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Im Frühling sterben ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich - »Fiete« - Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere, Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich reden lässt, steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund ... In eindringlichen Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr in Ungarn, in dem die…mehr

Produktbeschreibung
Im Frühling sterben ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich - »Fiete« - Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere, Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich reden lässt, steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund ...
In eindringlichen Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr in Ungarn, in dem die deutschen Offiziere ihren Männern Handgranaten in die Hacken werfen, damit sie noch angreifen, und die Soldaten in der Etappe verzweifelte Orgien im Angesicht des Todes feiern. Und wir erleben die ersten Wochen eines Friedens, in dem einer wie Walter nie mehr heimisch wird und noch auf dem Sterbebett stöhnt: »Die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort für uns wüsste ...«
Autorenporträt
Ralf Rothmann wurde am 10. Mai 1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschule (und einem kurzen Besuch der Handelsschule) machte er eine Maurerlehre, arbeitete mehrere Jahre auf dem Bau und danach in verschiedenen Berufen (unter anderem als Drucker, Krankenpfleger und Koch). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er lebt seit 1976 in Berlin.
Rezensionen
»Wie ein Musikstück ist die eigentliche Erzählung vom Ende des Krieges in verschieden intonierte Sätze unterteilt. Dazwischen Schnitte, Pausen, verstrichene Wochen anzeigend. Das ist überragend gestaltet, auch gewissenhaft recherchiert.« Beatrice von Matt Neue Zürcher Zeitung 20150804

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2015

Der Atem meines toten Freundes

Ralf Rothmanns Buch "Im Frühling sterben" ist nicht nur ein großer Roman über den Zweiten Weltkrieg, das Schweigen der Väter und die Traurigkeit, die sie an ihre Nachkommen vererbten. Es ist auch ein Triumph der Sprache über die Verklemmtheit, die das Schreiben über den Krieg in Deutschland so lange geprägt hat

Mit dem Wort "Meisterschaft" muss man sparsam sein in der Literatur. Es gibt so viele, denen sie zugeschrieben wird und die sich davon nicht mehr erholen - jene Frühgelobten, die sich, wie ein Thorsten Becker oder Thomas Brussig, ein Schriftstellerleben lang danach strecken, der Übergröße zu entsprechen, die ein paar Kritiker ihnen angedichtet haben. Und es reicht ja auch schon, einfach ein guter Autor zu sein, sprachgewandt, sensibel, präzise, um sich abzuheben aus dem Einerlei des hochkulturellen Schreib- und Förderbetriebs. Ein Meister ist nicht vonnöten.

Aber Ralf Rothmann ist einer. Das, was die anderen können, Charaktere entwerfen, eine Geschichte erzählen, kann er sowieso. Doch es kommt etwas hinzu. Nennen wir es Formgefühl. Rothmanns neues Buch "Im Frühling sterben" beginnt mit einem Satz, wie man ihn auch in einem Besinnungs-Essay zum Thema Erinnerung und Vergessen unterbringen könnte: "Das Schweigen, das tiefe Verschweigen, besonders wenn es Tote meint, ist letztlich ein Vakuum, das das Leben irgendwann von selbst mit Wahrheit füllt." Dann ein Gedankenstrich. Und dann der nächste Satz: "Sprach ich meinen Vater früher auf sein starkes Haar an, sagte er, das komme vom Krieg."

In jedem Schreibseminar an jeder deutschen Universität würde man heute lernen, dass man den ersten, reflektierenden Satz weglassen kann, weil das, was er sagt, in der Erzählung, ihren Personen und Ereignissen ohnehin konkret werde. Aber Rothmann lässt ihn stehen. Er will, dass sein Inhalt in allem, was folgt, mitschwingt. Dass die Geschichte einen kleinen Riss bekommt, ein Zittern. Rothmann hätte auch, wie Thomas Mann, vom Brunnen der Vergangenheit sprechen können oder, wie Gottfried Benn in einem Gedicht, vom Blut: "Du füllst mich an wie Blut die frische Wunde". Doch er wählt ein nüchterneres Bild. Ein Vakuum. Womit füllt es sich? Mit Wahrheit. Das Schweigen erzeugt einen Sog, in den die Geschichte einströmt.

