Der Sommer hält Einzug in die tiefen Wälder von Wild Thyme, Pennsylvania, und für Officer Farrell hat er nichts als Ärger im Gepäck. So muss er sich in dieser vom industriellen Niedergang schwer gezeichneten Region nicht nur mit kleinkriminellen Mitbürgern und den zerstörerischen Auswirkungen des grassierenden Heroinhandels auseinandersetzen, sondern auch die spurlos verschwundene Penny Pellings finden, eine drogenabhängige Mutter, die mit ihrem Freund in einem heruntergekommenen Wohnwagen hauste.
Henry Farrell startet eine groß angelegte Suchaktion, und bald wird in Tioga County ein Toter entdeckt – Pennys Dealer? Mit der Ruhe des Jägers begibt sich Farrell in die Schattenwelt eines zum Albtraum gewordenen american dream, doch der Vermisstenfall entwickelt sich mehr und mehr zu einem Labyrinth aus Geheimnissen, deren Aufdeckung die ganze Region erschüttern wird ...
Henry Farrell startet eine groß angelegte Suchaktion, und bald wird in Tioga County ein Toter entdeckt – Pennys Dealer? Mit der Ruhe des Jägers begibt sich Farrell in die Schattenwelt eines zum Albtraum gewordenen american dream, doch der Vermisstenfall entwickelt sich mehr und mehr zu einem Labyrinth aus Geheimnissen, deren Aufdeckung die ganze Region erschüttern wird ...
Reh inmitten von Schakalen
Der sensible Kriminalroman „Im Morgengrauen“ von Tom Bouman
In den Appalachen im Nordosten Pennsylvanias, wo die Leben wie flackernde Neonröhren implodieren und die Bohrgeräte der Fracking-Unternehmen tiefe Wunden ins Erdreich reißen, führt in Tom Boumans Krimis eine Armee Gesetzloser ihren Abnutzungskrieg gegen den Staat und seine auf verlorenem Posten kämpfende Vertreter. Zum Beispiel gegen Officer Henry Farrell, der schon ein Protagonist des 2017 erschienenen Romans „Auf der Jagd“ war.
Und auch in „Im Morgengrauen“ sieht sich Farrell, der für die US-Streitkräfte in Somalia kämpfte und in seine Heimat zurückgekehrt ist, von Holzdieben, Wilderern, Säufern und Drogensüchtigen umstellt wie ein Reh von einer Horde räudiger Schakale. Das spielt vor dem Hintergrund einer atemberaubenden Natur, die wie betäubt von den geschilderten Vorgängen schweigt. Auch hier herrscht Krieg – an allen Fronten gleichzeitig.
Die Appalachen-Region wird von einer Generation Gottloser beherrscht, die so alt und so müde wirkt, als hätte sie schon alles hinter sich, von um sich schießenden Teenagern, in deren Hirnen das Crack alle Träume ins Abseits befördert hat. Wer hier überlebt, in Trailerparks oder verrotteten, zu Drogenhöhlen umfunktionierten Abrissbuden, spült seine letzten Reste Angst oder Hass mit ein paar Dosen Bier weg: „Hört man mit dem Trinken auf, haut es einen um und bringt einen am Ende noch ins Grab, wenn man es falsch anstellt. Und wenn man nicht aufhört, bringt es einen auch ins Grab, nur langsamer.“
Tom Boumans Romane sind behutsam gezeichnete Bilder des Lebens im gottverlassenen Nirgendwo – Sozialstudien vom entzündeten, schorfigen Rand der amerikanischen Gesellschaft, ohne Larmoyanz oder falsches Pathos. Man kennt die typischen Hinterwäldler-Kulissen aus den Romanen von Daniel Woodrell, dem ungekrönten König des Country-Noir, und wenn der große Denis Lehane, Verfasser von Welterfolgen wie „Shutter Island“ und „Mystic River“, den ehemaligen Verlagslektor und Musiker Boumann einen „grandiosen Autor“ nennt, dann liegt er richtig. Denn Bouman erzählt die alte „High Noon“-Geschichte vom Mann, der von Gott und der Welt verlassen für Recht und Ordnung kämpft, auf seine Weise neu.
In Boumans Erstling „Auf der Jagd“ ging es um zwei Morde, in Farrells zweitem Fall ist es das Verschwinden einer Drogensüchtigen namens Penny Pellings, das ihn in die vermüllten Hinterzimmer der amerikanischen Gesellschaft führt. Und Farrell, der in seiner Freizeit am liebsten auf seiner Fiddel musiziert und Freunden beim Hausbau hilft, weiß, dass nur der ans Ziel kommt, der auf seiner Suche geduldig bleibt. Farrell glaubt sich also keineswegs am Ziel, als man den Lebensgefährten der Vermissten, Kevin O’Keeffe, festnimmt und ihn des Mordes beschuldigt. In seinen Augen läuft der wahre Täter weiter frei herum.
Da beginnt für den Mann erst sein langer, von zahlreichen Leichen gepflasterter Weg durch Pennsylvanias Weiten. Die Geschichte rollt langsam an, aber dann weitet Bouman sie mit einem hochfeinen Sensorium für die Risse und Verwerfungen in den Psychen der von ihm Porträtierten zu einem faszinierenden Panorama des amerikanischen Lebens im großen Abseits, im toten Winkel.
„Ein totes Junkiemädchen jenseits der Grenze – da hast du nicht viel in der Hand“, sagt man dem Ermittler, und so irrt er weiter über „Schrottplätze, die als Werkstätten firmierten“, vorbei an „Wohnwagen, die an Generatoren hingen wie Halbtote an Beatmungsgeräten“.
Und selbst als er einen Killer festsetzt und dem Mann, der eisern schweigt, die Daumenschrauben ansetzt, kommt er nicht wirklich weiter. Aber es ist ihm schon bald klar, dass es hier „um mehr geht als um Penny. Gedulde dich noch ein bisschen. Um diese Jahreszeit bleibt sie eh noch eine Weile frisch.“
Fans rasanter Whodunits werden Boumans Romane als betulich empfinden, weil ihr Verfasser seine als Kriminalromane getarnten Milieustudien erkennbar behäbiger taktet und inszeniert. In diesen bewusst gebremst inszenierten Geschichten ticken die Uhren anders. Doch der idyllische Schein trügt: Hier erspürt einer seismografisch genau einen ganz bestimmten Gesellschaftszustand, indem er – ähnlich wie einst William Faulkner, der die zerbrechende Ordnung des Südens beschrieb – die innere Zerstörung am Beispiel der Appalachen vorführt. Unter der Oberfläche sind weitreichende Verschiebungen im Gang. Und Bouman, der die Gegend bestens kennt, lässt keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um Veränderungen handelt, die bereits im Begriff sind, sich fortzupflanzen, von den Rändern hinein ins Innerste von Amerika.
Noch haben sie nicht die Zentren erreicht. Noch tobt dieser schmutzige Krieg an den rostigen Gürteln der Gesellschaft, in Hillbilly-Land, wie J. D. Vance die Region in seinem Buch „Hillbilly-Elegie“ nannte, wo Verlierer gegen Verlierer kämpfen. Doch die geborenen Gewinner, die in den Großstädten hocken, sollten sich nicht zu sicher fühlen. Die gröberen Lebensformen machen bereits mobil. Cormac McCarthy hat diese Botschaft bereits vor Jahren in Romanen wie „Verlorene“ vorformuliert. Tom Bouman verleiht ihr mit seinen grandiosen Büchern nun eindrucksvoll Nachdruck.
PETER HENNING
„Wohnwagen, die an
Generatoren hingen wie
Halbtote an Beatmungsgeräten“
Die Gewinner in den den
Großstädten sollten
sich nicht zu sicher fühlen
Tom Bouman:
Im Morgengrauen.
Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger und Anna-Christin Kramer.
Verlag ars vivendi,
Cadolzburg 2018.
320 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der sensible Kriminalroman „Im Morgengrauen“ von Tom Bouman
In den Appalachen im Nordosten Pennsylvanias, wo die Leben wie flackernde Neonröhren implodieren und die Bohrgeräte der Fracking-Unternehmen tiefe Wunden ins Erdreich reißen, führt in Tom Boumans Krimis eine Armee Gesetzloser ihren Abnutzungskrieg gegen den Staat und seine auf verlorenem Posten kämpfende Vertreter. Zum Beispiel gegen Officer Henry Farrell, der schon ein Protagonist des 2017 erschienenen Romans „Auf der Jagd“ war.
Und auch in „Im Morgengrauen“ sieht sich Farrell, der für die US-Streitkräfte in Somalia kämpfte und in seine Heimat zurückgekehrt ist, von Holzdieben, Wilderern, Säufern und Drogensüchtigen umstellt wie ein Reh von einer Horde räudiger Schakale. Das spielt vor dem Hintergrund einer atemberaubenden Natur, die wie betäubt von den geschilderten Vorgängen schweigt. Auch hier herrscht Krieg – an allen Fronten gleichzeitig.
Die Appalachen-Region wird von einer Generation Gottloser beherrscht, die so alt und so müde wirkt, als hätte sie schon alles hinter sich, von um sich schießenden Teenagern, in deren Hirnen das Crack alle Träume ins Abseits befördert hat. Wer hier überlebt, in Trailerparks oder verrotteten, zu Drogenhöhlen umfunktionierten Abrissbuden, spült seine letzten Reste Angst oder Hass mit ein paar Dosen Bier weg: „Hört man mit dem Trinken auf, haut es einen um und bringt einen am Ende noch ins Grab, wenn man es falsch anstellt. Und wenn man nicht aufhört, bringt es einen auch ins Grab, nur langsamer.“
Tom Boumans Romane sind behutsam gezeichnete Bilder des Lebens im gottverlassenen Nirgendwo – Sozialstudien vom entzündeten, schorfigen Rand der amerikanischen Gesellschaft, ohne Larmoyanz oder falsches Pathos. Man kennt die typischen Hinterwäldler-Kulissen aus den Romanen von Daniel Woodrell, dem ungekrönten König des Country-Noir, und wenn der große Denis Lehane, Verfasser von Welterfolgen wie „Shutter Island“ und „Mystic River“, den ehemaligen Verlagslektor und Musiker Boumann einen „grandiosen Autor“ nennt, dann liegt er richtig. Denn Bouman erzählt die alte „High Noon“-Geschichte vom Mann, der von Gott und der Welt verlassen für Recht und Ordnung kämpft, auf seine Weise neu.
In Boumans Erstling „Auf der Jagd“ ging es um zwei Morde, in Farrells zweitem Fall ist es das Verschwinden einer Drogensüchtigen namens Penny Pellings, das ihn in die vermüllten Hinterzimmer der amerikanischen Gesellschaft führt. Und Farrell, der in seiner Freizeit am liebsten auf seiner Fiddel musiziert und Freunden beim Hausbau hilft, weiß, dass nur der ans Ziel kommt, der auf seiner Suche geduldig bleibt. Farrell glaubt sich also keineswegs am Ziel, als man den Lebensgefährten der Vermissten, Kevin O’Keeffe, festnimmt und ihn des Mordes beschuldigt. In seinen Augen läuft der wahre Täter weiter frei herum.
Da beginnt für den Mann erst sein langer, von zahlreichen Leichen gepflasterter Weg durch Pennsylvanias Weiten. Die Geschichte rollt langsam an, aber dann weitet Bouman sie mit einem hochfeinen Sensorium für die Risse und Verwerfungen in den Psychen der von ihm Porträtierten zu einem faszinierenden Panorama des amerikanischen Lebens im großen Abseits, im toten Winkel.
„Ein totes Junkiemädchen jenseits der Grenze – da hast du nicht viel in der Hand“, sagt man dem Ermittler, und so irrt er weiter über „Schrottplätze, die als Werkstätten firmierten“, vorbei an „Wohnwagen, die an Generatoren hingen wie Halbtote an Beatmungsgeräten“.
Und selbst als er einen Killer festsetzt und dem Mann, der eisern schweigt, die Daumenschrauben ansetzt, kommt er nicht wirklich weiter. Aber es ist ihm schon bald klar, dass es hier „um mehr geht als um Penny. Gedulde dich noch ein bisschen. Um diese Jahreszeit bleibt sie eh noch eine Weile frisch.“
Fans rasanter Whodunits werden Boumans Romane als betulich empfinden, weil ihr Verfasser seine als Kriminalromane getarnten Milieustudien erkennbar behäbiger taktet und inszeniert. In diesen bewusst gebremst inszenierten Geschichten ticken die Uhren anders. Doch der idyllische Schein trügt: Hier erspürt einer seismografisch genau einen ganz bestimmten Gesellschaftszustand, indem er – ähnlich wie einst William Faulkner, der die zerbrechende Ordnung des Südens beschrieb – die innere Zerstörung am Beispiel der Appalachen vorführt. Unter der Oberfläche sind weitreichende Verschiebungen im Gang. Und Bouman, der die Gegend bestens kennt, lässt keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um Veränderungen handelt, die bereits im Begriff sind, sich fortzupflanzen, von den Rändern hinein ins Innerste von Amerika.
Noch haben sie nicht die Zentren erreicht. Noch tobt dieser schmutzige Krieg an den rostigen Gürteln der Gesellschaft, in Hillbilly-Land, wie J. D. Vance die Region in seinem Buch „Hillbilly-Elegie“ nannte, wo Verlierer gegen Verlierer kämpfen. Doch die geborenen Gewinner, die in den Großstädten hocken, sollten sich nicht zu sicher fühlen. Die gröberen Lebensformen machen bereits mobil. Cormac McCarthy hat diese Botschaft bereits vor Jahren in Romanen wie „Verlorene“ vorformuliert. Tom Bouman verleiht ihr mit seinen grandiosen Büchern nun eindrucksvoll Nachdruck.
PETER HENNING
„Wohnwagen, die an
Generatoren hingen wie
Halbtote an Beatmungsgeräten“
Die Gewinner in den den
Großstädten sollten
sich nicht zu sicher fühlen
Tom Bouman:
Im Morgengrauen.
Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger und Anna-Christin Kramer.
Verlag ars vivendi,
Cadolzburg 2018.
320 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de