Eine Meisternovelle, ein literarischer Coup - Maxim Biller erzählt eine Geschichte über den großen jüdischen Schriftsteller Bruno Schulz
Der 1942 ermordete jüdische Autor und Zeichner Bruno Schulz wird zur literarischen Hauptfigur in Maxim Billers neuem Buch - und zum Seismographen künftiger Katastrophen.
Maxim Biller ist mit dieser Novelle etwas Erstaunliches gelungen: Inspiriert von der osteuropäischen Erzähltradition eines Michail Bulgakow oder Isaac Bashevis Singer, nimmt er seine Leser in einem magischen, burlesken Text mit auf die Reise in die polnische Stadt Drohobycz, in die Welt des Schriftstellers Bruno Schulz und in das Jahr 1938. Er führt uns in einen Keller, in dem Bruno Schulz, der seinen Lebensunterhalt als Kunstlehrer verdient und vom literarischen Durchbruch in ganz Europa träumt, einen Brief an Thomas Mann schreibt. Er hofft, dass der weltberühmte Schriftsteller ihm helfen kann, im Ausland einen Verlag zu finden - dann würde er auch endlich einen Grund haben, seine Heimat für immer verlassen. Denn die Zeichen des kommenden Unheils sind unübersehbar und nähren seinen ständigen Begleiter, die Angst. Im Kopf von Bruno Schulz entsteht eine apokalyptische Vision, die vorwegnimmt, was kurz darauf im besetzten Polen tatsächlich passieren wird. Und es entsteht ein literarisches Kunstwerk, brillant geschrieben, voll von schwarzem Humor.
»Billers Sprache ist eine Melodie, die einen anweht, als lebte Albert Camus noch, als schriebe Gottfried Benn plötzlich Short Stories, als klopfte der Existentialismus aus seinem Grab zu uns herüber ...Biller ist ein großer Erzähler.« (Welt am Sonntag)
»Biller ist ein phantastischer Geschichtenfinder altmodischer Pracht, dem an der Welt gelegen ist, an der Wahrheit, am Leben.« (FAS)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der 1942 ermordete jüdische Autor und Zeichner Bruno Schulz wird zur literarischen Hauptfigur in Maxim Billers neuem Buch - und zum Seismographen künftiger Katastrophen.
Maxim Biller ist mit dieser Novelle etwas Erstaunliches gelungen: Inspiriert von der osteuropäischen Erzähltradition eines Michail Bulgakow oder Isaac Bashevis Singer, nimmt er seine Leser in einem magischen, burlesken Text mit auf die Reise in die polnische Stadt Drohobycz, in die Welt des Schriftstellers Bruno Schulz und in das Jahr 1938. Er führt uns in einen Keller, in dem Bruno Schulz, der seinen Lebensunterhalt als Kunstlehrer verdient und vom literarischen Durchbruch in ganz Europa träumt, einen Brief an Thomas Mann schreibt. Er hofft, dass der weltberühmte Schriftsteller ihm helfen kann, im Ausland einen Verlag zu finden - dann würde er auch endlich einen Grund haben, seine Heimat für immer verlassen. Denn die Zeichen des kommenden Unheils sind unübersehbar und nähren seinen ständigen Begleiter, die Angst. Im Kopf von Bruno Schulz entsteht eine apokalyptische Vision, die vorwegnimmt, was kurz darauf im besetzten Polen tatsächlich passieren wird. Und es entsteht ein literarisches Kunstwerk, brillant geschrieben, voll von schwarzem Humor.
»Billers Sprache ist eine Melodie, die einen anweht, als lebte Albert Camus noch, als schriebe Gottfried Benn plötzlich Short Stories, als klopfte der Existentialismus aus seinem Grab zu uns herüber ...Biller ist ein großer Erzähler.« (Welt am Sonntag)
»Biller ist ein phantastischer Geschichtenfinder altmodischer Pracht, dem an der Welt gelegen ist, an der Wahrheit, am Leben.« (FAS)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2013Der Mann mit der Sanduhr
In dieser Woche erscheint Maxim Billers Novelle „Im Kopf von Bruno Schulz“ – sie ist ein brillantes Puppenspiel,
in dem nicht der polnisch-jüdische Autor Bruno Schulz die Hauptfigur ist, sondern die Angst
VON TIM NESHITOV
In dieser Woche tut der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch etwas Ungewöhnliches. Er bringt eine in der Herbstvorschau nicht angekündigte Novelle von Maxim Biller heraus. Sie heißt „Im Kopf von Bruno Schulz“. Der polnisch-jüdische Schriftsteller und Zeichner Bruno Schulz ist in Deutschland weniger durch seine Bücher und Zeichnungen bekannt als vielmehr durch sein Schicksal. In seiner Heimatstadt Drohobycz verlangte sein Gönner, ein SS-Hauptscharführer, von ihm, die Wände im Kinderzimmer seiner Villa zu gestalten. Im November 1942 wurde Schulz auf offener Straße erschossen.
Billers Novelle spielt im November 1938, in einem noch freien Drohobycz. Bruno Schulz gibt am Gymnasium Malunterricht, träumt von masochistischem Sex mit der Sport- und Philosophielehrerin, schreibt einen unterwürfigen Brief an Thomas Mann. Biller hat die Novelle in nur wenigen Wochen geschrieben, eigentlich arbeitet er seit sechs Jahren an einem Roman, der im kommenden Herbst erscheinen und mehr als tausend Seiten umfassen soll. In einer Arbeitspause vor dem Lektorat ist diese Novelle entstanden. Verleger Helge Malchow verschickte das 80 Seiten lange Manuskript kurz vor der Frankfurter Buchmesse an Redaktionen mit der Bemerkung, die Novelle habe ihn „sofort elektrisiert“. Das wundert nicht. Es ist ein sehr interessanter Text, der seinem anspruchsvollen, ja anmaßenden Titel gerecht wird (wer weiß schon wirklich, was sich im Kopf eines anderen Menschen abspielt?)
Mit dieser luftigen, frechen, mozarthaften Novelle tastet sich Biller in eine düstere Gedankenwelt hinein. Die Novelle ist aber auf keinen Fall „eine Geschichte über den großen jüdischen Schriftsteller Bruno Schulz“, als die sie der Verlag anpreist. Bruno Schulz interessiert Biller weder als Schriftsteller noch als Jude. Er ist hier vor allem ein Mensch, der zeit seines Lebens Angst hatte; weniger Angst vor den Nazis, die sind in der Novelle eine noch ferne Gefahr, sondern Angst vor dem Leben schlechthin. Ein Mensch, der sich unwohl fühlt auf der Welt, einfach weil die Welt ein ziemlich ungemütlicher Ort ist.
