Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.1997Ein Plädoyer für politische Reformen
Dohnanyi sucht eine deutsche Antwort auf die Globalisierung
Klaus von Dohnanyi: Im Joch des Profits? Eine deutsche Antwort auf die Globalisierung. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, 336 Seiten, 42 DM.
Das Buch des SPD-Politikers hebt sich im Sinn ökonomischer Vernunft wohltuend von den zahlreichen Horrorszenarien zum Thema Globalisierung und den wütenden Polemiken gegen marktwirtschaftliche Politik ab. Vernunft, die sich in dem Buch auch mit Altersweisheit paart, liegt nahe bei einem Mann, der in den Vereinigten Staaten Rechtswissenschaften studiert hat, in der Autoindustrie und als geschäftsführender Gesellschafter des Infratest-Instituts tätig gewesen ist, in Bonn unter Karl Schiller als Staatssekretär gearbeitet hat und nach anderen politischen Stationen sich seit 1990 im Aufbau Ost engagiert. Zugleich ist dieser Versuch einer deutschen Antwort auf die Globalisierung eine interessante Lektüre im Rückblick auf den SPD-Parteitag und im Ausblick auf die Bundestagswahl im Jahr 1998.
Dohnanyi bekennt sich zu den Kräften des Wandels, zur Rivalität als Motor der Menschheit, zum Wettbewerb als Schubkraft der Nationen, zur segensreichen und unsichtbaren Hand des Marktes, die nicht nur mehr Wohlstand in der Welt hervorgerufen, sondern auch Fortschritte in Richtung auf mehr politische Freiheit nach sich gezogen hat. Er verkennt dabei keineswegs die Schattenseiten des Marktes, die Tendenz zur Brutalisierung. "Ungezügelt würde der Weltmarkt zu einem Monster", schreibt er. Es sei deswegen heute die zentrale Aufgabe demokratischer Politik, den Willen zur menschlichen Selbstbehauptung in demokratische und soziale Reformenergie umzuwandeln (Seite 192).
Anders als viele Globalisierungskritiker will Dohnanyi jedoch nicht die Fragen von heute mit einer Politik von gestern lösen, sondern mahnt eine Erneuerung der Politik an. Im Gegensatz zur Wirtschaft sei die Politik im Lernen gestört und behäbig geworden. Im internationalen Wettbewerb werde aber das ganze Gesellschaftssystem geprüft, deswegen bedürfe auch das ganze Gesellschaftssystem und nicht nur die Wirtschaft der Reformen. Dohnanyi kritisiert jedoch nicht nur die Lernunfähigkeit der Politik, sondern macht zugleich eine Theorielücke bei den Parteien aus - vornehmlich bei der SPD, der er seit 1957 angehört. Diese Theorielücke ließe sich freilich jederzeit schließen, wenn die Politiker die Tatsachen des Wandels und die Mahnungen der Ökonomie zur Kenntnis nähmen. Die SPD unter Führung Lafontaines sieht Dohnanyi auf einem alten Irrweg in der Hoffnung, den Zwängen des Wettbewerbs durch eine internationale Wettbewerbsordnung und durch Protektionismus zu entgehen. Wörtlich schreibt er: "Wer die notwendige Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland als neo-liberales Gequatsche abtut, bewirkt eine ebenso gefährliche Täuschung der Wähler wie eine Selbsttäuschung der Partei." (Seite 88.) Dohnanyi warnt auch vor der Illusion einer Rückkehr zur gewohnten Vollbeschäftigung; er hält eine Öffnung der Löhne nach unten auf Dauer für unausweichlich, wenn die Arbeitslosigkeit verringert werden soll.
Dennoch geht es ihm im Kern um den Erhalt eines erneuerten Sozialstaates in Deutschland, dem er nationale Bindungskraft zuschreibt. Darüber kann man streiten. Zustimmung verdient auf alle Fälle seine Hauptforderung: die Erneuerung der Eigenverantwortlichkeit in dem auf Dezentralisation gegründeten deutschen Modell. So plädiert Dohnanyi für mehr Eigenverantwortlichkeit der Betriebe im Tarifsystem, für eine Entpolitisierung der Sozialsysteme und eine Stärkung der Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten, für mehr Wettbewerb und Selbstverantwortung im Hochschulsystem. Ehrlicherweise bekennt er in diesem Punkt als früherer Wissenschafts- und Bildungsminister eigene Irrtümer und Mitverantwortung an falschen Entscheidungen. Entschieden ist seine Forderung nach Rückkehr zu einem eigenverantwortlichen Föderalismus, zur Klarheit der Verantwortung, vor allem der finanziellen Verantwortung im Verhältnis von Bund und Ländern, wie sie auch der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten angemahnt hat. Für die notwendigen politischen Reformen sieht Dohnanyi freilich Hindernisse im Wesen der Deutschen selbst, in ihrem risikoscheuen Organisationsvertrauen, das im Gegensatz zu dem risikobereiten Selbstvertrauen der Angelsachsen steht. "Nur eine größere Fähigkeit zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft kann die Antwort auf die beschleunigte Evolution der Menschheit sein." (Seite 330.) Daran mangelte es freilich bisher noch immer. JÜRGEN JESKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dohnanyi sucht eine deutsche Antwort auf die Globalisierung
Klaus von Dohnanyi: Im Joch des Profits? Eine deutsche Antwort auf die Globalisierung. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, 336 Seiten, 42 DM.
