Einzigartiger visueller Journalismus: die Alltagserfahrungen einer ukrainischen Journalistin und eines russischen Künstlers im Ukrainekrieg - gegenübergestellt und farbig illustriert von Nora Krug, der preisgekrönten Autorin von »Heimat«
Eine ukrainische Journalistin und ein russischer Künstler, ein Jahr lang begleitet von einer deutsch-amerikanischen Illustratorin. Zwei Leben im Krieg, zwei Tagebücher über 52 Wochen, ein Buch voller Hoffnung auf Frieden.
Wenige Tage nach der russischen Invasion der Ukraine hat Nora Krug Kontakt aufgenommen zu zwei Menschen in Kiew und Sankt Petersburg, die ihr in wöchentlichen Gesprächen berichten, was der Krieg für sie bedeutet. Wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen, mit Freunden und Fremden, ob sie arbeiten können und wie sie leben. Was es heißt, wenn die Heimat zerstört wird. Und wie es sich anfühlt, wenn sie einem genommen wird, weil die eigenen Überzeugungen nicht mit dem Krieg, den das Heimatland führt, vereinbar sind.Nora Krug hat 52 Wochen lang die Berichte gesammelt und illustriert. Auszüge aus den visuellen Tagebüchern wurden u.a. in Süddeutscher Zeitung und L.A. Times veröffentlicht. Dieses Buch umfasst das ganze erste Kriegsjahr. Das erste Jahr eines Krieges, von dem die Welt dachte, er würde keine sechs Tage dauern.
Ausgezeichnet mit dem Overseas Press Club Award 2023. Die L.A.-Times-Serie war für den Pulitzer Preis nominiert.
Ausstattung: durchgehend vierfarbig illustriert
Eine ukrainische Journalistin und ein russischer Künstler, ein Jahr lang begleitet von einer deutsch-amerikanischen Illustratorin. Zwei Leben im Krieg, zwei Tagebücher über 52 Wochen, ein Buch voller Hoffnung auf Frieden.
Wenige Tage nach der russischen Invasion der Ukraine hat Nora Krug Kontakt aufgenommen zu zwei Menschen in Kiew und Sankt Petersburg, die ihr in wöchentlichen Gesprächen berichten, was der Krieg für sie bedeutet. Wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen, mit Freunden und Fremden, ob sie arbeiten können und wie sie leben. Was es heißt, wenn die Heimat zerstört wird. Und wie es sich anfühlt, wenn sie einem genommen wird, weil die eigenen Überzeugungen nicht mit dem Krieg, den das Heimatland führt, vereinbar sind.Nora Krug hat 52 Wochen lang die Berichte gesammelt und illustriert. Auszüge aus den visuellen Tagebüchern wurden u.a. in Süddeutscher Zeitung und L.A. Times veröffentlicht. Dieses Buch umfasst das ganze erste Kriegsjahr. Das erste Jahr eines Krieges, von dem die Welt dachte, er würde keine sechs Tage dauern.
Ausgezeichnet mit dem Overseas Press Club Award 2023. Die L.A.-Times-Serie war für den Pulitzer Preis nominiert.
Ausstattung: durchgehend vierfarbig illustriert
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit der Graphic Novel "Im Krieg" hat die Zeichnerin Nora Krug eine Darstellung des Lebens im und mit dem Krieg in der Ukraine geschaffen, die dessen Komplexität herauskehrt, urteilt Rezensentin Martina Knoben. Krug hat zu Beginn des Krieges zwei Bekannte, die in Kiew lebende Journalistin K. und den russischen Künstler D., nach ihren Erfahrungen befragt. Deren wöchentliche Berichte finden sich nun, nebeneinander im ,Split Screen' angeordnet und durch Krug illustriert, in deren Buch wieder. Beide berichten darin von ihrem Erleben, ihren Gedanken und Ängsten. Krugs Zeichnungen fügen ihren Berichten, so Knoben, eine schlicht gehaltene visuelle Erzählebene hinzu, die sie nicht überdeckt, sondern wirksam unterstreicht. Ein so erschütterndes wie schönes Zeitdokument, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2024Widerstand ist sinnvoll
Nora Krugs Buch "Im Krieg" erzählt vom Leben in der Tyrannei. Grundlage sind Berichte einer Ukrainerin und eines Russen seit dem 24. Februar 2022.
Vor einem Jahr erschien in der "Los Angeles Times" die letzte Folge einer beispiellosen wöchentlichen Reportagekolumne. Gleich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatte sich die New Yorker Illustratorin Nora Krug an ihr bekannte Personen aus diesen beiden Ländern gewandt und sie um regelmäßige Schilderungen von deren jeweiliger Sicht auf den ausgebrochenen Krieg gebeten. Unter den Angeschriebenen fand sie zwei, die sich bereit erklärten, jeweils am Wochenende ihre Eindrücke der vergangenen Tage an Nora Krug zu übermitteln, die diese Berichte dann montags in schriftliche englische Form brachte, von ihren Informanten autorisieren ließ und sie bis zum Donnerstag zeichnete, damit die anonymen "illustrierten Tagebücher" freitags in der "Los Angeles Times" nebeneinander erscheinen konnten. Ein volles Jahr lang - ein Kraftakt für die an der Parsons School of Design lehrende Krug, aber eine Aufgabe, die ihr Herzenssache war. Ihre Zeitungshonorare spendete sie an Hilfsorganisationen für die Ukraine.
Das aus den 52 Beiträgen erwachsene Buch "Diaries of War" erschien in den Vereinigten Staaten im vergangenen Herbst, und jetzt kommt bereits die deutsche Ausgabe heraus: "Im Krieg". Auch das war ein Kraftakt, denn Krug hat die Eindrücke ihrer beiden Gewährsleute nicht einfach nur illustriert, also mit Bildern versehen; sie hat auch alle Texte in eine eigene graphische Form gebracht - wie sie es bereits in den beiden Vorgängerbüchern, dem vielfach ausgezeichneten Weltbestseller "Heimat" (2018) über ihre eigene deutsche Familiengeschichte in der NS-Zeit und "Über Tyrannei" (2021), einer von ihr illustrativ gestalteten Kampfschrift des amerikanischen Historikers Timothy Snyder, getan hatte. Gemeinsam mit ihrem jüngsten Werk sieht Krug darin eine Trilogie zum menschlichen Verhalten gegenüber staatlicher Gewalt (wofür die Autorin am 21. März den nach der Schoa-Überlebenden Gerty Spies benannten Literaturpreis der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz erhalten wird), und die Zusammengehörigkeit dieser Trias, eines autobiographischen Werks, eines Essays und der Tagebücher, wird über das große Thema hinaus durch deren innovative ästhetische Formgebung unterstrichen.
Allerdings setzt die siebenundvierzigjährige Krug diesmal weitaus sparsamer Bilder ein: "Die Berichte mussten im Vordergrund stehen", hat sie im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt, und der Entschluss wurde umso konsequenter umgesetzt, je länger sie in Kontakt mit ihren Informanten stand. Von der vierzehnten Fortsetzung an gab es nur jeweils eine Einzelzeichnung zu den beiden wöchentlichen Einträgen pro Woche, während es zuvor meist vier Bilder gewesen waren, in der Auftaktfolge von Ende Februar 2022 sogar noch deren sechs. Auch Nora Krug, die sofort mit Kriegsausbruch die katastrophale Bedeutung des Ereignisses erkannt hatte, setzte bei dessen Schilderung erst einmal weiter auf die für sie bewährten Muster, bis sie den radikalen Schritt zur weitgehenden Zurückstellung der eigenen illustrativen Phantasie gegenüber der Bildlichkeit der ihr gelieferten Berichte wählte.
Eine Abkehr vom bisherigen Schema allerdings war von Beginn an konstitutiv für die entstehenden illustrierten Tagebücher: Deren Autoren schauen wir nie ins Gesicht. Nora Krug beschneidet die Körper ihren Protagonisten; selbst auf dem Umschlagbild liegt ein Balken über ihren Augen. Das hat zwei Gründe. Einmal ist es ja deren Perspektive, die wir einnehmen: Sie sprechen über sich und über das, was sie sehen, aber sich selbst sieht man ja nicht. Und es war klar, dass beide anonym bleiben mussten. Krugs ukrainische Gewährsfrau ist Journalistin und beruflich immer wieder auch an oder nahe der Front unterwegs. Geriete sie in russische Gefangenschaft, wäre sie als Mitautorin von "Im Krieg" in noch heiklerer Lage als ohnehin. Und der russische Gewährsmann, ein Künstler, hat zwar mittlerweile seine Heimatstadt St. Petersburg verlassen und lebt im westlichen Ausland, doch weiß man um mögliche Nachteile für zurückgebliebene Angehörige von russischen Exilanten oder auch um die Risiken für diese selbst, sofern sie sich offen gegen den Krieg aussprechen - und das tut der russische Diarist. Welche Beachtung Nora Krugs neues Buch in Russland findet (wo "Heimat" kurz nach Kriegsausbruch übersetzt veröffentlich wurde), zeigt die Tatsache, dass die Illustratorin unmittelbar nach dem Erscheinen von "Im Krieg" mehrere Hundert Hackerangriffe auf ihre Website verzeichnet hat.
Was macht das Buch so besonders? Sind nicht schon zahlreiche Berichte von ukrainischer wie russischer Seite über den Krieg erschienen? Das Ungewöhnlichste an Nora Krugs Buch ist neben seiner Form die buchstäbliche Gegenüberstellung der beiden Tagebücher: links auf einer Doppelseite jeweils die wöchentlichen Berichte der als K abgekürzten ukrainischen Journalistin, rechts dann die des als D firmierenden russischen Künstlers. Beide geben Auskunft über dieselben Kriegstage, aber nur selten sind es dieselben Dinge, die zur Sprache kommen - besonders schreckliche Angriffe etwa. Dagegen sind die Diskrepanzen groß zwischen der ständig unter Todesbedrohung lebenden Ukrainerin und dem militärisch in Sicherheit lebenden Russen. Wenn etwa im November 2022 nach der Befreiung der Stadt Cherson von russischer Besatzung die Einträge der dorthin gereisten Journalistin voller Eindrücke über dieses Ereignis sind, schreibt der russische Künstler, der sich angesichts der russischen Mobilmachung zeitweise nach Paris abgesetzt hatte, über einen Geburtstagsanruf bei seiner daheimgebliebenen Frau: "Das war für mich das Wichtigste, was letzte Woche passiert ist."
Nora Krug beurteilt in ihrer graphischen Umsetzung nichts von dem, was ihre Gewährsleute sagen - "auch wenn ich ganz anderer Meinung war, musste ich ihre Stimmen authentisch wiedergeben". So sei sie etwa nicht einverstanden gewesen mit einem Satz von D, der ausgerechnet in der letzten Folge steht und somit wie ein Fazit gelesen werden könnte: "Der Krieg hat mir auch gezeigt, dass man seine Regierung in keiner Weise beeinflussen kann." Das ist genau jene Einstellung, gegen die Krug mit ihrer Tyrannei-Trilogie anzeichnet: Jedes dieser Bücher ruft zum Widerstand gegen Gleichgültigkeit auf. Was K und D aus ihren jeweiligen Perspektiven über das Leben mit und in einem diktatorisch geführten Russland erzählen, kann nicht kaltlassen.
Sie selbst wäre gerne Kriegsreporterin geworden, sagt Nora Krug, "jetzt aber, mit Lehrjob und kleiner Tochter, geht das nicht mehr". Hinzusehen, wo Politik pervertiert wird, scheint ihr jedoch weiterhin eine Notwendigkeit, gerade auch mit Blick auf den anstehenden amerikanischen Wahlkampf. So arbeitet sie daran, die Grenzen des bisher aus Bildern Vertrauten zu erweitern, um Aufklärung zu begünstigen, und ließ sich dazu die Berichte über den Ukrainekrieg zuliefern. Dennoch versteht sie sich auch selbst als graphische Journalistin und ist stolz darauf, dass ihre Zeitungsserie der "Diaries of War" für den renommierten Preis des amerikanischen Overseas Press Club nominiert war. In gewisser Weise findet sich dazu ein Spiegelbild in K, die auch immer wieder mit ihrer Motivation als Journalistin hadert, sich zurückzieht in die Geborgenheit ihrer Familie, aber zugunsten der Berichterstattung doch immer wieder aufbricht: "Ich habe mich bei dem Gedanken ertappt, dass es für mich sogar besser ist, gar nicht bei den Kindern zu sein, denn wenn ich an meinen Reportagen arbeite, bin ich nervös und muss ständig mit schwierigen Situationen fertigwerden. Wenn sie bei mir sind, fühle ich mich noch verletzlicher und ängstlicher." Auch D leidet während der Exilphasen im Tagebuchzeitraum am meisten unter der Trennung von seinen beiden Söhnen. Im Menschlichen sind sich Russe und Ukrainerin ganz nahe, zwischen ihnen aber liegen Welten - und die Front.
