Ermittlungen auf eigene Gefahr
Im Mai 1923 wird im Berliner Tiergarten die Leiche einer jungen Prostituierten gefunden. Für ihren Tod interessiert sich nicht nur die Kriminalpolizei, sondern auch der britische Geheimdienst, denn kurz vor ihrem Tod wollte sie an die Allierte Militärkontrollkommission brisante Informationen verkaufen. Henny, die Freundin der Toten, wird als ein erster Ansatzpunkt der Ermittlungen betrachtet. Ihr gelingt es zwar, die Kriminalpolizei abschütteln, nicht jedoch den Secret-Service-Mann Arthur Rowland, ein alter Bekannter von ihr. Gemeinsam verfolgen sie die Spur der Ermordeten, ohne zu ahnen, dass jeder ihrer Schritte aufmerksam beobachtet wird.
Im Mai 1923 wird im Berliner Tiergarten die Leiche einer jungen Prostituierten gefunden. Für ihren Tod interessiert sich nicht nur die Kriminalpolizei, sondern auch der britische Geheimdienst, denn kurz vor ihrem Tod wollte sie an die Allierte Militärkontrollkommission brisante Informationen verkaufen. Henny, die Freundin der Toten, wird als ein erster Ansatzpunkt der Ermittlungen betrachtet. Ihr gelingt es zwar, die Kriminalpolizei abschütteln, nicht jedoch den Secret-Service-Mann Arthur Rowland, ein alter Bekannter von ihr. Gemeinsam verfolgen sie die Spur der Ermordeten, ohne zu ahnen, dass jeder ihrer Schritte aufmerksam beobachtet wird.
Möchten Sie mal einen richtigen, saftigen Schmöker konsumieren? So einen, der sich zur gepflegten Literatur verhält wie ein soßengewürzter, zwiebelbelegter Hamburger zum erlesenen Feinschmecker-Diner? Dann sei Manfred Lührs Politkrimi aus der Reichshauptstadt der zwanziger Jahre empfohlen, den jeder, auch der historisch nicht Vorgebildete, verstehen kann. Und er lässt in keiner Zeile Langeweile aufkommen. Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2000Wo alle Betthasen grau sind
Manfred Lührs macht die Weimarer Republik zum Tatort
Möchten Sie mal einen richtigen, saftigen Schmöker konsumieren? So einen, der sich zur gepflegten Literatur verhält wie ein soßengewürzter, zwiebelbelegter Hamburger zum erlesenen Feinschmecker-Diner? Dann sei Manfred Lührs' Politkrimi aus der Reichshauptstadt der zwanziger Jahre empfohlen, den jeder, auch der historisch nicht Vorgebildete, verstehen kann. Und er läßt in keiner Zeile Langeweile aufkommen.
Erstaunlich, wie gut Manfred Lührs sich auf dem Stadtplan Berlins auskennt. Dabei ist er gar kein Berliner, sondern ein Hamburger, der in irgendeinem Nest bei Schleswig wohnt. Ebenso souverän hantiert er mit Ereignissen, über die schon mehr als dreieinhalb Jahrzehnte hinweggegangen waren, als er 1959 geboren wurde. Des Rätsels Lösung ist wohl, daß es vorzügliche Stadtkarten und auskunftsfreudige Nachschlagewerke gibt. Seine Berliner Szene wirkt nur dort ein bißchen schwach, wo ein Lexikon nicht weiterhelfen kann, in der spezifischen Stadtatmosphäre. Der Norddeutsche Lührs ist nicht intim mit den Berliner Menschentypen und seine Nase nicht mit dem Odeur Berlins. Klugerweise hat er sich mit dergleichen auch gar nicht weiter eingelassen, sondern die politkriminellen Elemente seiner historischen Inszenierung in die erste Reihe gestellt.
