Markus Wolf leitete 34 Jahre lang bis 1986 die MfS-Auslandsaufklärung. Hans-Georg Wieck war 1985 bis 1990 BND-Chef. Mit ihren Lebensläufen verbinden sich die unterschiedlichen Rollen der geheimen Nachrichtendienste in Demokratie und Diktatur, ihre Aufgaben, ihre Methoden, die ihnen gesetzten Grenzen, ihre Kontrolle und ihr Einfluss auf das Handeln ihrer Regierungen. Dieses Buch zeigt am Beispiel der Lebensgeschichten zweier Leiter der "Dienste" im geteilten Deutschland diese Unterschiede, aber auch mögliche Gemeinsamkeiten auf.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Daniela Münkel befasst sich eingehend mit dem Konzept des Buches. Eine Gegenüberstellung von Ost- und West-Geheimdienstchefs findet sie prinzipiell spannend. Leider treffen die Autoren Nicole Glocke und Peter Jochen Winters ihrer Meinung nach die falsche Auswahl, indem sie Markus Wolf und Hans-Georg Wieck einander gegenüberstellen und nicht etwa Markus Wolf und Reinhard Gehlen beziehungsweise dessen Nachfolger Gerhard Wessel. Da die beiden Ausgewählten jedoch keine Berührungspunkte haben, wie Münkel weiß, und sämtliche im Band aufgezeigten Bezüge konstruiert wirken, bleibt der Band für sie in dieser Hinsicht unergiebig. Brillant geschrieben hingegen findet sie das enthaltene Porträt Wiecks, auch wenn die Autorin hier ihrem Protagonisten zu nahe kommt, wie Münkel kritisiert. Für ausgewogener hält die Rezensentin Winters Wolf-Porträt, auch wenn es ihr keine wesentlichen Einsichten in die Persönlichkeit Wolfs vermittelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2014Heilmannstraße contra Normannenstraße
Die beiden Geheimdienstchefs Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS)
"Die Erfolge des von mir geleiteten Dienstes markierten Höhepunkte des kalten Krieges. Diese Zeit prägte schroffe und unversöhnliche Feindbilder auf beiden Seiten. Wir sahen in unserem Widersacher den ,imperialistischen Aggressor' und verkörperten selbst für viele Menschen auf der anderen Seite das ,Reich des Bösen", konstatierte der Chef der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, 1997 im Vorwort zu seinen Erinnerungen. Während der deutschen Teilung spielte sich hinter der offiziellen Politik zeitweise ein regelrechter Geheimdienstkrieg ab: Bundesnachrichtendienst (BND) contra Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und MfS contra BND.
Von diesem Schattenkrieg bekam die Öffentlichkeit nur eine leichte Ahnung, wenn Spione enttarnt wurden oder überliefen: Heinz Felfe, der sowjetische Spion im BND, Günter Guillaume, der Spion im Kanzleramt, oder Werner Stiller, der Überläufer aus der DDR. Das sind nur einige wenige solcher spektakulären Fälle in 40 Jahren deutsch-deutscher Geheimdienstkonfrontation. Beide Seiten nutzten derartige "Pannen" zu regelrechten Propagandaoffensiven: Das Versagen des einen wurde so zum Erfolg des anderen.
Das Agieren von BND und MfS auf dem Feld der innerdeutschen Spionage war nicht nur geprägt von der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und den politischen Großwetterlagen, sondern auch vom Ehrgeiz der jeweiligen Geheimdienstchefs, die Überlegenheit des eigenen Dienstes unter Beweis zu stellen. Vor diesem Hintergrund erscheint es reizvoll, sich die agierenden Personen näher anzuschauen: Gibt es Gemeinsamkeiten in ihren Biographien, welche Strategien verfolgten sie in ihrer Funktion als Geheimdienstchef, wie war ihre Stellung im politischen System, wie ihr Verhältnis zu der jeweiligen politischen Führung und ihren direkten Vorgesetzten? Welche Handlungsspielräume hatten sie?
