«Fatih Akins Filme brennen vor Leidenschaft und pulsieren vor Freiheit, und er projiziert dieselbe schöne Energie, wann immer er über das Kino spricht - über seine eigenen Filme, die von anderen, von überall auf der Welt, aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er ist ein eloquenter Bannerträger der Kunstform, und er liebt sie leidenschaftlich.»
Martin Scorsese
«Im Clinch» präsentiert Fatih Akin in his own words - authentisch, unverstellt, direkt, lebendig. Ein Werkstattbericht des Filmemachers: wie man seine Visionen gegen mancherlei Widerstände durchsetzt, eigensinnige Schauspieler am Set zu Höchstleistungen bringt, sich von der Filmgeschichte etwas abguckt und doch sich selbst treu bleibt.
Zugefallen ist ihm nichts: Der türkische Junge aus Hamburg-Altona, der Bruce Lee bewundert und vom Film träumt, hat sich durchgeboxt, bis er auf dem roten Teppich von Cannes stand. Er hat es geschafft, mit Leidenschaft und Beharrlichkeit, ohne sich zu verbiegen und ohne seine Herkunft zu vergessen. Seine Biographie steht beispiellos für den selbstbewussten und lockeren Umgang mit zwei Kulturen: Culture Crossing zwischen Bosporus und Elbe.
Filmemachen ist ein Kampf wie Boxen - im Zweifelsfall gegen sich selbst. Auch davon handelt «Im Clinch». Fatih Akin trägt sein Herz auf der Zunge, er weiß Geschichten zu erzählen, nicht nur auf der Leinwand.
Martin Scorsese
«Im Clinch» präsentiert Fatih Akin in his own words - authentisch, unverstellt, direkt, lebendig. Ein Werkstattbericht des Filmemachers: wie man seine Visionen gegen mancherlei Widerstände durchsetzt, eigensinnige Schauspieler am Set zu Höchstleistungen bringt, sich von der Filmgeschichte etwas abguckt und doch sich selbst treu bleibt.
Zugefallen ist ihm nichts: Der türkische Junge aus Hamburg-Altona, der Bruce Lee bewundert und vom Film träumt, hat sich durchgeboxt, bis er auf dem roten Teppich von Cannes stand. Er hat es geschafft, mit Leidenschaft und Beharrlichkeit, ohne sich zu verbiegen und ohne seine Herkunft zu vergessen. Seine Biographie steht beispiellos für den selbstbewussten und lockeren Umgang mit zwei Kulturen: Culture Crossing zwischen Bosporus und Elbe.
Filmemachen ist ein Kampf wie Boxen - im Zweifelsfall gegen sich selbst. Auch davon handelt «Im Clinch». Fatih Akin trägt sein Herz auf der Zunge, er weiß Geschichten zu erzählen, nicht nur auf der Leinwand.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2011Das Verrückte
zurechtrücken
Fatih Akins Buch „Im Clinch –
Die Geschichte meiner Filme“
Die Sache mit der Mutter widersetzt sich schon mal gleich zu Beginn sehr angenehm allen gängigen Klischees zu Gastarbeiterfamilien: Hadiye Akin war Lehrerin gewesen in der Türkei, und als sie nach Hamburg zog zu ihrem Mann, lernte sie erst mal ordentlich Deutsch, und wurde dann, sobald es ging, wieder Lehrerin. Das klingt jetzt in der Kurzzusammenfassung natürlich einfacher, als es war. Muss ganz schön schwer gewesen sein, meint ihr Sohn Fatih, dessen Vater sich nach Kräften sträubte und die Schlacht verlor. Ich bin, sagt Hadiye Akin, wie ich bin. Das Buch, in dem das steht, heißt bezeichnenderweise „Im Clinch“, und es ist darin viel zu lesen über die Entstehung der einzelnen Fatih-Akin-Filme, und durch die Fakten schimmert durch, warum Fatih Akin Filmemacher geworden ist – Geschichtenerzähler, genau genommen: Weil es eine schöne Herausforderung ist, Schwerpunkte da zu setzen, wo man sie in der Welt verschoben sieht. Klischees tüchtig gegen den Strich zu bürsten. Das Verrückte zurechtrücken.