„Seit er denken konnte, wachte Bruno – so hieß der Mann mit dem Papierdrachengesicht – jeden Morgen mit Angst auf. Die Angst und er gingen zusammen zum Frühstück in Lisowskis Teestube, sie begleitete ihn ins Gymnasium und schaute über seine Schulter, während ihm die Jungen niedergeschlagen ihre misslungenen Tierzeichnungen und die mit schwarzen Fingerabdrücken bedeckten Gipsmodelle ihrer kleinen niedlichen Köpfe zeigten.“ Angst ist in dieser Novelle wichtiger als Sex, Liebe, Verrat, wichtiger sogar als das Glück und die Qualen jüdischer Seelen, sein anderes großes Thema.
Der Autor findet, die Novelle lese sich so gut, weil sie in unsere Zeit passe. „Angst ist heute grundsätzlicher Lebensstoff“, sagt Biller. „Die Menschen haben Angst vor der Armut, vor dem Terrorismus, es gibt eine ganze Angstindustrie. Ich fliege nur noch selten, weil ich keine Lust habe, mich bei den Sicherheitskontrollen erniedrigen zu lassen.“ Biller wohnt in einer unauffällig eingerichteten Altbauwohnung in Berlin- Mitte, trägt gemütliche Hausschuhe, hat ein New-Yorker -Abo, eine Espressomaschine. Er hat einen bedeutenden Verleger, schreibt Kolumnen in zwei Zeitungen. Eigentlich könnte es ihm ganz gut gehen.
Aber Biller sagt, er fühle sich unwohl. „Ich fühle mich nirgends wohl. Ich habe mir mit meinen Büchern mein eigenes Land gebaut. Die Novelle spielt in diesem Land.“ Das Deutschland, in dem sich Maxim Biller unwohl fühlt, verehrt zum Beispiel Richard Wagner und Thomas Mann. Wagner habe „rammsteinhafte Kackmusik“ gemacht und die Rückkehr des unaufgeklärten Deutschen eingeläutet. Thomas Mann sei ein „antisemitischer Wicht“ gewesen, „ein Franzosenhasser, der Demokratie predigte und sich nicht mal traute zu sagen, dass er schwul war“.
Die Deutschen – in Billers Augen unfähig, ihre Macht und Kultur mit anderen zu teilen. „Wenn die Deutschen ihre Einwanderer nicht töten, dann erwarten sie, dass die Einwanderer sich wie Zucker in Wasser auflösen. Die Juden hatten sich geweigert, sich komplett zu assimilieren.“ Es werde auch den Türken etwas Schreckliches widerfahren, wenn mal eine richtige Wirtschaftskrise eintrete.
Deutschland – ein Land, das seine Schriftsteller verkenne. „Mich als Schriftsteller gibt es ausschließlich dank Helge Malchow“, sagt Biller. Dem Verleger widmete er sein jüngstes autobiografisches Buch „Der gebrauchte Jude“. Billers Theaterstück „Kanalratten“ sucht seit sechs Jahren eine Bühne. Es handelt, in filigran verdichteten Dialogen, von einem schleimigen, antisemitischen Chefredakteur einer deutschen Wochenzeitung und von einem melancholischen, kratzbürstigen jüdischen Schriftsteller, der den Namen des Chefredakteurs (Hofman) als „Ofenman“ ausspricht und mit dessen jüdischer Freundin (alias eigener Ex-Freundin) schläft. Da ist noch ein labiler Direktor des Jüdischen Museums zu Berlin, der die Bestände dieses Museums unter der Theke verkauft. „Die Deutschen haben heute zwei Ängste“, sagt Biller. „Als Pädophile dazustehen oder als Antisemiten.“
Maxim Biller als Schriftsteller gäbe es vermutlich auch ohne Helge Malchow. Die „Kanalratten“ sind bei Fischer Taschenbücher erschienen. Billers Romane und Erzählungen sind in den deutschen Medien – in denen Biller sich als Kolumnist mit seinen polarisierenden Meinungen zu Deutschen und zu Deutschland ein treues Publikum erschrieben hat – nie ignoriert worden. Der „gebrauchte Jude“ wurde in dieser Zeitung distanziert, aber durchaus positiv besprochen – und zwar von Joachim Kaiser, der im Roman selbst als Protagonist vorkommt.
In Maxim Billers Novelle über Bruno Schulz wird der Schriftsteller zwar verkannt, aber er behält seine Deutungshoheit. Es ist die trotzige Deutungshoheit eines Menschen, dem seine Welt langsam entgleitet. Gegen Ende der Novelle verlässt Bruno Schulz das ungemütliche Familienhaus, in dem seine Schwester verbissen auf ein besseres Leben wartet und ihm, dem Gymnasiallehrer, Vögel erscheinen, die mit den Stimmen seiner Schüler sprechen. „Er schob sich den dicken Briefumschlag zwischen die Zähne, knurrte ungeduldig, löschte die Lampe und fiel auf die Knie. Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, kroch er, so leise wie möglich, auf allen vieren ins Erdgeschoss und dann – vorbei an Hanias Wohnungstür, hinter der gerade sehr laut gestritten und mit Möbeln und Geschirr geworfen wurde – auf die Florianska-Straße hinaus, wo nur eine einzige Laterne brannte.“
Bruno Schulz ist für Maxim Biller nicht mehr als eine Puppe, die die Rolle des verkannten Schriftstellers spielen soll. Er selbst verkennt Schulz als Schriftsteller. „Schulz langweilt mich mit seinen schrecklichen Beschreibungen zu Tode.“ Er habe viel über Schulz gelesen, aber nicht alles von Schulz, sagt Biller. „Ich habe einfach nicht hereingefunden.“ Isaac Bashevis Singer, der wie Bruno Schulz in Polen zwischen zwei Weltkriegen zum Schriftsteller wurde, sagte seinerzeit über Schulz: „Er schrieb manchmal wie Kafka, manchmal wie Proust, und manchmal gelang es ihm, Tiefen zu erreichen, die weder Kafka noch Proust je erreichten.“
Es ist bei all dem erstaunlich, wie hervorragend Billers Puppe ihre Rolle spielt. Die Welt des Bruno Schulz, wie man sie aus den „Zimtläden“ und dem „Sanatorium zur Sanduhr“ kennt und aus seinen Zeichnungen, wohnt hier jedem Satz inne. Die willkürliche, willkommene Last der Vergangenheit, die kosmische Einsamkeit, die Obsession mit der Vaterfigur, die metamorphischen Phantasien, die Brutalität geerbter chassidischer Mythen, alles ist atmosphärisch da. Auch der Masochismus.
