Eine ungewöhnliche Nahaufnahme des Bundeskanzlers Willy Brandt - und eine brillante Analyse der sozialliberalen Reformära. 25 Jahre im Safe verschlossen, jetzt zur Veröffentlichung freigegeben: das Tagebuch Klaus Harpprechts aus den Jahren 1972-1974, ein intimes Porträt des Menschen und Bundeskanzlers Willy Brandt.
Dass Klaus Harpprecht in den Jahren 1972 bis 1974 Berater und Redenschreiber bei Willy Brandt war, ist bekannt. Dass er in dieser Zeit ein sehr persönliches Tagebuch geführt hat, war bislang ein gut gehütetes Geheimnis. Jetzt hat er diese Notizen aus dem Tresor geholt - ein außergewöhnliches Protokoll der Ära Brandt und ein einzigartiger Spiegel der Bonner Politik dieser Jahre. Die Aufzeichnungen Klaus Harpprechts reichen von der sozialliberalen Regierungserklärung Anfang 1973 bis zum durch die Guillaume-Affäre erzwungenen Rücktritt Brandts im Mai 1974. Die Protagonisten dieses Tagebuchs - darunter Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Rainer Barzel, Leonid Breschnew, Richard Nixon, Henry Kissinger, Golda Meir und viele andere - sind längst Geschichte. Umso interessanter ist, was Klaus Harpprecht über die Vorgänge hinter den Kulissen der Macht zu berichten weiß. Wie geht es zu, wenn die Mächtigen dieser Welt sich treffen und ihre Politik entwerfen? Dieses Buch gehört nicht zur üblichen Memoirenliteratur. Sein außerordentlicher Reiz besteht vielmehr darin, dass die Texte unmittelbar aus der jeweiligen Situation heraus geschrieben wurden. Klaus Harpprechts Beobachtungen sind profund und oft überraschend, und der Weitblick seiner Urteile ist verblüffend. Zugleich erweist er sich wieder einmal als ein Meister der deutschen Sprache.
Dass Klaus Harpprecht in den Jahren 1972 bis 1974 Berater und Redenschreiber bei Willy Brandt war, ist bekannt. Dass er in dieser Zeit ein sehr persönliches Tagebuch geführt hat, war bislang ein gut gehütetes Geheimnis. Jetzt hat er diese Notizen aus dem Tresor geholt - ein außergewöhnliches Protokoll der Ära Brandt und ein einzigartiger Spiegel der Bonner Politik dieser Jahre. Die Aufzeichnungen Klaus Harpprechts reichen von der sozialliberalen Regierungserklärung Anfang 1973 bis zum durch die Guillaume-Affäre erzwungenen Rücktritt Brandts im Mai 1974. Die Protagonisten dieses Tagebuchs - darunter Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Rainer Barzel, Leonid Breschnew, Richard Nixon, Henry Kissinger, Golda Meir und viele andere - sind längst Geschichte. Umso interessanter ist, was Klaus Harpprecht über die Vorgänge hinter den Kulissen der Macht zu berichten weiß. Wie geht es zu, wenn die Mächtigen dieser Welt sich treffen und ihre Politik entwerfen? Dieses Buch gehört nicht zur üblichen Memoirenliteratur. Sein außerordentlicher Reiz besteht vielmehr darin, dass die Texte unmittelbar aus der jeweiligen Situation heraus geschrieben wurden. Klaus Harpprechts Beobachtungen sind profund und oft überraschend, und der Weitblick seiner Urteile ist verblüffend. Zugleich erweist er sich wieder einmal als ein Meister der deutschen Sprache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2000Vertraute Nähe und skeptische Distanz
Kanzler Brandt aus Ghostwriter-Sicht und Kanzlerkandidat Strauß aus Berater-Perspektive
Klaus Harpprecht: Im Kanzleramt. Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 592 Seiten, 48,- Mark.
Friedrich Voss: Den Kanzler im Visier. 20 Jahre mit Franz Josef Strauß. v. Hase & Koehler Verlag, Mainz 1999. 412 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 55,- Mark.