Fatih Akin, geboren 1973 in Hamburg als Sohn türkischer Eltern, hat 1998 mit „Kurz und schmerzlos“ über drei Jungs mit diversen Migrationshintergründen seinen ersten Film gemacht, hat für „Gegen die Wand“ 2004 einen Goldenen Bären bei der Berlinale, einen Deutschen Filmpreis und einen Europäischen Filmpreis bekommen und ist mit „Auf der anderen Seite“ 2007 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes gelandet – er gehört zu den wenigen Regisseuren aus Deutschland, deren Renommee sich weit ins Ausland erstreckt. Nun muss man eigentlich davon ausgehen, dass einer, der ein Drehbuch schreiben kann, auch einen Text hinbekommt, Fatih Akin hat aber das tatsächliche Verfassen des Buches dann doch umschifft: „Im Clinch“ ist ein Gesprächsprotokoll, Volker Behrens und Michael Töteberg stellen Fragen und Akin antwortet – manchmal seitenlang, in einer schönen Mischung aus persönlicher Geschichte und Cinephilie. Er engagiert sich, das ist kaum bekannt, in Martin Scorseses World Cinema Foundation, die alte Filme aus aller Welt restauriert und zugänglich macht, und träumt davon, das Leben von Yilmaz Güney zu verfilmen, dem Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor, der seinen berühmtesten Film „Yol – Der Weg“ letztlich nicht selbst inszenieren konnte, weil er im Knast saß. Vielleicht wird das ja der nächste Akin-Film, wenn der, den er gerade in Arbeit hat, fertig ist – eine Dokumentation über ein türkisches Dorf, das sich seit zehn Jahren gegen eine Abfalldeponie zu wehren versucht, „Der Müll im Garten Eden“.
Für seine Memoiren ist er natürlich mit 38 Jahren deutlich zu jung, aber „Im Clinch – Die Geschichte meiner Filme“, das nun im Rowohlt Verlag erscheint, hangelt sich an immerhin acht Akin-Filmen entlang, die alle prägnant waren. Sie handeln natürlich fast immer von den Neudeutschen, den Zugereisten oder ihren Kindern. Akin war in den Neunzigern genau das, worauf das deutsche Kino gewartet hat, eine neue Stimme, die authentisch erzählen konnte von einem Teil der Gegenwart, der bis dahin nur von außen beschrieben wurde. Manches klingt, wenn es Akin so erzählt, trotzdem schier unglaublich: „Gegen die Wand“, inspiriert von der Bitte einer türkischen Freundin, die ihn zum Schein um seine Hand bat, sollte ursprünglich mal eine Komödie werden im Stil von „Manche mögen’s heiß“? Das kann man sich nur schwer vorstellen. Als er Birol Ünel besetzt hatte, sagt Akin, war ihm klar: „So richtig witzig wird das nicht.“
Filmemachen aber ist auch eine Frage der Form, dazu eine schöne Geschichte, wie Akin sich vorbereitet hat auf „Solino“: Er fing erst einmal an mit Italienischlernen, denn er wollte auf Italienisch drehen, und mit Filmegucken, denn es sollte auch das italienische Kino in die Bilder von „Solino“ fließen. Akin entdeckte die Filme von De Sica und Visconti und Rossellini, den italienischen Neorealismus für sich, und fand heraus: „Die Türken haben nicht nur ihr Strafgesetzbuch, sondern auch ihre visuelle Sprache von den Italienern.“ SUSAN VAHABZADEH
FATIH AKIN: Im Clinch – Die Geschichte meiner Filme. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 256 Seiten, 24, 95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
zurechtrücken
Fatih Akins Buch „Im Clinch –
Die Geschichte meiner Filme“
Die Sache mit der Mutter widersetzt sich schon mal gleich zu Beginn sehr angenehm allen gängigen Klischees zu Gastarbeiterfamilien: Hadiye Akin war Lehrerin gewesen in der Türkei, und als sie nach Hamburg zog zu ihrem Mann, lernte sie erst mal ordentlich Deutsch, und wurde dann, sobald es ging, wieder Lehrerin. Das klingt jetzt in der Kurzzusammenfassung natürlich einfacher, als es war. Muss ganz schön schwer gewesen sein, meint ihr Sohn Fatih, dessen Vater sich nach Kräften sträubte und die Schlacht verlor. Ich bin, sagt Hadiye Akin, wie ich bin. Das Buch, in dem das steht, heißt bezeichnenderweise „Im Clinch“, und es ist darin viel zu lesen über die Entstehung der einzelnen Fatih-Akin-Filme, und durch die Fakten schimmert durch, warum Fatih Akin Filmemacher geworden ist – Geschichtenerzähler, genau genommen: Weil es eine schöne Herausforderung ist, Schwerpunkte da zu setzen, wo man sie in der Welt verschoben sieht. Klischees tüchtig gegen den Strich zu bürsten. Das Verrückte zurechtrücken.
