Bewundert und gehasst - kaum jemand polarisiert so wie die ehemalige Chefanklägerin des UN-Tribunals in Den Haag, Carla Del Ponte.
In ihren explosiven Enthüllungen schildert Carla Del Ponte freimütig, wie sie systematisch an ihrer Arbeit gehindert wurde und wie schwierig ihre kompromisslose, oft einsame Jagd nach Kriegsverbrechern im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda war. Eine unbeirrbare, außergewöhnliche Frau, die ihr Leben in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt hat und dafür einen hohen Preis zahlt.
Von der Wirtstochter aus einem kleinen Ort im Tessin hin zur international gefürchteten Anklägerin: Carla Del Ponte schildert überraschend offen ihren ungewöhnlichen Werdegang und ihren resoluten Kampf gegen das Verbrechen. Ob sie als Staats- und Bundesanwältin gegen die Mafia kämpfte, was ihr den Spitznamen »Carlita la pesta« eintrug, russischen Oligarchen oder dem Bhutto-Clan das Geld einfror, ob sie die gefährlichsten Kriegsverbrecher jagte, die USA offen kritisierte oder sich allein gegen die NATO stellte, immer forderte sie für die Justiz ein, auch dann zu richten, wenn es gegen sämtliche Spielregeln der Politik und Diplomatie ging.
In ihren explosiven Enthüllungen schildert Carla Del Ponte freimütig, wie sie systematisch an ihrer Arbeit gehindert wurde und wie schwierig ihre kompromisslose, oft einsame Jagd nach Kriegsverbrechern im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda war. Eine unbeirrbare, außergewöhnliche Frau, die ihr Leben in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt hat und dafür einen hohen Preis zahlt.
Von der Wirtstochter aus einem kleinen Ort im Tessin hin zur international gefürchteten Anklägerin: Carla Del Ponte schildert überraschend offen ihren ungewöhnlichen Werdegang und ihren resoluten Kampf gegen das Verbrechen. Ob sie als Staats- und Bundesanwältin gegen die Mafia kämpfte, was ihr den Spitznamen »Carlita la pesta« eintrug, russischen Oligarchen oder dem Bhutto-Clan das Geld einfror, ob sie die gefährlichsten Kriegsverbrecher jagte, die USA offen kritisierte oder sich allein gegen die NATO stellte, immer forderte sie für die Justiz ein, auch dann zu richten, wenn es gegen sämtliche Spielregeln der Politik und Diplomatie ging.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2009Gerecht und selbstgerecht
Die frühere Chefanklägerin Carla del Ponte zieht Bilanz: Jagd auf Kriegsverbrecher
Carla del Ponte war von 1999 bis 2008 Chefanklägerin des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1993 eingesetzten Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien. Nun schildert sie ihren Aufstieg von der Wirtstochter aus einem kleinen Ort im Tessin zur Schweizer Staats- und Bundesanwältin und schließlich zur obersten Anklägerin Internationaler Strafgerichte. Diese aufreibende, teils erfolgreiche, teils frustrierende Tätigkeit steht im Mittelpunkt des Buches.
Die Erinnerungen erzählen die Geschichte einer Einzelkämpferin für die Gerechtigkeit: Carla del Ponte gegen den Rest der Welt. Bei ihrem ambitionierten Versuch einer umfassenden Aufklärung der schweren, von Serben, Kroaten, Bosniaken und Kosovo-Albanern begangenen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, bei der Forderung nach Verhaftung und Auslieferung mutmaßlicher, unter Anklage gestellter Haupttäter an das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag sei sie immer wieder gegen eine Gummiwand offener Ablehnung, verdeckter Obstruktion und mangelnder Unterstützung gestoßen. Politiker und Diplomaten aus allen beteiligten Ländern hätten aus eigennützigen Motiven oder wegen des Ziels eines Friedens ohne Gerechtigkeit an der Strafverfolgung kein oder kein hinreichendes Interesse gehabt, sie unter Verletzung der übernommenen Kooperationspflicht in ihrem Elan bremsen und damit den Lauf der Gerechtigkeit aufhalten wollen.
