Des Lesers Wille ist schon manchmal seltsam. Liest er ein Buch mit Happy End, tut er es gern als Kitsch ab; liest er ein Buch mit tragischem Ausgang, wünscht er sich einen glücklichen. Und obwohl mir hätte klar sein müssen, dass dieses Buch schlimm enden wird, habe ich mir doch so sehr ein
freudevolles Ende gewünscht. Aber wie denn soll in den Jahren 1915/1916 eine schwule Liebesgeschichte im…mehrDes Lesers Wille ist schon manchmal seltsam. Liest er ein Buch mit Happy End, tut er es gern als Kitsch ab; liest er ein Buch mit tragischem Ausgang, wünscht er sich einen glücklichen. Und obwohl mir hätte klar sein müssen, dass dieses Buch schlimm enden wird, habe ich mir doch so sehr ein freudevolles Ende gewünscht. Aber wie denn soll in den Jahren 1915/1916 eine schwule Liebesgeschichte im katholischen Irland ein Happy End finden? Wie soll sie glücklich ausgehen in einem Land, in dem nur wenige Jahre zuvor Oskar Wilde seinen Skandalprozess hatte? Wie soll das gehen, wenn sie noch dazu gleich mehrfach die gesellschaftlichen Klassengrenzen missachtet?
Und doch! Die Akteure in diesem Buch sind mir beim Lesen dieses brillanten Textes allesamt so ans Herz gewachsen, dass ich ihnen die Erfüllung aller ihrer Wünsche gegönnt habe. Da ist der sympathische, von allen geliebte Jim, dessen Freundschaft völlig natürlich zur Liebe reift, die er nie in Frage stellt. Da ist sein geliebter, draufgängerischer und fürsorglicher Doyler – draufgängerisch, wenn es um Geldbeschaffung oder den irischen Freiheitskampf geht, liebevoll-fürsorglich, wenn er seinen Jim beschützen will. Da ist der Dritte im Bunde, der Aristokrat MacMurroughs, wegen “unsittlicher Handlungen” vorbestraft, zunächst hochnäsig und unangenehm selbstbewusst, dann aber im Kontakt mit den beiden Liebenden, vor allem mit Jim, zum beschützenden, freundlichen, sympathischen “MacEmm” werdend.
Auch die Nebenfiguren sind allesamt vielschichtig geschildert, glaubwürdig und plastisch. Ob es sich um den ängstlichen und ein wenig hochstapelnden Gemischtwarenladenbesitzer Mack, Jims Vater, handelt, um die stolze Patriotin Evelyn MacMurroughs oder um die Dienstmagd Nancy.
Wirklich gut geschrieben ist der Text. Lebendig und fesselnd. Der Autor spielt mit Ausdrucksweisen, wechselt vom etwas Gestelzten der MacMurroughs blitzschnell in den sanften Ton der Freunde Jim und Doyler, beherrscht den anheizenden sexuellen Slang ebenso wie das Aufgeregte eines Volksaufstandes.
Nun, dass die Übersetzung und das Lektorat etwas zu wünschen übrig lassen, stört zwar den Gesamteindruck, kann mein Urteil aber nicht beeinflussen: absolut empfehlenswert!