Seit Jahrzehnten gehört Klaus Harpprecht zu den führenden Publizisten der Bundesrepublik. Auch als Schriftsteller hat er sich einen Namen gemacht. Aber er wollte immer auch politisch wirken. Ganz besonders galt das für die Zeit Willy Brandts, als eine ganze Reihe unterschiedlicher Temperamente und Begabungen diesem bedeutenden Mann behilflich waren und zuarbeiteten. Harpprecht war daher bereit, sich zwischen Januar 1973 und Mai 1974 als Redenschreiber und Ghostwriter im Palais Schaumburg niederzulassen.
Er hat in jenen fünf Vierteljahren ein detailliertes Tagebuch geführt. Es gibt einen anschaulichen Eindruck von der kräftezehrenden Existenz eines Redenschreibers ("Niemals in meinem Dasein - weder vorher noch nachher - habe ich geschuftet wie in in jenen Bonner Tagen"), läßt einfühlsam, aber mit vielen scharfzüngigen Charakterisierungen die Atmosphäre des Kanzleramtes jener Jahre spüren: die wechselnden Stimmungen des Chefs, ausgeprägte Abneigungen, persönliche Rivalitäten bei Hofe - zumal zwischen Harpprecht, Gaus und Bahr, drei selbstbewußten Männern journalistischen Hintergrunds. Aufschlußreich auch, wie mühsam der Umgang mit dem selbsternannten, ständig drängelnden, quengelnden Brandt-Berater Gaus war und blieb ("Er scheint darauf gewartet zu haben und noch darauf zu warten, daß man ihm ein konkretes Arbeitsangebot macht. Jeden ,repräsentativen' Job würde er ablehnen. ... Es bedrückt ihn, daß er den Bundeskanzler so wenig sieht. Mit Ein-Stunden-Terminen dann und wann will er sich nicht begnügen"). Weniger interessant sind die ausführlichen Gesprächswiedergaben mit Ausländern, obwohl sie für Fachleute aufschlußreich sind, weil es viel zuwenig derartige Zeitzeugnisse gibt.
Dennoch bin ich insgesamt nicht sicher, ob Harpprecht gut beraten war, dieses Buch herauszubringen, und zwar aus zwei Gründen. Einmal kam Harpprecht seinerzeit zu spät. Die Zeiten des Aufbruchs, der großen Kämpfe waren längst vorbei. Der sozialliberale Beginn im Herbst 1969 war dramatisch gewesen. Die hauchdünne Mehrheit der neuen Koalition schmolz rasch dahin. Die mühsamen Anläufe zur neuen Ostpolitik hatten erbitterte parlamentarische Kämpfe ausgelöst, im Frühjahr 1972 fast desaströs geendet, als Barzel beim konstruktiven Mißtrauensvotum Brandt um ein Haar gestürzt hätte. Danach waren beide Seiten, Regierung und Opposition, gleichermaßen machtlos, so daß es im Herbst zu Neuwahlen kam, die Brandt triumphal gewann. Aber seither ging es, ebenso verblüffend, ständig bergab.
Während des Jahres 1973, also in der Zeit Harpprechts, sah sich Brandt nach und nach auf Null gebracht, wurde in der Guillaume-Affäre aus dem Amt getrieben. Harpprecht beschreibt also nicht die dramatische, konstruktive Phase der Ära Brandt, sondern die weit weniger eindrucksvolle Zeit des unaufhaltsamen Verfalls. Zudem gehörte er offenkundig nicht zum engsten Kreis um den Kanzler, war schon gar nicht unter den Entscheidungsträgern, sondern eben nur die führende Feder eines brillanten Schreibbüros. Das wird besonders deutlich in den Wochen des Rücktritts. Harpprecht war offensichtlich nur marginal informiert.
Der zweite Grund, weshalb man Harpprecht vor der Veröffentlichung hätte warnen sollen, hängt mit dem ersten zusammen: Da er wesentlich nicht als Handelnder - oder maßgeblicher Ratender - am Regierungsgeschäft beteiligt war, sondern als Verfasser von Texten, erliegt er der Versuchung, diese Tätigkeit übermäßig herauszustreichen. Die Existenz des Redenschreibers - und erst recht die eines Ghostwriters - ist entsagungsvoll, setzt Diskretion voraus, muß sich bescheiden im Hintergrund halten. Wird sie zum Thema gemacht, stellt sie denjenigen bloß, dem sie zu dienen vorgibt. Gerade weil Harpprecht stolz darauf ist, daß er im persönlichen Umgang Brandt duzen durfte, hätte er mit Rücksicht auf den toten Freund verschweigen sollen, daß dessen Buch "Über den Tag hinaus" wesentlich aus Harpprechts Feder stammte.
Die Aufzeichnungen von Friedrich Voss sind ganz anderer Art. Sie gelten nicht nur einigen Monaten, sondern zwei Jahrzehnten einer engen politischen Verbundenheit. An stilistischer Brillanz, gedanklichem Gehalt, detailgetreuen, atmosphärisch dichten Schilderungen können sie sich nicht mit Harpprechts Texten messen. Voss ist nicht Journalist, kein begnadeter Stilist. Der Finanzrichter Voss lernte Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß 1968 kennen, wurde sein Redenschreiber, rasch dann politischer Referent, später Büroleiter des bayrischen Politikers. 1972 der CSU beigetreten, kam er vier Jahre später auf der Landesliste in den Bundestag. Nach der Bonner Wende Ende 1982 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium geworden, wechselte er 1990 in die Wirtschaft. Er stand Strauß nahe, betont allerdings seine Unabhängigkeit, deutet gelegentlich Kritik an. Seine Mischung aus vertrauter Nähe und skeptischer Distanz kommt dem Buch zugute, zumal es bisher nur wenige biographische Studien über den Mann gibt, der über vier Jahrzehnte nicht nur die CSU und Bayern prägte, sondern auch die Bundespolitik auf weite Strecken beeinflußte.
In Voss' Schilderungen wird das widerspruchsvolle Naturell von Strauß, das Zupackende wie das Zögerliche dieses Mannes, sehr anschaulich, besonders drastisch im Zusammenhang mit seiner Kanzlerkandidatur für 1980. Wenn man Voss glauben kann, fand sich Strauß nur widerstrebend zu ihr bereit, ja fühlte sich bei ihrer Ankündigung durch Friedrich Zimmermann geradezu überrumpelt. Im Mai 1979 heißt es: "Daß FJS die Kanzlerkandidatur zu diesem Zeitpunkt für sich nicht will, weil er weiß, daß er zum Mißerfolg verdammt ist, darüber besteht kein Zweifel."
Überhaupt besticht das Buch durch viele hübsche Einzelheiten. Angesichts der draufgängerischen Anfänge des Fliegers Strauß zittert man bei der Lektüre noch heute um das Leben der Mitreisenden. Wie bei allen Memoiren interessiert besonders die Einschätzung anderer durch Strauß, durch Voss. Kohl war eine große, bleibende Enttäuschung, besonders nach 1982, aber ein Jahrzehnt zuvor Rainer Barzel auch ("Es hat keinen Zweck, daß ich mit diesem Kerl noch rede"). Strauß schätzte Biedenkopf "als gesellschaftspolitischen Debattierer höher denn als politischen Strategen", während er die FDP und Genscher als "bleibendes Ärgernis" betrachtete.
Am besten gefallen Schilderungen interner Umgangsformen christlich-sozialer Spitzenpolitiker. "Heubl wendet sich unvermittelt an FJS, beschimpft ihn als Untergang der CSU, als ,blöden Hund' und ,großes Arschloch'. FJS bleibt ganz ruhig, erwidert nichts, kniept mir nur mit einem Auge zu. Ich bin von dem süffigen Wein streitlustiger geworden, als ich normalerweise bin . . ., schlage daher entrüstet mit der Faust auf den Tisch und erkläre, es sei nun endgültig an der Zeit, daß Heubl den Raum verlasse. Er steht auch sofort auf und beginnt sich mit Handschlag zu verabschieden. Als er mir die Hand geben will, lasse ich ihn mit ausgestrecktem Arm stehen und sage: ,Einem Kerl, wie Sie einer sind, gebe ich nicht mehr die Hand!'"
ARNULF BARING
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Kanzler Brandt aus Ghostwriter-Sicht und Kanzlerkandidat Strauß aus Berater-Perspektive
Klaus Harpprecht: Im Kanzleramt. Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 592 Seiten, 48,- Mark.
Friedrich Voss: Den Kanzler im Visier. 20 Jahre mit Franz Josef Strauß. v. Hase & Koehler Verlag, Mainz 1999. 412 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 55,- Mark.