Biller schildert, wie Bruno Schulz sich von seiner ewigen Angst befreit, dem grauen Klumpen in seinem Bauch, als er an Rendezvous mit der kleinen, athletischen Sportlehrerin denkt („im Gesicht behaart wie eine kleine Bonobo-Dame“), ohne Licht, in der Kammer mit den kaputten Turngeräten. Schulz zählt in Gedanken auf, mit Lust am Detail, was man alles in den chaotischen Läden hinter dem Marktplatz besorgen kann: „Venezianische Colombina-Masken aus schwarzem Leder, mit Sägemehl ausgestopfte, penisgroße Pierrots, aus Weidenrouten geflochtene und mit dünnen Stahlketten durchwirkte Osterpeitschen, silberne Nippelklemmen und japanische Schungakerzen, deren tropfendes Wachs keine Brandblasen hinterließ.“
Die Colombina-Phantasien sind natürlich eine hyperbolische Übertreibung, die nur funktioniert, weil Bruno Schulz in seinen Erzählungen selbst mit Hyperbeln gearbeitet hat. Das Motiv von Sex als Zuflucht ist eingebettet in eine Erzählung, die Biller aus einem biografischen Detail herausgesponnen hat. Schulz schrieb 1938 einen Brief an Thomas Mann, nach Zürich, offenbar mit der Bitte, ein Prosastück auf Deutsch zu lesen, das er geschrieben hatte. Der Inhalt des Briefes ist nicht überliefert, eine Antwort Manns auch nicht.
Aber Biller nutzt dieses Detail, um mit Mann abzurechnen. Sein Bruno Schulz berichtet dem Nobelpreisträger in Zürich in einem längeren, über die Novelle verteilten Brief von einem Doppelgänger, der sich in Drohobycz für Thomas Mann ausgibt. Der Doppelgänger trägt abgetragene Kleidung, riecht faul aus dem Mund und übergibt einem Gestapo-Agenten eine Liste mit den Namen jüdischer Bewohner von Drohobycz, samt Anschrift und Einkommen. Viele von ihnen sind Literaturliebhaber und bei Biller allesamt Masochisten, die der falsche Thomas Mann bei einer Versammlung kollektiv und genüsslich auspeitscht. „ ,Ich wäre jetzt auch lieber zuhause in München und würde auf der Briennerstraße kleinen Jungs hinterherschauen, statt in den Sümpfen Galiziens zu waten!‘ schrie er, während er den Hintern der seufzenden Adele bearbeitete.“
Biller sagt, es habe ihn bei der Recherche überrascht, dass Schulz „ausgerechnet diesem Arschloch Thomas Mann“ einen Brief schrieb. Wie stark Thomas Mann das literarische Werk von Schulz beeinflusste, interessiert Biller nicht, weil ihn ja dieses Werk nicht interessiert. Dabei nimmt etwa „Joseph und seine Brüder“ die wichtigsten Schulz’schen Themen vorweg: starker Patriarch, dominante Frau, endlose Kindheit, Traumdeutung. Für Biller ist Schulz ein kränklicher Psychosomatiker. „Solche Leute saßen früher ohne Medikamente tief in der Scheiße.“ Er hat Mitleid mit seiner Puppe, er geht sehr sorgsam, beinahe liebevoll mit ihr um. Mehr aber auch nicht. Es ist ein Rätsel, wie dabei diese brillante Novelle entstehen konnte.
Maxim Biller: Im Kopf von Bruno Schulz. Novelle. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 80 Seiten, 16,99 Euro.
„Die Angst und er gingen
zusammen zum Frühstück
in Lisowskis Teestube.“
Schulz schrieb 1938 einen Brief
an Thomas Mann nach Zürich, mit
der Bitte, Prosa von ihm zu lesen
„Ich habe mir mit meinen Büchern mein eigenes Land gebaut . . .“ Der Autor Maxim Biller in seiner Wohnung.
FOTO: REGINA SCHMEKEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In dieser Woche erscheint Maxim Billers Novelle „Im Kopf von Bruno Schulz“ – sie ist ein brillantes Puppenspiel,
in dem nicht der polnisch-jüdische Autor Bruno Schulz die Hauptfigur ist, sondern die Angst
VON TIM NESHITOV
In dieser Woche tut der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch etwas Ungewöhnliches. Er bringt eine in der Herbstvorschau nicht angekündigte Novelle von Maxim Biller heraus. Sie heißt „Im Kopf von Bruno Schulz“. Der polnisch-jüdische Schriftsteller und Zeichner Bruno Schulz ist in Deutschland weniger durch seine Bücher und Zeichnungen bekannt als vielmehr durch sein Schicksal. In seiner Heimatstadt Drohobycz verlangte sein Gönner, ein SS-Hauptscharführer, von ihm, die Wände im Kinderzimmer seiner Villa zu gestalten. Im November 1942 wurde Schulz auf offener Straße erschossen.
Billers Novelle spielt im November 1938, in einem noch freien Drohobycz. Bruno Schulz gibt am Gymnasium Malunterricht, träumt von masochistischem Sex mit der Sport- und Philosophielehrerin, schreibt einen unterwürfigen Brief an Thomas Mann. Biller hat die Novelle in nur wenigen Wochen geschrieben, eigentlich arbeitet er seit sechs Jahren an einem Roman, der im kommenden Herbst erscheinen und mehr als tausend Seiten umfassen soll. In einer Arbeitspause vor dem Lektorat ist diese Novelle entstanden. Verleger Helge Malchow verschickte das 80 Seiten lange Manuskript kurz vor der Frankfurter Buchmesse an Redaktionen mit der Bemerkung, die Novelle habe ihn „sofort elektrisiert“. Das wundert nicht. Es ist ein sehr interessanter Text, der seinem anspruchsvollen, ja anmaßenden Titel gerecht wird (wer weiß schon wirklich, was sich im Kopf eines anderen Menschen abspielt?)
Mit dieser luftigen, frechen, mozarthaften Novelle tastet sich Biller in eine düstere Gedankenwelt hinein. Die Novelle ist aber auf keinen Fall „eine Geschichte über den großen jüdischen Schriftsteller Bruno Schulz“, als die sie der Verlag anpreist. Bruno Schulz interessiert Biller weder als Schriftsteller noch als Jude. Er ist hier vor allem ein Mensch, der zeit seines Lebens Angst hatte; weniger Angst vor den Nazis, die sind in der Novelle eine noch ferne Gefahr, sondern Angst vor dem Leben schlechthin. Ein Mensch, der sich unwohl fühlt auf der Welt, einfach weil die Welt ein ziemlich ungemütlicher Ort ist.
„Seit er denken konnte, wachte Bruno – so hieß der Mann mit dem Papierdrachengesicht – jeden Morgen mit Angst auf. Die Angst und er gingen zusammen zum Frühstück in Lisowskis Teestube, sie begleitete ihn ins Gymnasium und schaute über seine Schulter, während ihm die Jungen niedergeschlagen ihre misslungenen Tierzeichnungen und die mit schwarzen Fingerabdrücken bedeckten Gipsmodelle ihrer kleinen niedlichen Köpfe zeigten.“ Angst ist in dieser Novelle wichtiger als Sex, Liebe, Verrat, wichtiger sogar als das Glück und die Qualen jüdischer Seelen, sein anderes großes Thema.
