Erst gegen Ende seines Lebens wurde der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila durch sein brillantes Aphorismenwerk international bekannt. Seit dieses Werk aber in nahezu alle wichtigen Sprachen übersetzt wurde, fasziniert es weltweit Leserinnen und Leser jeder politischen Couleur.Vittorio Hösle hat sich über viele Jahre mit Gómez Dávilas Denken auseinandergesetzt. Im Zuge seiner intensiven Beschäftigung mit dem provokant anachronistischen Autor Gómez Dávila entstanden die Gegenaphorismen, Variationen, Annotationen, die in diesem Band versammelt sind. Sie begründen zugleich ein neues literarisches Genre. Die Einführung in Rezeption, Leben und Denken Gómez Dávilas, die zumal dessen systematischstes Werk, die »Textos«, philosophie- und ideengeschichtlich einordnet, liefert einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis des »katholischen Reaktionärs aus den Anden«.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2022Kreis gegen Gerade
Vittorio Hösle repliziert auf Nicolás Gómez Dávila
"Es gehört sich nicht, zum Maschinengewehr zu greifen, wenn man mit dem Florett angegriffen wird." Mit diesem Satz leitet Vittorio Hösle seine Antworten auf das Werk Nicolás Gómez Dávilas ein. Hösle scheint mit dem 1994 verstorbenen kolumbianischen Gelehrten wenig gemeinsam zu haben. Für ihn ist Philosophie Gegenstand öffentlichen Streits und Medium politischen Eingriffs, Dávila hat die Öffentlichkeit verachtet und nur Bruchteile seines Werks selbst publiziert.
Gerade dank dieser Differenz verhält sich Hösle zu Dávilas Aphorismen weder anhimmelnd noch verächtlich, sondern distanziert fasziniert. Seine Dávila-Studie gliedert sich in zwei Teile, einen diskursiven und einen aphoristischen. Der diskursive enthält neben einer biographischen Skizze eine geistige Physiognomik, in der Hösle Dávilas Katholizismus gegenüber anderen Denkern der katholischen Reaktion wie Joseph de Maistre profiliert und Dávilas Bekenntnis zum reaktionären Denken vor dem Hintergrund des bürgerkriegsgeplagten Kolumbien deutet. Jedem von Dávilas Aphorismen-Bänden widmet Hösle ein Kapitel, in dem er auf Dávila polemisch repliziert.
Dávilas Satz "Der Mensch ist ein Tier, das sich einbildet, Mensch zu sein" hält Hösle entgegen: "Und es ist gerade diese Einbildung, die ihn zu einem wirklichen Menschen macht." Der Aphorismus "Jede Gerade führt direkt in die Hölle" wird durch "Jeder Kreis führt zum Ausgangspunkt zurück" ergänzt. Auf die Zeile "Die Menschheit fiel in die moderne Geschichte wie ein Tier in eine Falle" antwortet Hösle: "Der Vergleich hinkt deswegen, weil sich das menschliche Tier seine Falle selbst gebaut hat."
Die von Hösle gewählte Form von Aphorismus und Gegenaphorismus wird Dávilas Denkweise noch im Widerspruch gerecht. Wie Dávila seine Scholien als Randbemerkungen zu Geschriebenem begriff, so formuliert Hösle seine Kritik als Glossen, die sich bei aller Bosheit nie über das stellen, was sie glossieren. MAGNUS KLAUE
Vittorio Hösle: "Im Dialog mit Gómez Dávila". Gegenaphorismen, Variationen, Korollarien.
Zu Klampen Verlag, Springe 2022.
196 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vittorio Hösle repliziert auf Nicolás Gómez Dávila
"Es gehört sich nicht, zum Maschinengewehr zu greifen, wenn man mit dem Florett angegriffen wird." Mit diesem Satz leitet Vittorio Hösle seine Antworten auf das Werk Nicolás Gómez Dávilas ein. Hösle scheint mit dem 1994 verstorbenen kolumbianischen Gelehrten wenig gemeinsam zu haben. Für ihn ist Philosophie Gegenstand öffentlichen Streits und Medium politischen Eingriffs, Dávila hat die Öffentlichkeit verachtet und nur Bruchteile seines Werks selbst publiziert.
Gerade dank dieser Differenz verhält sich Hösle zu Dávilas Aphorismen weder anhimmelnd noch verächtlich, sondern distanziert fasziniert. Seine Dávila-Studie gliedert sich in zwei Teile, einen diskursiven und einen aphoristischen. Der diskursive enthält neben einer biographischen Skizze eine geistige Physiognomik, in der Hösle Dávilas Katholizismus gegenüber anderen Denkern der katholischen Reaktion wie Joseph de Maistre profiliert und Dávilas Bekenntnis zum reaktionären Denken vor dem Hintergrund des bürgerkriegsgeplagten Kolumbien deutet. Jedem von Dávilas Aphorismen-Bänden widmet Hösle ein Kapitel, in dem er auf Dávila polemisch repliziert.
Dávilas Satz "Der Mensch ist ein Tier, das sich einbildet, Mensch zu sein" hält Hösle entgegen: "Und es ist gerade diese Einbildung, die ihn zu einem wirklichen Menschen macht." Der Aphorismus "Jede Gerade führt direkt in die Hölle" wird durch "Jeder Kreis führt zum Ausgangspunkt zurück" ergänzt. Auf die Zeile "Die Menschheit fiel in die moderne Geschichte wie ein Tier in eine Falle" antwortet Hösle: "Der Vergleich hinkt deswegen, weil sich das menschliche Tier seine Falle selbst gebaut hat."
Die von Hösle gewählte Form von Aphorismus und Gegenaphorismus wird Dávilas Denkweise noch im Widerspruch gerecht. Wie Dávila seine Scholien als Randbemerkungen zu Geschriebenem begriff, so formuliert Hösle seine Kritik als Glossen, die sich bei aller Bosheit nie über das stellen, was sie glossieren. MAGNUS KLAUE
Vittorio Hösle: "Im Dialog mit Gómez Dávila". Gegenaphorismen, Variationen, Korollarien.
Zu Klampen Verlag, Springe 2022.
196 S., geb., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Das ist ja spannend, findet Rezensent Alexander Kissler: Der deutsche Philosoph Vittorio Hösle lässt sich auf ein Gespräch mit einem Toten ein - und das auch noch in Aphorismen. Hösle, Jahrgang 1960 und in den USA lehrend, nimmt sich "Im Dialog mit Gómez Dávila" den 1994 gestorbenen kolumbianischen Philosophen vor, der sich selbst als katholischen Reaktionär beschrieb. Obwohl Kissler Hösles Versuch der Ehrenrettung von Vernunft, Fortschritt und Gerechtigkeit erhellend findet, warnt der Rezensent vor: Wer den Untertitel "Gegenaphorismen, Variationen, Korollarien" nachschlagen müsse, zähle wohl "nicht zum Kernpublikum des Büchleins."
© Perlentaucher Medien GmbH
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