Will man Ost- und West-Geheimdienstchefs gegenüberstellen, ergibt sich zunächst folgende Ausgangslage: Die DDR-Auslandsspionage, die HV A des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Vorläufer, wurde von 1952 bis zum Mai 1986 von Markus Wolf geleitet - bis Anfang 1990 dann von Werner Großmann. Wolf, der im Westen geheimnisumwitterte Chef der HV A, prägte und dominierte demnach über Jahrzehnte die DDR-Auslandsspionage. Demgegenüber hat man es in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum mit sechs Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes zu tun: dem Gründungspräsidenten Reinhard Gehlen (bis 1968), Gerhard Wessel (1968-1978), Klaus Kinkel (1979-1982), Eberhard Blum (1982-1985), Herbert Hellenbroich (August 1985) und Hans-Georg Wieck (1985-1990). Wollte man also eine Geschichte der Konfrontation der beiden deutschen Geheimdienste anhand der Biographien der jeweiligen Spitzenmänner schreiben, müsste man entweder alle sechs ehemaligen BND-Präsidenten als Konterparts von Wolf ins Visier nehmen oder sich auf Reinhard Gehlen und dessen Nachfolger Gerhard Wessel beschränken. Letzteres böte sich besonders an, da in den Zeitraum bis 1978 die meisten spektakulären Fälle und Operationen der geheimdienstlichen Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR fallen.
Die Autoren Nicole Glocke und Peter Jochen Winters geben in ihrem Buch vor, einen solchen, im Prinzip reizvollen biographischen Vergleich von Geheimdienstchefs in Ost und West zu bieten. Allerdings ist die von ihnen getroffene Wahl mehr als unglücklich und im Endeffekt unergiebig: Markus Wolf wird Hans-Georg Wieck gegenübergestellt. Wieck und Wolf waren zur selben Zeit nur wenige Monate im Amt, und auch ansonsten gibt es keine Berührungspunkte, sieht man davon ab, dass beide - der eine länger, der andere nur kurz - im diplomatischen Dienst tätig waren und ungefähr der gleichen Generation angehören. Der Erklärungsversuch für die Auswahl, der im Vorwort gegeben wird, ist wenig überzeugend: Es wird eingeräumt, dass man Wolf besser Gehlen gegenübergestellt hätte. Da aber eine Studie über den ersten bundesdeutschen Geheimdienstchef in Arbeit sei, habe man darauf verzichtet.
Wie unglücklich die präsentierte Personenauswahl ist, wird darüber hinaus durch die Tatsache unterstrichen, dass Winters in seinem Porträt über Wolf ganz darauf verzichtet, einen Bezug zu Wieck herzustellen. Glocke hingegen versucht in ihrer Abhandlung über Wieck, Bezüge zur HV A und zu Wolf aufzuzeigen. Da es diese aber nicht gab, bemüht sie Beispiele aus Zeitphasen vor Wiecks BND-Präsidentschaft, was konstruiert wirkt.
Der Band beginnt mit dem Porträt über Wieck. Die Ausführungen basieren vor allem auf Interviews, die Glocke mit Wieck geführt hat. Wie man im Vorwort erfährt, sind dem ehemaligen BND-Präsidenten nach Abschluss des Manuskriptes Bedenken gekommen; er hat sogar versucht, die Veröffentlichung zu verhindern. Es sind wohl ganz persönliche Passagen (wie der Selbstmord seiner Frau), die dabei eine Rolle gespielt haben könnten. Der brillant geschriebene Text über Wieck zeichnet dessen Lebensweg aus prekären Verhältnissen - der Vater starb früh - von Hamburg über diverse Stationen im Auswärtigen Amt und an deutschen Botschaften bis auf den ungeliebten Stuhl des BND-Präsidenten detailliert nach. Zwar ordnet die Autorin kenntnisreich den Lebensweg ihres Protagonisten in die Zeitläufe ein, allerdings fehlt es ihr zuweilen an Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Die Ausführungen sind teilweise von mehr Empathie getragen, als es einer solchen Studie guttut. Das liegt wohl nicht zuletzt auch an der Quellengrundlage - Interviews sind und bleiben als Hauptquelle eben problematisch. Ebenso fragwürdig ist es, dass für die Schilderung von BND-Interna während der Amtszeit Wiecks die 1998 publizierten Erinnerungen der HV A-Top-Spionin Gabriele Gast als einzige Referenz verwendet werden.