Danach gibt ein Wort das andere. Der Vater hat kräftiges Haar, weil er es im Krieg mit Birkensaft eingerieben hat; der Sohn, erwachsen geworden, lernt, dass die deutschen Soldatengräber hinter der Front mit Birkenkreuzen markiert waren. Wenige Absätze später ist der Vater in Rente, kurz darauf liegt er im Sterben. Der Sohn hat ihm zur Pensionierung ein Notizbuch geschenkt, damit er seine Kriegserlebnisse aufschreibt. Doch die Kladde bleibt leer: "Du bist der Schriftsteller." Mutter und Sohn stehen am Krankenbett, der Vater, fast taub, hört in der Stille Geschützfeuer. "Ah, jetzt ist er wieder im Krieg", sagt die Mutter.

Und dann öffnet sich im Dunkel des Sterbezimmers ein Fenster in die Vergangenheit. Über dem Bett hängt ein Kunstdruck nach Manets "Landhaus in Rueil", und die Villa, die darauf zu sehen ist, erinnert an das Herrenhaus des Landguts in Norddeutschland, auf dem der Vater bis kurz vor Kriegsende als Melker gearbeitet hat. "Dort waren sich die Eltern zum ersten Mal begegnet . . . Ein Landhaus der Seele, auf das nun die Abendsonne fiel." Auf ihren Strahlen gelangen wir ins Jahr 1945. Das Gemälde hat den Raum geschaffen, den der Erzähler mit der Wahrheit, seiner Wahrheit füllen kann.

Es geht um eine Jugend im Krieg in diesem Buch, um das letzte Aufgebot der Siebzehnjährigen, die mit der SS-Rune auf der Uniformjacke in Hitlers verlorene Schlachten geschickt wurden, um einen Jungen, der seinen besten Freund erschießen, und den Freund, der als Deserteur an der ungarischen Front sterben muss. Und es geht, wie in allen Büchern von Ralf Rothmann, um die Familiengeschichte des Autors - auch Rothmanns Vater war Melker, stammte aus Essen, kämpfte in Ungarn und kehrte später aus Norddeutschland ins Ruhrgebiet zurück, wo er als Kohlekumpel schuftete. Vor allem aber geht es um die Frage, wie man siebzig Jahre nach der "Stunde Null" und am Ende einer Kolonne von Erzählungen und Romanen, die von Böll und Grass bis hin zu Uwe Timm und Martin Walser über den Krieg der Väter, Brüder und Großväter geschrieben wurden, diesem Thema noch eine Form geben kann.

Deshalb heißt der Held dieser Geschichte auch nicht Rothmann, sondern Walter Urban, und das, was darin erzählt wird, hat mit den kargen Notizen des Vaters nur ein paar Ortsnamen gemein: Rósza, Totis, Kiszémel, Stuhlweißenburg, Schauplätze der letzten, im Abwehrfeuer der Roten Armee zusammenbrechenden Offensive von Hitlers Wehrmacht. Hierher werden Walter und sein Melkerfreund Fiete nach kurzer Grundausbildung abtransportiert, um den Rückzug der geschlagenen SS-Verbände zu decken, der eine als Fahrer, der andere als Infanterist. Im Hexenkessel der Kämpfe verlieren sie sich aus den Augen. Als sie sich zum ersten Mal wiedersehen, liegt Fiete im Lazarett. Beim zweiten Mal haben ihn die eigenen Leute in ein Kellergelass gesperrt. Sein Todesurteil wird am nächsten Morgen vollstreckt. Und Walter gehört zum Exekutionskommando.