Die Geschichte spielt im Jahre 1923. Die Deutschen leiden unter der Reparationslast, die der Versailler Vertrag ihnen aufbürdet, und unter der Demütigung, die mit der Kriegsniederlage 1918 über sie hereingebrochen ist. Im französisch besetzten Westen tobt der Ruhrkampf. Berlin laboriert noch an den Wunden aus dem Spartakusaufstand 1919 und dem Kapp-Putsch 1920. Zahllose Parteien zerreißen das Volk, von rechts und von links. Vor den Stadttoren, im Dunkel der Wälder, schulen sich militärische Kader für ihren Wiederaufstieg zur Macht.
Das alles zeigt der Roman aber nicht, er läßt nur davon reden. Denn nicht als Handlungselemente braucht er diese historischen Fakten, sondern als Bauteile der eigentlichen Dramenbühne. Auf dieser Bühne agiert eine dreiteilige Personage: erstens die Repräsentanten der siegreichen Entente, zusammengefaßt in einer Kontrollkommission, die jede Spur neuer deutscher Kriegslüsternheit bekämpfen soll. Aber anders als nach dem Zweiten Weltkrieg stehen den alliierten Kontrolleuren keine eigenen Eingreiftruppen zur Verfügung. Deshalb müssen, zweitens, deutsche Helfer an die Heimatfront. Sie demonstrieren den moralischen Niedergang der Besiegten, mühsam kaschiert vom Glitzerglanz der fiebrigen Zwanziger. Und drittens gibt es den deutschen Feind der Alliierten wie der Kollaborateure, den in der Theorie patriotischen, in der Praxis kriminellen Widerstand gegen die Versailler Verträge.
Rechnet man diese Ingredienzen zusammen, so ergibt sich ein Cocktail aus Kriminaldrama und 007-Legende. Genau das ist der Roman, und in ihm agiert auch eine Art James Bond der roaring twenties, nämlich Arthur Rowland vom Secret Service, aus London nach Berlin entsandt, um zugunsten des britischen Empires zu operieren. Allerdings verfügt Rowland nicht über Bonds zielbewußte Aufrichtigkeit. Er läßt seine Operation eher schleifen und verwendet Zeit wie Kraft lieber für illegale Inflationsgeschäfte. Und für allerlei Bettgeschichten, zum Beispiel mit Lina, die ein geborenes Fräulein von Beelitz ist und sich dem Kommunismus verschrieben hat. Vor allem aber schäkert Rowland mit Henny, die - beziehungsweise der - eigentlich Henrik heißt und als aufregender androgyner Betthase gilt.
Alles ist vorhanden, was ein Thriller braucht: die unbarmherzige Mordbereitschaft der Politstrolche samt entsprechenden Taten; die Unbeirrbarkeit eines wackeren Berliner Kriminalkommissars, dessen Ermittlungsergebnisse von rechtslastigen Chefs unter den Teppich gekehrt werden, die Unzulänglichkeiten der alliierten Kontrolleure; die zwielichtige Berliner Vergnügungsszene, in der Begierden à la Marquis de Sade provoziert und bedient werden. Vor allem das letztgenannte Detail prägt den Roman. Was da in Grunewaldvillen und Hinterhofkabuffs geschieht, würde der lesende Normalbürger für unmöglich halten, hätte ihn nicht sein Fernseher eines Besseren belehrt. Die De-Sade-Jünger sind weitgehend identisch mit den militaristischen Ultrarechten. Das mutet sonderbar an, wenn man an die schrille Kleinbürgermoral der später siegreichen Hakenkreuzfraktion denkt. Allerdings zeichnete ein Hans Fallada, Zeitgenosse und Porträtist der Zwanziger, in seinem Roman "Wolf unter Wölfen" einen Leutnant der Schwarzen Reichswehr, bei dem Mädchenschändung und Mord auch nicht weit auseinanderliegen.
Ansonsten geht im Buch alles wie das Hornberger Schießen aus. Eine Enttäuschung für den gutmeinenden Leser? Zu derlei Regungen kommt er gar nicht. Bis zur letzten Seite muß er um allzu viele Figuren zittern, die den rechten Verschwörern in politischem oder erotischem Zusammenhang gefährlich geworden sind. Am Ende zittert er um die Kommunistin Lina, deren Seele an der Enthüllung krankt, daß der große Lenin die illegale Aufrüstung der Reichswehr unterstützt. Aber nicht aus diesem Kummer wächst das Menetekel, sondern daraus, daß Lina ein Mordgeheimnis der Rechtsradikalen aufgedeckt und sich damit die Feme auf den Leib gehetzt hat. Zurückverwandelt in das Fräulein von Beelitz, flüchtet sie in einem Auto, das von einem zwielichtigen Leutnant gesteuert wird. Wo rollt es hin? Zurück in die nationale Vaterwelt? Oder vorwärts zur nationalistischen Richtstätte? Der Romanautor ist unbarmherzig, er versagt uns die Antwort.
SABINE BRANDT
Manfred Lührs: "Im Dunkel Berlins". Roman. Reclam Verlag, Leipzig 2000. 318 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manfred Lührs macht die Weimarer Republik zum Tatort
Möchten Sie mal einen richtigen, saftigen Schmöker konsumieren? So einen, der sich zur gepflegten Literatur verhält wie ein soßengewürzter, zwiebelbelegter Hamburger zum erlesenen Feinschmecker-Diner? Dann sei Manfred Lührs' Politkrimi aus der Reichshauptstadt der zwanziger Jahre empfohlen, den jeder, auch der historisch nicht Vorgebildete, verstehen kann. Und er läßt in keiner Zeile Langeweile aufkommen.
Erstaunlich, wie gut Manfred Lührs sich auf dem Stadtplan Berlins auskennt. Dabei ist er gar kein Berliner, sondern ein Hamburger, der in irgendeinem Nest bei Schleswig wohnt. Ebenso souverän hantiert er mit Ereignissen, über die schon mehr als dreieinhalb Jahrzehnte hinweggegangen waren, als er 1959 geboren wurde. Des Rätsels Lösung ist wohl, daß es vorzügliche Stadtkarten und auskunftsfreudige Nachschlagewerke gibt. Seine Berliner Szene wirkt nur dort ein bißchen schwach, wo ein Lexikon nicht weiterhelfen kann, in der spezifischen Stadtatmosphäre. Der Norddeutsche Lührs ist nicht intim mit den Berliner Menschentypen und seine Nase nicht mit dem Odeur Berlins. Klugerweise hat er sich mit dergleichen auch gar nicht weiter eingelassen, sondern die politkriminellen Elemente seiner historischen Inszenierung in die erste Reihe gestellt.
Die Geschichte spielt im Jahre 1923. Die Deutschen leiden unter der Reparationslast, die der Versailler Vertrag ihnen aufbürdet, und unter der Demütigung, die mit der Kriegsniederlage 1918 über sie hereingebrochen ist. Im französisch besetzten Westen tobt der Ruhrkampf. Berlin laboriert noch an den Wunden aus dem Spartakusaufstand 1919 und dem Kapp-Putsch 1920. Zahllose Parteien zerreißen das Volk, von rechts und von links. Vor den Stadttoren, im Dunkel der Wälder, schulen sich militärische Kader für ihren Wiederaufstieg zur Macht.
Das alles zeigt der Roman aber nicht, er läßt nur davon reden. Denn nicht als Handlungselemente braucht er diese historischen Fakten, sondern als Bauteile der eigentlichen Dramenbühne. Auf dieser Bühne agiert eine dreiteilige Personage: erstens die Repräsentanten der siegreichen Entente, zusammengefaßt in einer Kontrollkommission, die jede Spur neuer deutscher Kriegslüsternheit bekämpfen soll. Aber anders als nach dem Zweiten Weltkrieg stehen den alliierten Kontrolleuren keine eigenen Eingreiftruppen zur Verfügung. Deshalb müssen, zweitens, deutsche Helfer an die Heimatfront. Sie demonstrieren den moralischen Niedergang der Besiegten, mühsam kaschiert vom Glitzerglanz der fiebrigen Zwanziger. Und drittens gibt es den deutschen Feind der Alliierten wie der Kollaborateure, den in der Theorie patriotischen, in der Praxis kriminellen Widerstand gegen die Versailler Verträge.