Aber natürlich ließ sich die Chefanklägerin in der ihr eigenen Hartnäckigkeit durch all diese Widrigkeiten von ihrem unbedingten Einsatz für Gerechtigkeit nicht abbringen, weder durch falsche Freundlichkeit einschläfern noch durch empfindlichen Druck gefügig machen, sondern blieb im Interesse der Opfer, denen sie ihre Stimme lieh, unerbittlich. Die einzige Möglichkeit, dem Recht zur Geltung zu verhelfen, habe darin bestanden, konsequent und beharrlich ihren Willen durchzusetzen. Selbst gegen die Nato habe sie wegen der Bombardierungen Serbiens 1999 eine Untersuchung einleiten wollen, doch hiervon Abstand nehmen müssen, um nicht die gesamte übrige Arbeit des Tribunals zu gefährden. In Wirklichkeit dürfte sich das Mandat des Tribunals auf etwaige Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Nato-Operation gar nicht erstreckt haben.
Man muss Carla del Ponte für ihren unermüdlichen Einsatz, ohne den es sicherlich nicht zu der großen Anzahl von Anklagen und Verurteilungen gekommen wäre, hohen Respekt zollen. Sie hat damit entscheidend dazu beigetragen, die von ihr sogenannte (Un-)Kultur der Straflosigkeit zu beenden und sicherzustellen, dass man sich für Kriegsverbrechen auch und gerade dann, wenn man sie in politischen oder militärischen Führungspositionen begeht, verantworten muss. Dass nicht alle gesuchten mutmaßlichen Täter gefasst werden konnten, das Verfahren gegen den des Völkermords angeklagten Milosevic nicht abgeschlossen werden konnte, erfüllt Frau del Ponte am Ende ihrer Amtszeit mit offenkundiger Bitterkeit, die indes die erfolgreiche Arbeit des Tribunals nicht in Vergessenheit geraten lassen sollte.
Das Buch ist am eindrücklichsten, wenn es die Opfer und Zeugen unsäglicher Verbrechen zu Wort kommen lässt. Dann fühlt und versteht man unmittelbar, was Carla del Ponte als Chefanklägerin angetrieben hat. Was die Lektüre des Buches dagegen teilweise schwer erträglich macht, ist die ausgeprägte Selbstgerechtigkeit der Autorin. Wenn in Verfahren etwas schiefgelaufen ist, sind immer die anderen schuld: die Mitarbeiter in der Anklagebehörde, die inkompetent oder unwillig sind, ihre Anweisungen zu befolgen, oder die Richter, die nicht den Anträgen der Anklage folgen. Ihnen wirft del Ponte vor, sich "an rechtstechnischem Kleinkram und Wortklaubereien" festzuhalten, "statt sich rechtschaffen darum zu bemühen, die Wahrheit herauszufinden und den Opfern . . . die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf die sie Anspruch hatten". Eine völlig unangemessene Richterschelte, die sich wiederholt.
Ansätze von Selbstkritik münden stets in neuer Kritik an den vielen anderen, die sich ihr - so die etwas schlichte Wahrnehmung - bei der Suche nach Gerechtigkeit unbotmäßig in den Weg gestellt haben. Aber darf nicht vielleicht doch, um des Friedens willen, das heißt zur Verhinderung weiterer Gewaltopfer, das Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit zurückgestellt werden? Zumal bei einem internationalen Straftribunal, dessen Jurisdiktion nicht Selbstzweck, sondern Mittel des Sicherheitsrates zur Wahrnehmung seiner präventiven Befugnisse zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist? Dass sich Carla del Ponte während ihrer Amtszeit nicht von Kritik hat anfechten lassen, sondern unbeirrt ihren Weg gegangen ist, ist verständlich. Mit Selbstzweifeln hätte sie ihre Aufgabe nicht bewältigen können. Dass sie indes auch im Rückblick nicht zu wirklicher Selbstkritik fähig ist, in den rechtlichen und politischen Einwänden, die gegen das Tribunal und manche Entscheidung zur vermeintlichen Unzeit vorgebracht worden sind, nur Ablenkungsmanöver erblicken kann, offenbart aber eine Einseitigkeit der Betrachtung, in der sie indes eine persönliche Schwäche nicht zu erblicken vermag.