Der Autor findet, die Novelle lese sich so gut, weil sie in unsere Zeit passe. „Angst ist heute grundsätzlicher Lebensstoff“, sagt Biller. „Die Menschen haben Angst vor der Armut, vor dem Terrorismus, es gibt eine ganze Angstindustrie. Ich fliege nur noch selten, weil ich keine Lust habe, mich bei den Sicherheitskontrollen erniedrigen zu lassen.“ Biller wohnt in einer unauffällig eingerichteten Altbauwohnung in Berlin- Mitte, trägt gemütliche Hausschuhe, hat ein New-Yorker -Abo, eine Espressomaschine. Er hat einen bedeutenden Verleger, schreibt Kolumnen in zwei Zeitungen. Eigentlich könnte es ihm ganz gut gehen.
Aber Biller sagt, er fühle sich unwohl. „Ich fühle mich nirgends wohl. Ich habe mir mit meinen Büchern mein eigenes Land gebaut. Die Novelle spielt in diesem Land.“ Das Deutschland, in dem sich Maxim Biller unwohl fühlt, verehrt zum Beispiel Richard Wagner und Thomas Mann. Wagner habe „rammsteinhafte Kackmusik“ gemacht und die Rückkehr des unaufgeklärten Deutschen eingeläutet. Thomas Mann sei ein „antisemitischer Wicht“ gewesen, „ein Franzosenhasser, der Demokratie predigte und sich nicht mal traute zu sagen, dass er schwul war“.
Die Deutschen – in Billers Augen unfähig, ihre Macht und Kultur mit anderen zu teilen. „Wenn die Deutschen ihre Einwanderer nicht töten, dann erwarten sie, dass die Einwanderer sich wie Zucker in Wasser auflösen. Die Juden hatten sich geweigert, sich komplett zu assimilieren.“ Es werde auch den Türken etwas Schreckliches widerfahren, wenn mal eine richtige Wirtschaftskrise eintrete.
Deutschland – ein Land, das seine Schriftsteller verkenne. „Mich als Schriftsteller gibt es ausschließlich dank Helge Malchow“, sagt Biller. Dem Verleger widmete er sein jüngstes autobiografisches Buch „Der gebrauchte Jude“. Billers Theaterstück „Kanalratten“ sucht seit sechs Jahren eine Bühne. Es handelt, in filigran verdichteten Dialogen, von einem schleimigen, antisemitischen Chefredakteur einer deutschen Wochenzeitung und von einem melancholischen, kratzbürstigen jüdischen Schriftsteller, der den Namen des Chefredakteurs (Hofman) als „Ofenman“ ausspricht und mit dessen jüdischer Freundin (alias eigener Ex-Freundin) schläft. Da ist noch ein labiler Direktor des Jüdischen Museums zu Berlin, der die Bestände dieses Museums unter der Theke verkauft. „Die Deutschen haben heute zwei Ängste“, sagt Biller. „Als Pädophile dazustehen oder als Antisemiten.“
Maxim Biller als Schriftsteller gäbe es vermutlich auch ohne Helge Malchow. Die „Kanalratten“ sind bei Fischer Taschenbücher erschienen. Billers Romane und Erzählungen sind in den deutschen Medien – in denen Biller sich als Kolumnist mit seinen polarisierenden Meinungen zu Deutschen und zu Deutschland ein treues Publikum erschrieben hat – nie ignoriert worden. Der „gebrauchte Jude“ wurde in dieser Zeitung distanziert, aber durchaus positiv besprochen – und zwar von Joachim Kaiser, der im Roman selbst als Protagonist vorkommt.
In Maxim Billers Novelle über Bruno Schulz wird der Schriftsteller zwar verkannt, aber er behält seine Deutungshoheit. Es ist die trotzige Deutungshoheit eines Menschen, dem seine Welt langsam entgleitet. Gegen Ende der Novelle verlässt Bruno Schulz das ungemütliche Familienhaus, in dem seine Schwester verbissen auf ein besseres Leben wartet und ihm, dem Gymnasiallehrer, Vögel erscheinen, die mit den Stimmen seiner Schüler sprechen. „Er schob sich den dicken Briefumschlag zwischen die Zähne, knurrte ungeduldig, löschte die Lampe und fiel auf die Knie. Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, kroch er, so leise wie möglich, auf allen vieren ins Erdgeschoss und dann – vorbei an Hanias Wohnungstür, hinter der gerade sehr laut gestritten und mit Möbeln und Geschirr geworfen wurde – auf die Florianska-Straße hinaus, wo nur eine einzige Laterne brannte.“
Bruno Schulz ist für Maxim Biller nicht mehr als eine Puppe, die die Rolle des verkannten Schriftstellers spielen soll. Er selbst verkennt Schulz als Schriftsteller. „Schulz langweilt mich mit seinen schrecklichen Beschreibungen zu Tode.“ Er habe viel über Schulz gelesen, aber nicht alles von Schulz, sagt Biller. „Ich habe einfach nicht hereingefunden.“ Isaac Bashevis Singer, der wie Bruno Schulz in Polen zwischen zwei Weltkriegen zum Schriftsteller wurde, sagte seinerzeit über Schulz: „Er schrieb manchmal wie Kafka, manchmal wie Proust, und manchmal gelang es ihm, Tiefen zu erreichen, die weder Kafka noch Proust je erreichten.“
Es ist bei all dem erstaunlich, wie hervorragend Billers Puppe ihre Rolle spielt. Die Welt des Bruno Schulz, wie man sie aus den „Zimtläden“ und dem „Sanatorium zur Sanduhr“ kennt und aus seinen Zeichnungen, wohnt hier jedem Satz inne. Die willkürliche, willkommene Last der Vergangenheit, die kosmische Einsamkeit, die Obsession mit der Vaterfigur, die metamorphischen Phantasien, die Brutalität geerbter chassidischer Mythen, alles ist atmosphärisch da. Auch der Masochismus.
Biller schildert, wie Bruno Schulz sich von seiner ewigen Angst befreit, dem grauen Klumpen in seinem Bauch, als er an Rendezvous mit der kleinen, athletischen Sportlehrerin denkt („im Gesicht behaart wie eine kleine Bonobo-Dame“), ohne Licht, in der Kammer mit den kaputten Turngeräten. Schulz zählt in Gedanken auf, mit Lust am Detail, was man alles in den chaotischen Läden hinter dem Marktplatz besorgen kann: „Venezianische Colombina-Masken aus schwarzem Leder, mit Sägemehl ausgestopfte, penisgroße Pierrots, aus Weidenrouten geflochtene und mit dünnen Stahlketten durchwirkte Osterpeitschen, silberne Nippelklemmen und japanische Schungakerzen, deren tropfendes Wachs keine Brandblasen hinterließ.“
Die Colombina-Phantasien sind natürlich eine hyperbolische Übertreibung, die nur funktioniert, weil Bruno Schulz in seinen Erzählungen selbst mit Hyperbeln gearbeitet hat. Das Motiv von Sex als Zuflucht ist eingebettet in eine Erzählung, die Biller aus einem biografischen Detail herausgesponnen hat. Schulz schrieb 1938 einen Brief an Thomas Mann, nach Zürich, offenbar mit der Bitte, ein Prosastück auf Deutsch zu lesen, das er geschrieben hatte. Der Inhalt des Briefes ist nicht überliefert, eine Antwort Manns auch nicht.
