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"Unter der beeindruckenden Zahl guter junger Autoren in Polen gilt Wojciech Kuczok als herausragender Stilist. Mit seinem Gespür für die feinsten Risse, in denen sich der Fassadensturz eines ganzen Lebens ankündigt, scheint er prädestiniert für die elementaren Themen: Liebe, Sexualität, Tod. Im Kreis der Gespenster, sein jüngster Prosaband aus fünf langen Erzählungen und vier knappen »Interludien«, die mit vier Préludes aus op. 28 von Chopin betitelt sind, handelt von Menschen an der Schwelle. Der Geschäftsmann, der auf einer Bank im Park, von einem Bettler grotesk belästigt, seine…mehr

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Produktbeschreibung
"Unter der beeindruckenden Zahl guter junger Autoren in Polen gilt Wojciech Kuczok als herausragender Stilist. Mit seinem Gespür für die feinsten Risse, in denen sich der Fassadensturz eines ganzen Lebens ankündigt, scheint er prädestiniert für die elementaren Themen: Liebe, Sexualität, Tod. Im Kreis der Gespenster, sein jüngster Prosaband aus fünf langen Erzählungen und vier knappen »Interludien«, die mit vier Préludes aus op. 28 von Chopin betitelt sind, handelt von Menschen an der Schwelle. Der Geschäftsmann, der auf einer Bank im Park, von einem Bettler grotesk belästigt, seine Homosexualität entdeckt; der Psychoanalytiker, der sich der geladenen Waffe eines verrückten Patienten gegenübersieht; die Witwe, die eines Tages das Grab ihres Mannes nicht mehr findet - alle kippen sie in einem Augenblick gleißender Erkenntnis aus ihrem Alltag heraus und gehen sich verloren. Wie die junge Frau in der Titelgeschichte, die offenbar schon von der anderen Seite der Wirklichkeit her auf ein Liebesdelirium zurückschaut.
Kuczok versteht es meisterhaft, in die ruhige realistische Erzählung das Unfaßbare einbrechen zu lassen - auch darin, nicht nur in ihrer Poesie und Melancholie, sind seine geschliffenen Prosastücke der nervösen Klaviermusik des polnischen Romantikers verwandt.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2007

Drama, Liebe, Wahnsinn
Gespenstisch: Polens junger Meistererzähler Wojciech Kuczok

Sein Start war bravourös: Im Alter von dreißig Jahren erhielt er den wichtigsten Literaturpreis des Landes und den Hauptpreis beim renommiertesten lokalen Filmfestival; der Streifen, dessen Drehbuch er geschrieben hatte, wurde kurze Zeit später für den Oscar nominiert. Dennoch geht der polnische Jungautor Wojciech Kuczok (Jahrgang 1972) mit seinem Erfolg ebenso gelassen um wie mit der Tatsache, dass die Kritik ihn jetzt schon für den interessantesten Stilisten seiner Generation hält und - so die Jury des Nike-Preises, den er 2004 bekam - in der besten polnischen und europäischen Tradition "mit Thomas Bernhard an der Spitze" sieht.

Die begehrte Auszeichnung hat er für einen Roman erhalten, seine eigentliche Domäne sind aber Erzählungen - oder besser: kurze Erzählformen; denn neben Texten von längerem Umfang sind auch kleinere Skizzen, aber auch Momentaufnahmen von epigrammartiger Kürze dabei (die Auftakterzählung seines Debütbandes bestand aus einem einzigen Satz). Eine Kostprobe dieser epischen Fingerspitzenübungen kann man nun auf Deutsch im Band "Im Kreis der Gespenster" nachlesen, der, obwohl nicht sehr opulent - er besteht aus fünf längeren Prosastücken und vier kurzen, als "Interludien" übertitelten Studien -, dennoch schnell erkennen lässt, worin Kuczoks stilistische Stärken liegen: Alle neun Texte handeln von der Liebe, und doch geht er in jedem von ihnen mit dem Thema anders um. Jeder hat einen eigenen Stil, Sound und Rhythmus, zumal jeder eine andere "Liebessituation" vermittelt.

Mal geht es um die ersten Gefühlsregungen eines Jungen, der sich in ein Mädchen vom Lande verguckt ("Kälbertänze"); mal um die enttäuschte Selbstliebe eines Psychotherapeuten, der in einem emotional gestörten Patienten, der ihn mit einer Pistole bedroht, ein Spiegelbild seiner selbst sieht ("Doktor Haust"); mal um die eingebildete Mutterliebe einer älteren, kinderlosen Frau. Dabei versteht Kuczok es meisterhaft, auch die Tonlagen dieser Geschichten zu variieren, indem er in das Leben seiner Protagonisten plötzlich das Neue, das Unerwartete, oft das Grausame einbrechen lässt - wie bei der Witwe aus der Erzählung "Königin der Trauer", die eines Tages das Grab ihres Mannes nicht mehr findet. Eine kleine Birke war ihr immer ein verlässlicher Wegweiser gewesen, "doch heute gab es keine kleine Birke, und je stärker in Regina der Gedanke keimte, sie könne möglicherweise nicht hinfinden, umso größer wurde die Panik in ihrer Erinnerung."