Rechnet man diese Ingredienzen zusammen, so ergibt sich ein Cocktail aus Kriminaldrama und 007-Legende. Genau das ist der Roman, und in ihm agiert auch eine Art James Bond der roaring twenties, nämlich Arthur Rowland vom Secret Service, aus London nach Berlin entsandt, um zugunsten des britischen Empires zu operieren. Allerdings verfügt Rowland nicht über Bonds zielbewußte Aufrichtigkeit. Er läßt seine Operation eher schleifen und verwendet Zeit wie Kraft lieber für illegale Inflationsgeschäfte. Und für allerlei Bettgeschichten, zum Beispiel mit Lina, die ein geborenes Fräulein von Beelitz ist und sich dem Kommunismus verschrieben hat. Vor allem aber schäkert Rowland mit Henny, die - beziehungsweise der - eigentlich Henrik heißt und als aufregender androgyner Betthase gilt.
Alles ist vorhanden, was ein Thriller braucht: die unbarmherzige Mordbereitschaft der Politstrolche samt entsprechenden Taten; die Unbeirrbarkeit eines wackeren Berliner Kriminalkommissars, dessen Ermittlungsergebnisse von rechtslastigen Chefs unter den Teppich gekehrt werden, die Unzulänglichkeiten der alliierten Kontrolleure; die zwielichtige Berliner Vergnügungsszene, in der Begierden à la Marquis de Sade provoziert und bedient werden. Vor allem das letztgenannte Detail prägt den Roman. Was da in Grunewaldvillen und Hinterhofkabuffs geschieht, würde der lesende Normalbürger für unmöglich halten, hätte ihn nicht sein Fernseher eines Besseren belehrt. Die De-Sade-Jünger sind weitgehend identisch mit den militaristischen Ultrarechten. Das mutet sonderbar an, wenn man an die schrille Kleinbürgermoral der später siegreichen Hakenkreuzfraktion denkt. Allerdings zeichnete ein Hans Fallada, Zeitgenosse und Porträtist der Zwanziger, in seinem Roman "Wolf unter Wölfen" einen Leutnant der Schwarzen Reichswehr, bei dem Mädchenschändung und Mord auch nicht weit auseinanderliegen.
Ansonsten geht im Buch alles wie das Hornberger Schießen aus. Eine Enttäuschung für den gutmeinenden Leser? Zu derlei Regungen kommt er gar nicht. Bis zur letzten Seite muß er um allzu viele Figuren zittern, die den rechten Verschwörern in politischem oder erotischem Zusammenhang gefährlich geworden sind. Am Ende zittert er um die Kommunistin Lina, deren Seele an der Enthüllung krankt, daß der große Lenin die illegale Aufrüstung der Reichswehr unterstützt. Aber nicht aus diesem Kummer wächst das Menetekel, sondern daraus, daß Lina ein Mordgeheimnis der Rechtsradikalen aufgedeckt und sich damit die Feme auf den Leib gehetzt hat. Zurückverwandelt in das Fräulein von Beelitz, flüchtet sie in einem Auto, das von einem zwielichtigen Leutnant gesteuert wird. Wo rollt es hin? Zurück in die nationale Vaterwelt? Oder vorwärts zur nationalistischen Richtstätte? Der Romanautor ist unbarmherzig, er versagt uns die Antwort.
SABINE BRANDT
Manfred Lührs: "Im Dunkel Berlins". Roman. Reclam Verlag, Leipzig 2000. 318 S., geb., 39,80 DM.
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