Schon als Kind habe sie zusammen mit ihren Brüdern Schlangen gejagt, erzählt Carla del Ponte. "Bis heute bin ich eher Schlangenjägerin als Rechtswissenschaftlerin. Nach einem Vierteljahrhundert als Anklägerin sehen meine Augen mehr Schwarz und Weiß als Grautöne, und ich halte das für einen Vorzug." Gerecht und selbstgerecht - Carla del Ponte kann nicht anders.
CHRISTIAN HILLGRUBER
Carla del Ponte/Chuck Sudetic: Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 528 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die frühere Chefanklägerin Carla del Ponte zieht Bilanz: Jagd auf Kriegsverbrecher
Carla del Ponte war von 1999 bis 2008 Chefanklägerin des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1993 eingesetzten Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien. Nun schildert sie ihren Aufstieg von der Wirtstochter aus einem kleinen Ort im Tessin zur Schweizer Staats- und Bundesanwältin und schließlich zur obersten Anklägerin Internationaler Strafgerichte. Diese aufreibende, teils erfolgreiche, teils frustrierende Tätigkeit steht im Mittelpunkt des Buches.
Die Erinnerungen erzählen die Geschichte einer Einzelkämpferin für die Gerechtigkeit: Carla del Ponte gegen den Rest der Welt. Bei ihrem ambitionierten Versuch einer umfassenden Aufklärung der schweren, von Serben, Kroaten, Bosniaken und Kosovo-Albanern begangenen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, bei der Forderung nach Verhaftung und Auslieferung mutmaßlicher, unter Anklage gestellter Haupttäter an das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag sei sie immer wieder gegen eine Gummiwand offener Ablehnung, verdeckter Obstruktion und mangelnder Unterstützung gestoßen. Politiker und Diplomaten aus allen beteiligten Ländern hätten aus eigennützigen Motiven oder wegen des Ziels eines Friedens ohne Gerechtigkeit an der Strafverfolgung kein oder kein hinreichendes Interesse gehabt, sie unter Verletzung der übernommenen Kooperationspflicht in ihrem Elan bremsen und damit den Lauf der Gerechtigkeit aufhalten wollen.
Aber natürlich ließ sich die Chefanklägerin in der ihr eigenen Hartnäckigkeit durch all diese Widrigkeiten von ihrem unbedingten Einsatz für Gerechtigkeit nicht abbringen, weder durch falsche Freundlichkeit einschläfern noch durch empfindlichen Druck gefügig machen, sondern blieb im Interesse der Opfer, denen sie ihre Stimme lieh, unerbittlich. Die einzige Möglichkeit, dem Recht zur Geltung zu verhelfen, habe darin bestanden, konsequent und beharrlich ihren Willen durchzusetzen. Selbst gegen die Nato habe sie wegen der Bombardierungen Serbiens 1999 eine Untersuchung einleiten wollen, doch hiervon Abstand nehmen müssen, um nicht die gesamte übrige Arbeit des Tribunals zu gefährden. In Wirklichkeit dürfte sich das Mandat des Tribunals auf etwaige Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Nato-Operation gar nicht erstreckt haben.