Im Vergleich dazu ist das Porträt von Winters über Wolf ausgewogener, es basiert auf einer wesentlich breiteren Quellenlage, die zwar auch die von Wolf produzierten Erinnerungsbücher einbezieht, diese aber kritisch hinterfragt und mit zahlreichen anderen Unterlagen ergänzt beziehungsweise überprüft. Es entsteht ein vielschichtiges und differenziertes Bild des einst mächtigen, geheimnisumwitterten HV A-Mannes und seiner schillernden Familie: von der Kindheit in Stuttgart über die Jugendjahre im Moskauer Exil, der Rückkehr in die SBZ, seiner Rolle als Berichterstatter über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, dem kurzen Einsatz als Diplomat bis zu seinem Weg an die Spitze der DDR-Auslandsspionage und seine jahrzehntelangen Aktivitäten auf diesem Gebiet. Winters geht dem charismatischen Wolf nicht wie viele vor ihm unkritisch auf den Leim. Einerseits zeichnet er das Bild eines karrierebewussten, gebildeten und taktisch klug operierenden Kommunisten. Andererseits betont er die Schwächen Wolfs, vor allem seinen fehlenden Mut, in entscheidenden Konfliktsituationen mit der politischen Führung eine gradlinige Haltung zu bewahren: "Seine Nicht-Reaktion, sein immer wieder geübtes Stillschweigen in schwierigen Situationen, in denen Mut erforderlich gewesen wäre, war wohl eine für ihn typische Verhaltensweise" - so die Charakterisierung durch Winters. Die letzten Seiten der Betrachtungen über Wolf setzen sich mit der Zeit nach dem Fall der Mauer auseinander. Dabei geht es sowohl um die juristische als auch die moralische Aufarbeitung der Geheimdienstaktivitäten des HV A-Chefs. Wolf selbst habe immer wieder betont, "dass er sich im juristischen Sinn nicht schuldig fühle, aber moralische Schuld empfinde".
Am Ende des Buches finden sich noch 32 Seiten Tagebucheinträge, die Nicole Glocke nach Treffen mit Markus Wolf in den Jahren 2004 bis 2006 angefertigt hat. Wer sich davon weitergehende, authentische Einblicke in Persönlichkeit und die Denkweisen von Wolf erhofft, wird enttäuscht. Diese Aufzeichnungen geben eher Einblicke in die Persönlichkeit der Autorin. Insgesamt handelt es sich um zwei lesenswerte Porträts, die nicht nur das Leben von zwei Geheimdienstchefs in konträren politischen Systemen, sondern auch interessante Aspekte deutsch-deutscher Verflechtungsgeschichte in den Jahren der Teilung beleuchten. Dass allerdings diese beiden Biographien unbedingt zwischen zwei Buchdeckel gepresst werden mussten, dürfte eher kommerziellen Motiven als sachlichen Überlegungen geschuldet sein.
DANIELA MÜNKEL.
Nicole Glocke/Peter Jochen Winters: Im geheimen Krieg der Spionage. Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS). Zwei biografische Porträts. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014. 544 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die beiden Geheimdienstchefs Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS)
"Die Erfolge des von mir geleiteten Dienstes markierten Höhepunkte des kalten Krieges. Diese Zeit prägte schroffe und unversöhnliche Feindbilder auf beiden Seiten. Wir sahen in unserem Widersacher den ,imperialistischen Aggressor' und verkörperten selbst für viele Menschen auf der anderen Seite das ,Reich des Bösen", konstatierte der Chef der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, 1997 im Vorwort zu seinen Erinnerungen. Während der deutschen Teilung spielte sich hinter der offiziellen Politik zeitweise ein regelrechter Geheimdienstkrieg ab: Bundesnachrichtendienst (BND) contra Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und MfS contra BND.
Von diesem Schattenkrieg bekam die Öffentlichkeit nur eine leichte Ahnung, wenn Spione enttarnt wurden oder überliefen: Heinz Felfe, der sowjetische Spion im BND, Günter Guillaume, der Spion im Kanzleramt, oder Werner Stiller, der Überläufer aus der DDR. Das sind nur einige wenige solcher spektakulären Fälle in 40 Jahren deutsch-deutscher Geheimdienstkonfrontation. Beide Seiten nutzten derartige "Pannen" zu regelrechten Propagandaoffensiven: Das Versagen des einen wurde so zum Erfolg des anderen.
