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Die Geschichte einer Familie im Nordirland der 40er und 50er Jahre. Realität und Legende, politisches Geschehen und persönliches Leid sind darin eng miteinander verknüpft. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines aufgeweckten Halbwüchsigen, der ein dunkles Familiengeheimnis zu ergründen versucht. Ein Geheimnis, das seine Mutter zeitweilig fast in den Wahnsinn treibt. Und je näher er der Lösung kommt, um so klarer wird ihm, daß er alles für sich behalten muss, wenn er die Familie nicht ins Unglück stürzen will.

Produktbeschreibung
Die Geschichte einer Familie im Nordirland der 40er und 50er Jahre. Realität und Legende, politisches Geschehen und persönliches Leid sind darin eng miteinander verknüpft. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines aufgeweckten Halbwüchsigen, der ein dunkles Familiengeheimnis zu ergründen versucht. Ein Geheimnis, das seine Mutter zeitweilig fast in den Wahnsinn treibt. Und je näher er der Lösung kommt, um so klarer wird ihm, daß er alles für sich behalten muss, wenn er die Familie nicht ins Unglück stürzen will.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.1997

Rattenjagd und Kinderspiele
Seamus Deanes irisches Mosaik Von Egon Schwarz

Zuerst Frank McCourts "Die Asche meiner Mutter" und jetzt Seamus Deanes "Im Dunkeln lesen": Irland ist nicht das einzige, was diese Zwillingsbücher gemeinsam haben. Da ist das Autobiographische, der Ich-Erzähler, die naive, oft unverfrorene Perspektive des Kindes und Heranwachsenden, die katholische Kultur, das Unterschichtmilieu, der koloniale beziehungsweise postkoloniale Hintergrund, dieselbe historische Epoche um den Zweiten Weltkrieg herum, der aus der Distanz sich nährende Humor, der das Elend nicht so sehr als Leid, sondern eher als Absurdität begreift.

Aber es gibt auch Unterschiede. McCourt legt den Nachdruck auf die ökonomische Misere, in der die Familie dahinsiecht, doch dahinter steht das glückliche Ende. Seine Sprache ist virtuos, die Nachahmung einer Vielfalt von irischen und anderen Stimmen wirkt verblüffend und erheiternd. Seamus Deanes Buch ist politischer und hat mehr Dynamik. Sein Lebenslauf, in zahlreichen kleinen Abschnitten berichtet, ist ein Mosaik, das in stetigem Aufbau die Steinchen der Erfahrung zusammenfügt, um ein in Form und Farbe stimmiges Ganzes zu erzeugen. Die Spannung rührt daher, daß ein düsteres Geheimnis über der Familie liegt, sie zermürbt und schließlich ruiniert. Stück für Stück zerrt der jugendliche Erzähler, halb unfreiwillig, die Tatsachen eines Verbrechens aus dem verschleiernden Bereich der Mythen ans Tageslicht, wo sie, entgegen den Lehren der Psychoanalyse, erst recht ihr zerstörerisches Werk vollbringen. Der Junge weiß, daß die Eltern die Last dieses Wissens nicht ertragen werden, aber der Durst nach Wahrheit ist stärker als der fromme Wunsch nach Schonung.

Die finstere Familiengeschichte aus Widerstand, Verrat, Mord, Exekution und falscher Identität ist in die Schilderung einer unterdrückten Bevölkerung eingewoben, einer Politik, deren Allgegenwart eher atmosphärisch angedeutet als unverhüllt gezeigt wird. Passagen wie die folgende, in der ihre deformierende Gewalt konkret benannt wird, sind selten: "Ungerechtigkeit. Die Polizei selbst. Die schmutzige Politik. Ist schon großartig, den Leuten, die die ganze Zeit darunter zu leiden hatten, zu sagen: Macht Schluß damit! Was erwartete man denn von ihnen? Sollten sie sagen, tut uns leid, daß wir je protestiert haben, und brav wie gehabt weitermachen, arbeitslos sein, die ewig Betrogenen sein, sich von jedem Polizisten, den Lust dazu anwandelte, verprügeln lassen, sich von Beamten und Richtern einsperren lassen, die so bösartig waren, daß sie selbst eingesperrt gehörten, und zwar lebenslänglich, für den ganzen Schaden, den sie anrichteten, und all die Existenzen, die sie ruinierten?"

Der Schauplatz ist Nordirland, und ein wirksamer Trick der Erzählung besteht darin, daß die Engländer überhaupt nicht auftreten, daß ihr Regime nur in seinen Auswirkungen auf die katholischen Opfer kenntlich wird. Zu den Ehrlichkeiten des Buches gehört aber auch die Einsicht, daß die Bürden, unter denen die Bevölkerung stöhnt, nicht bloß von der protestantischen Oberschicht herrühren, sondern von der eigenen Kirche auferlegt sind. Bis zum Totenbett und auch dort noch ist es schwer, sich ihrem Einfluß zu entziehen.

Die Abschnitte, die in der Priesterschule spielen und von den Beziehungen der Schüler zu ihren katholischen Lehrern berichten, sind von einem grotesken Humor, der ein erleichterndes Gegengewicht zu der deprimierenden häuslichen Sphäre bildet. Wohltuend aufgelockert wird das strenge Gewebe der Zusammenhänge von den vielen neutralen Einschüben, einer Rattenjagd, Kinderspielen, Landschaftsbeschreibungen, die nur lose oder gar nicht mit dem brütenden Geheimnis zu tun haben und lediglich das Geflecht der irischen Wirklichkeit verdichten helfen.

In Sprache und Darstellung ist dies ein hochpoetischer Text. Schon die irischen Ortsnamen haben einen lyrischen Klang, und zweifellos werden sie auch deswegen aufgezählt: "Derry", "Burnfoot", "Fahan", "Buncrana", "Carndonagh", "Gleneely". McCourts "Die Asche meiner Mutter", mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und ein Bestseller, ist berühmter als Deanes "Im Dunkeln lesen", aber damit ist nicht schon entschieden, daß es auch das bedeutendere Buch ist.

Seamus Deane: "Im Dunkeln lesen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Giovanni Bandini und Ditte König. Carl Hanser Verlag, München 1997. 259 S., geb., 36,- DM.

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