Man muss Carla del Ponte für ihren unermüdlichen Einsatz, ohne den es sicherlich nicht zu der großen Anzahl von Anklagen und Verurteilungen gekommen wäre, hohen Respekt zollen. Sie hat damit entscheidend dazu beigetragen, die von ihr sogenannte (Un-)Kultur der Straflosigkeit zu beenden und sicherzustellen, dass man sich für Kriegsverbrechen auch und gerade dann, wenn man sie in politischen oder militärischen Führungspositionen begeht, verantworten muss. Dass nicht alle gesuchten mutmaßlichen Täter gefasst werden konnten, das Verfahren gegen den des Völkermords angeklagten Milosevic nicht abgeschlossen werden konnte, erfüllt Frau del Ponte am Ende ihrer Amtszeit mit offenkundiger Bitterkeit, die indes die erfolgreiche Arbeit des Tribunals nicht in Vergessenheit geraten lassen sollte.
Das Buch ist am eindrücklichsten, wenn es die Opfer und Zeugen unsäglicher Verbrechen zu Wort kommen lässt. Dann fühlt und versteht man unmittelbar, was Carla del Ponte als Chefanklägerin angetrieben hat. Was die Lektüre des Buches dagegen teilweise schwer erträglich macht, ist die ausgeprägte Selbstgerechtigkeit der Autorin. Wenn in Verfahren etwas schiefgelaufen ist, sind immer die anderen schuld: die Mitarbeiter in der Anklagebehörde, die inkompetent oder unwillig sind, ihre Anweisungen zu befolgen, oder die Richter, die nicht den Anträgen der Anklage folgen. Ihnen wirft del Ponte vor, sich "an rechtstechnischem Kleinkram und Wortklaubereien" festzuhalten, "statt sich rechtschaffen darum zu bemühen, die Wahrheit herauszufinden und den Opfern . . . die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf die sie Anspruch hatten". Eine völlig unangemessene Richterschelte, die sich wiederholt.
Ansätze von Selbstkritik münden stets in neuer Kritik an den vielen anderen, die sich ihr - so die etwas schlichte Wahrnehmung - bei der Suche nach Gerechtigkeit unbotmäßig in den Weg gestellt haben. Aber darf nicht vielleicht doch, um des Friedens willen, das heißt zur Verhinderung weiterer Gewaltopfer, das Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit zurückgestellt werden? Zumal bei einem internationalen Straftribunal, dessen Jurisdiktion nicht Selbstzweck, sondern Mittel des Sicherheitsrates zur Wahrnehmung seiner präventiven Befugnisse zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist? Dass sich Carla del Ponte während ihrer Amtszeit nicht von Kritik hat anfechten lassen, sondern unbeirrt ihren Weg gegangen ist, ist verständlich. Mit Selbstzweifeln hätte sie ihre Aufgabe nicht bewältigen können. Dass sie indes auch im Rückblick nicht zu wirklicher Selbstkritik fähig ist, in den rechtlichen und politischen Einwänden, die gegen das Tribunal und manche Entscheidung zur vermeintlichen Unzeit vorgebracht worden sind, nur Ablenkungsmanöver erblicken kann, offenbart aber eine Einseitigkeit der Betrachtung, in der sie indes eine persönliche Schwäche nicht zu erblicken vermag.
Schon als Kind habe sie zusammen mit ihren Brüdern Schlangen gejagt, erzählt Carla del Ponte. "Bis heute bin ich eher Schlangenjägerin als Rechtswissenschaftlerin. Nach einem Vierteljahrhundert als Anklägerin sehen meine Augen mehr Schwarz und Weiß als Grautöne, und ich halte das für einen Vorzug." Gerecht und selbstgerecht - Carla del Ponte kann nicht anders.