Nora Krug hält bis heute den Kontakt zu beiden aufrecht. In zehn Tagen wird zum Jahrestag des Kriegsausbruchs noch einmal eine Fortsetzung der Tagebücher in der "L.A. Times" erscheinen. Die Illustratorin selbst hat schon das nächste Projekt im Auge. Im Rahmen eines einjährigen Fellowships an der Yale University wird sie von Herbst an mit dem Material des dortigen Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies arbeiten. "Aber nicht nur über den Holocaust", sagt sie, denn bei ihrer Beschäftigung mit dem Schrecklichen empfindet sie Einseitigkeit als verstörend: "Man muss über Opfer und Täter sprechen. Deshalb habe ich 'Heimat' gezeichnet. Und nun auch über Ukrainer und Russen. Mit wäre es unlauter erschienen, nur eine der beiden Seiten zu dokumentieren. Deshalb setze ich mich dem Vorwurf, auch die russische Seite zu Wort kommen zu lassen, gerne aus." Darin war sie sich mit ihrer Protagonistin K einig. Was D über sein Land sagt, spricht eh für sich. Und über die Vermittlung des Buchs von Nora Krug sprechen nun eine Ukrainerin und ein Russe miteinander. Das zwischen ihren unkenntlich gemachten Gesichtern brennende Haus auf dem Cover ist ein gemeinsames. ANDREAS PLATTHAUS
Nora Krug: "Im Krieg". Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg.
Aus dem Englischen von Alexander Weber. Penguin Verlag, München 2024. 128 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nora Krugs Buch "Im Krieg" erzählt vom Leben in der Tyrannei. Grundlage sind Berichte einer Ukrainerin und eines Russen seit dem 24. Februar 2022.
Vor einem Jahr erschien in der "Los Angeles Times" die letzte Folge einer beispiellosen wöchentlichen Reportagekolumne. Gleich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hatte sich die New Yorker Illustratorin Nora Krug an ihr bekannte Personen aus diesen beiden Ländern gewandt und sie um regelmäßige Schilderungen von deren jeweiliger Sicht auf den ausgebrochenen Krieg gebeten. Unter den Angeschriebenen fand sie zwei, die sich bereit erklärten, jeweils am Wochenende ihre Eindrücke der vergangenen Tage an Nora Krug zu übermitteln, die diese Berichte dann montags in schriftliche englische Form brachte, von ihren Informanten autorisieren ließ und sie bis zum Donnerstag zeichnete, damit die anonymen "illustrierten Tagebücher" freitags in der "Los Angeles Times" nebeneinander erscheinen konnten. Ein volles Jahr lang - ein Kraftakt für die an der Parsons School of Design lehrende Krug, aber eine Aufgabe, die ihr Herzenssache war. Ihre Zeitungshonorare spendete sie an Hilfsorganisationen für die Ukraine.
Das aus den 52 Beiträgen erwachsene Buch "Diaries of War" erschien in den Vereinigten Staaten im vergangenen Herbst, und jetzt kommt bereits die deutsche Ausgabe heraus: "Im Krieg". Auch das war ein Kraftakt, denn Krug hat die Eindrücke ihrer beiden Gewährsleute nicht einfach nur illustriert, also mit Bildern versehen; sie hat auch alle Texte in eine eigene graphische Form gebracht - wie sie es bereits in den beiden Vorgängerbüchern, dem vielfach ausgezeichneten Weltbestseller "Heimat" (2018) über ihre eigene deutsche Familiengeschichte in der NS-Zeit und "Über Tyrannei" (2021), einer von ihr illustrativ gestalteten Kampfschrift des amerikanischen Historikers Timothy Snyder, getan hatte. Gemeinsam mit ihrem jüngsten Werk sieht Krug darin eine Trilogie zum menschlichen Verhalten gegenüber staatlicher Gewalt (wofür die Autorin am 21. März den nach der Schoa-Überlebenden Gerty Spies benannten Literaturpreis der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz erhalten wird), und die Zusammengehörigkeit dieser Trias, eines autobiographischen Werks, eines Essays und der Tagebücher, wird über das große Thema hinaus durch deren innovative ästhetische Formgebung unterstrichen.
