»Wie es eigentlich gewesen ist « das klingt ganz unverfänglich! Bescheiden sollen nur die Fakten etabliert und der wirkliche Ablauf der Ereignisse gezeigt werden. Mit welcher Anmaßung ging dagegen die »große Erzählung« einher, wie gefährlich war die Geschichtsphilosophie mit ihrem totalitären Anspruch, Weg und Ziel der Geschichte zu kennen!Rudolf Burger zeigt, daß nach dem angeblichen »Ende der Geschichte« die eine große Erzählung nur durch die vielen großen Erzählungen ersetzt worden ist. Und wie einst die eine Geschichte, sind heute die vielen Geschichten der wahre geistige Fundus politischer Kämpfe: Alle historischen Begriffe, Theorien und Kategorien, so vermag Burger in seinen erkenntniskritischenAusführungen zu zeigen, dienen der Legitimation und Delegitimation gegenwärtiger weltanschaulicher Positionen. Alspraktische Konsequenz rollen nach wie vor die Panzer »im Namen der Geschichte«, um das Amselfeld zu befreien oder ein neues Auschwitz zu verhindern.Alle Geschichte, die ihre politischen und moralischen Fundamentenicht transparent macht, ist daher suspekt. Rudolf Burger schärft mit seinem großen, skeptischen Aufklärungswerk den Verstand für die Gefahr, die von denen ausgeht, die sich auf »die Geschichte« berufen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Geschichte, die aus der Zukunft kommt
Das elfte Gebot: Rudolf Burger warnt vor dem Missbrauch der historischen Vernunft / Von Michael Jeismann
Rudolf Burger hat sich fest vorgenommen, Geschichte als Mythos der Moderne zu entlarven. Aber sie holt ihn dabei selbst ein.
Es wird vielleicht einmal als Beginn einer neuen Menschheitspolitik in die Geschichte eingehen oder doch wenigstens als ihr Vorzeichen, dass der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis für sein umweltpolitisches Engagement erhielt. Ein Beginn deshalb, weil mit der Preisvergabe erstmals ein Geschichtsbegriff geradezu verbindlich belobigt wird, der seine Legitimation aus einem hochgerechneten Zusammenhang von Mensch und Natur bezieht. Es ist die von ihr selbst bedrohte Zukunft der Natur, die die Menschheit sittliches, verantwortungsvolles Handeln lehren soll. Wir sind verpflichtet, von einer Geschichte zu lernen, die, global betrachtet, niemals zu ihrem Ende kommen darf, weil es auch unser Ende wäre - und damit wirklich auch das Ende der Menschengeschichte.
Diese hochgerechnete Zukunftsgeschichte der Menschheit als globale ökologische magistra vitae mit Lernzwang ist eine Denkfigur, die zwar nicht vollständig neu ist, wenn man an die Mahnungen des Club of Rome zu Beginn der siebziger Jahre denkt. Neu ist aber die scheinbare Evidenz dieser Geschichte, die sich mit Überschwemmungen, verhuschten Jahreszeiten, mit Brand und Dürre in das Alltagsleben der Menschheit einschreibt und zu neuer sozialer Ungleichheit im planetarischen Maßstab führt. Alles scheint auf eine Geschichte zuzulaufen, die nie passieren darf. Die Zukunft lehrt uns, was wir heute schon vermeiden müssen, so lautet kurz gefasst die Quintessenz dieser Geschichtsbetrachtung ex futura naturae. Kein Wunder, dass die entwickelten Gesellschaften auf dem Weg zu Verbots-Gesellschaften sind, deren gesellschaftspolitischer Konsens an den Leitbegriffen von Gesundheit, Verantwortung und Kontrolle ausgerichtet ist. Es liegt auf der Hand, dass solche Geschichten aus der Zukunft ein gefährliches Ermächtigungspotential haben. Schon stürzen sich die Gesellschaftswissenschaften auf das "Klima" als neues Paradigma, das sie aus der aussichtslosen Versandung einer monochromen kapitalistischen Gesellschaft errettet. Andere "Retter", die auch "Führer" sind, mögen folgen.