Aber Biller nutzt dieses Detail, um mit Mann abzurechnen. Sein Bruno Schulz berichtet dem Nobelpreisträger in Zürich in einem längeren, über die Novelle verteilten Brief von einem Doppelgänger, der sich in Drohobycz für Thomas Mann ausgibt. Der Doppelgänger trägt abgetragene Kleidung, riecht faul aus dem Mund und übergibt einem Gestapo-Agenten eine Liste mit den Namen jüdischer Bewohner von Drohobycz, samt Anschrift und Einkommen. Viele von ihnen sind Literaturliebhaber und bei Biller allesamt Masochisten, die der falsche Thomas Mann bei einer Versammlung kollektiv und genüsslich auspeitscht. „ ,Ich wäre jetzt auch lieber zuhause in München und würde auf der Briennerstraße kleinen Jungs hinterherschauen, statt in den Sümpfen Galiziens zu waten!‘ schrie er, während er den Hintern der seufzenden Adele bearbeitete.“
Biller sagt, es habe ihn bei der Recherche überrascht, dass Schulz „ausgerechnet diesem Arschloch Thomas Mann“ einen Brief schrieb. Wie stark Thomas Mann das literarische Werk von Schulz beeinflusste, interessiert Biller nicht, weil ihn ja dieses Werk nicht interessiert. Dabei nimmt etwa „Joseph und seine Brüder“ die wichtigsten Schulz’schen Themen vorweg: starker Patriarch, dominante Frau, endlose Kindheit, Traumdeutung. Für Biller ist Schulz ein kränklicher Psychosomatiker. „Solche Leute saßen früher ohne Medikamente tief in der Scheiße.“ Er hat Mitleid mit seiner Puppe, er geht sehr sorgsam, beinahe liebevoll mit ihr um. Mehr aber auch nicht. Es ist ein Rätsel, wie dabei diese brillante Novelle entstehen konnte.
Maxim Biller: Im Kopf von Bruno Schulz. Novelle. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 80 Seiten, 16,99 Euro.
„Die Angst und er gingen
zusammen zum Frühstück
in Lisowskis Teestube.“
Schulz schrieb 1938 einen Brief
an Thomas Mann nach Zürich, mit
der Bitte, Prosa von ihm zu lesen
„Ich habe mir mit meinen Büchern mein eigenes Land gebaut . . .“ Der Autor Maxim Biller in seiner Wohnung.
FOTO: REGINA SCHMEKEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2013In jeder Ecke ein dicker Klumpen Angst
Maxim Biller begibt sich mit seiner Novelle "Im Kopf von Bruno Schulz" auf die Spur eines der größten und tragischsten jüdischen Schriftsteller.
Von Michael Krüger
Wer noch nie Bruno Schulz gelesen hat, diesen jüdischen Meister der euphorischen Metapher aus dem galizischen Drohobycz, der darf sich auf die schönsten Lesestunden freuen. Das erhaltene Werk ist schmal. Neben den seinen Ruhm begründenden autobiographischen Erzählungen "Die Zimtläden" (1933 erschienen) und der Sammlung verstreuter Geschichten, "Das Sanatorium zur Sanduhr", sind nur einige Aufsätze, Kritiken und Briefe erhalten, der Rest muss als verschollen gelten - auch wenn die hartnäckigen Schulz-Verehrer immer noch daran glauben, eines Tages auf einem staubigen ukrainischen Dachboden eine Mappe mit dem gelegentlich erwähnten Manuskript des Romans "Der Messias" zu finden. Schulz hat sie, dafür gibt es verlässliche Zeugen, bei Freunden versteckt. Sind die Seiten verbrannt oder ganz einfach als Einwickelpapier verwendet worden? Es wäre der theologischen Erwartung auch fast zu viel, wenn nun, nach dem Holocaust, ausgerechnet der "Messias" noch einmal in Drohobycz auftauchen würde.
Die reiche, bilderreiche Sprache, mit der Bruno Schulz in allen dunklen Farben die damals triste Kreisstadt beschrieb, in der er eine ungeliebte Stelle als Kunstlehrer versah, wird einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: "Unsere Stadt fiel schon damals immer mehr dem chronischen Grau der Dämmerung anheim, an ihren Rändern wuchsen Schattenflechten, flaumiger Schimmel und eisenfarbenes Moos."
In einem deutsch geschriebenen Exposé über die "Zimtläden", das Schulz in der Hoffnung verfasste, damit italienische Verlage für sein Werk zu interessieren, formuliert er die tieferen Absichten seines Schreibens und entwickelt gleichsam aus der Hand seine Poetologie. Darin heißt es: "Der Verfasser ist von dem Gefühl ausgegangen, dass die tiefsten Gründe einer Biographie, die letzte Form eines Schicksals gar nicht durch die Schilderung eines äußeren Lebenslaufes, noch durch eine noch so tief geführte psychologische Analyse erschöpft werden könne. Diese letzten Gegebenheiten des menschlichen Lebens lägen vielmehr in ganz anderer geistigen Dimension, nicht in der Kategorie des Faktischen, sondern in der des geistigen Sinnes. Ein Lebenslauf aber, der auf seine eigene Sinnesdeutung hinaus will, der auf seine eigene geistige Bedeutung zugespitzt ist, ist nichts anderes als Mythus.
Jene dunkle, ahnungsvolle Atmosphäre, jene Aura, die sich um jede Familiengeschichte zusammendrängt und in der es gleichsam mythisch wetterleuchtet, als ob in ihr das letzte Geheimnis des Blutes und des Geschlechtes enthalten wäre - erschließt dem Dichter den Zugang zu diesem zweiten Gesicht, zu dieser Alternative, dieser tieferen Version der Geschichte."
Bruno Schulz war eben alles andere als ein naiver Autor, der das bunte jüdische Treiben der Händler und Handwerker auf den Straßen von Drohobycz mit den artistischen Erfindungen seiner Sprache folkloristisch überhöhte. Ihm war es sehr ernst in seinem "Streben nach der absoluten Vollendung", um die "verlorene Sache der Poesie" vielleicht doch noch zu retten. Er war einer der letzten in der langen Reihe der jüdischen Künstler und Intellektuellen, die seit 1750 versuchten, ihr galizisches Schtetl zu verlassen, um in einer der Hauptstädte Mitteleuropas, in Prag, Budapest oder Wien, ihre Karriere als gleichberechtigte Bürger zu vollenden. Bruno Schulz, dieser sanftmütige Ästhet, wurde auf offener Straße von einem deutschen Gestapo-Mann erschossen.