Allerdings setzt die siebenundvierzigjährige Krug diesmal weitaus sparsamer Bilder ein: "Die Berichte mussten im Vordergrund stehen", hat sie im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt, und der Entschluss wurde umso konsequenter umgesetzt, je länger sie in Kontakt mit ihren Informanten stand. Von der vierzehnten Fortsetzung an gab es nur jeweils eine Einzelzeichnung zu den beiden wöchentlichen Einträgen pro Woche, während es zuvor meist vier Bilder gewesen waren, in der Auftaktfolge von Ende Februar 2022 sogar noch deren sechs. Auch Nora Krug, die sofort mit Kriegsausbruch die katastrophale Bedeutung des Ereignisses erkannt hatte, setzte bei dessen Schilderung erst einmal weiter auf die für sie bewährten Muster, bis sie den radikalen Schritt zur weitgehenden Zurückstellung der eigenen illustrativen Phantasie gegenüber der Bildlichkeit der ihr gelieferten Berichte wählte.
Eine Abkehr vom bisherigen Schema allerdings war von Beginn an konstitutiv für die entstehenden illustrierten Tagebücher: Deren Autoren schauen wir nie ins Gesicht. Nora Krug beschneidet die Körper ihren Protagonisten; selbst auf dem Umschlagbild liegt ein Balken über ihren Augen. Das hat zwei Gründe. Einmal ist es ja deren Perspektive, die wir einnehmen: Sie sprechen über sich und über das, was sie sehen, aber sich selbst sieht man ja nicht. Und es war klar, dass beide anonym bleiben mussten. Krugs ukrainische Gewährsfrau ist Journalistin und beruflich immer wieder auch an oder nahe der Front unterwegs. Geriete sie in russische Gefangenschaft, wäre sie als Mitautorin von "Im Krieg" in noch heiklerer Lage als ohnehin. Und der russische Gewährsmann, ein Künstler, hat zwar mittlerweile seine Heimatstadt St. Petersburg verlassen und lebt im westlichen Ausland, doch weiß man um mögliche Nachteile für zurückgebliebene Angehörige von russischen Exilanten oder auch um die Risiken für diese selbst, sofern sie sich offen gegen den Krieg aussprechen - und das tut der russische Diarist. Welche Beachtung Nora Krugs neues Buch in Russland findet (wo "Heimat" kurz nach Kriegsausbruch übersetzt veröffentlich wurde), zeigt die Tatsache, dass die Illustratorin unmittelbar nach dem Erscheinen von "Im Krieg" mehrere Hundert Hackerangriffe auf ihre Website verzeichnet hat.
Was macht das Buch so besonders? Sind nicht schon zahlreiche Berichte von ukrainischer wie russischer Seite über den Krieg erschienen? Das Ungewöhnlichste an Nora Krugs Buch ist neben seiner Form die buchstäbliche Gegenüberstellung der beiden Tagebücher: links auf einer Doppelseite jeweils die wöchentlichen Berichte der als K abgekürzten ukrainischen Journalistin, rechts dann die des als D firmierenden russischen Künstlers. Beide geben Auskunft über dieselben Kriegstage, aber nur selten sind es dieselben Dinge, die zur Sprache kommen - besonders schreckliche Angriffe etwa. Dagegen sind die Diskrepanzen groß zwischen der ständig unter Todesbedrohung lebenden Ukrainerin und dem militärisch in Sicherheit lebenden Russen. Wenn etwa im November 2022 nach der Befreiung der Stadt Cherson von russischer Besatzung die Einträge der dorthin gereisten Journalistin voller Eindrücke über dieses Ereignis sind, schreibt der russische Künstler, der sich angesichts der russischen Mobilmachung zeitweise nach Paris abgesetzt hatte, über einen Geburtstagsanruf bei seiner daheimgebliebenen Frau: "Das war für mich das Wichtigste, was letzte Woche passiert ist."
