Alexander Mitscherlich, der im September 2008 hundert Jahre alt geworden wäre, gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten, die der geistigen Physiognomie der Bonner Republik ihren Stempel aufgedrückt haben. Als Mediziner und Wissenschaftler trug er entscheidend dazu bei, die Psychosomatik und die Psychoanalyse im Nachkriegsdeutschland institutionell zu verankern. Als Publizist traf er nach dem Ende der Adenauer-Ära mit seinen Bestsellern 'Medizin ohne Menschlichkeit', 'Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft', 'Die Unwirtlichkeit unserer Städte' und 'Die Unfähigkeit zu trauern' neuralgische Punkte. Und als öffentlicher Intellektueller entwickelte er sich aus dem antidemokratischen Milieu der Weimarer Republik heraus zu einem streitbaren Demokraten, der mit Leidenschaft zu den brennenden Problemen der Zeit Stellung bezog. Timo Hoyer verfolgt den Werdegang von Deutschlands bekanntestem Psychoanalytiker von der Kindheit an bis zu dessen Tod 1982. Das Porträt von Mitscherlichs intellektueller Entwicklung, seines wissenschaftlichen Wirkens und seines gesellschaftlichen Engagements ist zugleich das Porträt einer Epoche. Zahlreiche erstmals veröffentlichte Quellen und Abbildungen machen diese Biographie einzigartig.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Hans-Martin Lohmann bemüht sich, der letzten und innerhalb zweier Jahre dritten Alexander Mitscherlich-Biografie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Qualitäten des von Timo Hoyer verfassten Porträts sind seine gute Lesbarkeit und die anschauliche Darstellung der vielfältigen und charismatischen Persönlichkeit, die puzzleartig und gleichberechtigt den Psychoanalytiker, Arzt, Hochschullehrer, Publizisten und Bestsellerautor nebeneinander stehen lässt. Da Hoyer, wie seine Vorgänger, die private Seite als Ehemann, Vater, Freund und Kunstliebhaber auslässt, unterscheidet er sich in seinen Ergebnissen kaum von den vorhergehenden Biografien. Verdrossen hat den Rezensenten die Verschleierungs seiner Quellen: "Hoyer hat sich der Biografien von Dehli und Freimüller als sekundärer Quellen bedient, ohne dies hinreichend kenntlich zu machen". Außerdem moniert Lohmann, dass der Autor die Nähe des jungen Mitscherlich zu Wortführern der Konservativen Revolution wie Ernst Jünger und Ernst Niekisch als gemäßigtes Epigonentum herunterspielt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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