Jede Erzählung ist ein kleines Psychogramm, in dem Kuczok sowohl die Grenzen der Liebe als auch ihre Paradoxa enthüllt. Manchmal schafft er dazu eine Wirklichkeit, die von den Alltagsrealien weit entfernt ist, als wollte er zeigen, was passiert, wenn ein der Liebe verfallener Mensch den Kontakt mit der Außenwelt verliert. Besonders eindrucksvoll tut er es in der Titelerzählung, in der ein Mann und eine Frau abwechselnd auf ihre Liebesgeschichte zurückschauen. Ihre kurzen Monologe haben gleichzeitig etwas sehr Reales und völlig Irreales an sich: Einerseits erwecken sie den Anschein, als würden sie den Leser aus dem Jenseits erreichen, andererseits zweifelt man keine Sekunde an der Intensität der Liebesbeziehung: "Wenn sie so verschwunden war, musste ich unausgesetzt an sie denken, mit der Haut, dem Blut, dem Puls, und ich versuchte mich an ihr Gesicht zu erinnern, und vor Sehnsucht gelang es mir nicht, und vergeblich versuchte ich mich zu entsinnen, woher wir uns kannten, wer wir waren, wann wir angefangen hatten."

Eine der herausragenden Qualitäten des polnischen Autors ist sein Gefühl für Sprache, seine semantische Empfindsamkeit, die bewirkt, dass alle Gedanken und Gemütslagen der Figuren mit fast erschreckend nachvollziehbarer Deutlichkeit zutage treten. Dabei bewegt sich Kuczok oft auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik. Nicht zufällig wird sein Stil gelegentlich mit dem von Witold Gombrowicz verglichen - auch er beherrscht jene Erzählweise, in der sprachliche Steigerungswut und eine bis zur Absurdität eingehaltene Logik für einen grotesken Effekt sorgen. So in der Erzählung "Adams Rippen", in der ein Geschäftsmann von einem jungen Bettler angefasst und in dem Moment, in dem der Händedruck des anderen nachlässt, sich seiner Homosexualität bewusst wird: "Endlich waren meine beiden Hände frei, wenngleich ich an anderer Stelle seine fühllose Gegenwart spürte, aber hier ging es schließlich nicht um Feinfühligkeit, sondern um geheiligtes Märtyrertum, und die Schauder, und die Schauder, in diesem historischen Augenblick, Fanfaren von Schaudern, Feuerwerke von Schaudern, um Botschaften des Schauders."

Die Liebe kann nach Kuczoks Ansicht etwas Zerstörerisches an sich haben - weil man sich von ihr vereinnahmen lässt oder weil man von dem anderen Besitz ergreifen möchte. Sie verändert den Menschen, zumal das Hochgefühl oft in Schmerz oder Hass umkippt. Und von dort ist es nicht mehr weit bis zum Wahnsinn oder bis zum Tod. Das alles erfährt man aus diesem kleinen Erzählband, der in diesem Sinne auch ein bitteres Buch ist. Dass sein Grundton dennoch eine Mischung aus Sanftmut und leisem Humor ist, beweist nur, dass man es in der Tat mit einem erstklassigen Stilisten zu tun hat.

MARTA KIJOWSKA

Wojciech Kuczok: "Im Kreis der Gespenster". Erzählungen. Aus dem Polnischen übersetzt von Friedrich Griese. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 143 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Marta Kijowska freut sich sehr über diesen Prosaband des 1972 geborenen polnischen Autors Wojciech Kuczok, der in Polen als bedeutendste literarische Neuentdeckung gefeiert wird und mit diesen Erzählungen auch für ein deutsches Publikum zu entdecken ist. In den Texten geht es um je ganz verschiedene Ausformungen der Liebe, erklärt die Rezensentin, die von den thematischen Variationen, ganz besonders aber von der stilistischen Bandbreite der Texte beeindruckt ist. Das Sprachgefühl und die Einfühlsamkeit preist sie als die hervorstechendsten Eigenschaften Kuczoks und sie bejubelt ihn als stilistischen Meister, der auch den "bitteren" Seiten der Liebe noch mit sanftem Humor begegnen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH