "grauen Overall" gekleidet und befasst sich gern mit Geld. Im konkreten Fall entwirft er einen Anlageplan für den Erzähler, dessen kümmerliche Kontostände er genau kennt. Ganz von dieser Welt ist dieser Bankberater-Satan ("Hienieden spielt uns die Musik"), kaum mehr als ein entgleister Muskel des Unterbewusstseins. Das Unheil ist immer nah bei Georg Klein, lugt oft bedrohlich aus Nebensätzen hervor, aber wir bringen es selbst hervor. Und weil all das Dämonische in dieser lustvoll im Hienieden wühlenden Prosa nicht dem Jenseits entstammt, stellt auch die Transzendenz ins Licht keinen Ausweg dar. Rätsel dürfen Rätsel bleiben bei Klein: eine gottlose Komödie. Eine Form des Arrangierens aber gibt es: die Arbeit. Und mit geradezu heiligem Ernst wird sie in diesem Band verrichtet.
Die über mehrere Jahre angesammelten, jetzt unter dem Titel "Im Bienenlicht" publizierten Erzählungen befassen sich mit dem Brummen und Summen der Welt so gut wie ausschließlich über die nie ruhenden Tätigkeiten ihrer fleißigen Bewohner. Gleich mehrere Alter Egos des Autors befinden sich darunter; das Cover zeigt denn auch passend fünf Georg-Klein-Drohnen, die an einer Königin zerren. Man muss ein Faible haben für diesen Ton, in dem etwas Altväterliches, Meisterliches mitschwingt: "Klischeehaft ausgekocht wirkende Kerle" gibt es da, einen "Schießprügel", der Tod erscheint als "Hingang". Wenn die Leser angesprochen werden, klingt es so: "Inzwischen kennen Sie mich ein gutes Stück weit. Schließlich habe ich nicht wenig Worte unserer Muttersprache darauf verwendet, Sie mit der porösen Oberfläche meines Wesens und Strebens, meines Tuns und Lassens, meines Denkens und meiner Bedenken bekanntzumachen." Das für erzählerische Betulichkeit zu halten wäre grundfalsch. Es handelt sich um eine nicht mehr geläufige Präzision des Ausdrucks.
Wenn die Verrichtungen der in ihrer Arbeit zu sich selbst findenden Protagonisten, handele es sich um Plakatmaler, Exorzisten, Kläranlagenvertreter oder Pflanzenforscher, mit einer all diesen Berufsständen angemessenen Akribie erfasst und mittels kleiner Verschiebungen elegant ins absurd Hyperreale, Beängstigende übersteigert werden, dann ist das Ausdruck einer erzählerischen Souveränität auf Augenhöhe mit dem Genauigkeitsfanatiker Thomas Mann, die trotzdem ganz gegenwärtig ist und zudem noch dem Romantiker E. T. A. Hoffmann Aufwartung macht. Dass es nämlich dunkle Kräfte gibt, denen die wackeren Figuren ausgeliefert sind, zeigt sich immer wieder, etwa in der in naher Zukunft spielenden Erzählung "Das Kissen", in der ein älterer Herr über seine "Endpflege" durch einen ihm lieb gewordenen, aber auch rigorosen Roboter berichtet. Durch einen Defekt misstrauisch geworden, steigt die Ahnung in ihm auf, der Roboter, selbst nur ein Werkzeug, halte ihn mit Suggestion und Schlafspray in einer Scheinwirklichkeit gefangen. Was dabei plötzlich schemenhaft vor uns steht, ist der dunkle Zwilling des Deutschen Idealismus. Der Selbstbetrug.
Unterteilt sind die Erzählungen in die Kapitel "Wachs" und "Honig", beides hervorgebracht von emsigen Bienen im Durchgang durch den eigenen Leib und doch nicht verwandt: Behausung das eine, Treibstoff das andere. Die Honigkapitel sind von größerer Intimität. Sie handeln von Begegnungen voller Endgültigkeit, von Nähe und Liebe - und ihren giftigen Stacheln: Verrat und Eifersucht -, im Wachs hingegen dominieren die Riten der Praxis. Das "Bienenlicht" der Titelgeschichte ist übrigens nichts Heimeliges, sondern kälteste Technik: Es geht um Minidrohnen, die einen redundant gemachten Personenschützer im Kanzleramt fatal zur Verzweiflung treiben. Gleitend wechseln die Erzählerpositionen, die Blicke von innen und außen. Selbstreflexiv nehmen viele Erzählungen auf das Schreiben Bezug, etwa wenn ein Schriftsteller, der mit einer Komponistenbiographie beauftragt ist, eine Lebenslüge durchschaut, aber nicht korrigiert: "Ich bin bereit, meinen Teil beizutragen."
Da fällt das Herz aus der Brust
Klein war immer begeistert vom Abgründigen in der Gesellschaft. Im "Roman unserer Kindheit" brach mitten in der bundesrepublikanischen Sechzigerjahre-Harmlosigkeit das Unglück auf. In der aktuellen Sammlung hat Klein das alternative Denken aufgespießt. Höchst originell ist eine Homöopathie-Parabel: Es geht um zwei geschäftstüchtige Kleingartenexistenzen, die - ehrlich überzeugt vom eigenen Ethos - Gebäude mittels esoterisch hergestellten Staubstrahls ("Gleiches durch Gleiches zu erlösen") von einem Spuk reinigen, den zahlungskräftige Investoren für ein "Vollnutzungshindernis" halten. Schließlich richtet sich der Geisterglaube gegen die verqueren Ghostbusters selbst. Wer sich mit den Gespenstern des Irrationalen einlässt, erschafft sich Gegner, gegen die er nicht ankommt.
Auch die jüngste Pandemie hat eine Verwandlung durchlaufen, wird zur "Herzsturz"-Plage: Den Menschen fällt wörtlich das Herz aus der Brust. Dauerndes Kauen und Schlucken, so wird erschlossen, biete einen gewissen Schutz: Empirie und Aberglaube gehen ineinander über. Der Erzähler, abermals ein Autor, strandet derweil in seiner Heimatstadt, dort gehalten von der Angst: "Die Welt war mir binnen eines Tages zu weit geworden." Er verkommt zum Vagabunden, hat jedoch die Stadtbibliothek zur Hand, Mausoleum und Tempel zugleich: Arbeit und Struktur, hier und immer wieder Rettung unserer Würde. Zugleich erodieren in diesen Geschichten das Vertrauen und das Vertraute, mutieren Gefühle in ihr Gegenteil. Dass das alles nicht deprimierend wirkt, sondern aufregend und erhebend, liegt zu guten Teilen an der Schönheit und Elaboration der Sprache. Einmal ist vom "Weltabrieb" die Rede. Als Feinstaub sammele er sich auf der mikroskopisch gesehen rauen Oberfläche eines Papiertaschentuchs. Weltabrieb auf Papier, das ist vielleicht die treffendste Charakterisierung des fulminanten Werks des dunklen Romantikers Georg Klein, der heute siebzig Jahre alt wird. OLIVER JUNGEN
Georg Klein: "Im Bienenlicht". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 240 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Georg Klein ist einer der letzten wahren Erzähler deutscher Zunge. Das beweist sein neuer Erzählband einmal mehr. Oliver Jungen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230329
Weltabrieb auf Papier
Dunkler Idealismus: Georg Klein ist einer der letzten wahren Erzähler deutscher Zunge. Das beweist sein neuer Erzählband einmal mehr. Heute wird der Schriftsteller siebzig.
Stroh zu Gold, knapper lässt sich die Poetologie Georg Kleins kaum fassen. Das Abgemähte und Ausgedroschene, die luftgetrocknete, erinnerungsgesättigte Restrealität, verwandelt sich in seinen melodischen Sätzen zur begehrten, glänzenden Kostbarkeit. "Gesponnen", das passt auch weit besser zu den Erzählungen dieses Rumpelstilzchens als ein nüchternes "geschrieben". Und weil es nun schon kein Geheimnis mehr ist, lässt der Schriftsteller auf den letzten Seiten seines jüngsten Werks durchblicken, woher seine Inspiration in Wahrheit stammt: Es hat ihm - alles - der Teufel gesagt. Ihm und allen anderen aus dem "Club" der "Kundigen", den, so wird man vielleicht übersetzen dürfen, wahren Schriftstellern. "Selbstverständlich bleiben wir Dilettanten, redliche Stümper, wenn wir an unseresgleichen weiterzugeben versuchen, was er einem unter vier Augen mitgeteilt hat. Aber als Aufbereiter seines Berichts eifern wir ihm ernstlich nach, und dass sich unser Erzählen nach der famosen Vorgabe des Leibhaftigen quasi in zweiter Instanz vollzieht, birgt einen besonderen Kitzel, einen sekundären Reiz, der sich nicht leicht beschreiben lässt."
Das Nichtleichtbeschreibbare ist allerdings die Domäne des wortgewaltigen Georg Klein, seit er im Jahr 1998 mit dem orientalisch versponnenen Roman "Libidissi", einem Juwel kristallklarer Phantastik, imposant die literarische Bühne betreten hat. So bringt er auch den eigenen Stil, den man Post- oder Transrealismus nennen könnte, über den Umweg des Einflüsterers perfekt auf den Begriff: "unheimlich getreu und zugleich lässig frei, mit einer Raffinesse, die nie den festen Grund der Wahrhaftigkeit verlässt".
Das Unheil ist immer und überall
Was für ein armer Teufel ist das aber, der hier auftritt. In "Feuchträumen" emaniert er am liebsten, salbadert auf Toilettensitzen über das Leben der Heimgesuchten, ist stets prekär in einen "grauen Overall" gekleidet und befasst sich gern mit Geld. Im konkreten Fall entwirft er einen Anlageplan für den Erzähler, dessen kümmerliche Kontostände er genau kennt. Ganz von dieser Welt ist dieser Bankberater-Satan ("Hienieden spielt uns die Musik"), kaum mehr als ein entgleister Muskel des Unterbewusstseins. Das Unheil ist immer nah bei Georg Klein, lugt oft bedrohlich aus Nebensätzen hervor, aber wir bringen es selbst hervor. Und weil all das Dämonische in dieser lustvoll im Hienieden wühlenden Prosa nicht dem Jenseits entstammt, stellt auch die Transzendenz ins Licht keinen Ausweg dar. Rätsel dürfen Rätsel bleiben bei Klein: eine gottlose Komödie. Eine Form des Arrangierens aber gibt es: die Arbeit. Und mit geradezu heiligem Ernst wird sie in diesem Band verrichtet.
Die über mehrere Jahre angesammelten, jetzt unter dem Titel "Im Bienenlicht" publizierten Erzählungen befassen sich mit dem Brummen und Summen der Welt so gut wie ausschließlich über die nie ruhenden Tätigkeiten ihrer fleißigen Bewohner. Gleich mehrere Alter Egos des Autors befinden sich darunter; das Cover zeigt denn auch passend fünf Georg-Klein-Drohnen, die an einer Königin zerren. Man muss ein Faible haben für diesen Ton, in dem etwas Altväterliches, Meisterliches mitschwingt: "Klischeehaft ausgekocht wirkende Kerle" gibt es da, einen "Schießprügel", der Tod erscheint als "Hingang". Wenn die Leser angesprochen werden, klingt es so: "Inzwischen kennen Sie mich ein gutes Stück weit. Schließlich habe ich nicht wenig Worte unserer Muttersprache darauf verwendet, Sie mit der porösen Oberfläche meines Wesens und Strebens, meines Tuns und Lassens, meines Denkens und meiner Bedenken bekanntzumachen." Das für erzählerische Betulichkeit zu halten wäre grundfalsch. Es handelt sich um eine nicht mehr geläufige Präzision des Ausdrucks.
Wenn die Verrichtungen der in ihrer Arbeit zu sich selbst findenden Protagonisten, handele es sich um Plakatmaler, Exorzisten, Kläranlagenvertreter oder Pflanzenforscher, mit einer all diesen Berufsständen angemessenen Akribie erfasst und mittels kleiner Verschiebungen elegant ins absurd Hyperreale, Beängstigende übersteigert werden, dann ist das Ausdruck einer erzählerischen Souveränität auf Augenhöhe mit dem Genauigkeitsfanatiker Thomas Mann, die trotzdem ganz gegenwärtig ist und zudem noch dem Romantiker E. T. A. Hoffmann Aufwartung macht. Dass es nämlich dunkle Kräfte gibt, denen die wackeren Figuren ausgeliefert sind, zeigt sich immer wieder, etwa in der in naher Zukunft spielenden Erzählung "Das Kissen", in der ein älterer Herr über seine "Endpflege" durch einen ihm lieb gewordenen, aber auch rigorosen Roboter berichtet. Durch einen Defekt misstrauisch geworden, steigt die Ahnung in ihm auf, der Roboter, selbst nur ein Werkzeug, halte ihn mit Suggestion und Schlafspray in einer Scheinwirklichkeit gefangen. Was dabei plötzlich schemenhaft vor uns steht, ist der dunkle Zwilling des Deutschen Idealismus. Der Selbstbetrug.
Unterteilt sind die Erzählungen in die Kapitel "Wachs" und "Honig", beides hervorgebracht von emsigen Bienen im Durchgang durch den eigenen Leib und doch nicht verwandt: Behausung das eine, Treibstoff das andere. Die Honigkapitel sind von größerer Intimität. Sie handeln von Begegnungen voller Endgültigkeit, von Nähe und Liebe - und ihren giftigen Stacheln: Verrat und Eifersucht -, im Wachs hingegen dominieren die Riten der Praxis. Das "Bienenlicht" der Titelgeschichte ist übrigens nichts Heimeliges, sondern kälteste Technik: Es geht um Minidrohnen, die einen redundant gemachten Personenschützer im Kanzleramt fatal zur Verzweiflung treiben. Gleitend wechseln die Erzählerpositionen, die Blicke von innen und außen. Selbstreflexiv nehmen viele Erzählungen auf das Schreiben Bezug, etwa wenn ein Schriftsteller, der mit einer Komponistenbiographie beauftragt ist, eine Lebenslüge durchschaut, aber nicht korrigiert: "Ich bin bereit, meinen Teil beizutragen."
Da fällt das Herz aus der Brust
Klein war immer begeistert vom Abgründigen in der Gesellschaft. Im "Roman unserer Kindheit" brach mitten in der bundesrepublikanischen Sechzigerjahre-Harmlosigkeit das Unglück auf. In der aktuellen Sammlung hat Klein das alternative Denken aufgespießt. Höchst originell ist eine Homöopathie-Parabel: Es geht um zwei geschäftstüchtige Kleingartenexistenzen, die - ehrlich überzeugt vom eigenen Ethos - Gebäude mittels esoterisch hergestellten Staubstrahls ("Gleiches durch Gleiches zu erlösen") von einem Spuk reinigen, den zahlungskräftige Investoren für ein "Vollnutzungshindernis" halten. Schließlich richtet sich der Geisterglaube gegen die verqueren Ghostbusters selbst. Wer sich mit den Gespenstern des Irrationalen einlässt, erschafft sich Gegner, gegen die er nicht ankommt.
Auch die jüngste Pandemie hat eine Verwandlung durchlaufen, wird zur "Herzsturz"-Plage: Den Menschen fällt wörtlich das Herz aus der Brust. Dauerndes Kauen und Schlucken, so wird erschlossen, biete einen gewissen Schutz: Empirie und Aberglaube gehen ineinander über. Der Erzähler, abermals ein Autor, strandet derweil in seiner Heimatstadt, dort gehalten von der Angst: "Die Welt war mir binnen eines Tages zu weit geworden." Er verkommt zum Vagabunden, hat jedoch die Stadtbibliothek zur Hand, Mausoleum und Tempel zugleich: Arbeit und Struktur, hier und immer wieder Rettung unserer Würde. Zugleich erodieren in diesen Geschichten das Vertrauen und das Vertraute, mutieren Gefühle in ihr Gegenteil. Dass das alles nicht deprimierend wirkt, sondern aufregend und erhebend, liegt zu guten Teilen an der Schönheit und Elaboration der Sprache. Einmal ist vom "Weltabrieb" die Rede. Als Feinstaub sammele er sich auf der mikroskopisch gesehen rauen Oberfläche eines Papiertaschentuchs. Weltabrieb auf Papier, das ist vielleicht die treffendste Charakterisierung des fulminanten Werks des dunklen Romantikers Georg Klein, der heute siebzig Jahre alt wird. OLIVER JUNGEN
Georg Klein: "Im Bienenlicht". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 240 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dunkler Idealismus: Georg Klein ist einer der letzten wahren Erzähler deutscher Zunge. Das beweist sein neuer Erzählband einmal mehr. Heute wird der Schriftsteller siebzig.
Stroh zu Gold, knapper lässt sich die Poetologie Georg Kleins kaum fassen. Das Abgemähte und Ausgedroschene, die luftgetrocknete, erinnerungsgesättigte Restrealität, verwandelt sich in seinen melodischen Sätzen zur begehrten, glänzenden Kostbarkeit. "Gesponnen", das passt auch weit besser zu den Erzählungen dieses Rumpelstilzchens als ein nüchternes "geschrieben". Und weil es nun schon kein Geheimnis mehr ist, lässt der Schriftsteller auf den letzten Seiten seines jüngsten Werks durchblicken, woher seine Inspiration in Wahrheit stammt: Es hat ihm - alles - der Teufel gesagt. Ihm und allen anderen aus dem "Club" der "Kundigen", den, so wird man vielleicht übersetzen dürfen, wahren Schriftstellern. "Selbstverständlich bleiben wir Dilettanten, redliche Stümper, wenn wir an unseresgleichen weiterzugeben versuchen, was er einem unter vier Augen mitgeteilt hat. Aber als Aufbereiter seines Berichts eifern wir ihm ernstlich nach, und dass sich unser Erzählen nach der famosen Vorgabe des Leibhaftigen quasi in zweiter Instanz vollzieht, birgt einen besonderen Kitzel, einen sekundären Reiz, der sich nicht leicht beschreiben lässt."
Das Nichtleichtbeschreibbare ist allerdings die Domäne des wortgewaltigen Georg Klein, seit er im Jahr 1998 mit dem orientalisch versponnenen Roman "Libidissi", einem Juwel kristallklarer Phantastik, imposant die literarische Bühne betreten hat. So bringt er auch den eigenen Stil, den man Post- oder Transrealismus nennen könnte, über den Umweg des Einflüsterers perfekt auf den Begriff: "unheimlich getreu und zugleich lässig frei, mit einer Raffinesse, die nie den festen Grund der Wahrhaftigkeit verlässt".
Das Unheil ist immer und überall
Was für ein armer Teufel ist das aber, der hier auftritt. In "Feuchträumen" emaniert er am liebsten, salbadert auf Toilettensitzen über das Leben der Heimgesuchten, ist stets prekär in einen "grauen Overall" gekleidet und befasst sich gern mit Geld. Im konkreten Fall entwirft er einen Anlageplan für den Erzähler, dessen kümmerliche Kontostände er genau kennt. Ganz von dieser Welt ist dieser Bankberater-Satan ("Hienieden spielt uns die Musik"), kaum mehr als ein entgleister Muskel des Unterbewusstseins. Das Unheil ist immer nah bei Georg Klein, lugt oft bedrohlich aus Nebensätzen hervor, aber wir bringen es selbst hervor. Und weil all das Dämonische in dieser lustvoll im Hienieden wühlenden Prosa nicht dem Jenseits entstammt, stellt auch die Transzendenz ins Licht keinen Ausweg dar. Rätsel dürfen Rätsel bleiben bei Klein: eine gottlose Komödie. Eine Form des Arrangierens aber gibt es: die Arbeit. Und mit geradezu heiligem Ernst wird sie in diesem Band verrichtet.
Die über mehrere Jahre angesammelten, jetzt unter dem Titel "Im Bienenlicht" publizierten Erzählungen befassen sich mit dem Brummen und Summen der Welt so gut wie ausschließlich über die nie ruhenden Tätigkeiten ihrer fleißigen Bewohner. Gleich mehrere Alter Egos des Autors befinden sich darunter; das Cover zeigt denn auch passend fünf Georg-Klein-Drohnen, die an einer Königin zerren. Man muss ein Faible haben für diesen Ton, in dem etwas Altväterliches, Meisterliches mitschwingt: "Klischeehaft ausgekocht wirkende Kerle" gibt es da, einen "Schießprügel", der Tod erscheint als "Hingang". Wenn die Leser angesprochen werden, klingt es so: "Inzwischen kennen Sie mich ein gutes Stück weit. Schließlich habe ich nicht wenig Worte unserer Muttersprache darauf verwendet, Sie mit der porösen Oberfläche meines Wesens und Strebens, meines Tuns und Lassens, meines Denkens und meiner Bedenken bekanntzumachen." Das für erzählerische Betulichkeit zu halten wäre grundfalsch. Es handelt sich um eine nicht mehr geläufige Präzision des Ausdrucks.