Das Buch des SPD-Politikers hebt sich im Sinn ökonomischer Vernunft wohltuend von den zahlreichen Horrorszenarien zum Thema Globalisierung und den wütenden Polemiken gegen marktwirtschaftliche Politik ab. Vernunft, die sich in dem Buch auch mit Altersweisheit paart, liegt nahe bei einem Mann, der in den Vereinigten Staaten Rechtswissenschaften studiert hat, in der Autoindustrie und als geschäftsführender Gesellschafter des Infratest-Instituts tätig gewesen ist, in Bonn unter Karl Schiller als Staatssekretär gearbeitet hat und nach anderen politischen Stationen sich seit 1990 im Aufbau Ost engagiert. Zugleich ist dieser Versuch einer deutschen Antwort auf die Globalisierung eine interessante Lektüre im Rückblick auf den SPD-Parteitag und im Ausblick auf die Bundestagswahl im Jahr 1998.
Dohnanyi bekennt sich zu den Kräften des Wandels, zur Rivalität als Motor der Menschheit, zum Wettbewerb als Schubkraft der Nationen, zur segensreichen und unsichtbaren Hand des Marktes, die nicht nur mehr Wohlstand in der Welt hervorgerufen, sondern auch Fortschritte in Richtung auf mehr politische Freiheit nach sich gezogen hat. Er verkennt dabei keineswegs die Schattenseiten des Marktes, die Tendenz zur Brutalisierung. "Ungezügelt würde der Weltmarkt zu einem Monster", schreibt er. Es sei deswegen heute die zentrale Aufgabe demokratischer Politik, den Willen zur menschlichen Selbstbehauptung in demokratische und soziale Reformenergie umzuwandeln (Seite 192).
Anders als viele Globalisierungskritiker will Dohnanyi jedoch nicht die Fragen von heute mit einer Politik von gestern lösen, sondern mahnt eine Erneuerung der Politik an. Im Gegensatz zur Wirtschaft sei die Politik im Lernen gestört und behäbig geworden. Im internationalen Wettbewerb werde aber das ganze Gesellschaftssystem geprüft, deswegen bedürfe auch das ganze Gesellschaftssystem und nicht nur die Wirtschaft der Reformen. Dohnanyi kritisiert jedoch nicht nur die Lernunfähigkeit der Politik, sondern macht zugleich eine Theorielücke bei den Parteien aus - vornehmlich bei der SPD, der er seit 1957 angehört. Diese Theorielücke ließe sich freilich jederzeit schließen, wenn die Politiker die Tatsachen des Wandels und die Mahnungen der Ökonomie zur Kenntnis nähmen. Die SPD unter Führung Lafontaines sieht Dohnanyi auf einem alten Irrweg in der Hoffnung, den Zwängen des Wettbewerbs durch eine internationale Wettbewerbsordnung und durch Protektionismus zu entgehen. Wörtlich schreibt er: "Wer die notwendige Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland als neo-liberales Gequatsche abtut, bewirkt eine ebenso gefährliche Täuschung der Wähler wie eine Selbsttäuschung der Partei." (Seite 88.) Dohnanyi warnt auch vor der Illusion einer Rückkehr zur gewohnten Vollbeschäftigung; er hält eine Öffnung der Löhne nach unten auf Dauer für unausweichlich, wenn die Arbeitslosigkeit verringert werden soll.
Dennoch geht es ihm im Kern um den Erhalt eines erneuerten Sozialstaates in Deutschland, dem er nationale Bindungskraft zuschreibt. Darüber kann man streiten. Zustimmung verdient auf alle Fälle seine Hauptforderung: die Erneuerung der Eigenverantwortlichkeit in dem auf Dezentralisation gegründeten deutschen Modell. So plädiert Dohnanyi für mehr Eigenverantwortlichkeit der Betriebe im Tarifsystem, für eine Entpolitisierung der Sozialsysteme und eine Stärkung der Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten, für mehr Wettbewerb und Selbstverantwortung im Hochschulsystem. Ehrlicherweise bekennt er in diesem Punkt als früherer Wissenschafts- und Bildungsminister eigene Irrtümer und Mitverantwortung an falschen Entscheidungen. Entschieden ist seine Forderung nach Rückkehr zu einem eigenverantwortlichen Föderalismus, zur Klarheit der Verantwortung, vor allem der finanziellen Verantwortung im Verhältnis von Bund und Ländern, wie sie auch der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten angemahnt hat. Für die notwendigen politischen Reformen sieht Dohnanyi freilich Hindernisse im Wesen der Deutschen selbst, in ihrem risikoscheuen Organisationsvertrauen, das im Gegensatz zu dem risikobereiten Selbstvertrauen der Angelsachsen steht. "Nur eine größere Fähigkeit zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft kann die Antwort auf die beschleunigte Evolution der Menschheit sein." (Seite 330.) Daran mangelte es freilich bisher noch immer. JÜRGEN JESKE
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