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Schilderungen aus erster Hand geben sehr spezielle Einblicke in die deutsche Rechtsgeschichte. Im Juni 1993, vor zwanzig Jahren, wurden in einem Verfahren der erste Richter und die erste Staatsanwältin aus der DDR wegen Rechtsbeugung verurteilt, zu diesem Verfahren wurde Günther Sarge als Zeuge vernommen. Von den etwa 85.000 Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger betrafen etwa 50.000 angebliches Justizunrecht. Juristen bildeten somit die größte Berufsgruppe, gegen die nach der Vereinigung vorgegangen wurde. Am Ende wurden rund 150 von ihnen verurteilt. In seiner Autobiografie berichtet Sarge…mehr

Produktbeschreibung
Schilderungen aus erster Hand geben sehr spezielle Einblicke in die deutsche Rechtsgeschichte.
Im Juni 1993, vor zwanzig Jahren, wurden in einem Verfahren der erste Richter und die erste Staatsanwältin aus der DDR wegen Rechtsbeugung verurteilt, zu diesem Verfahren wurde Günther Sarge als Zeuge vernommen. Von den etwa 85.000 Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger betrafen etwa 50.000 angebliches Justizunrecht. Juristen bildeten somit die größte Berufsgruppe, gegen die nach der Vereinigung vorgegangen wurde. Am Ende wurden rund 150 von ihnen verurteilt. In seiner Autobiografie berichtet Sarge als einst höchster Militärrichter und schließlich Präsident des Obersten Gerichts über seinen Lebensweg, insbesondere aber über seine Erfahrungen mit der westdeutschen Justiz.
Autorenporträt
Günther Sarge, Jahrgang 1930, geboren und aufgewachsen bei Königsberg in Ostpreußen. Nach dem Krieg Landarbeiter, 1949 Eintritt in die Volkspolizei, später NVA, letzter Dienstgrad Generalmajor. Studium an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft 1954 bis 1958 und Promotion zum Dr. jur. 1961. Tätig als Militärjurist, 1977 ausgeschieden als Generalmajor aus der NVA, seit 1978 1. Vizepräsident und von 1986 bis 1990 Präsident des Obersten Gerichts der DDR. Von 1985 bis 1990 auch Präsident der Juristenvereinigung der DDR. Sarge ist verheiratet und lebt in Kagel bei Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2013

Was bei Honecker Recht war . . .
Der Militärjurist Günther Sarge als höchster DDR-Richter: Agitation und Apologetik

Ein ehemaliger Nomenklaturkader erinnert sich - Richter "im Dienste des Rechts" unter dem Unrechtsregime der SED? Günther Sarge, nach einer langjährigen Polizei-, Militär- und Justizkarriere zuletzt Präsident des obersten DDR-Gerichts, will nach diesem Paradoxon gelebt und gewirkt haben. Schon der Titel seiner Memoiren sucht das zu suggerieren. Wie glaubwürdig kann das sein? Seine Erinnerungen leitet der Autor ein mit Darlegungen zu Justiz und Kriminalität in der DDR, die er als "Rechtsstaat" begreift, "natürlich sozialistischer Prägung". Danach gliedert er das Buch in sieben chronologisch angelegte Abschnitte, in denen er Autobiographie und erlebte Zeitgeschichte aus der Sicht eines verbitterten DDR-Nostalgikers zu einer politisch-juristischen Melange verarbeitet. Der Schluss gipfelt in dem Vorwurf an die Politik im geeinten Deutschland, "ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Grenzen die DDR mit dem Mittel der Justiz zu ,delegitimieren'".

Gewiss kann der Autor auf einen Lebensweg zurückschauen, der Memoiren nahelegt. 1979 hat er übrigens unter dem Titel "Holzpantinen und Arabesken" schon mal eine vorläufige Lebensschilderung zu Papier gebracht, allerdings verfremdet, indem er die eigene Vita dem fiktiven Volkspolizisten Gerd Brieseleit zuschreibt. Jahrgang 1930, aus einer ostpreußischen Arbeiterfamilie stammend, bis 1945 in Königsberg zur Schule gegangen, arbeitete Sarge nach der Flucht in den ersten Nachkriegsjahren auf einem Bauernhof in der Mark Brandenburg. Seine politische Sozialisation setzt früh ein. 1946 Eintritt in die FDJ, 1950 Eintritt in die SED. "In jungen Jahren verehrte ich Stalin und seine Führungsstärke", bekennt er. Nach Chruschtschows Geheimrede 1956 zu den Untaten Stalins ist der Memoirenschreiber "erschüttert" und kommt - je mehr er "über diese Verbrechen nachgedacht" hat - zu der Erkenntnis, "dass Stalin und seine Gefolgsleute alles andere waren, nur keine Kommunisten".