Seit Jahrzehnten gehört Klaus Harpprecht zu den führenden Publizisten der Bundesrepublik. Auch als Schriftsteller hat er sich einen Namen gemacht. Aber er wollte immer auch politisch wirken. Ganz besonders galt das für die Zeit Willy Brandts, als eine ganze Reihe unterschiedlicher Temperamente und Begabungen diesem bedeutenden Mann behilflich waren und zuarbeiteten. Harpprecht war daher bereit, sich zwischen Januar 1973 und Mai 1974 als Redenschreiber und Ghostwriter im Palais Schaumburg niederzulassen.
Er hat in jenen fünf Vierteljahren ein detailliertes Tagebuch geführt. Es gibt einen anschaulichen Eindruck von der kräftezehrenden Existenz eines Redenschreibers ("Niemals in meinem Dasein - weder vorher noch nachher - habe ich geschuftet wie in in jenen Bonner Tagen"), läßt einfühlsam, aber mit vielen scharfzüngigen Charakterisierungen die Atmosphäre des Kanzleramtes jener Jahre spüren: die wechselnden Stimmungen des Chefs, ausgeprägte Abneigungen, persönliche Rivalitäten bei Hofe - zumal zwischen Harpprecht, Gaus und Bahr, drei selbstbewußten Männern journalistischen Hintergrunds. Aufschlußreich auch, wie mühsam der Umgang mit dem selbsternannten, ständig drängelnden, quengelnden Brandt-Berater Gaus war und blieb ("Er scheint darauf gewartet zu haben und noch darauf zu warten, daß man ihm ein konkretes Arbeitsangebot macht. Jeden ,repräsentativen' Job würde er ablehnen. ... Es bedrückt ihn, daß er den Bundeskanzler so wenig sieht. Mit Ein-Stunden-Terminen dann und wann will er sich nicht begnügen"). Weniger interessant sind die ausführlichen Gesprächswiedergaben mit Ausländern, obwohl sie für Fachleute aufschlußreich sind, weil es viel zuwenig derartige Zeitzeugnisse gibt.
Dennoch bin ich insgesamt nicht sicher, ob Harpprecht gut beraten war, dieses Buch herauszubringen, und zwar aus zwei Gründen. Einmal kam Harpprecht seinerzeit zu spät. Die Zeiten des Aufbruchs, der großen Kämpfe waren längst vorbei. Der sozialliberale Beginn im Herbst 1969 war dramatisch gewesen. Die hauchdünne Mehrheit der neuen Koalition schmolz rasch dahin. Die mühsamen Anläufe zur neuen Ostpolitik hatten erbitterte parlamentarische Kämpfe ausgelöst, im Frühjahr 1972 fast desaströs geendet, als Barzel beim konstruktiven Mißtrauensvotum Brandt um ein Haar gestürzt hätte. Danach waren beide Seiten, Regierung und Opposition, gleichermaßen machtlos, so daß es im Herbst zu Neuwahlen kam, die Brandt triumphal gewann. Aber seither ging es, ebenso verblüffend, ständig bergab.
Während des Jahres 1973, also in der Zeit Harpprechts, sah sich Brandt nach und nach auf Null gebracht, wurde in der Guillaume-Affäre aus dem Amt getrieben. Harpprecht beschreibt also nicht die dramatische, konstruktive Phase der Ära Brandt, sondern die weit weniger eindrucksvolle Zeit des unaufhaltsamen Verfalls. Zudem gehörte er offenkundig nicht zum engsten Kreis um den Kanzler, war schon gar nicht unter den Entscheidungsträgern, sondern eben nur die führende Feder eines brillanten Schreibbüros. Das wird besonders deutlich in den Wochen des Rücktritts. Harpprecht war offensichtlich nur marginal informiert.
Der zweite Grund, weshalb man Harpprecht vor der Veröffentlichung hätte warnen sollen, hängt mit dem ersten zusammen: Da er wesentlich nicht als Handelnder - oder maßgeblicher Ratender - am Regierungsgeschäft beteiligt war, sondern als Verfasser von Texten, erliegt er der Versuchung, diese Tätigkeit übermäßig herauszustreichen. Die Existenz des Redenschreibers - und erst recht die eines Ghostwriters - ist entsagungsvoll, setzt Diskretion voraus, muß sich bescheiden im Hintergrund halten. Wird sie zum Thema gemacht, stellt sie denjenigen bloß, dem sie zu dienen vorgibt. Gerade weil Harpprecht stolz darauf ist, daß er im persönlichen Umgang Brandt duzen durfte, hätte er mit Rücksicht auf den toten Freund verschweigen sollen, daß dessen Buch "Über den Tag hinaus" wesentlich aus Harpprechts Feder stammte.