CHRISTIAN HILLGRUBER
Carla del Ponte/Chuck Sudetic: Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 528 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2009Strafpredigt für Mutlose
Das Resümee der einstigen Chefanklägerin Carla Del Ponte
In ihrer Kindheit hatte Carla Del Ponte ein seltsames Hobby. Zusammen mit ihren Brüdern machte das Mädchen Jagd auf giftige Reptilien, die sich in den Alpen oberhalb von Locarno bewegten. Diese Lieblingsbeschäftigung sieht sie auch als Teil des Kampfes um die Gleichberechtigung. Irgendwann sollen die Brüder die kleine und draufgängerische Carla als ebenbürtig akzeptiert haben. Bis heute sei sie aber eher eine Schlangenjägerin als eine Rechtswissenschaftlerin geblieben, schreibt Del Ponte nun in ihrer Autobiographie. Darin schildert die Tessinerin ihren Aufstieg von der Wirtstochter zur Schweizer Bundesanwältin und schließlich zur Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Auf diesen Posten wurde sie 1999 gewählt, weil sie aus einem neutralen Land stammte, das weder Nato- noch EU-Mitglied ist. Ihre Bilanz als Bundesanwältin in Bern war dürftig: Del Pontes Anklagen gegen mutmaßliche Terroristen, das kolumbianische Drogenkartell, den Jelzin-Clan und andere Schurken lösten sich größtenteils in Luft auf.
Kaum hatte sie ihr Amt in Den Haag angetreten, stieß sie auf eine „muro di gomma”, auf eine „Gummiwand”, die von westlichen Politikern, Generälen, UN-Beamten und Diplomaten errichtet wurde. Aus Angst vor nationalistischen Unruhen in Serbien, im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina hatten sie kein Interesse, die Arbeit von Del Ponte zu unterstützen. Als die Schweizerin dem CIA-Direktor George Tenet ziemlich forsch sagte, was er tun sollte, um die flüchtigen Großverbrecher auf dem Balkan festzunehmen, wurde sie brüsk zurückgewiesen. „Hören Sie, Madame, es ist mir scheißegal, was Sie denken”, soll Tenet gebrüllt haben.
Del Pontes Werk, das sie zusammen mit dem US-Journalisten Chuck Sudetic verfasst hat, ist eine Art Strafpredigt für mutlose europäische und amerikanische Politiker, unfähige Mitarbeiter des Tribunals und nationalistische Machthaber auf dem Balkan. Sie alle hätten unermüdlich den Refrain „Wir werden kooperieren” wiederholt, aber wenig geholfen, um die „Kultur der Straflosigkeit” zu durchbrechen. Nach dem Sturz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic im Herbst 2000 hätte sich vor allem sein Nachfolger Vojislav Kostunica gegen die Zusammenarbeit mit dem Tribunal gewehrt. Er sei auch kaum bereit gewesen zuzugeben, dass sich seine Landsleute während des Krieges irgendetwas hätten zuschulden kommen lassen. Als einzigen Politiker mit Weitblick auf dem Balkan erwähnt sie Zoran Djindjic. Ohne die Entschlossenheit des prowestlichen Regierungschefs wäre die Auslieferung Milosevics an das Haager UN-Gericht möglicherweise nicht so schnell und reibungslos über die Bühne gegangen. Schließlich bezahlte Djindjic für diese Auslieferung mit seinem Leben.
Inzwischen ist auch Milosevic gestorben – juristisch unbescholten. Der Monsterprozess gegen ihn umfasste die Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo, die Anklage war überfrachtet, und das Verfahren konnte nicht in einem überschaubaren Zeitraum beendet werden. Juristen hatten Del Ponte geraten, die einzelnen Verfahren zu trennen, um schneller zu einem Schuldspruch zu kommen. Für das Scheitern des Milosevic-Prozesses beschuldigt Del Ponte enge Mitarbeiter, die sie als Vorgesetzte nicht respektiert hätten. Leise Selbstkritik übt sie in einem einzigen Absatz am Ende ihres Buches. Sie hätte mehr Präsenz in Den Haag zeigen und manchen Beamten entlassen sollen, sagt Del Ponte. Es ist ein Rückblick im Zorn – oft ungeduldig, unvorsichtig und unverantwortlich formuliert.