Wenn die Verrichtungen der in ihrer Arbeit zu sich selbst findenden Protagonisten, handele es sich um Plakatmaler, Exorzisten, Kläranlagenvertreter oder Pflanzenforscher, mit einer all diesen Berufsständen angemessenen Akribie erfasst und mittels kleiner Verschiebungen elegant ins absurd Hyperreale, Beängstigende übersteigert werden, dann ist das Ausdruck einer erzählerischen Souveränität auf Augenhöhe mit dem Genauigkeitsfanatiker Thomas Mann, die trotzdem ganz gegenwärtig ist und zudem noch dem Romantiker E. T. A. Hoffmann Aufwartung macht. Dass es nämlich dunkle Kräfte gibt, denen die wackeren Figuren ausgeliefert sind, zeigt sich immer wieder, etwa in der in naher Zukunft spielenden Erzählung "Das Kissen", in der ein älterer Herr über seine "Endpflege" durch einen ihm lieb gewordenen, aber auch rigorosen Roboter berichtet. Durch einen Defekt misstrauisch geworden, steigt die Ahnung in ihm auf, der Roboter, selbst nur ein Werkzeug, halte ihn mit Suggestion und Schlafspray in einer Scheinwirklichkeit gefangen. Was dabei plötzlich schemenhaft vor uns steht, ist der dunkle Zwilling des Deutschen Idealismus. Der Selbstbetrug.
Unterteilt sind die Erzählungen in die Kapitel "Wachs" und "Honig", beides hervorgebracht von emsigen Bienen im Durchgang durch den eigenen Leib und doch nicht verwandt: Behausung das eine, Treibstoff das andere. Die Honigkapitel sind von größerer Intimität. Sie handeln von Begegnungen voller Endgültigkeit, von Nähe und Liebe - und ihren giftigen Stacheln: Verrat und Eifersucht -, im Wachs hingegen dominieren die Riten der Praxis. Das "Bienenlicht" der Titelgeschichte ist übrigens nichts Heimeliges, sondern kälteste Technik: Es geht um Minidrohnen, die einen redundant gemachten Personenschützer im Kanzleramt fatal zur Verzweiflung treiben. Gleitend wechseln die Erzählerpositionen, die Blicke von innen und außen. Selbstreflexiv nehmen viele Erzählungen auf das Schreiben Bezug, etwa wenn ein Schriftsteller, der mit einer Komponistenbiographie beauftragt ist, eine Lebenslüge durchschaut, aber nicht korrigiert: "Ich bin bereit, meinen Teil beizutragen."
Da fällt das Herz aus der Brust
Klein war immer begeistert vom Abgründigen in der Gesellschaft. Im "Roman unserer Kindheit" brach mitten in der bundesrepublikanischen Sechzigerjahre-Harmlosigkeit das Unglück auf. In der aktuellen Sammlung hat Klein das alternative Denken aufgespießt. Höchst originell ist eine Homöopathie-Parabel: Es geht um zwei geschäftstüchtige Kleingartenexistenzen, die - ehrlich überzeugt vom eigenen Ethos - Gebäude mittels esoterisch hergestellten Staubstrahls ("Gleiches durch Gleiches zu erlösen") von einem Spuk reinigen, den zahlungskräftige Investoren für ein "Vollnutzungshindernis" halten. Schließlich richtet sich der Geisterglaube gegen die verqueren Ghostbusters selbst. Wer sich mit den Gespenstern des Irrationalen einlässt, erschafft sich Gegner, gegen die er nicht ankommt.
Auch die jüngste Pandemie hat eine Verwandlung durchlaufen, wird zur "Herzsturz"-Plage: Den Menschen fällt wörtlich das Herz aus der Brust. Dauerndes Kauen und Schlucken, so wird erschlossen, biete einen gewissen Schutz: Empirie und Aberglaube gehen ineinander über. Der Erzähler, abermals ein Autor, strandet derweil in seiner Heimatstadt, dort gehalten von der Angst: "Die Welt war mir binnen eines Tages zu weit geworden." Er verkommt zum Vagabunden, hat jedoch die Stadtbibliothek zur Hand, Mausoleum und Tempel zugleich: Arbeit und Struktur, hier und immer wieder Rettung unserer Würde. Zugleich erodieren in diesen Geschichten das Vertrauen und das Vertraute, mutieren Gefühle in ihr Gegenteil. Dass das alles nicht deprimierend wirkt, sondern aufregend und erhebend, liegt zu guten Teilen an der Schönheit und Elaboration der Sprache. Einmal ist vom "Weltabrieb" die Rede. Als Feinstaub sammele er sich auf der mikroskopisch gesehen rauen Oberfläche eines Papiertaschentuchs. Weltabrieb auf Papier, das ist vielleicht die treffendste Charakterisierung des fulminanten Werks des dunklen Romantikers Georg Klein, der heute siebzig Jahre alt wird. OLIVER JUNGEN
Georg Klein: "Im Bienenlicht". Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 240 S., geb., 24,- Euro.
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