Das Agieren von BND und MfS auf dem Feld der innerdeutschen Spionage war nicht nur geprägt von der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und den politischen Großwetterlagen, sondern auch vom Ehrgeiz der jeweiligen Geheimdienstchefs, die Überlegenheit des eigenen Dienstes unter Beweis zu stellen. Vor diesem Hintergrund erscheint es reizvoll, sich die agierenden Personen näher anzuschauen: Gibt es Gemeinsamkeiten in ihren Biographien, welche Strategien verfolgten sie in ihrer Funktion als Geheimdienstchef, wie war ihre Stellung im politischen System, wie ihr Verhältnis zu der jeweiligen politischen Führung und ihren direkten Vorgesetzten? Welche Handlungsspielräume hatten sie?
Will man Ost- und West-Geheimdienstchefs gegenüberstellen, ergibt sich zunächst folgende Ausgangslage: Die DDR-Auslandsspionage, die HV A des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Vorläufer, wurde von 1952 bis zum Mai 1986 von Markus Wolf geleitet - bis Anfang 1990 dann von Werner Großmann. Wolf, der im Westen geheimnisumwitterte Chef der HV A, prägte und dominierte demnach über Jahrzehnte die DDR-Auslandsspionage. Demgegenüber hat man es in der Bundesrepublik im gleichen Zeitraum mit sechs Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes zu tun: dem Gründungspräsidenten Reinhard Gehlen (bis 1968), Gerhard Wessel (1968-1978), Klaus Kinkel (1979-1982), Eberhard Blum (1982-1985), Herbert Hellenbroich (August 1985) und Hans-Georg Wieck (1985-1990). Wollte man also eine Geschichte der Konfrontation der beiden deutschen Geheimdienste anhand der Biographien der jeweiligen Spitzenmänner schreiben, müsste man entweder alle sechs ehemaligen BND-Präsidenten als Konterparts von Wolf ins Visier nehmen oder sich auf Reinhard Gehlen und dessen Nachfolger Gerhard Wessel beschränken. Letzteres böte sich besonders an, da in den Zeitraum bis 1978 die meisten spektakulären Fälle und Operationen der geheimdienstlichen Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR fallen.
Die Autoren Nicole Glocke und Peter Jochen Winters geben in ihrem Buch vor, einen solchen, im Prinzip reizvollen biographischen Vergleich von Geheimdienstchefs in Ost und West zu bieten. Allerdings ist die von ihnen getroffene Wahl mehr als unglücklich und im Endeffekt unergiebig: Markus Wolf wird Hans-Georg Wieck gegenübergestellt. Wieck und Wolf waren zur selben Zeit nur wenige Monate im Amt, und auch ansonsten gibt es keine Berührungspunkte, sieht man davon ab, dass beide - der eine länger, der andere nur kurz - im diplomatischen Dienst tätig waren und ungefähr der gleichen Generation angehören. Der Erklärungsversuch für die Auswahl, der im Vorwort gegeben wird, ist wenig überzeugend: Es wird eingeräumt, dass man Wolf besser Gehlen gegenübergestellt hätte. Da aber eine Studie über den ersten bundesdeutschen Geheimdienstchef in Arbeit sei, habe man darauf verzichtet.
Wie unglücklich die präsentierte Personenauswahl ist, wird darüber hinaus durch die Tatsache unterstrichen, dass Winters in seinem Porträt über Wolf ganz darauf verzichtet, einen Bezug zu Wieck herzustellen. Glocke hingegen versucht in ihrer Abhandlung über Wieck, Bezüge zur HV A und zu Wolf aufzuzeigen. Da es diese aber nicht gab, bemüht sie Beispiele aus Zeitphasen vor Wiecks BND-Präsidentschaft, was konstruiert wirkt.