1949 geht Sarge zur Bereitschaftspolizei - "Militär in Polizeiuniformen". Es ist der Beginn einer steilen Karriere. 1952 Politoffizier der Kasernierten Volkspolizei, 1953 Absolvent eines Sechs-Monats-Kurses zur Ausbildung als Militärstaatsanwalt in Dresden, 1956 Wechsel zur Nationalen Volksarmee. Er avanciert zum Untersuchungsführer und Staatsanwalt in der Militärjustiz. So erklimmt er Sprosse auf Sprosse auf der militärischen Karriereleiter bis zum Generalmajor. Seine Frau, die er 1952 ehelicht, wird Offizier der Staatssicherheit. Im Fernstudium qualifiziert sich Sarge an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam und danach an der Parteihochschule der SED als Diplom-Jurist und als Gesellschaftswissenschaftler. 1961 schließt sich die Promotion zum Dr. jur. an der Humboldt-Universität mit einer Dissertation über Kriminalität in der NVA an. Ein Nomenklaturkader der Neuen Klasse. Folgerichtig wird er 1963 Vorsitzender des Militärkollegiums beim Obersten Gericht (OG). Als 1977 der Vizepräsident des OG Walter Ziegler mit 65 Jahren einem Herzinfarkt erliegt, wird er dessen Nachfolger. Neun Jahre später ist er Präsident des OG. Seinem umstrittenen Vorgänger attestiert er postum "Rechtsverletzungen". Immerhin. "Nachdem ich 1986 Präsident geworden war, studierte ich Zieglers Urteile im Original, etwa jene gegen Fritz Sperling, Max Fechner, Paul Merker, Wolfgang Harich, Walter Janka und andere Kommunisten. Die Art und Weise dieser Prozesse, die Überdehnung des Rechts, die Negierung entlastender Beweise und anderes bestürzten mich." Die Systembedingtheit des Justizunrechts kam ihm nicht in den Sinn. Sonst kein Wort zu dem eklatanten Justizunrecht der Ulbricht-Ära.

Sarges Karriere endet 1990, als ihm in der frei gewählten Volkskammer Inkompetenz und Verschleppungstaktik bei der Rehabilitierung von zu Unrecht Verurteilten aus den 50er und 60erJahren vorgehalten werden. Der Einleitung eines Disziplinarverfahrens kommt der oberste Richter durch Rücktritt zuvor. Eine Zeitlang ist er noch als Anwalt tätig. Sarge hat der Versuchung zu penetranter Parteilichkeit im Stil der SED nicht widerstehen können. Nach der Lektüre des Buches fragt man sich, wie es in der DDR 1989 zum Zusammenbruch des Regimes kommen konnte. Der Autor erklärt ihn aus dem Zusammenspiel von "verräterischen sowjetischen Führern" mit dem amerikanischen Präsidenten und der Kohl-Regierung - "jeweils flankiert von ihren Geheimdiensten". Da gerät die Wiederherstellung der deutschen Einheit zur "klassischen feindlichen Übernahme des Staates DDR durch die Bundesrepublik". Man liest es kopfschüttelnd.

Für die Rechtstatsachenforschung sind Sarges Memoiren wenig ergiebig. Er erwähnt ein paar Strafprozesse, skizziert strukturelle und personelle Details aus der DDR-Justizgeschichte. Das ist alles. Seine Erinnerungen entwertet er selbst durch Agitation und Apologetik.

KARL WILHELM FRICKE

Günther Sarge: Im Dienste des Rechts. Der oberste Richter der DDR erinnert sich. Edition Ost, Berlin 2013. 256 S., 17,99 [Euro].

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