Wer sich mit dem Leben dieses galizischen Unglücksraben beschäftigen will, wie es Maxim Biller jetzt mit seiner Novelle "Im Kopf von Bruno Schulz" tut, der muss sich auf eine bittere Reise gefasst machen. Nichts wollte Schulz gelingen. Die endlosen, kafkaesken Schreiben an die Schulbehörden, ihm eine feste Stelle zu geben, und später, als er sie endlich hatte, ein bezahltes Freijahr, die Bitte um Versetzung nach Warschau, wo die polnische Avantgarde um seine Freunde Gombrowicz, Tuwim und Witkiewicz gerade Aufmerksamkeit erregte, und schließlich die Bitte um Urlaub, um seine angeschlagene Gesundheit zu kurieren - diese Schreiben brechen einem das Herz, denn sie waren alle - vergeblich. Im Jahre 1932 muss er auf der Konferenz für Handarbeitslehrer in Stryj - wo ein Jahr später Louis Begley als Ludwig Beglejter auf die Welt kam - einen Vortrag zum Thema "Die künstlerische Formgebung in Pappe und ihre Anwendung in der Schule" halten: für den bedeutenden Graphiker und Radierer Schulz eine Tortur. Immer kam etwas dazwischen, immer wurde er unterbrochen, nie war es ihm gestattet, kontinuierlich an seinem Werk zu arbeiten.
Die Versuche, seine Geschichten in Übersetzungen herauszubringen, scheiterten trotz der Fürsprache so prominenter Zeitgenossen wie Joseph Roth. Schulz schreibt sogar eine Geschichte in deutscher Sprache, "Die Heimkehr", die aber auch keinen Verleger fand und seither als verloren gilt. Schließlich unternimmt er im August 1938 - mit fast allen seinen Zeichnungen im Gepäck - eine abenteuerliche Reise rund um das faschistische Deutschland nach Paris, weil er dort Anerkennung erhoffte. Und Schutz vor der deutschen Entwicklung, denn inzwischen waren der Anschluss Österreichs erfolgt und die Besetzung der Tschechoslowakei. Doch die Pariser befanden sich in der Sommerfrische, keiner hatte Zeit für den korrekt gekleideten kleinen Mann aus Galizien mit der Rolle seiner Zeichnungen unter dem Arm.
Die nun folgende Geschichte vom Ausbruch des Krieges, vom Überfall auf Polen und von der sofort einsetzenden Verfolgung und brutalen Tötung von Juden, auch in Drohobycz, von der Besetzung durch sowjetische Truppen und dem stalinistischen Terror, von der Zurückweisung seiner Erzählungen mit der Begründung: "Wir brauchen keine Prousts!", von der deutschen Besetzung seiner Heimatstadt im Juni 1941 bis zum bitteren Ende - diese deutsche Geschichte ist zu furchtbar, um sie hier zu wiederholen. Auf jeden Fall darf der Jude Bruno Schulz in seiner Heimatstadt nicht mehr auf dem Gehsteig gehen oder in arischen Krankenhäusern behandelt werden; die jüdischen Waisenkinder werden als unnötige Esser gleich mit den Erzieherinnen erschossen.
Am 19. November 1942 feuert der SS-Scharführer Karl Günther zwei Schüsse auf Bruno Schulz ab, die ihn auf der Stelle töten. Der Mörder brüstet sich damit, den Schützling eines anderen brutalen Mörders, des SS-Manns Felix Landau aus Wien, für dessen Kinder der Maler Schulz für einen Teller Suppe die Zimmer mit Fresken versehen hat, erschossen zu haben. Es ist und bleibt eine der widerlichsten Geschichten des langen, überlangen zwanzigsten Jahrhunderts.
Es ist bezeugt, dass Bruno Schulz 1938/39 mehrere Briefe an Thomas Mann schrieb, dessen Josephs-Roman er verehrte; auch seine deutsch geschriebene Novelle legte er bei. Es soll tatsächlich eine Antwort von Thomas Mann gegeben haben, die allerdings wie der größte Teil der umfangreichen Korrespondenz von Bruno Schulz nie wieder aufgetaucht ist.
Wie mag wohl ein im Westen vollkommen unbekannter jüdischer Schriftsteller aus Drohobycz an den Nobelpreisträger Thomas Mann geschrieben haben? Maxim Biller versucht in seiner Novelle diese Frage zu beantworten. Nach mehreren seriösen Versuchen schreibt sein Bruno Schulz: "Lieber Dr. Thomas Mann! Obwohl wir uns nicht persönlich kennen, muß ich Sie darüber informieren, daß vor drei Wochen ein Deutscher in unsere Stadt gekommen ist, der behauptet, Sie zu sein. Da ich Sie - wie wir alle in Drohobycz - nur von Fotografien aus den Zeitungen kenne, kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß Sie es nicht sind, aber allein die Geschichten, die er erzählt - von seiner abgetragenen Kleidung und dem starken Körpergeruch abgesehen, der ihn umgibt -, machen ihn verdächtig."
Maxim Biller kriecht gleichsam in den Körper von Bruno Schulz, um aus dieser Innenperspektive dessen bedrückende Lebensumstände genau zu erfassen. Schulz hockt in seinem Arbeitszimmer in der Florianska 10 im Keller, um ihn herum die ausgestopften Vögel, die in seinen Erzählungen eine bedeutende Rolle spielen und bei Biller bald zu sprechen beginnen, an den nassen Wänden seine welligen Zeichnungen mit sadomasochistischen Motiven und in jeder Ecke ein dicker Klumpen Angst, der sein Schreiben argwöhnisch verfolgt: "Du mußt zur Sache kommen", flüstert die Angst, "weißt du, wie viele Briefe er jeden Tag bekommt?"
Die "Sache" ist natürlich, dass der falsche Thomas Mann eine Art Spion ist und die Juden von Drohobycz ausspionieren soll vor ihrer Vernichtung. "Es ist wirklich sehr unangenehm, daß die Nazi Ihren guten Namen benutzen, sehr verehrter Dr. Mann", schreibt Bruno Schulz bei Biller an Thomas Mann, "und weil Sie als Stimme des anderen Deutschlands auf Ihren Ruf achten müssen, wollte ich Sie warnen."
Bruno schließt den Brief mit "Hochachtungsvoll, Ihr sehr trauriger und sehr ergebener Bruno Schulz", steckt ihn in ein Couvert und kriecht "auf allen vieren", aus dem Haus, um in seine Schule zu kommen. "Er war, obwohl schon fast eine Stunde unterwegs, gerade erst beim Portikus des Stadtparks angekommen, er atmete schwer, seine Knie waren wund und blutig, und die Tauben im Himmel über Drohobycz flogen eine nach der anderen in den roten Feuerschein hinein, wo sie wie Zunder verbrannten."