Frustrierende Ermittlungen
Dazu gehört auch der auf tönernen Füßen stehende Vorwurf, die sogenannte Kosovo-Befreiungsarmee UCK habe im Sommer 1999 in einem Geheimlabor in Nordalbanien entführten Serben lebenswichtige Organe entnommen und ins Ausland geschmuggelt. Als Quelle erwähnt Del Ponte „glaubwürdige Journalisten”, die aber über den Wahrheitsgehalt ihrer Recherchen so unsicher waren, dass sie darüber bis heute nichts veröffentlicht haben. Über den mutmaßlichen Organhandel spricht Del Ponte, die 2007 ihr Amt als UN-Chefanklägerin abgegeben hat und heute Schweizer Botschafterin in Buenos Aires ist, erst in ihrem Buch. Vermutlich hätte sie mehr erreicht, wenn sie schon nach dem Ende des Kosovo-Krieges die internationale Öffentlichkeit über die mutmaßlichen Verbrechen der kosovarischen Aufständischen alarmiert hätte. Del Ponte hat geschwiegen und möglicherweise den Tätern ermöglicht, in den vergangenen zehn Jahren eventuelle Beweise zu vernichten.
Glaubwürdig ist Del Ponte dagegen, wenn sie die Ermittlungen gegen ehemalige UCK-Angehörige als die frustrierendsten im Lauf der Arbeit des Jugoslawien-Tribunals bezeichnet. Im Kosovo wurden albanische Zeugen von Kriegsverbrechen an Serben eingeschüchtert, gefoltert und ermordet. Das alles geschah mehr oder weniger unter den Augen der UN-Mission und der Nato-Friedenstruppe Kfor. Diese griffen nicht ein, weil sie eine Konfrontation mit den mächtigen UCK-Kriegsfürsten befürchteten. Aus Mangel an Beweisen wurden zwei hochrangige UCK-Befehlshaber, darunter auch der ehemalige Ministerpräsident Ramush Haradinaj, in Den Haag freigesprochen. Nun ruhen die Hoffnungen auf der EU-Mission im Kosovo, die versprochen hat, den noch nicht aufgeklärten Verbrechen nachzugehen.
Trotz solcher Rückschläge kann Del Ponte auch auf wichtige Erfolge hinweisen. Es ist zweifellos ihr Verdienst, dass mit Milosevic erstmals ein ehemaliger Staatschef wegen Kriegsverbrechen vor Gericht stand. Allein während ihrer Amtszeit unterzeichnete Del Ponte 62 Anklagen, 91 mutmaßliche Kriegsverbrecher wurden verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert. Dies geschah aber erst nach massivem Druck der EU. Von Zagreb über Sarajevo und Belgrad bis Pristina fehlt noch heute die Einsicht, dass ohne die lückenlose Aufarbeitung der jüngsten blutigen Vergangenheit die Region nicht dauerhaft befriedet werden kann. ENVER ROBELLI
CARLA DEL PONTE / CHUCK SUDETIC: Im Namen der Anklage: Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit. Übersetzung: Gabriele Gockel / Thomas Wollermann. Fischer Verlag, Frankfurt 2009. 528 S., 22,95 Euro.
Carla Del Ponte im August 2006 bei der Vorstellung des Schweizer Dokumentarfilms „La liste de Carla” über die Arbeit der damaligen Chefanklägerin. Foto: AP
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Das Resümee der einstigen Chefanklägerin Carla Del Ponte
In ihrer Kindheit hatte Carla Del Ponte ein seltsames Hobby. Zusammen mit ihren Brüdern machte das Mädchen Jagd auf giftige Reptilien, die sich in den Alpen oberhalb von Locarno bewegten. Diese Lieblingsbeschäftigung sieht sie auch als Teil des Kampfes um die Gleichberechtigung. Irgendwann sollen die Brüder die kleine und draufgängerische Carla als ebenbürtig akzeptiert haben. Bis heute sei sie aber eher eine Schlangenjägerin als eine Rechtswissenschaftlerin geblieben, schreibt Del Ponte nun in ihrer Autobiographie. Darin schildert die Tessinerin ihren Aufstieg von der Wirtstochter zur Schweizer Bundesanwältin und schließlich zur Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Auf diesen Posten wurde sie 1999 gewählt, weil sie aus einem neutralen Land stammte, das weder Nato- noch EU-Mitglied ist. Ihre Bilanz als Bundesanwältin in Bern war dürftig: Del Pontes Anklagen gegen mutmaßliche Terroristen, das kolumbianische Drogenkartell, den Jelzin-Clan und andere Schurken lösten sich größtenteils in Luft auf.