Nora Krug beurteilt in ihrer graphischen Umsetzung nichts von dem, was ihre Gewährsleute sagen - "auch wenn ich ganz anderer Meinung war, musste ich ihre Stimmen authentisch wiedergeben". So sei sie etwa nicht einverstanden gewesen mit einem Satz von D, der ausgerechnet in der letzten Folge steht und somit wie ein Fazit gelesen werden könnte: "Der Krieg hat mir auch gezeigt, dass man seine Regierung in keiner Weise beeinflussen kann." Das ist genau jene Einstellung, gegen die Krug mit ihrer Tyrannei-Trilogie anzeichnet: Jedes dieser Bücher ruft zum Widerstand gegen Gleichgültigkeit auf. Was K und D aus ihren jeweiligen Perspektiven über das Leben mit und in einem diktatorisch geführten Russland erzählen, kann nicht kaltlassen.
Sie selbst wäre gerne Kriegsreporterin geworden, sagt Nora Krug, "jetzt aber, mit Lehrjob und kleiner Tochter, geht das nicht mehr". Hinzusehen, wo Politik pervertiert wird, scheint ihr jedoch weiterhin eine Notwendigkeit, gerade auch mit Blick auf den anstehenden amerikanischen Wahlkampf. So arbeitet sie daran, die Grenzen des bisher aus Bildern Vertrauten zu erweitern, um Aufklärung zu begünstigen, und ließ sich dazu die Berichte über den Ukrainekrieg zuliefern. Dennoch versteht sie sich auch selbst als graphische Journalistin und ist stolz darauf, dass ihre Zeitungsserie der "Diaries of War" für den renommierten Preis des amerikanischen Overseas Press Club nominiert war. In gewisser Weise findet sich dazu ein Spiegelbild in K, die auch immer wieder mit ihrer Motivation als Journalistin hadert, sich zurückzieht in die Geborgenheit ihrer Familie, aber zugunsten der Berichterstattung doch immer wieder aufbricht: "Ich habe mich bei dem Gedanken ertappt, dass es für mich sogar besser ist, gar nicht bei den Kindern zu sein, denn wenn ich an meinen Reportagen arbeite, bin ich nervös und muss ständig mit schwierigen Situationen fertigwerden. Wenn sie bei mir sind, fühle ich mich noch verletzlicher und ängstlicher." Auch D leidet während der Exilphasen im Tagebuchzeitraum am meisten unter der Trennung von seinen beiden Söhnen. Im Menschlichen sind sich Russe und Ukrainerin ganz nahe, zwischen ihnen aber liegen Welten - und die Front.
Nora Krug hält bis heute den Kontakt zu beiden aufrecht. In zehn Tagen wird zum Jahrestag des Kriegsausbruchs noch einmal eine Fortsetzung der Tagebücher in der "L.A. Times" erscheinen. Die Illustratorin selbst hat schon das nächste Projekt im Auge. Im Rahmen eines einjährigen Fellowships an der Yale University wird sie von Herbst an mit dem Material des dortigen Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies arbeiten. "Aber nicht nur über den Holocaust", sagt sie, denn bei ihrer Beschäftigung mit dem Schrecklichen empfindet sie Einseitigkeit als verstörend: "Man muss über Opfer und Täter sprechen. Deshalb habe ich 'Heimat' gezeichnet. Und nun auch über Ukrainer und Russen. Mit wäre es unlauter erschienen, nur eine der beiden Seiten zu dokumentieren. Deshalb setze ich mich dem Vorwurf, auch die russische Seite zu Wort kommen zu lassen, gerne aus." Darin war sie sich mit ihrer Protagonistin K einig. Was D über sein Land sagt, spricht eh für sich. Und über die Vermittlung des Buchs von Nora Krug sprechen nun eine Ukrainerin und ein Russe miteinander. Das zwischen ihren unkenntlich gemachten Gesichtern brennende Haus auf dem Cover ist ein gemeinsames. ANDREAS PLATTHAUS
Nora Krug: "Im Krieg". Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg.
Aus dem Englischen von Alexander Weber. Penguin Verlag, München 2024. 128 S., Abb., geb., 28,- Euro.
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