Die Aufzeichnungen von Friedrich Voss sind ganz anderer Art. Sie gelten nicht nur einigen Monaten, sondern zwei Jahrzehnten einer engen politischen Verbundenheit. An stilistischer Brillanz, gedanklichem Gehalt, detailgetreuen, atmosphärisch dichten Schilderungen können sie sich nicht mit Harpprechts Texten messen. Voss ist nicht Journalist, kein begnadeter Stilist. Der Finanzrichter Voss lernte Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß 1968 kennen, wurde sein Redenschreiber, rasch dann politischer Referent, später Büroleiter des bayrischen Politikers. 1972 der CSU beigetreten, kam er vier Jahre später auf der Landesliste in den Bundestag. Nach der Bonner Wende Ende 1982 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium geworden, wechselte er 1990 in die Wirtschaft. Er stand Strauß nahe, betont allerdings seine Unabhängigkeit, deutet gelegentlich Kritik an. Seine Mischung aus vertrauter Nähe und skeptischer Distanz kommt dem Buch zugute, zumal es bisher nur wenige biographische Studien über den Mann gibt, der über vier Jahrzehnte nicht nur die CSU und Bayern prägte, sondern auch die Bundespolitik auf weite Strecken beeinflußte.
In Voss' Schilderungen wird das widerspruchsvolle Naturell von Strauß, das Zupackende wie das Zögerliche dieses Mannes, sehr anschaulich, besonders drastisch im Zusammenhang mit seiner Kanzlerkandidatur für 1980. Wenn man Voss glauben kann, fand sich Strauß nur widerstrebend zu ihr bereit, ja fühlte sich bei ihrer Ankündigung durch Friedrich Zimmermann geradezu überrumpelt. Im Mai 1979 heißt es: "Daß FJS die Kanzlerkandidatur zu diesem Zeitpunkt für sich nicht will, weil er weiß, daß er zum Mißerfolg verdammt ist, darüber besteht kein Zweifel."
Überhaupt besticht das Buch durch viele hübsche Einzelheiten. Angesichts der draufgängerischen Anfänge des Fliegers Strauß zittert man bei der Lektüre noch heute um das Leben der Mitreisenden. Wie bei allen Memoiren interessiert besonders die Einschätzung anderer durch Strauß, durch Voss. Kohl war eine große, bleibende Enttäuschung, besonders nach 1982, aber ein Jahrzehnt zuvor Rainer Barzel auch ("Es hat keinen Zweck, daß ich mit diesem Kerl noch rede"). Strauß schätzte Biedenkopf "als gesellschaftspolitischen Debattierer höher denn als politischen Strategen", während er die FDP und Genscher als "bleibendes Ärgernis" betrachtete.
Am besten gefallen Schilderungen interner Umgangsformen christlich-sozialer Spitzenpolitiker. "Heubl wendet sich unvermittelt an FJS, beschimpft ihn als Untergang der CSU, als ,blöden Hund' und ,großes Arschloch'. FJS bleibt ganz ruhig, erwidert nichts, kniept mir nur mit einem Auge zu. Ich bin von dem süffigen Wein streitlustiger geworden, als ich normalerweise bin . . ., schlage daher entrüstet mit der Faust auf den Tisch und erkläre, es sei nun endgültig an der Zeit, daß Heubl den Raum verlasse. Er steht auch sofort auf und beginnt sich mit Handschlag zu verabschieden. Als er mir die Hand geben will, lasse ich ihn mit ausgestrecktem Arm stehen und sage: ,Einem Kerl, wie Sie einer sind, gebe ich nicht mehr die Hand!'"
ARNULF BARING
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In einer Doppelrezenions schreibt Arnulf Baring über Klaus Harpprechts Band "Im Kanzleramt - Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt" (Rowohlt) und über Friedrich Voss` "Der Kanzler im Visier - 20 Jahre mit Franz-Josef Strauß" (Von Hase & Koehler).
1) Klaus Harpprecht: "
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