Ein »Road-Memoir« von Patti Smith über ein sehr besonderes Jahr.
Patti Smith schreibt über das Jahr 2016, im chinesischen Horoskop das Jahr des Affen, das für sie geprägt war von persönlichen Verlusten und Abschieden, aber auch von politischen Unsicherheiten und an dessen Ende ihr eigener siebzigster Geburtstag steht. Eine sehr persönliche und poetische Bestandsaufnahme. Das Jahr 2016 ist ein unruhiges Jahr für Patti Smith, ein Jahr, in dem sich vieles für immer verändert. Sie verliert engste Freunde: den Musiker Sandy Perlman und einen anderen, den damals schon schwerkranken Regisseur und Schriftsteller Sam Shepard, sieht sie in diesem Jahr zum letzten Mal. Er stirbt 2017. Vorher hatte er Patti Smith noch gebeten, ihm bei seinem letzten Buch zu helfen. Auch politisch ist 2016 ein unruhiges Jahr, Donald Trump wird zum Präsidenten gewählt, alte Gewissheiten werden außer Kraft gesetzt. Trotz der Schwere dieser Themensetzung gelingt es Patti Smith immer wieder, durch viele Erinnerungssequenzen, Rückblenden und Verwebungen aus Realität und Imaginiertem eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Dies auch, weil sie nicht in der Vergangenheit verharrt, sondern ganz fest in der Gegenwart verankert bleibt. Davon zeugen im Buch die Aufzeichnungen von vielen Gesprächen mit Menschen, denen sie während dieses Jahres auf ihren Reisen begegnet und von denen sie Impulse für ihr eigenes Leben bekommt. Ein »Road-Memoir«, ein Alterswerk im besten Sinne. Ein Blick zurück und nach vorne zugleich.
Patti Smith schreibt über das Jahr 2016, im chinesischen Horoskop das Jahr des Affen, das für sie geprägt war von persönlichen Verlusten und Abschieden, aber auch von politischen Unsicherheiten und an dessen Ende ihr eigener siebzigster Geburtstag steht. Eine sehr persönliche und poetische Bestandsaufnahme. Das Jahr 2016 ist ein unruhiges Jahr für Patti Smith, ein Jahr, in dem sich vieles für immer verändert. Sie verliert engste Freunde: den Musiker Sandy Perlman und einen anderen, den damals schon schwerkranken Regisseur und Schriftsteller Sam Shepard, sieht sie in diesem Jahr zum letzten Mal. Er stirbt 2017. Vorher hatte er Patti Smith noch gebeten, ihm bei seinem letzten Buch zu helfen. Auch politisch ist 2016 ein unruhiges Jahr, Donald Trump wird zum Präsidenten gewählt, alte Gewissheiten werden außer Kraft gesetzt. Trotz der Schwere dieser Themensetzung gelingt es Patti Smith immer wieder, durch viele Erinnerungssequenzen, Rückblenden und Verwebungen aus Realität und Imaginiertem eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Dies auch, weil sie nicht in der Vergangenheit verharrt, sondern ganz fest in der Gegenwart verankert bleibt. Davon zeugen im Buch die Aufzeichnungen von vielen Gesprächen mit Menschen, denen sie während dieses Jahres auf ihren Reisen begegnet und von denen sie Impulse für ihr eigenes Leben bekommt. Ein »Road-Memoir«, ein Alterswerk im besten Sinne. Ein Blick zurück und nach vorne zugleich.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rose-Maria Gropp hält Patti Smiths neues "Erinnerungsbuch" für das verträumteste und verrätselteste von allen bisher erschienenen, was sie aber nicht davon abhält, es zu preisen als berückenden Ausflug in die Hyperrealität von Smiths Innenwelten. Ob die predigende Musikerin ihren kranken Freund Sam Shepard besucht, über Donald Trump wettert oder mit Mark Aurel meditiert, für Gropp eine Einladung zu Kopfreisen, denen sie gerne folgt, zumal die im Band enthaltenen Fotos an sich schon hinreißend sind, wie sie versichert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2020Die Seele ist ein seltsames Gelände
Es schweifen die Gedanken, und Rätsel bleiben stehen: Patti Smith setzt die Reihe ihrer Erinnerungsbücher fort.
