Henning von Wistinghausen, erster deutscher Botschafter in Estland, schildert in seinen Erinnerungen den Umwandlungsprozeß dieses baltischen Staates von einer ehemaligen Sowjetrepublik zu einem modernen westlichen Staat, der nunmehr seit 2004 Mitglied in EU und NATO ist. Zugleich berichtet er von der Wiederanknüpfung der deutsch-estnischen Beziehungen und den handelnden Personen auf beiden Seiten.
Wer sich über die Geschichte Estlands in den Jahren 1990 bis 1995 aus erster Hand informieren möchte, kommt an diesen Erinnerungen nicht vorbei. Selbst einer deutschbaltischen Familie aus Estland entstammend, erlebte Henning von Wistinghausen diese Umbruchszeit dort als deutscher Botschafter. Seine engen Kontakte zu den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern und zur intellektuellen Elite des Landes spiegeln sich in seinem Buch wider.
Der Verfasser war 1990/91 Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg, damals noch Leningrad, von wo aus er das Streben der baltischen Staaten, allen voran Estlands, nach Unabhängigkeit von der Sowjetunion beobachten konnte. Die Wiedererlangung der Freiheit während des Moskauer Putsches im August 1991 erlebte er teils in Estlands Hauptstadt Tallinn (Reval), teils in Leningrad. Wenige Tage später kehrte er als erster deutscher Botschafter nach Estland zurück. Während der Jahre, über die er aus nächster Nähe berichtet, sind in Estland durch eine konsequente Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik die Grundlagen für einen modernen demokratischen Rechtsstaat mit markwirtschaftlicher Ordnung und seine Wiedereingliederung in die internationale Staatengemeinschaft geschaffen worden. Als ihr Ergebnis ist Estland im Frühjahr 2004 in die EU und in die NATO aufgenommen worden.
Wer sich über die Geschichte Estlands in den Jahren 1990 bis 1995 aus erster Hand informieren möchte, kommt an diesen Erinnerungen nicht vorbei. Selbst einer deutschbaltischen Familie aus Estland entstammend, erlebte Henning von Wistinghausen diese Umbruchszeit dort als deutscher Botschafter. Seine engen Kontakte zu den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern und zur intellektuellen Elite des Landes spiegeln sich in seinem Buch wider.
Der Verfasser war 1990/91 Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg, damals noch Leningrad, von wo aus er das Streben der baltischen Staaten, allen voran Estlands, nach Unabhängigkeit von der Sowjetunion beobachten konnte. Die Wiedererlangung der Freiheit während des Moskauer Putsches im August 1991 erlebte er teils in Estlands Hauptstadt Tallinn (Reval), teils in Leningrad. Wenige Tage später kehrte er als erster deutscher Botschafter nach Estland zurück. Während der Jahre, über die er aus nächster Nähe berichtet, sind in Estland durch eine konsequente Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik die Grundlagen für einen modernen demokratischen Rechtsstaat mit markwirtschaftlicher Ordnung und seine Wiedereingliederung in die internationale Staatengemeinschaft geschaffen worden. Als ihr Ergebnis ist Estland im Frühjahr 2004 in die EU und in die NATO aufgenommen worden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2005Zeitenwende
ESTLAND. Das "Wunder" in Estland ist oft gepriesen, selten ausführlich beschrieben worden. Es gibt die Erinnerungen von Mart Laar, dem estnischen Ministerpräsidenten, unter dessen Regierung sich Anfang der neunziger Jahre sowjetische Altlast in blühende Landschaft verwandelte. Das war die Sicht des fast noch jugendlichen Krisenmanagers. Und nun gibt es die opulenten Erinnerungen Henning von Wistinghausens, des ersten deutschen Botschafters in Estland, dessen Residenz auf dem Domberg in Tallinn (Reval) nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Landes zum Symbol der kulturellen und politischen Verbindungen zwischen Deutschland und Estland wurde. Wistinghausen steigt tief hinab in den Alltag dieser Verbindungen und der estnischen Politik - nicht nur in den diplomatischen Alltag, sondern durchaus dorthin, wo die Dinge beim Namen genannt werden. Er verteidigt die deutsche Baltikumpolitik, die nicht erst mit Gerhard Schröder große Vorsicht gegenüber Rußland walten ließ. Aber er zählt auch die kleinen und für estnische Verhältnisse großen Begebenheiten auf, aus denen die Schwerfälligkeit und manchmal auch die Überheblichkeit spricht, mit der das Auswärtige Amt in Bonn auf die neue Lage im ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion reagierte. Wistinghausen schildert das im Ton des Chronisten, der sich als Nachfahre estländischer Balten mit Routine nicht zufriedengeben wollte. Deshalb hatte ihm der damalige Außenminister Genscher diesen Posten übertragen. Spannend sind die Erzählungen Wistinghausens schon deshalb, weil die Ereignisse von 1991 bis 1995 - die Zeit seiner Akkreditierung in Estland, zuvor war er Generalkonsul in St. Petersburg - ins Laboratorium einer Zeitenwende führen, die alles bereithielt, was Politik und friedliche Revolution bedeuten kann. Dazu zählen die Wirren und Wehen der Wirtschaftsreformen, die Entstehung eines Parteiensystems, die nervenaufreibenden Verhandlungen über den Abzug der sowjetischen Truppen oder das kulturelle Wiederaufblühen des Landes. Wistinghausen kostet das faszinierende Erlebnis dieser Jahre aus wie ein Archäologe, der mit der Zahnbürste einen Jahrhundertfund freilegt. Und ab und zu nimmt er den Leser bei der Hand und führt ihn in die Vergangenheit und Gegenwart seiner baltischen Vorfahren. (Henning von Wistinghausen: Im freien Estland. Erinnerungen des ersten deutschen Botschafters 1991- 1995. Böhlau Verlag. Köln 2004. 694 Seiten, 39,90 [Euro].)