Kaum hatte sie ihr Amt in Den Haag angetreten, stieß sie auf eine „muro di gomma”, auf eine „Gummiwand”, die von westlichen Politikern, Generälen, UN-Beamten und Diplomaten errichtet wurde. Aus Angst vor nationalistischen Unruhen in Serbien, im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina hatten sie kein Interesse, die Arbeit von Del Ponte zu unterstützen. Als die Schweizerin dem CIA-Direktor George Tenet ziemlich forsch sagte, was er tun sollte, um die flüchtigen Großverbrecher auf dem Balkan festzunehmen, wurde sie brüsk zurückgewiesen. „Hören Sie, Madame, es ist mir scheißegal, was Sie denken”, soll Tenet gebrüllt haben.
Del Pontes Werk, das sie zusammen mit dem US-Journalisten Chuck Sudetic verfasst hat, ist eine Art Strafpredigt für mutlose europäische und amerikanische Politiker, unfähige Mitarbeiter des Tribunals und nationalistische Machthaber auf dem Balkan. Sie alle hätten unermüdlich den Refrain „Wir werden kooperieren” wiederholt, aber wenig geholfen, um die „Kultur der Straflosigkeit” zu durchbrechen. Nach dem Sturz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic im Herbst 2000 hätte sich vor allem sein Nachfolger Vojislav Kostunica gegen die Zusammenarbeit mit dem Tribunal gewehrt. Er sei auch kaum bereit gewesen zuzugeben, dass sich seine Landsleute während des Krieges irgendetwas hätten zuschulden kommen lassen. Als einzigen Politiker mit Weitblick auf dem Balkan erwähnt sie Zoran Djindjic. Ohne die Entschlossenheit des prowestlichen Regierungschefs wäre die Auslieferung Milosevics an das Haager UN-Gericht möglicherweise nicht so schnell und reibungslos über die Bühne gegangen. Schließlich bezahlte Djindjic für diese Auslieferung mit seinem Leben.
Inzwischen ist auch Milosevic gestorben – juristisch unbescholten. Der Monsterprozess gegen ihn umfasste die Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo, die Anklage war überfrachtet, und das Verfahren konnte nicht in einem überschaubaren Zeitraum beendet werden. Juristen hatten Del Ponte geraten, die einzelnen Verfahren zu trennen, um schneller zu einem Schuldspruch zu kommen. Für das Scheitern des Milosevic-Prozesses beschuldigt Del Ponte enge Mitarbeiter, die sie als Vorgesetzte nicht respektiert hätten. Leise Selbstkritik übt sie in einem einzigen Absatz am Ende ihres Buches. Sie hätte mehr Präsenz in Den Haag zeigen und manchen Beamten entlassen sollen, sagt Del Ponte. Es ist ein Rückblick im Zorn – oft ungeduldig, unvorsichtig und unverantwortlich formuliert.
Frustrierende Ermittlungen
Dazu gehört auch der auf tönernen Füßen stehende Vorwurf, die sogenannte Kosovo-Befreiungsarmee UCK habe im Sommer 1999 in einem Geheimlabor in Nordalbanien entführten Serben lebenswichtige Organe entnommen und ins Ausland geschmuggelt. Als Quelle erwähnt Del Ponte „glaubwürdige Journalisten”, die aber über den Wahrheitsgehalt ihrer Recherchen so unsicher waren, dass sie darüber bis heute nichts veröffentlicht haben. Über den mutmaßlichen Organhandel spricht Del Ponte, die 2007 ihr Amt als UN-Chefanklägerin abgegeben hat und heute Schweizer Botschafterin in Buenos Aires ist, erst in ihrem Buch. Vermutlich hätte sie mehr erreicht, wenn sie schon nach dem Ende des Kosovo-Krieges die internationale Öffentlichkeit über die mutmaßlichen Verbrechen der kosovarischen Aufständischen alarmiert hätte. Del Ponte hat geschwiegen und möglicherweise den Tätern ermöglicht, in den vergangenen zehn Jahren eventuelle Beweise zu vernichten.
