Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.1997Ferne
"Im Lichte Indiens" von Octavio Paz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1997. 207 Seiten, einige Abbildungen. Gebunden, 58 Mark. ISBN 3-518-40872-0.
Indien zu begreifen ist für Nicht-Inder unmöglich. Diese schmerzvolle Erfahrung muß jeder machen, den das Land nicht gleichgültig läßt. Die Ratlosigkeit zumindest ein wenig zu mildern, die der eigenwillige Kosmos des Subkontinents hervorruft, ist deshalb eine um so verdienstvollere Aufgabe. Octavio Paz kann das für sich in Anspruch nehmen. Der Literaturnobelpreisträger und langjährige mexikanische Botschafter in Neu-Delhi schreibt über die Religionen, Kasten und Sprachen, über den Nationalismus, die Zeitlosigkeit und die Erotik Indiens, er schreibt mit der Neugier des abendländisch geprägten Intellektuellen, der nichts versteht und versucht zu verstehen. Sein Essay sei kein Buch für Fachleute, sagt Paz, er sei nicht die Frucht des Wissens, sondern der Liebe. Seine Perspektive ist also eine den Liebhabern Indiens vertraute, und genau deswegen ist die Lektüre ein Genuß: Paz stellt die gleichen Fragen, die den Reisenden durch den Kopf gehen, er zeigt das gleiche Staunen und die gleiche Verwirrung. Seine Antworten freilich - etwa wenn er das ahistorische Wesen der Kasten und ihre Funktion als Organisationsmodell einer statischen Gesellschaft oder die verblüffenden Koinzidenzen zwischen der mexikanischen und der indischen Küche beschreibt - sind um einiges erhellender als diejenigen, die man sich selbst gegeben hat. So hält man beim Lesen immer wieder inne, und das Achselzucken, das die eigenen Erfahrungen provozieren, weicht einem zustimmenden Kopfnicken angesichts der Analysen und Schlüsse des Autors. Indien durchschaut man am Ende zwar immer noch nicht, aber man sieht etwas klarer. (str.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Im Lichte Indiens" von Octavio Paz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1997. 207 Seiten, einige Abbildungen. Gebunden, 58 Mark. ISBN 3-518-40872-0.
Indien zu begreifen ist für Nicht-Inder unmöglich. Diese schmerzvolle Erfahrung muß jeder machen, den das Land nicht gleichgültig läßt. Die Ratlosigkeit zumindest ein wenig zu mildern, die der eigenwillige Kosmos des Subkontinents hervorruft, ist deshalb eine um so verdienstvollere Aufgabe. Octavio Paz kann das für sich in Anspruch nehmen. Der Literaturnobelpreisträger und langjährige mexikanische Botschafter in Neu-Delhi schreibt über die Religionen, Kasten und Sprachen, über den Nationalismus, die Zeitlosigkeit und die Erotik Indiens, er schreibt mit der Neugier des abendländisch geprägten Intellektuellen, der nichts versteht und versucht zu verstehen. Sein Essay sei kein Buch für Fachleute, sagt Paz, er sei nicht die Frucht des Wissens, sondern der Liebe. Seine Perspektive ist also eine den Liebhabern Indiens vertraute, und genau deswegen ist die Lektüre ein Genuß: Paz stellt die gleichen Fragen, die den Reisenden durch den Kopf gehen, er zeigt das gleiche Staunen und die gleiche Verwirrung. Seine Antworten freilich - etwa wenn er das ahistorische Wesen der Kasten und ihre Funktion als Organisationsmodell einer statischen Gesellschaft oder die verblüffenden Koinzidenzen zwischen der mexikanischen und der indischen Küche beschreibt - sind um einiges erhellender als diejenigen, die man sich selbst gegeben hat. So hält man beim Lesen immer wieder inne, und das Achselzucken, das die eigenen Erfahrungen provozieren, weicht einem zustimmenden Kopfnicken angesichts der Analysen und Schlüsse des Autors. Indien durchschaut man am Ende zwar immer noch nicht, aber man sieht etwas klarer. (str.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main