kum.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
ESTLAND. Das "Wunder" in Estland ist oft gepriesen, selten ausführlich beschrieben worden. Es gibt die Erinnerungen von Mart Laar, dem estnischen Ministerpräsidenten, unter dessen Regierung sich Anfang der neunziger Jahre sowjetische Altlast in blühende Landschaft verwandelte. Das war die Sicht des fast noch jugendlichen Krisenmanagers. Und nun gibt es die opulenten Erinnerungen Henning von Wistinghausens, des ersten deutschen Botschafters in Estland, dessen Residenz auf dem Domberg in Tallinn (Reval) nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Landes zum Symbol der kulturellen und politischen Verbindungen zwischen Deutschland und Estland wurde. Wistinghausen steigt tief hinab in den Alltag dieser Verbindungen und der estnischen Politik - nicht nur in den diplomatischen Alltag, sondern durchaus dorthin, wo die Dinge beim Namen genannt werden. Er verteidigt die deutsche Baltikumpolitik, die nicht erst mit Gerhard Schröder große Vorsicht gegenüber Rußland walten ließ. Aber er zählt auch die kleinen und für estnische Verhältnisse großen Begebenheiten auf, aus denen die Schwerfälligkeit und manchmal auch die Überheblichkeit spricht, mit der das Auswärtige Amt in Bonn auf die neue Lage im ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion reagierte. Wistinghausen schildert das im Ton des Chronisten, der sich als Nachfahre estländischer Balten mit Routine nicht zufriedengeben wollte. Deshalb hatte ihm der damalige Außenminister Genscher diesen Posten übertragen. Spannend sind die Erzählungen Wistinghausens schon deshalb, weil die Ereignisse von 1991 bis 1995 - die Zeit seiner Akkreditierung in Estland, zuvor war er Generalkonsul in St. Petersburg - ins Laboratorium einer Zeitenwende führen, die alles bereithielt, was Politik und friedliche Revolution bedeuten kann. Dazu zählen die Wirren und Wehen der Wirtschaftsreformen, die Entstehung eines Parteiensystems, die nervenaufreibenden Verhandlungen über den Abzug der sowjetischen Truppen oder das kulturelle Wiederaufblühen des Landes. Wistinghausen kostet das faszinierende Erlebnis dieser Jahre aus wie ein Archäologe, der mit der Zahnbürste einen Jahrhundertfund freilegt. Und ab und zu nimmt er den Leser bei der Hand und führt ihn in die Vergangenheit und Gegenwart seiner baltischen Vorfahren. (Henning von Wistinghausen: Im freien Estland. Erinnerungen des ersten deutschen Botschafters 1991- 1995. Böhlau Verlag. Köln 2004. 694 Seiten, 39,90 [Euro].)
kum.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spannend waren die Jahre 1991 und 1995 in Estland, und spannend sind entsprechend auch die Erinnerungen des damaligen - und ersten - deutschen Botschafters in Talinn. So das Fazit des mit "kum." zeichnenden Rezensenten. Nicht nur, dass der Autor, Henning von Wistinghausen, Nachfahre estnischer Baltendeutsche ist und somit sozusagen Familiengeschichte betreibt, dem Leser tiefe Einblicke in historische Hintergründe gewährt. Es kommt hinzu, dass sich die Dinge in jenen Jahren überschlugen: die Wirtschaft wurde reformiert, ein Parteiensystem bildete sich, die sowjetischen Truppen traten den Rückzug in die Heimat an, und die Kultur des Landes entfaltete sich allmählich. Genuin spannender Stoff also. Ein wertvolles Buch, so "kum.", und zudem eine wichtige historiografische Ergänzung zu den Memoiren von Mart Laar.
© Perlentaucher Medien GmbH
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