Glaubwürdig ist Del Ponte dagegen, wenn sie die Ermittlungen gegen ehemalige UCK-Angehörige als die frustrierendsten im Lauf der Arbeit des Jugoslawien-Tribunals bezeichnet. Im Kosovo wurden albanische Zeugen von Kriegsverbrechen an Serben eingeschüchtert, gefoltert und ermordet. Das alles geschah mehr oder weniger unter den Augen der UN-Mission und der Nato-Friedenstruppe Kfor. Diese griffen nicht ein, weil sie eine Konfrontation mit den mächtigen UCK-Kriegsfürsten befürchteten. Aus Mangel an Beweisen wurden zwei hochrangige UCK-Befehlshaber, darunter auch der ehemalige Ministerpräsident Ramush Haradinaj, in Den Haag freigesprochen. Nun ruhen die Hoffnungen auf der EU-Mission im Kosovo, die versprochen hat, den noch nicht aufgeklärten Verbrechen nachzugehen.
Trotz solcher Rückschläge kann Del Ponte auch auf wichtige Erfolge hinweisen. Es ist zweifellos ihr Verdienst, dass mit Milosevic erstmals ein ehemaliger Staatschef wegen Kriegsverbrechen vor Gericht stand. Allein während ihrer Amtszeit unterzeichnete Del Ponte 62 Anklagen, 91 mutmaßliche Kriegsverbrecher wurden verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert. Dies geschah aber erst nach massivem Druck der EU. Von Zagreb über Sarajevo und Belgrad bis Pristina fehlt noch heute die Einsicht, dass ohne die lückenlose Aufarbeitung der jüngsten blutigen Vergangenheit die Region nicht dauerhaft befriedet werden kann. ENVER ROBELLI
CARLA DEL PONTE / CHUCK SUDETIC: Im Namen der Anklage: Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit. Übersetzung: Gabriele Gockel / Thomas Wollermann. Fischer Verlag, Frankfurt 2009. 528 S., 22,95 Euro.
Carla Del Ponte im August 2006 bei der Vorstellung des Schweizer Dokumentarfilms „La liste de Carla” über die Arbeit der damaligen Chefanklägerin. Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Dorion Weickmann ist enttäuscht von diesem Buch der ehemaligen Chefanklägerin des internationalen Strafgerichtshofs für Jugoslawien, Carla Del Ponte. Denn ihre Abrechnung mit dem Tribunal fällt ihm deutlich zu vage aus. Statt Gründe für den schleppenden Gang der Verfahren gegen Milosevic und Co. zu nennen oder zu analysieren, bleibe sie in einer verbitterten Vorwurfshaltung stecken. Lange weiß der Rezensent gar nicht, für wen dieses Buch überhaupt geschrieben wurde. Erst nach circa 450 Seiten wird ihm klar, dass Carla Del Ponte das Scheitern des Gerichtshof an postjugoslawischen Potentaten, machtbewussten Politfunktionären und unterbelichteten Mitarbeitern angesichts der Opfer und ihrer Hinterbliebenen sehr persönlich nimmt. So liest der Rezensent das Buch auch als persönlichen Rechenschaftsbericht, hätte aber lieber gesehen, Del Ponte hätte die Strukturen jenseits der "Gummiwand", gegen die sie stets stieß, offensiver dargelegt, statt in Ohnmacht davor stehen zu bleiben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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