Man muss die Werke von Bruno Schulz kennen, um die vielen Anspielungen und Echos zu verstehen, die in dem Text von Maxim Biller versteckt sind und ihm seinen Ton geben. Vielleicht war das ja der geheime Antrieb des Autors: Lest Schulz!
Und natürlich hofft man als Leser von Maxim Billers Novelle, dass das Thomas-Mann-Archiv tatsächlich so schlecht ist wie sein Ruf, damit das Original des Briefes von Bruno Schulz zusammen mit seiner deutschen Erzählung doch noch die Welt jenseits von Drohobycz erreicht.
Michael Krüger ist Lyriker, Übersetzer und Geschäftsführer des Hanser-Verlags, in dem das literarische Werk von Bruno Schulz erscheint.
Maxim Biller:
"Im Kopf von
Bruno Schulz". Eine Erzählung.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 71 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maxim Biller begibt sich mit seiner Novelle "Im Kopf von Bruno Schulz" auf die Spur eines der größten und tragischsten jüdischen Schriftsteller.
Von Michael Krüger
Wer noch nie Bruno Schulz gelesen hat, diesen jüdischen Meister der euphorischen Metapher aus dem galizischen Drohobycz, der darf sich auf die schönsten Lesestunden freuen. Das erhaltene Werk ist schmal. Neben den seinen Ruhm begründenden autobiographischen Erzählungen "Die Zimtläden" (1933 erschienen) und der Sammlung verstreuter Geschichten, "Das Sanatorium zur Sanduhr", sind nur einige Aufsätze, Kritiken und Briefe erhalten, der Rest muss als verschollen gelten - auch wenn die hartnäckigen Schulz-Verehrer immer noch daran glauben, eines Tages auf einem staubigen ukrainischen Dachboden eine Mappe mit dem gelegentlich erwähnten Manuskript des Romans "Der Messias" zu finden. Schulz hat sie, dafür gibt es verlässliche Zeugen, bei Freunden versteckt. Sind die Seiten verbrannt oder ganz einfach als Einwickelpapier verwendet worden? Es wäre der theologischen Erwartung auch fast zu viel, wenn nun, nach dem Holocaust, ausgerechnet der "Messias" noch einmal in Drohobycz auftauchen würde.
Die reiche, bilderreiche Sprache, mit der Bruno Schulz in allen dunklen Farben die damals triste Kreisstadt beschrieb, in der er eine ungeliebte Stelle als Kunstlehrer versah, wird einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: "Unsere Stadt fiel schon damals immer mehr dem chronischen Grau der Dämmerung anheim, an ihren Rändern wuchsen Schattenflechten, flaumiger Schimmel und eisenfarbenes Moos."
In einem deutsch geschriebenen Exposé über die "Zimtläden", das Schulz in der Hoffnung verfasste, damit italienische Verlage für sein Werk zu interessieren, formuliert er die tieferen Absichten seines Schreibens und entwickelt gleichsam aus der Hand seine Poetologie. Darin heißt es: "Der Verfasser ist von dem Gefühl ausgegangen, dass die tiefsten Gründe einer Biographie, die letzte Form eines Schicksals gar nicht durch die Schilderung eines äußeren Lebenslaufes, noch durch eine noch so tief geführte psychologische Analyse erschöpft werden könne. Diese letzten Gegebenheiten des menschlichen Lebens lägen vielmehr in ganz anderer geistigen Dimension, nicht in der Kategorie des Faktischen, sondern in der des geistigen Sinnes. Ein Lebenslauf aber, der auf seine eigene Sinnesdeutung hinaus will, der auf seine eigene geistige Bedeutung zugespitzt ist, ist nichts anderes als Mythus.
Jene dunkle, ahnungsvolle Atmosphäre, jene Aura, die sich um jede Familiengeschichte zusammendrängt und in der es gleichsam mythisch wetterleuchtet, als ob in ihr das letzte Geheimnis des Blutes und des Geschlechtes enthalten wäre - erschließt dem Dichter den Zugang zu diesem zweiten Gesicht, zu dieser Alternative, dieser tieferen Version der Geschichte."
Bruno Schulz war eben alles andere als ein naiver Autor, der das bunte jüdische Treiben der Händler und Handwerker auf den Straßen von Drohobycz mit den artistischen Erfindungen seiner Sprache folkloristisch überhöhte. Ihm war es sehr ernst in seinem "Streben nach der absoluten Vollendung", um die "verlorene Sache der Poesie" vielleicht doch noch zu retten. Er war einer der letzten in der langen Reihe der jüdischen Künstler und Intellektuellen, die seit 1750 versuchten, ihr galizisches Schtetl zu verlassen, um in einer der Hauptstädte Mitteleuropas, in Prag, Budapest oder Wien, ihre Karriere als gleichberechtigte Bürger zu vollenden. Bruno Schulz, dieser sanftmütige Ästhet, wurde auf offener Straße von einem deutschen Gestapo-Mann erschossen.
Wer sich mit dem Leben dieses galizischen Unglücksraben beschäftigen will, wie es Maxim Biller jetzt mit seiner Novelle "Im Kopf von Bruno Schulz" tut, der muss sich auf eine bittere Reise gefasst machen. Nichts wollte Schulz gelingen. Die endlosen, kafkaesken Schreiben an die Schulbehörden, ihm eine feste Stelle zu geben, und später, als er sie endlich hatte, ein bezahltes Freijahr, die Bitte um Versetzung nach Warschau, wo die polnische Avantgarde um seine Freunde Gombrowicz, Tuwim und Witkiewicz gerade Aufmerksamkeit erregte, und schließlich die Bitte um Urlaub, um seine angeschlagene Gesundheit zu kurieren - diese Schreiben brechen einem das Herz, denn sie waren alle - vergeblich. Im Jahre 1932 muss er auf der Konferenz für Handarbeitslehrer in Stryj - wo ein Jahr später Louis Begley als Ludwig Beglejter auf die Welt kam - einen Vortrag zum Thema "Die künstlerische Formgebung in Pappe und ihre Anwendung in der Schule" halten: für den bedeutenden Graphiker und Radierer Schulz eine Tortur. Immer kam etwas dazwischen, immer wurde er unterbrochen, nie war es ihm gestattet, kontinuierlich an seinem Werk zu arbeiten.
Die Versuche, seine Geschichten in Übersetzungen herauszubringen, scheiterten trotz der Fürsprache so prominenter Zeitgenossen wie Joseph Roth. Schulz schreibt sogar eine Geschichte in deutscher Sprache, "Die Heimkehr", die aber auch keinen Verleger fand und seither als verloren gilt. Schließlich unternimmt er im August 1938 - mit fast allen seinen Zeichnungen im Gepäck - eine abenteuerliche Reise rund um das faschistische Deutschland nach Paris, weil er dort Anerkennung erhoffte. Und Schutz vor der deutschen Entwicklung, denn inzwischen waren der Anschluss Österreichs erfolgt und die Besetzung der Tschechoslowakei. Doch die Pariser befanden sich in der Sommerfrische, keiner hatte Zeit für den korrekt gekleideten kleinen Mann aus Galizien mit der Rolle seiner Zeichnungen unter dem Arm.
