Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2013NEUE TASCHENBÜCHER
Unheimliche
Lakonie
Mit „unheimlichen Begebenheiten“ hat man es beim exquisiten Novellisten Hartmut Lange immer zu tun. Bei „Im Museum“ sind sie im Untertitel angekündigt. Vielleicht, weil die erste der sieben Geschichten harmlos beginnt – mit einer Beschreibung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, die eine Reisereportage einleiten könnte. Doch wenn der Blick von Architektur und Exponaten auf eine Museumsangestellte schwenkt, ist die typische, sinistre Lange-Atmosphäre wieder da: Irgend etwas stimmt nicht. Das Museum schluckt Menschen, lässt sie spurlos verschwinden. Andrerseits geistern dort, so in den folgenden Erzählungen, Gestalten der Vergangenheit herum, die in den Schauräumen keine Ruhe finden und den fiktiven Besucher mit allerlei Verdrängtem aus der deutschen Geschichte konfrontieren. Nicht einmal der Auftritt Hitlers wirkt da abgeschmackt. Wie oft bei Lange steht Unwägbares, Gespenstisches, Phantastisches in eigenartigem Kontrast zur kühlen Lakonie des Stils. Manchmal wird Lange etwas zu parabelhaft, aber keiner dürfte diesem einst umstrittenen Museum ein so hintergründiges Denkmal gesetzt haben wie er.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Hartmut Lange: Im Museum. Diogenes 2013. 114 Seiten, 9,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Unheimliche
Lakonie
Mit „unheimlichen Begebenheiten“ hat man es beim exquisiten Novellisten Hartmut Lange immer zu tun. Bei „Im Museum“ sind sie im Untertitel angekündigt. Vielleicht, weil die erste der sieben Geschichten harmlos beginnt – mit einer Beschreibung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, die eine Reisereportage einleiten könnte. Doch wenn der Blick von Architektur und Exponaten auf eine Museumsangestellte schwenkt, ist die typische, sinistre Lange-Atmosphäre wieder da: Irgend etwas stimmt nicht. Das Museum schluckt Menschen, lässt sie spurlos verschwinden. Andrerseits geistern dort, so in den folgenden Erzählungen, Gestalten der Vergangenheit herum, die in den Schauräumen keine Ruhe finden und den fiktiven Besucher mit allerlei Verdrängtem aus der deutschen Geschichte konfrontieren. Nicht einmal der Auftritt Hitlers wirkt da abgeschmackt. Wie oft bei Lange steht Unwägbares, Gespenstisches, Phantastisches in eigenartigem Kontrast zur kühlen Lakonie des Stils. Manchmal wird Lange etwas zu parabelhaft, aber keiner dürfte diesem einst umstrittenen Museum ein so hintergründiges Denkmal gesetzt haben wie er.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Hartmut Lange: Im Museum. Diogenes 2013. 114 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etwas thesenhaft klingt, was Ulrich Rüdenauer hier annociert: Hartmut Langes Geschichten "Im Museum". Sie erzählen von einem Lektor Rüdiger Dankwart, den es immer wieder ins Deutsche Historische Museum in Berlin zieht, um zu herauszufinden, was die Geschichte in diesem Haus so wirkmächtig macht. Dabei begegnet er einem einstigen Stasi-Peiniger, der als Wächter in dem Museum arbeitet und nun zu Ende bringen will, was er damals nicht schaffte. Als "grandiose Zumutung" preist der Rezensent die unheimlichen Begebenheiten, von denen Lange in einer "von allem Zierrat befreiten Sprache" berichtet und in denen das Unglaubwürdige möglich wird. Rüdenauer erkennt hierin eine "grundlegende Erinnerungsskepsis".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2012Im Gruselkabinett
Vorhang auf fürs Irrationale: Hartmut Lange schickt in seinem neuen Novellenzyklus Menschen ins Museum. In Wahrheit jedoch lässt er sie verschwinden.
Das Deutsche Historische Museum war eines der Lieblingsprojekte Helmut Kohls, damals in den achtziger Jahren. Und natürlich war es heftig umstritten. Heute, keine 25 Jahre nach seiner Gründung, erhitzt es kaum noch die Gemüter, ist es als Streitobjekt in der Presse verschwunden - und in der Literatur angekommen.