Fatih Akin, geboren 1973 in Hamburg als Sohn türkischer Eltern, hat 1998 mit „Kurz und schmerzlos“ über drei Jungs mit diversen Migrationshintergründen seinen ersten Film gemacht, hat für „Gegen die Wand“ 2004 einen Goldenen Bären bei der Berlinale, einen Deutschen Filmpreis und einen Europäischen Filmpreis bekommen und ist mit „Auf der anderen Seite“ 2007 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes gelandet – er gehört zu den wenigen Regisseuren aus Deutschland, deren Renommee sich weit ins Ausland erstreckt. Nun muss man eigentlich davon ausgehen, dass einer, der ein Drehbuch schreiben kann, auch einen Text hinbekommt, Fatih Akin hat aber das tatsächliche Verfassen des Buches dann doch umschifft: „Im Clinch“ ist ein Gesprächsprotokoll, Volker Behrens und Michael Töteberg stellen Fragen und Akin antwortet – manchmal seitenlang, in einer schönen Mischung aus persönlicher Geschichte und Cinephilie. Er engagiert sich, das ist kaum bekannt, in Martin Scorseses World Cinema Foundation, die alte Filme aus aller Welt restauriert und zugänglich macht, und träumt davon, das Leben von Yilmaz Güney zu verfilmen, dem Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor, der seinen berühmtesten Film „Yol – Der Weg“ letztlich nicht selbst inszenieren konnte, weil er im Knast saß. Vielleicht wird das ja der nächste Akin-Film, wenn der, den er gerade in Arbeit hat, fertig ist – eine Dokumentation über ein türkisches Dorf, das sich seit zehn Jahren gegen eine Abfalldeponie zu wehren versucht, „Der Müll im Garten Eden“.
Für seine Memoiren ist er natürlich mit 38 Jahren deutlich zu jung, aber „Im Clinch – Die Geschichte meiner Filme“, das nun im Rowohlt Verlag erscheint, hangelt sich an immerhin acht Akin-Filmen entlang, die alle prägnant waren. Sie handeln natürlich fast immer von den Neudeutschen, den Zugereisten oder ihren Kindern. Akin war in den Neunzigern genau das, worauf das deutsche Kino gewartet hat, eine neue Stimme, die authentisch erzählen konnte von einem Teil der Gegenwart, der bis dahin nur von außen beschrieben wurde. Manches klingt, wenn es Akin so erzählt, trotzdem schier unglaublich: „Gegen die Wand“, inspiriert von der Bitte einer türkischen Freundin, die ihn zum Schein um seine Hand bat, sollte ursprünglich mal eine Komödie werden im Stil von „Manche mögen’s heiß“? Das kann man sich nur schwer vorstellen. Als er Birol Ünel besetzt hatte, sagt Akin, war ihm klar: „So richtig witzig wird das nicht.“
Filmemachen aber ist auch eine Frage der Form, dazu eine schöne Geschichte, wie Akin sich vorbereitet hat auf „Solino“: Er fing erst einmal an mit Italienischlernen, denn er wollte auf Italienisch drehen, und mit Filmegucken, denn es sollte auch das italienische Kino in die Bilder von „Solino“ fließen. Akin entdeckte die Filme von De Sica und Visconti und Rossellini, den italienischen Neorealismus für sich, und fand heraus: „Die Türken haben nicht nur ihr Strafgesetzbuch, sondern auch ihre visuelle Sprache von den Italienern.“ SUSAN VAHABZADEH
FATIH AKIN: Im Clinch – Die Geschichte meiner Filme. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 256 Seiten, 24, 95 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2011Harter Hafenblick
Fatih Akins unsentimental persönliche Filmgeschichte
"Wir kamen um Mitternacht aus dem Kino und haben auf der Straße gesehen, was im Film vorkam. Babystrich, Straßenstrich. Mitten in St. Georg die 42. Straße von New York. Da haben wir uns gesagt: ,Wir können auch hier Filme drehen, das gibt es doch in Hamburg alles.'"