Die nun folgende Geschichte vom Ausbruch des Krieges, vom Überfall auf Polen und von der sofort einsetzenden Verfolgung und brutalen Tötung von Juden, auch in Drohobycz, von der Besetzung durch sowjetische Truppen und dem stalinistischen Terror, von der Zurückweisung seiner Erzählungen mit der Begründung: "Wir brauchen keine Prousts!", von der deutschen Besetzung seiner Heimatstadt im Juni 1941 bis zum bitteren Ende - diese deutsche Geschichte ist zu furchtbar, um sie hier zu wiederholen. Auf jeden Fall darf der Jude Bruno Schulz in seiner Heimatstadt nicht mehr auf dem Gehsteig gehen oder in arischen Krankenhäusern behandelt werden; die jüdischen Waisenkinder werden als unnötige Esser gleich mit den Erzieherinnen erschossen.
Am 19. November 1942 feuert der SS-Scharführer Karl Günther zwei Schüsse auf Bruno Schulz ab, die ihn auf der Stelle töten. Der Mörder brüstet sich damit, den Schützling eines anderen brutalen Mörders, des SS-Manns Felix Landau aus Wien, für dessen Kinder der Maler Schulz für einen Teller Suppe die Zimmer mit Fresken versehen hat, erschossen zu haben. Es ist und bleibt eine der widerlichsten Geschichten des langen, überlangen zwanzigsten Jahrhunderts.
Es ist bezeugt, dass Bruno Schulz 1938/39 mehrere Briefe an Thomas Mann schrieb, dessen Josephs-Roman er verehrte; auch seine deutsch geschriebene Novelle legte er bei. Es soll tatsächlich eine Antwort von Thomas Mann gegeben haben, die allerdings wie der größte Teil der umfangreichen Korrespondenz von Bruno Schulz nie wieder aufgetaucht ist.
Wie mag wohl ein im Westen vollkommen unbekannter jüdischer Schriftsteller aus Drohobycz an den Nobelpreisträger Thomas Mann geschrieben haben? Maxim Biller versucht in seiner Novelle diese Frage zu beantworten. Nach mehreren seriösen Versuchen schreibt sein Bruno Schulz: "Lieber Dr. Thomas Mann! Obwohl wir uns nicht persönlich kennen, muß ich Sie darüber informieren, daß vor drei Wochen ein Deutscher in unsere Stadt gekommen ist, der behauptet, Sie zu sein. Da ich Sie - wie wir alle in Drohobycz - nur von Fotografien aus den Zeitungen kenne, kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß Sie es nicht sind, aber allein die Geschichten, die er erzählt - von seiner abgetragenen Kleidung und dem starken Körpergeruch abgesehen, der ihn umgibt -, machen ihn verdächtig."
Maxim Biller kriecht gleichsam in den Körper von Bruno Schulz, um aus dieser Innenperspektive dessen bedrückende Lebensumstände genau zu erfassen. Schulz hockt in seinem Arbeitszimmer in der Florianska 10 im Keller, um ihn herum die ausgestopften Vögel, die in seinen Erzählungen eine bedeutende Rolle spielen und bei Biller bald zu sprechen beginnen, an den nassen Wänden seine welligen Zeichnungen mit sadomasochistischen Motiven und in jeder Ecke ein dicker Klumpen Angst, der sein Schreiben argwöhnisch verfolgt: "Du mußt zur Sache kommen", flüstert die Angst, "weißt du, wie viele Briefe er jeden Tag bekommt?"
Die "Sache" ist natürlich, dass der falsche Thomas Mann eine Art Spion ist und die Juden von Drohobycz ausspionieren soll vor ihrer Vernichtung. "Es ist wirklich sehr unangenehm, daß die Nazi Ihren guten Namen benutzen, sehr verehrter Dr. Mann", schreibt Bruno Schulz bei Biller an Thomas Mann, "und weil Sie als Stimme des anderen Deutschlands auf Ihren Ruf achten müssen, wollte ich Sie warnen."
Bruno schließt den Brief mit "Hochachtungsvoll, Ihr sehr trauriger und sehr ergebener Bruno Schulz", steckt ihn in ein Couvert und kriecht "auf allen vieren", aus dem Haus, um in seine Schule zu kommen. "Er war, obwohl schon fast eine Stunde unterwegs, gerade erst beim Portikus des Stadtparks angekommen, er atmete schwer, seine Knie waren wund und blutig, und die Tauben im Himmel über Drohobycz flogen eine nach der anderen in den roten Feuerschein hinein, wo sie wie Zunder verbrannten."
Man muss die Werke von Bruno Schulz kennen, um die vielen Anspielungen und Echos zu verstehen, die in dem Text von Maxim Biller versteckt sind und ihm seinen Ton geben. Vielleicht war das ja der geheime Antrieb des Autors: Lest Schulz!
Und natürlich hofft man als Leser von Maxim Billers Novelle, dass das Thomas-Mann-Archiv tatsächlich so schlecht ist wie sein Ruf, damit das Original des Briefes von Bruno Schulz zusammen mit seiner deutschen Erzählung doch noch die Welt jenseits von Drohobycz erreicht.
Michael Krüger ist Lyriker, Übersetzer und Geschäftsführer des Hanser-Verlags, in dem das literarische Werk von Bruno Schulz erscheint.
Maxim Biller:
"Im Kopf von
Bruno Schulz". Eine Erzählung.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 71 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Beatrice Eichmann-Leutenegger schätzt Maxim Billers Novelle über den jüdischen Schriftsteller und Maler Bruno Schulz, der 1941 von einem Gestapo-Mann erschossen wurde. Billers Unterfangen, sich in den den "Kopf von Bruno Schulz" hineinzuversetzen und ihn an Thomas Mann schreiben zu lassen, scheint ihr ein gewagtes, aber letztlich gelungenes Spiel mit Motiven, Figuren, Stimmungen des Bruno Schulz. Dabei hebt sie hervor, dass Biller sich nicht auf die Realitäten in Schulz' Leben beschränkt, sondern auch surreale Momente einbezieht, etwa wenn zwei Tauben beginnen zu Schulz zu sprechen. Verdienstvoll an der vorliegenden Novelle scheint Eichmann-Leutenegger schließlich, dass sie neugierig auf Bruno Schulz und dessen Werk macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Biller schreibt mit einer selbstverständlichen, unaufdringlichen Eleganz, mit der sich kein anderer der deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation messen kann. Seine Novelle erreicht weltliterarisches Niveau.« Sebastian Hammelehle spiegel.de 20131107