Wenn Hartmut Lange, Jahrgang 1937, in seiner jüngsten Textsammlung seine Figuren ins Museum schickt, dann zunächst einmal, um sie verschwinden zu lassen. Hier wird nicht bewahrt und ausgestellt, hier gehen reale Menschen verloren. Vor allem im Schlüterhof, den Lange mit ungeheurem Gestaltungswillen und Anklängen an den Schauerroman als Ort des Unheimlichen aufbaut. Mit einem Licht, das irritiert, mit berückenden Skulpturen, mit nur subjektiv wahrnehmbaren Bewegungen und Geräuschen. Das Irrationale hält Einzug in diesen Ort der Wissenschaft.
Die ersten vier Texte variieren eine solche Besuchserfahrung, und es sind leider die schwächeren in dem Band. Die Figuren bleiben schemenhaft, für sie gilt, was der Erzähler über einen früheren Stasi-Leutnant festhält: Man hat "kein Interesse daran, etwas Genaueres über die Privatsphäre dieses Mannes zu erfahren".
Es sind einsame, meist desinteressierte Menschen, die hier vorgestellt werden. Sie dienen Lange vornehmlich als Aussageträger, die kaum in ihrer Zeit verankert sind. Selbst wenn einzelne Gedanken aus konkreten Konstellationen erwachsen, liegt ihr Reiz meist in ihrem universellen Charakter, so, wenn das ehemalige Stasi-Opfer zu dem einstigen Leutnant und heutigen Museumsaufseher sagt: "Interessant, dass Sie sich entschlossen haben, Ihre eigene Vergangenheit zu bewachen."
Auch die unheimlichen Begebenheiten sind nicht weniger Botschaftsfolien. Spürt eine Frau einen Luftzug - einen frischen Atem, der durch die Geschichte weht? -, löst sie sich in Luft auf, verschwindet über den Schlüterhof ins Nichts. Will ein Mann das Museum durch die Drehtür verlassen und landet immer wieder am Ausgangspunkt, ist er - im Gegenentwurf zu Kafkas "Vor dem Gesetz" - in der Geschichte gefangen.
Das Parabelhafte überwindet Lange in den letzten drei Texten, in denen Gestalten aus früheren Jahrhunderten durchs Museum streifen. In einer Geschichte befinden sich zwei Frauen auf der Suche nach ihrem Sohn respektive Neffen, den sie als guten Menschen erinnern. Es handelt sich indes um niemand anderen als Adolf Hitler, hier wird ein individuelles Bild, das bis hin zum "verlorenen Sohn" mit religiöser Motivik aufgeladen wird, gegen das Bild in der Geschichte geschnitten. Dies ist denn auch die erste Story, die Langes eigenes Credo erfüllt: Sie irritiert.
Im Folgenden gelingt es Lange immer stimmiger, motivische und assoziative Ketten zu bilden, mit denen er seine Sprache rhythmisiert. Das irrationale Moment, bei dem wohl eher die Romantik Pate stand, verbindet sich gelungen mit einer nihilistischen, antirationalistischen Auffassung. Ein französischer Adliger, der im Terrorjahr 1792 gehängt wurde, zerkratzt wiederholt eine Fotografie von Rodins Denker - weil das Nachdenken des Menschen nur immer raffiniertere Formen des Tötens hervorbringe. Über ihn heißt es, alles, was er sage, sei "Schall und Rauch, und auch der Hinweis, dass er vergessen worden war, blieb ohne Belang, denn niemand wusste, dass es ihn überhaupt gegeben hatte". In diesen Erzählungen lotet Helmut Lange das Geworfensein des Menschen in Raum und Zeit eindrucksvoll aus. Hier trifft seine Sprache einen Ton, der exakt zwischen Tröstung und Desillusionierung schwebt.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Hartmut Lange: "Im Museum". Unheimliche Begebenheiten.
Diogenes Verlag, Zürich 2011. 128 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vorhang auf fürs Irrationale: Hartmut Lange schickt in seinem neuen Novellenzyklus Menschen ins Museum. In Wahrheit jedoch lässt er sie verschwinden.
Das Deutsche Historische Museum war eines der Lieblingsprojekte Helmut Kohls, damals in den achtziger Jahren. Und natürlich war es heftig umstritten. Heute, keine 25 Jahre nach seiner Gründung, erhitzt es kaum noch die Gemüter, ist es als Streitobjekt in der Presse verschwunden - und in der Literatur angekommen.
Wenn Hartmut Lange, Jahrgang 1937, in seiner jüngsten Textsammlung seine Figuren ins Museum schickt, dann zunächst einmal, um sie verschwinden zu lassen. Hier wird nicht bewahrt und ausgestellt, hier gehen reale Menschen verloren. Vor allem im Schlüterhof, den Lange mit ungeheurem Gestaltungswillen und Anklängen an den Schauerroman als Ort des Unheimlichen aufbaut. Mit einem Licht, das irritiert, mit berückenden Skulpturen, mit nur subjektiv wahrnehmbaren Bewegungen und Geräuschen. Das Irrationale hält Einzug in diesen Ort der Wissenschaft.
Die ersten vier Texte variieren eine solche Besuchserfahrung, und es sind leider die schwächeren in dem Band. Die Figuren bleiben schemenhaft, für sie gilt, was der Erzähler über einen früheren Stasi-Leutnant festhält: Man hat "kein Interesse daran, etwas Genaueres über die Privatsphäre dieses Mannes zu erfahren".
Es sind einsame, meist desinteressierte Menschen, die hier vorgestellt werden. Sie dienen Lange vornehmlich als Aussageträger, die kaum in ihrer Zeit verankert sind. Selbst wenn einzelne Gedanken aus konkreten Konstellationen erwachsen, liegt ihr Reiz meist in ihrem universellen Charakter, so, wenn das ehemalige Stasi-Opfer zu dem einstigen Leutnant und heutigen Museumsaufseher sagt: "Interessant, dass Sie sich entschlossen haben, Ihre eigene Vergangenheit zu bewachen."
Auch die unheimlichen Begebenheiten sind nicht weniger Botschaftsfolien. Spürt eine Frau einen Luftzug - einen frischen Atem, der durch die Geschichte weht? -, löst sie sich in Luft auf, verschwindet über den Schlüterhof ins Nichts. Will ein Mann das Museum durch die Drehtür verlassen und landet immer wieder am Ausgangspunkt, ist er - im Gegenentwurf zu Kafkas "Vor dem Gesetz" - in der Geschichte gefangen.
Das Parabelhafte überwindet Lange in den letzten drei Texten, in denen Gestalten aus früheren Jahrhunderten durchs Museum streifen. In einer Geschichte befinden sich zwei Frauen auf der Suche nach ihrem Sohn respektive Neffen, den sie als guten Menschen erinnern. Es handelt sich indes um niemand anderen als Adolf Hitler, hier wird ein individuelles Bild, das bis hin zum "verlorenen Sohn" mit religiöser Motivik aufgeladen wird, gegen das Bild in der Geschichte geschnitten. Dies ist denn auch die erste Story, die Langes eigenes Credo erfüllt: Sie irritiert.
Im Folgenden gelingt es Lange immer stimmiger, motivische und assoziative Ketten zu bilden, mit denen er seine Sprache rhythmisiert. Das irrationale Moment, bei dem wohl eher die Romantik Pate stand, verbindet sich gelungen mit einer nihilistischen, antirationalistischen Auffassung. Ein französischer Adliger, der im Terrorjahr 1792 gehängt wurde, zerkratzt wiederholt eine Fotografie von Rodins Denker - weil das Nachdenken des Menschen nur immer raffiniertere Formen des Tötens hervorbringe. Über ihn heißt es, alles, was er sage, sei "Schall und Rauch, und auch der Hinweis, dass er vergessen worden war, blieb ohne Belang, denn niemand wusste, dass es ihn überhaupt gegeben hatte". In diesen Erzählungen lotet Helmut Lange das Geworfensein des Menschen in Raum und Zeit eindrucksvoll aus. Hier trifft seine Sprache einen Ton, der exakt zwischen Tröstung und Desillusionierung schwebt.
CHRISTIANE PÖHLMANN
Hartmut Lange: "Im Museum". Unheimliche Begebenheiten.
Diogenes Verlag, Zürich 2011. 128 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main