Der Band beginnt mit dem Porträt über Wieck. Die Ausführungen basieren vor allem auf Interviews, die Glocke mit Wieck geführt hat. Wie man im Vorwort erfährt, sind dem ehemaligen BND-Präsidenten nach Abschluss des Manuskriptes Bedenken gekommen; er hat sogar versucht, die Veröffentlichung zu verhindern. Es sind wohl ganz persönliche Passagen (wie der Selbstmord seiner Frau), die dabei eine Rolle gespielt haben könnten. Der brillant geschriebene Text über Wieck zeichnet dessen Lebensweg aus prekären Verhältnissen - der Vater starb früh - von Hamburg über diverse Stationen im Auswärtigen Amt und an deutschen Botschaften bis auf den ungeliebten Stuhl des BND-Präsidenten detailliert nach. Zwar ordnet die Autorin kenntnisreich den Lebensweg ihres Protagonisten in die Zeitläufe ein, allerdings fehlt es ihr zuweilen an Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Die Ausführungen sind teilweise von mehr Empathie getragen, als es einer solchen Studie guttut. Das liegt wohl nicht zuletzt auch an der Quellengrundlage - Interviews sind und bleiben als Hauptquelle eben problematisch. Ebenso fragwürdig ist es, dass für die Schilderung von BND-Interna während der Amtszeit Wiecks die 1998 publizierten Erinnerungen der HV A-Top-Spionin Gabriele Gast als einzige Referenz verwendet werden.
Im Vergleich dazu ist das Porträt von Winters über Wolf ausgewogener, es basiert auf einer wesentlich breiteren Quellenlage, die zwar auch die von Wolf produzierten Erinnerungsbücher einbezieht, diese aber kritisch hinterfragt und mit zahlreichen anderen Unterlagen ergänzt beziehungsweise überprüft. Es entsteht ein vielschichtiges und differenziertes Bild des einst mächtigen, geheimnisumwitterten HV A-Mannes und seiner schillernden Familie: von der Kindheit in Stuttgart über die Jugendjahre im Moskauer Exil, der Rückkehr in die SBZ, seiner Rolle als Berichterstatter über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, dem kurzen Einsatz als Diplomat bis zu seinem Weg an die Spitze der DDR-Auslandsspionage und seine jahrzehntelangen Aktivitäten auf diesem Gebiet. Winters geht dem charismatischen Wolf nicht wie viele vor ihm unkritisch auf den Leim. Einerseits zeichnet er das Bild eines karrierebewussten, gebildeten und taktisch klug operierenden Kommunisten. Andererseits betont er die Schwächen Wolfs, vor allem seinen fehlenden Mut, in entscheidenden Konfliktsituationen mit der politischen Führung eine gradlinige Haltung zu bewahren: "Seine Nicht-Reaktion, sein immer wieder geübtes Stillschweigen in schwierigen Situationen, in denen Mut erforderlich gewesen wäre, war wohl eine für ihn typische Verhaltensweise" - so die Charakterisierung durch Winters. Die letzten Seiten der Betrachtungen über Wolf setzen sich mit der Zeit nach dem Fall der Mauer auseinander. Dabei geht es sowohl um die juristische als auch die moralische Aufarbeitung der Geheimdienstaktivitäten des HV A-Chefs. Wolf selbst habe immer wieder betont, "dass er sich im juristischen Sinn nicht schuldig fühle, aber moralische Schuld empfinde".
Am Ende des Buches finden sich noch 32 Seiten Tagebucheinträge, die Nicole Glocke nach Treffen mit Markus Wolf in den Jahren 2004 bis 2006 angefertigt hat. Wer sich davon weitergehende, authentische Einblicke in Persönlichkeit und die Denkweisen von Wolf erhofft, wird enttäuscht. Diese Aufzeichnungen geben eher Einblicke in die Persönlichkeit der Autorin. Insgesamt handelt es sich um zwei lesenswerte Porträts, die nicht nur das Leben von zwei Geheimdienstchefs in konträren politischen Systemen, sondern auch interessante Aspekte deutsch-deutscher Verflechtungsgeschichte in den Jahren der Teilung beleuchten. Dass allerdings diese beiden Biographien unbedingt zwischen zwei Buchdeckel gepresst werden mussten, dürfte eher kommerziellen Motiven als sachlichen Überlegungen geschuldet sein.
DANIELA MÜNKEL.
Nicole Glocke/Peter Jochen Winters: Im geheimen Krieg der Spionage. Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS). Zwei biografische Porträts. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014. 544 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main