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In der Regel sieht man nur die Spuren ihrer Arbeit. Oder eben: keine Spuren. Schließlich haben Reinigungskräfte über Nacht die Kaffeeränder vom Schreibtisch gewischt. Sie verrichten anstrengende Tätigkeiten, erhalten aber wenig Anerkennung und werden oft schlecht bezahlt. Jana Costas hat sich einem Reinigungsteam am Potsdamer Platz angeschlossen. Unter dem glitzernden Komplex liegt der Minus-Bereich: vier Stockwerke mit labyrinthischen Gängen und fensterlosen Räumen. Dort ziehen sich Alex, Ali, Luisa und Marcel um, bevor sie Büros und Luxusapartments putzen. Jenseits aller Klischees ist diese…mehr

Produktbeschreibung
In der Regel sieht man nur die Spuren ihrer Arbeit. Oder eben: keine Spuren. Schließlich haben Reinigungskräfte über Nacht die Kaffeeränder vom Schreibtisch gewischt. Sie verrichten anstrengende Tätigkeiten, erhalten aber wenig Anerkennung und werden oft schlecht bezahlt.
Jana Costas hat sich einem Reinigungsteam am Potsdamer Platz angeschlossen. Unter dem glitzernden Komplex liegt der Minus-Bereich: vier Stockwerke mit labyrinthischen Gängen und fensterlosen Räumen. Dort ziehen sich Alex, Ali, Luisa und Marcel um, bevor sie Büros und Luxusapartments putzen. Jenseits aller Klischees ist diese Arbeit für sie auch eine Quelle des Stolzes. Costas schildert ihre Kämpfe um Würde, porträtiert eine expandierende Branche und holt so die oft unsichtbaren Beschäftigten in die Sichtbarkeit.
Autorenporträt
Jana Costas, geboren 1982 studierte an der London School of Economics und promovierte an der Cambridge University. Seit 2014 hat sie eine Professur für Personal, Arbeit und Management an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder inne.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2023

Schmutzige
Geheimnisse
Für ein Sachbuch schließt sich
eine Akademikerin einem
Reinigungstrupp an. Gute Idee?
Mit der Sauberkeit ist es so eine Sache. Zum Thema wird sie meist erst, wenn es an ihr mangelt. Und so bleibt die Arbeit derjenigen, die für sie sorgen, oft im Unsichtbaren. Um das zu ändern, hat Jana Costas den Hörsaal velassen und ist für ein halbes Jahr Gänge schrubben gegangen. Angeheuert hat sie bei dem gewerblichen Großanbieter „Reinlich & Co”, der europaweit Aufträge annimmt und in Wahrheit anders heißt.
„Im Minus-Bereich”, erschienen bei Suhrkamp, ist eine ethnografische Untersuchung, denn im echten Leben hat Jana Costas in Cambridge promoviert und arbeitet als Professorin für Personal, Arbeit und Management. Nun begleitet sie Ali, Marcel, Alex und Luisa bei ihrer Arbeit in den sogenannten „Minus-Bereich“, „die Unterwelt“. Dabei handelt es sich um ein subterranes System unter dem Potsdamer Platz, in dessen labyrinthischen Korridoren sich die Reinigungskräfte zum Umziehen, Auffüllen der Putzmittel oder Ausspülen der Wischmobs zurückziehen. Dunkel ist es dort. Und es stinkt.
Costas stellt fest: Die Reinigungsbranche ist stigmatisiert, irgendwo „am unteren Ende der Arbeitsmarkthierarchie” angesiedelt. Deshalb will sie herausfinden, wie die Reinigungskräfte unter solch desaströsen Bedingungen ihre Würde konstituieren. Schließlich ist für diese, neben dem eigenen Selbstwertgefühl, maßgeblich die Wertschätzung durch Außenstehende wichtig – und die wird Reinigungskräften eher selten entgegengebracht. Und so analysiert sie mit akribischer Beobachtungsgabe, wie ihre vier Protagonistinnen und Protagonisten dieses Drama” bestreiten.
Gearbeitet wird meist nachts oder sehr früh am Morgen. Am Potsdamer Platz gilt: Nach neun Uhr dürfen die Reinigungskräfte nicht mehr in ihrer Arbeitskleidung sichtbar sein. Rein zeitlich sind sie damit für die von Costas ernannten „Oberweltler” nicht sichtbar. Kommt es doch zu Kontakt mit Kundinnen oder Kunden, werden die Reinigungskräfte meist ignoriert.
Auch untereinander spielen sich Kämpfe um Würde ab. Denn als „Team” will man sich eindeutig nicht verstehen, statt Solidarität werden mithilfe von Rassismus, Sexismus oder anderweitiger Diskriminierung interne Hierarchien geschaffen. Alex etwa nutzt jede Gelegenheit, um zu betonen, dass es sich bei der Reinigung um einen „echten Männerberuf“ handelt. Luisa, die vor zwei Jahren aus Angola nach Deutschland kam, erfährt Skepsis und Häme von Kollegen. Und auch Marcel, für dessen „gescheiterte Existenz” die Arbeit ein Auffangnetz ist, erntet Sprüche.
Angriffe kommen auch vom Management selbst: Mit fortwährender Kontrolle unterminieren sie die Würde der Reinigungskräfte. Kameras und Vorarbeitern gilt es sich geschickt zu entziehen, um die verdiente Zigarette zwischendurch zu rauchen. Um den Zeitplan einzuhalten hat sich das Putzen „mit dem Auge” etabliert, eine Methode, etwas sauber aussehen zu lassen und so Zeit zu gewinnen.
Dabei arbeiten die Reinigungskräfte durchaus fleißig. Gerade die Anstrengung, die Härte und der Ekel, der mit der Arbeit oft einhergeht, sind ein wichtiger Quell der Würde. Insofern solle man „die Freiheiten, die sie sich gönnen, die Akte des Ungehorsams oder gar des Widerstands (...) eher als Bemühung verstehen, geschickt durch Landschaften der Demütigung zu navigieren, denn als Ablehnung der Arbeit an sich”, schreibt Costas. „Was Reinigungskräfte dazu bringt, hart zu arbeiten, ist offenbar nicht die Überwachung, sondern ihre Würde”. Das dürfte wohl auf die meisten Berufe zutreffen.
So eine „Studying down”-Studie ist keine leichte Aufgabe, schwingt doch schnell eine gewisse paternalistische Arroganz mit, wenn Akademikerinnen und Akademiker „die Unterschicht“ untersuchen wollen. Nicht selten verraten ethnografische Studien mehr über den Beobachter und sein Weltbild, als über die Beobachteten. Und ein bisschen so scheint es auch Jana Costas gegangen zu sein. Die komplexen Mechanismen und Machtgefälle der Branche hat sie aufgeschlüsselt, die psychologischen Motive hinter der Arbeit sauber analysiert. „Minus-Bereich“ liest sich damit wie ein detailliertes Branchenporträt. Doch bleibt man ein wenig ratlos zurück: Was ist eigentlich das Ziel des Buches? Ein Plädoyer, netter zu Reinigungskräften zu sein? Sich für ihre Sache stark zu machen?
So wird auf den immerhin 250 Seiten kaum die ökonomische Differenz zwischen denjenigen, die das Klo benutzen, und denjenigen, die es putzen behandelt. Auch nicht das System, in das sich die Branche und ihr inhärentes Ungleichgewicht einbettet. Ein größerer Erkenntnisgewinn bleibt am Ende also aus.
LIVIA SARAI LERGENMÜLLER
Was Reinigungskräfte motiviert,
hart zu arbeiten, ist nicht
Überwachung, sondern Würde
Jana Costas:
Im Minus-Bereich:
Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde. Aus dem Englischen von Richard Barth, Michael Müller
und Stephan Gebauer.
Suhrkamp, Berlin 2023.
280 Seiten. 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit "akribischer Beobachtunsgabe" begleitet die an der Viadrina in Frankfurt/Oder lehrende Professorin Jana Costas Reinigungskräfte in ihrem Arbeitsalltag, lobt Rezensentin Livia Lergenmüller. Dabei gelinge es der Autorin, ein Bild der Hierarchien und Diskriminierung unter den Reinigungskräften, der mangelnden gesamtgesellschaftliche Wertschätzung wie auch der Abhängigkeit von ausbeuterischen Arbeitgebern zu zeichnen. Costas liefert "ein detailliertes Branchenporträt" inklusive der dazugehörigen statistischen Daten, versichert die Kritikerin. Allerdings bleibt eine Handlungsaufforderung am Ende des Buches aus, bedauert die Rezensentin, die auch eine Darstellung der ökonomischen Ungleichheit vermisst, die das von Costa beschriebene System erst ermöglicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»... ein spannendes Buch, das eine Mikrowelt präsentiert, die nur wenige kennen und so manches Image und Vorurteil über Reinigungskräfte in neuem Licht erscheinen lässt.« Volker Haefele trott war 20230901