Seltsam genug ist das, wenn ein Schild, das ein "Dream Inn" in Santa Cruz in Kalifornien anzeigt, wo alles beginnt in diesem Buch an einem Neujahrsmorgen, sprechen kann. Wenn bunte Bonbonpapiere an einem leeren Strand zu rätselhaften Zeichen werden, und wenn ein Fremder, der den Namen Ernest trägt, immer wieder an unerwarteten Orten auftritt, eine Erscheinung mit so verwirrenden wie beruhigenden Botschaften.
Sind das also die Träume, die nächtlichen und die Tagträume, die Patti Smith in einem Jahr des Affen nach dem chinesischen Horoskop leiten? Oder ist es die Wirklichkeit, die in ihrem siebzigsten Lebensjahr von all diesen Phantasien begleitet wird? Es ist das Jahr 2016, dem ihr jüngstes Buch "Year of the Monkey" gilt, veröffentlicht im vorigen Jahr in den Vereinigten Staaten und jetzt auf Deutsch erschienen. Nach "Just Kids" 2010, das der Zeit ihrer frühen Freundschaft mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe galt, und "M Train" 2015, das vor allem dem Leben mit ihrem Ehemann, dem Musiker Fred "Sonic" Smith, gewidmet war, ist "Im Jahr des Affen" ein drittes Erinnerungsbuch. Es umfasst allerdings nur dieses eine Jahr, und es ist noch weniger eine Erzählung im eigentlichen Sinn als die Vorgänger.
Wenn die Träume das andere und doch dasselbe Leben sind, dann ist Patti Smith einmal mehr auf der richtigen Seite und in ihrem Element. Und die Anhänger der amerikanischen Musikerin, Dichterin, Fotografin und Performerin, die 1946 in Chicago geboren wurde, werden ihr wieder folgen bei ihren Ausflüge der speziellen Art in eine Hyperrealität, als Spiegel ihrer inneren Erfahrungen. Sie findet gleichsam Bodenhaftung in einem Roadtrip in mehreren Etappen; in Besuchen am Krankenbett des moribunden Musikproduzenten und Poeten Sandy Pearlman; im Haus des an ALS leidenden Schauspielers und Schriftstellers Sam Shepard; nicht zuletzt in ihrer scharfen Reaktion auf die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten.
Und sie denkt, sehr ernsthaft, an das eigene Altern, macht Mark Aurel in den "Meditationen" zum Zeugen dafür, "das Verstreichen der Zeit offenen Auges wahrzunehmen. Zehntausend Jahre oder zehntausend Tage, nichts kann die Zeit aufhalten oder an der Tatsache rütteln, dass ich im Jahr des Affen siebzig würde. Siebzig. Nur eine Zahl, aber eine, die anzeigt, wie der zugeteilte Sand durch die Eieruhr rinnt, und man selbst ist das verflixte Ei. Während die Körner rieseln, ertappe ich mich dabei, dass ich die Toten stärker vermisse als früher."
Dem Schweifen von Patti Smiths Gedanken ist nicht mit Logik beizukommen, ihr Nachdenken haftet an den Büchern, mit denen sie lebt und die es stimulieren; an den Bildern, die in ihr auftauchen. Einmal ist es das "mystische Lamm" von Van Eycks Genter Altar, das sie auf dem Weg zu Sam Shepard in den "hintersten Westen" begleitet. Ein anderes Mal reist sie im Kopf zurück zum "Einhorn in Gefangenschaft" auf einem der flämischen Wandteppiche in The Cloisters in New York, das ihr Sandy Pearlman Jahre zuvor erklärt hatte. Und mehrmals ist dieser Ernest plötzlich bei ihr. Sie steigt in sein altes Auto, fährt mit ihm durch die Wüste: "Am Rückspiegel hing ein Rosenkranz. Mit Ernest ins Ungewisse zu fahren, fühlte sich vertraut an; ob Traum oder nicht, wir hatten schon seltsames Gelände durchquert. Ich vertraute seinen Händen am Steuer. Sie erinnerten mich an andere Hände. Hände von guten Menschen." Ernest macht den Job als Psychopompos wirklich gut, er ist ihr Seelengalan.