Der Film, der dieses Schlüsselerlebnis auslöste, war Martin Scorseses "Taxi Driver". Und Scorsese, der Italoamerikaner aus der Hafenstadt New York, ist wohl nach wie das größte Vorbild für Fatih Akin, den Deutsch-Türken aus der Hafenstadt Hamburg. Wie Scorsese dreht auch Akin hybride Heimatfilme, die Blut, Schweiß und andere Körperflüssigkeiten nicht scheuen, die im allerbesten Sinn "dreckiger" sind als das oft sauber ausgefegte deutsche Kino.
Ein Scorsese-Zitat steht auch auf dem Buchrücken: Von Leidenschaft ist da die Rede, von Freiheit und Energie, und man muss kein Fan von Fatih Akin sein, um ihm zuzugestehen, dass er das deutsche Kino um genau diese Elemente bereichert hat, und dass man immer den Eindruck hat dass dieser Regisseur den Film, den er gerade macht, auch wirklich machen muss, und zwar genau so, wie er ist. Das ist gar nicht hoch genug zu schätzen und verbindet Akin nur noch mit Oskar Roehler: dem anderen unter den deutschen Gegenwartsregisseuren, bei dem einem manchmal auch der Name Fassbinder in den Sinn kommt.
"Im Clinch" ist das Buch betitelt, in dem der gerade mal 38-jährige Regisseur "die Geschichte meiner Filme" präsentiert. Das ist gewagt, aus vielerlei Gründen. So fragt man sich natürlich, mit wem hier der Autor eigentlich im Clinch zu liegen meint. Die deutsche Filmszene jedenfalls kann kaum gemeint sein, denn sie hat ihn von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen, hat ihm misslungene Filme verziehen - Akin selbst hat an "Im Juli" (200) und "Solino" (2002) eine Menge auszusetzen -, und spätestens seit seinem Goldenen Bären für "Gegen die Wand" 2004 ist er für manche geradezu der Messias, der das deutsche Kino von all seinen Schwächen erlösen wird.
Umso höher ist es Akin anzurechnen, dass er in diesem Buch kaum um den heißen Brei herumredet. Er erzählt von Schwierigkeiten mit Darstellern und Kameramännern, er verhehlt nicht, dass ihm seine ersten Filme die Filmausbildung ersetzt haben : was sich natürlich noch besser sagt, wenn man dann einen Goldenen Bären gewinnt. Überhaupt gibt es angenehme Selbstkritik, und es macht Akin allein schon ungemein sympathisch, dass er nichts von der aalglatten Bescheidwisser-Attitüde hat, mit der so viele Jungfilmer herumlaufen, sobald sie ihren ersten Kurzfilm gedreht haben. Höchstens als Macher gibt er sich, betont stolz: "Mit 12 habe ich Flaschen am Fliessband etikettiert, mit 16 bin ich Gabelstapler gefahren ... die Disziplin und Vertrautheit mit dem Arbeitermilieu ist mir heute am Set sehr hilfreich." Ansonsten aber tendiert Akin eher dazu, die heiße Luft abzulassen, die so oft das Reden über Film dominiert. So erzählt er auch, dass "Gegen die Wand" eigentlich von der Berlinale abgelehnt wurde, obwohl doch das Festival heute diesen Film gern als Beispiel dafür nennt, was man alles für das deutsche Kino unternehme. Erst spät kam eine Einladung ins "Panorama", und erst kurz vor Toreschluss doch noch in den Wettbewerb - nur als Verlegenheitslösung, weil ein anderer deutscher Film abgesprungen war.
Zu den schönsten Passagen des Buchs gehört der Anfang. Da liest man das Exposé, das Akin 1999 zu "Wir haben vergessen, zurückzukehren" schrieb, einer fürs Fernsehen gedrehten Dokumentation. In wenigen Zeilen ist das eine ebenso witzige wie warmherzige Chronik seiner Familie, liebevoll und sehr sprechend, zugleich eine universale, glasklar formulierte Geschichte von "Gastarbeiter"-Schicksalen in Deutschland. Im Kapitel über seine Jugend in Hamburg erzählt Akin von der Krankheit seiner Mutter, den Schlägen seines Vaters, dem Verhältnis zum älteren Bruder, Freunden, ersten Freundinnen und frühen Kinoerlebnissen auf Video: "Ich wollte ,Tim und Struppi' gucken, aber mein Bruder meinte: Nein, wir schauen jetzt ,Zombies im Kaufhaus' oder ,Man-Eater'."
"Im Clinch" ist schön bebildert, mit Film-Stills und einer Menge privater Fotos, die man jedenfalls dann sehr gern sieht, wenn man sich für Akin und seine Filme interessiert. Klare Grenzen hat das Buch andererseits aber auch. Sie liegen zum einen in seiner Sprache: als Interview entstanden und in Interviewform gedruckt, ist dies eben kein von Akin geschriebener Text. Das fällt besonders durch den Vergleich mit einigen hier abgedruckten Texten auf - die sind erkennbar besser. Akins Tendenz zum Sprunghaften macht aus "Im Clinch" eine leichte, aber eben auch etwas oberflächliche Lektüre. Als Nachschlagewerk ist das Buch eher nicht geeignet, dafür findet man doch ein paar Fehler zu viel. Und da die Analyse der Filme, das grundsätzlichere kritische Nachfragen über konkrete Selbstkritik hinaus, Akins Sache so wenig ist wie der Herausgeber, fehlt jede tiefere Reflexion über das Kino, über wichtige Fragen, wie die nach dem Ort dieser Filme in Deutschland, darüber, wie nahe der Regisseur seinen erklärten Vorbildern Scorsese, Güney oder den italienischen Neorealisten tatsächlich kommt, und schließlich, was es mit dem Etikett des "Migrantenkinos" denn wirklich auf sich hat - das Akin ablehnt; aber was heißt das schon?
So bleibt eine unterhaltsame, stellenweise lustige Lektüre, ein Text zwischen Esprit und Dilettantismus - und die Lust, die ähnlich gelagerten Filme Fatih Akins wiederzusehen.
RÜDIGER SUCHSLAND
Fatih Akin: "Im Clinch". Die Geschichte meiner Filme.
Hrsg. v. Volker Behrens u. Michael Töteberg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 256 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fatih Akins unsentimental persönliche Filmgeschichte
"Wir kamen um Mitternacht aus dem Kino und haben auf der Straße gesehen, was im Film vorkam. Babystrich, Straßenstrich. Mitten in St. Georg die 42. Straße von New York. Da haben wir uns gesagt: ,Wir können auch hier Filme drehen, das gibt es doch in Hamburg alles.'"
Der Film, der dieses Schlüsselerlebnis auslöste, war Martin Scorseses "Taxi Driver". Und Scorsese, der Italoamerikaner aus der Hafenstadt New York, ist wohl nach wie das größte Vorbild für Fatih Akin, den Deutsch-Türken aus der Hafenstadt Hamburg. Wie Scorsese dreht auch Akin hybride Heimatfilme, die Blut, Schweiß und andere Körperflüssigkeiten nicht scheuen, die im allerbesten Sinn "dreckiger" sind als das oft sauber ausgefegte deutsche Kino.
Ein Scorsese-Zitat steht auch auf dem Buchrücken: Von Leidenschaft ist da die Rede, von Freiheit und Energie, und man muss kein Fan von Fatih Akin sein, um ihm zuzugestehen, dass er das deutsche Kino um genau diese Elemente bereichert hat, und dass man immer den Eindruck hat dass dieser Regisseur den Film, den er gerade macht, auch wirklich machen muss, und zwar genau so, wie er ist. Das ist gar nicht hoch genug zu schätzen und verbindet Akin nur noch mit Oskar Roehler: dem anderen unter den deutschen Gegenwartsregisseuren, bei dem einem manchmal auch der Name Fassbinder in den Sinn kommt.
"Im Clinch" ist das Buch betitelt, in dem der gerade mal 38-jährige Regisseur "die Geschichte meiner Filme" präsentiert. Das ist gewagt, aus vielerlei Gründen. So fragt man sich natürlich, mit wem hier der Autor eigentlich im Clinch zu liegen meint. Die deutsche Filmszene jedenfalls kann kaum gemeint sein, denn sie hat ihn von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen, hat ihm misslungene Filme verziehen - Akin selbst hat an "Im Juli" (200) und "Solino" (2002) eine Menge auszusetzen -, und spätestens seit seinem Goldenen Bären für "Gegen die Wand" 2004 ist er für manche geradezu der Messias, der das deutsche Kino von all seinen Schwächen erlösen wird.
Umso höher ist es Akin anzurechnen, dass er in diesem Buch kaum um den heißen Brei herumredet. Er erzählt von Schwierigkeiten mit Darstellern und Kameramännern, er verhehlt nicht, dass ihm seine ersten Filme die Filmausbildung ersetzt haben : was sich natürlich noch besser sagt, wenn man dann einen Goldenen Bären gewinnt. Überhaupt gibt es angenehme Selbstkritik, und es macht Akin allein schon ungemein sympathisch, dass er nichts von der aalglatten Bescheidwisser-Attitüde hat, mit der so viele Jungfilmer herumlaufen, sobald sie ihren ersten Kurzfilm gedreht haben. Höchstens als Macher gibt er sich, betont stolz: "Mit 12 habe ich Flaschen am Fliessband etikettiert, mit 16 bin ich Gabelstapler gefahren ... die Disziplin und Vertrautheit mit dem Arbeitermilieu ist mir heute am Set sehr hilfreich." Ansonsten aber tendiert Akin eher dazu, die heiße Luft abzulassen, die so oft das Reden über Film dominiert. So erzählt er auch, dass "Gegen die Wand" eigentlich von der Berlinale abgelehnt wurde, obwohl doch das Festival heute diesen Film gern als Beispiel dafür nennt, was man alles für das deutsche Kino unternehme. Erst spät kam eine Einladung ins "Panorama", und erst kurz vor Toreschluss doch noch in den Wettbewerb - nur als Verlegenheitslösung, weil ein anderer deutscher Film abgesprungen war.
Zu den schönsten Passagen des Buchs gehört der Anfang. Da liest man das Exposé, das Akin 1999 zu "Wir haben vergessen, zurückzukehren" schrieb, einer fürs Fernsehen gedrehten Dokumentation. In wenigen Zeilen ist das eine ebenso witzige wie warmherzige Chronik seiner Familie, liebevoll und sehr sprechend, zugleich eine universale, glasklar formulierte Geschichte von "Gastarbeiter"-Schicksalen in Deutschland. Im Kapitel über seine Jugend in Hamburg erzählt Akin von der Krankheit seiner Mutter, den Schlägen seines Vaters, dem Verhältnis zum älteren Bruder, Freunden, ersten Freundinnen und frühen Kinoerlebnissen auf Video: "Ich wollte ,Tim und Struppi' gucken, aber mein Bruder meinte: Nein, wir schauen jetzt ,Zombies im Kaufhaus' oder ,Man-Eater'."
"Im Clinch" ist schön bebildert, mit Film-Stills und einer Menge privater Fotos, die man jedenfalls dann sehr gern sieht, wenn man sich für Akin und seine Filme interessiert. Klare Grenzen hat das Buch andererseits aber auch. Sie liegen zum einen in seiner Sprache: als Interview entstanden und in Interviewform gedruckt, ist dies eben kein von Akin geschriebener Text. Das fällt besonders durch den Vergleich mit einigen hier abgedruckten Texten auf - die sind erkennbar besser. Akins Tendenz zum Sprunghaften macht aus "Im Clinch" eine leichte, aber eben auch etwas oberflächliche Lektüre. Als Nachschlagewerk ist das Buch eher nicht geeignet, dafür findet man doch ein paar Fehler zu viel. Und da die Analyse der Filme, das grundsätzlichere kritische Nachfragen über konkrete Selbstkritik hinaus, Akins Sache so wenig ist wie der Herausgeber, fehlt jede tiefere Reflexion über das Kino, über wichtige Fragen, wie die nach dem Ort dieser Filme in Deutschland, darüber, wie nahe der Regisseur seinen erklärten Vorbildern Scorsese, Güney oder den italienischen Neorealisten tatsächlich kommt, und schließlich, was es mit dem Etikett des "Migrantenkinos" denn wirklich auf sich hat - das Akin ablehnt; aber was heißt das schon?
So bleibt eine unterhaltsame, stellenweise lustige Lektüre, ein Text zwischen Esprit und Dilettantismus - und die Lust, die ähnlich gelagerten Filme Fatih Akins wiederzusehen.
RÜDIGER SUCHSLAND
Fatih Akin: "Im Clinch". Die Geschichte meiner Filme.
Hrsg. v. Volker Behrens u. Michael Töteberg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 256 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main