Kriegsromane aus Deutschland reden gern um den Krieg herum wie um den heißen Brei. Nicht so "Im Frühling sterben". Dieses Buch ist ein einziger Beschreibungsfuror, und dabei spielt es keine Rolle, ob Rothmann das, was er mit Worten ausmalt, in Büchern gelesen, in Filmen gesehen oder in langen Nächten albgeträumt hat. Zerschossene Panzer, Lastwagen voller Leichen säumen die Straßen im Frontgebiet. Deserteure, von der Feldpolizei gehenkt, baumeln an den Alleebäumen. Tiefflieger rasen über die Ebene, Bombergeschwader äschern die Städte ein. Zwei Hitlerjungen, schwarz verbrannt, liegen im Acker neben ihrem abgeschossenen Lastensegler. Eine Granne am Mantel des todgeweihten Fiete glänzt "wie Gold durch Tränen gesehen". Und dann die Hinrichtung: "Während der Arzt sich über ihn beugte und die Mantelfetzen zur Seite klappte, um die Einschüsse zu zählen - mit dem Bleistift tippte er sie ab -, wehte dem Jungen immer noch Atem aus Nase und Mund, eine zarte Fahne in raschen Stößen, und er öffnete langsam die Augen, so dass man die Iris sehen konnte, den letzten Glanz und das matter werdende Blau seines Blicks." Am Abend zuvor hat Walter seinen Freund gefragt, ob jener, der schießen müsse, wohl etwas von dieser Erfahrung an seine Nachkommen weitervererbe. Und Fiete hat geantwortet: "Wahrscheinlich eine große Traurigkeit . . .".

Es gibt in der deutschen Gegenwartsliteratur keinen Vergleich für dieses Buch. Man muss schon weit zurückgehen, um einen Kriegsroman zu finden, der mit ihm auf Augenhöhe ist, etwa Arnold Zweigs "Streit um den Sergeanten Grischa", dessen Erschießungsszene genauso unvergesslich bleibt wie die bei Rothmann, oder Remarques "Im Westen nichts Neues" mit seinen Höllenlandschaften aus dem Ersten Weltkrieg. Lauter Klassiker. Es lässt sich also doch noch etwas heraufholen aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit, aus dem Schweigen der Väter, aus den Bergen von Papier, unter denen der Zweite Weltkrieg begraben liegt. Man muss nur die Sprache dafür haben. Und die Phantasie. Ein Vakuum, das sich mit Wahrheit füllt.

ANDREAS KILB

Ralf Rothmann: "Im Frühling sterben". Roman. Suhrkamp, Berlin 2015, 234 S., 19,95 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Roman Bucheli hat genug von all den unkritischen Lobeshymnen auf Ralf Rothmanns Kriegsroman. Wie kann jemand heute noch über den Krieg schreiben wie Konsalik? Wo bleibt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rothmanns ästhetischen Mitteln, die die moralische Herausforderung des Textes annimmt?, fragt er seine KollegInnen und liefert ebendiese, indem er von der Frage, inwieweit der Autor hier die Geschichte seines Vaters verarbeitet, einmal absieht. Bucheli entdeckt dramaturgische Kniffe und dass der Autor nichts dem Zufall überlässt, auch nicht, was seine Figur betrifft, eine tadellose Lichtgestalt inmitten des Grauens, wie Bucheli feststellt, und unerträglich kitschig, weil sie so eindimensional bleibt, wie er schimpft. Und hier liegt für ihn das ganze Drama des Textes, in einer Figur, deren Schuld der Autor nicht problematisiert, sondern durch die Allwissenheit des Erzählers quasi unantastbar macht. Für Bucheli ein unerschütterlicher, durch pseudoreligiöse und naturmystische Momente weiter jedem Zweifel entrückter Darstellungsrealismus, der eine moralische Auseinandersetzung gar nicht erst zulässt.

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