"Im Jahr des Affen" ist das am meisten verrätselte der drei Erinnerungsbücher von Patti Smith, ein Enigma, zusätzlich genährt mit ihren Fotografien, dem man sich hingerissen anvertrauen will. Vielleicht, weil so viel Energie darin aufleuchtet und so viel Mut, festzuhalten in einem wundervoll antiquierten Sinn an einer untergehenden Weltenordnung. Dabei bloß keine Sentimentalitäten! Noch immer predigt diese Frau den Rock 'n' Roll von der Bühne herab wie keine andere.
"Eine Art Epilog" heißt das letzte Kapitel, die letzten Sätze gelten dem lebenslangen Freund Sam Shepard, der im Juli 2017 dann gestorben ist: "Am Ende, sagte er, ist alles Stoff, was vermutlich heißt, dass wir alle Stoff sind. Ich saß auf einem Holzstuhl mit gerader Lehne. Er stand da und sah wie immer auf mich herab. ,Papa Was a Rolling Stone' lief im Radio, das aussah wie aus den Vierzigern, mit braunem Tweed. Und während er mir das Haar aus den Augen strich, dachte ich, das Dumme am Träumen ist, dass wir irgendwann aufwachen." Die Wirklichkeit ist, dass Patti Smith in ihrem Leben vom Tod so vieler ihr naher Menschen umfangen ist. Und dennoch mitten im Leben bleibt, voller Trauer, doch ohne jede Sentimentalität, ihren unverbrüchlichen "Dream of Life" nicht aufgibt. Das ist ihre Botschaft, die aus dem Jahr des Affen herüberklingt.
ROSE-MARIA GROPP
Patti Smith: "Im Jahr des Affen".
Aus dem Englischen von
Brigitte Jakobeit.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es schweifen die Gedanken, und Rätsel bleiben stehen: Patti Smith setzt die Reihe ihrer Erinnerungsbücher fort.
Seltsam genug ist das, wenn ein Schild, das ein "Dream Inn" in Santa Cruz in Kalifornien anzeigt, wo alles beginnt in diesem Buch an einem Neujahrsmorgen, sprechen kann. Wenn bunte Bonbonpapiere an einem leeren Strand zu rätselhaften Zeichen werden, und wenn ein Fremder, der den Namen Ernest trägt, immer wieder an unerwarteten Orten auftritt, eine Erscheinung mit so verwirrenden wie beruhigenden Botschaften.
Sind das also die Träume, die nächtlichen und die Tagträume, die Patti Smith in einem Jahr des Affen nach dem chinesischen Horoskop leiten? Oder ist es die Wirklichkeit, die in ihrem siebzigsten Lebensjahr von all diesen Phantasien begleitet wird? Es ist das Jahr 2016, dem ihr jüngstes Buch "Year of the Monkey" gilt, veröffentlicht im vorigen Jahr in den Vereinigten Staaten und jetzt auf Deutsch erschienen. Nach "Just Kids" 2010, das der Zeit ihrer frühen Freundschaft mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe galt, und "M Train" 2015, das vor allem dem Leben mit ihrem Ehemann, dem Musiker Fred "Sonic" Smith, gewidmet war, ist "Im Jahr des Affen" ein drittes Erinnerungsbuch. Es umfasst allerdings nur dieses eine Jahr, und es ist noch weniger eine Erzählung im eigentlichen Sinn als die Vorgänger.
Wenn die Träume das andere und doch dasselbe Leben sind, dann ist Patti Smith einmal mehr auf der richtigen Seite und in ihrem Element. Und die Anhänger der amerikanischen Musikerin, Dichterin, Fotografin und Performerin, die 1946 in Chicago geboren wurde, werden ihr wieder folgen bei ihren Ausflüge der speziellen Art in eine Hyperrealität, als Spiegel ihrer inneren Erfahrungen. Sie findet gleichsam Bodenhaftung in einem Roadtrip in mehreren Etappen; in Besuchen am Krankenbett des moribunden Musikproduzenten und Poeten Sandy Pearlman; im Haus des an ALS leidenden Schauspielers und Schriftstellers Sam Shepard; nicht zuletzt in ihrer scharfen Reaktion auf die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten.
