Seit seiner Begegnung mit Paula Becker, Clara Westhoff und den Malern der Künstlerkolonie in Worpswede setzt Rainer Maria Rilke sich immer wieder intensiv mit Malerei auseinander. Auf seinen Reisen hält er fortan seine Begegnungen mit Kunstwerken aus allen Epochen in kongenialen Bildbetrachtungen fest und berichtet in Tagebuchaufzeichnungen und Briefen von seinen Entdeckungen und Seherlebnissen.Erstmals werden in diesem Band Rilkes faszinierende Bildbeschreibungen den Werken von Rembrandt, El Greco, Goya, Böcklin, van Gogh, Picasso u. a. gegenübergestellt, die Rilke auf seinen Reisen gesehen und in seine präzise Sprache übersetzt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2015Ruhen im Schauen
Solche Träume müsste man haben: Rainer Maria Rilkes feinsinnige Bildbetrachtungen
Bilder sprachlich nachzumalen war Rilkes große Kunst und Leidenschaft. In Worpswede entdeckt er im Sommer 1900 nie gekannte "Freude an einem Stück im Bilde" und notiert: "Ich lerne jetzt erst Bilder schauen." Mit den gleichen Worten durchläuft später die Romanfigur Malte Laurids Brigge eine Schule des Sehens. In ihr gilt, was Stefan Zweig an Rilkes Dinggedichten rühmt: Mit dem Dichter umreiße der Betrachter nicht mehr bloß "die Gegenstände, sondern er dringt in sie ein". Vorgemacht hat Rilke das in Briefen und Aufzeichnungen, die aus stundenlangen Betrachtungen von Gemälden und Tapisserien hervorgingen: Die Pariser "Briefe über Cézanne" und "Die Dame mit dem Einhorn" zählten schon 1962 und 1978 zu den Kleinodien der Insel-Bücherei.
Jetzt kommen zu diesen Bildnachdichtungen neue Stücke hinzu - etwa zu Monet und Manet, El Greco und Goya, Rembrandt und van Gogh. Rilke erweist sich als Meister der Präzision und Feinsinnigkeit. "Worte, die sich im Angeben malerischer Tatsachen so unglücklich fühlen", müssten sich so beleben, dass ein Bild "als ein Seiendes auch irgendwie ausgesagt werden" könne. Nach einer Stunde vor El Grecos "Ansicht von Toledo" meldet er Rodin, dem er lange als Sekretär diente: "Man müßte solche Träume haben." Gegen die "schleuderhaften" Modebegriffe der Kunstwissenschaft fordert Rilke einen klaren Blick, "der ruht indem er schaut und schauend reift." Genau das führt er hier überall vor, etwa an Picassos "Tod des Harlekin" (1905). Nach zwei Briefseiten an Beobachtungen kommt er auf ein Detail, das jenes mit Farbresten auf ein Stück Pappe gemalte Bild so unvergesslich macht: "Sehen Sie nur die gefalteten Hände Pierrots, die machen eigentlich (selbst in der Abbildung) alles Dazureden überflüssig."
kos
Rainer Maria Rilke: "Im ersten Augenblick". Bildbetrachtungen. Hrsg. von Rainer Stamm.
Insel Verlag, Berlin 2015. 95 S., geb., 13,95[Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Solche Träume müsste man haben: Rainer Maria Rilkes feinsinnige Bildbetrachtungen
Bilder sprachlich nachzumalen war Rilkes große Kunst und Leidenschaft. In Worpswede entdeckt er im Sommer 1900 nie gekannte "Freude an einem Stück im Bilde" und notiert: "Ich lerne jetzt erst Bilder schauen." Mit den gleichen Worten durchläuft später die Romanfigur Malte Laurids Brigge eine Schule des Sehens. In ihr gilt, was Stefan Zweig an Rilkes Dinggedichten rühmt: Mit dem Dichter umreiße der Betrachter nicht mehr bloß "die Gegenstände, sondern er dringt in sie ein". Vorgemacht hat Rilke das in Briefen und Aufzeichnungen, die aus stundenlangen Betrachtungen von Gemälden und Tapisserien hervorgingen: Die Pariser "Briefe über Cézanne" und "Die Dame mit dem Einhorn" zählten schon 1962 und 1978 zu den Kleinodien der Insel-Bücherei.
Jetzt kommen zu diesen Bildnachdichtungen neue Stücke hinzu - etwa zu Monet und Manet, El Greco und Goya, Rembrandt und van Gogh. Rilke erweist sich als Meister der Präzision und Feinsinnigkeit. "Worte, die sich im Angeben malerischer Tatsachen so unglücklich fühlen", müssten sich so beleben, dass ein Bild "als ein Seiendes auch irgendwie ausgesagt werden" könne. Nach einer Stunde vor El Grecos "Ansicht von Toledo" meldet er Rodin, dem er lange als Sekretär diente: "Man müßte solche Träume haben." Gegen die "schleuderhaften" Modebegriffe der Kunstwissenschaft fordert Rilke einen klaren Blick, "der ruht indem er schaut und schauend reift." Genau das führt er hier überall vor, etwa an Picassos "Tod des Harlekin" (1905). Nach zwei Briefseiten an Beobachtungen kommt er auf ein Detail, das jenes mit Farbresten auf ein Stück Pappe gemalte Bild so unvergesslich macht: "Sehen Sie nur die gefalteten Hände Pierrots, die machen eigentlich (selbst in der Abbildung) alles Dazureden überflüssig."
kos
Rainer Maria Rilke: "Im ersten Augenblick". Bildbetrachtungen. Hrsg. von Rainer Stamm.
Insel Verlag, Berlin 2015. 95 S., geb., 13,95[Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Stefan Koldehoff ist einfach hingerissen von diesen Miniaturen, in denen Rainer Maria Rilke, ein "aktiver" Beobachter der Kunstwelt, seine Bildbetrachtungen festhielt. Keine schwärmerische Prosa findet man hier, so Koldehoff, vielmehr sieht man dem Dichter dabei zu, wie er die angemessene Sprache findet, die Bilder in ihrer Wesenheit erfasst. Kostprobe zu Monet: "Oh, das Tischtuch, die Schatten[,] die Litcher, die Tassen, die Früchte: die Rose. Vor allem sie. Des spielenden Knapen Stille." Herausgeber Peter Stamm hat fabelhafte Arbeit geleistet, als er diese Kurztexte, die gar nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, zusammentrug, lobt der Rezensent. Und sie im Buch neben die farbigen Abbildugnen der besprochenen Gemälde zu stellen, findet er so ansprechend, dass er sich ebendies auch im Museum wünschen würde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» ... dem Oldenburger Museumsdirektor Rainer Stamm [ist es] gelungen, in der Insel-Bücherei ein kleines Bändchen herauszugeben, in dem man dem Kunstverständnis von Rainer Maria Rilke so nahekommen kann wie wahrscheinlich noch nie.« Stefan Koldehoff DIE ZEIT 20150924