Und sie denkt, sehr ernsthaft, an das eigene Altern, macht Mark Aurel in den "Meditationen" zum Zeugen dafür, "das Verstreichen der Zeit offenen Auges wahrzunehmen. Zehntausend Jahre oder zehntausend Tage, nichts kann die Zeit aufhalten oder an der Tatsache rütteln, dass ich im Jahr des Affen siebzig würde. Siebzig. Nur eine Zahl, aber eine, die anzeigt, wie der zugeteilte Sand durch die Eieruhr rinnt, und man selbst ist das verflixte Ei. Während die Körner rieseln, ertappe ich mich dabei, dass ich die Toten stärker vermisse als früher."
Dem Schweifen von Patti Smiths Gedanken ist nicht mit Logik beizukommen, ihr Nachdenken haftet an den Büchern, mit denen sie lebt und die es stimulieren; an den Bildern, die in ihr auftauchen. Einmal ist es das "mystische Lamm" von Van Eycks Genter Altar, das sie auf dem Weg zu Sam Shepard in den "hintersten Westen" begleitet. Ein anderes Mal reist sie im Kopf zurück zum "Einhorn in Gefangenschaft" auf einem der flämischen Wandteppiche in The Cloisters in New York, das ihr Sandy Pearlman Jahre zuvor erklärt hatte. Und mehrmals ist dieser Ernest plötzlich bei ihr. Sie steigt in sein altes Auto, fährt mit ihm durch die Wüste: "Am Rückspiegel hing ein Rosenkranz. Mit Ernest ins Ungewisse zu fahren, fühlte sich vertraut an; ob Traum oder nicht, wir hatten schon seltsames Gelände durchquert. Ich vertraute seinen Händen am Steuer. Sie erinnerten mich an andere Hände. Hände von guten Menschen." Ernest macht den Job als Psychopompos wirklich gut, er ist ihr Seelengalan.
"Im Jahr des Affen" ist das am meisten verrätselte der drei Erinnerungsbücher von Patti Smith, ein Enigma, zusätzlich genährt mit ihren Fotografien, dem man sich hingerissen anvertrauen will. Vielleicht, weil so viel Energie darin aufleuchtet und so viel Mut, festzuhalten in einem wundervoll antiquierten Sinn an einer untergehenden Weltenordnung. Dabei bloß keine Sentimentalitäten! Noch immer predigt diese Frau den Rock 'n' Roll von der Bühne herab wie keine andere.
"Eine Art Epilog" heißt das letzte Kapitel, die letzten Sätze gelten dem lebenslangen Freund Sam Shepard, der im Juli 2017 dann gestorben ist: "Am Ende, sagte er, ist alles Stoff, was vermutlich heißt, dass wir alle Stoff sind. Ich saß auf einem Holzstuhl mit gerader Lehne. Er stand da und sah wie immer auf mich herab. ,Papa Was a Rolling Stone' lief im Radio, das aussah wie aus den Vierzigern, mit braunem Tweed. Und während er mir das Haar aus den Augen strich, dachte ich, das Dumme am Träumen ist, dass wir irgendwann aufwachen." Die Wirklichkeit ist, dass Patti Smith in ihrem Leben vom Tod so vieler ihr naher Menschen umfangen ist. Und dennoch mitten im Leben bleibt, voller Trauer, doch ohne jede Sentimentalität, ihren unverbrüchlichen "Dream of Life" nicht aufgibt. Das ist ihre Botschaft, die aus dem Jahr des Affen herüberklingt.
ROSE-MARIA GROPP
Patti Smith: "Im Jahr des Affen".
Aus dem Englischen von
Brigitte Jakobeit.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ihr Buch ist wie ein Trostpflaster auf einer Wunde, die das Leben uns jeden Tag neu schlägt.« WDR 4 20210103