Vor diesem Hintergrund scheint ein Buch gerade recht zu kommen, das "vom Missbrauch der historischen Vernunft" handelt, der "im Namen der Geschichte" verübt werde. Diese Kritik angesichts der Aussiedlung der Geschichte in die Naturgeschichte sowie einer neuen Biologisierung der Politik wirkt auf den ersten Blick ein wenig altmodisch, um nicht zu sagen überholt. Rudolf Burger, Professor für Philosophie an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, hat sich vorgenommen, Geschichte als "Mythos der Moderne" zu entlarven und ihr einiges von ihrer "epistemischen und moralischen Verbindlichkeit" zu nehmen. Er richtet sich dabei insbesondere gegen den bedenkenlosen Einsatz der nationalsozialistischen Geschichte und des Judenmordes als Alltagsmoral in kleiner Münze: Man sei von der Helden- zur Opfergeschichte gewechselt und huldige nun einem "negativen Monumentalismus". Erinnerungskartelle kämpfen um das Opfermonopol, so Burger. Er moniert: "Nicht verstehen oder begreifen, sondern ,Niemals vergessen!' lautet das Gebot dieses moralisierenden Neohistorismus." Burger nennt es das "elfte Gebot" und widmet sich dann dem Nachweis, dass dieses elfte Gebot eben als Gebot absurd sei. In der Befolgung dieses Gebots nämlich sei "das Denken durch das Gedenken ersetzt worden und das Denkmal durch das Mahnmal". Die "Erinnerung" aber biete allenfalls einen höchst trügerischen Schutz und wiege die Menschen in falscher Sicherheit.
Diese Kritik ist nun wirklich nicht neu, ihr wurde schon das ein oder andere Werk gewidmet. Auch, dass man aus der Geschichte eigentlich nichts lernen könne - oder meistens nur das Falsche, ist nun seit Nietzsche und Theodor Lessings "Sinngebung des Sinnlosen" aus dem Jahr 1919 bekannt. Deshalb biegt Burger auch bald scharf ab in eine Geschichte des historischen Denkens und lässt Polemik erst einmal Polemik sein. Was auf den folgenden siebzig Seiten geboten wird, ist im Grunde ein gelungener, vorlesungstauglicher Abriss des historischen Denkens mit einer Reihe nützlicher Begriffsunterscheidungen. Er reicht von Aristoteles über Hegel bis zu Karl Popper, von Vico bis zu Koselleck. Burger gelingt es, auf knappem Raum etwa zu zeigen, wie die Vorsehung bei Vico auf ein temporalisiertes Ordnungsschema reduziert wird, "dessen wesentlicher Inhalt nichts anderes ist als die universale und gesetzmäßige Ordnung des Geschichtsverlaufs selbst". Und er zeigt ebenso knapp wie luzide die überragende Bedeutung von Joachim von Fiore für das gesamte europäische Geschichtsdenken. Joachim ließ den Augustinischen Dualismus hinter sich und betrachtete die Realgeschichte als Vollzug einer Vergeistigung. Er holte damit die Heilsgeschichte in die Weltgeschichte zurück, und sein dreistufiges Schema des Geschichtsverlaufs wird von Hegel, Comte oder auch Marx aufgegriffen und neu gefüllt.
Immer wieder lässt Burger dabei sein Leitmotiv aufscheinen, dass "wir eine Vergangenheit haben, aber die Geschichte machen". Der Gedanke, dass Geschichte als Erzählung immer ein Konstrukt ist und bleiben muss, ist nun auch nicht neu, und es ist bedauerlich, dass Burger "die Geschichte", die ja keineswegs immer ein solcher Kollektivsingular gewesen ist, stets nur in ihrer Qualität als Darstellung behandelt, ihre analytische Dimension aber, aus der dann eben doch bestimmte strukturelle Schlüsse gezogen werden können, vernachlässigt. Geschichte ist also nicht bloß das Erzählte, sondern auch das Erfragte. Und die Qualität der Erzählung hängt aufs engste mit der Qualität der Fragen zusammen, die man zuvor an das Überlieferte gerichtet hat. Gleichwohl: Burger ist es mit seinem Essay gelungen, aus der Geschichte des historischen Denkens alle historischen Imperative reflexiv zu distanzieren und entsprechenden Mobilisierungsappellen die "inneren Widersprüche der Sache selbst" entgegenzuhalten. Dass ebendiese "Lehre" seine skeptische These nahezu widerlegt, ist eine der Pointen, wie sie Burger selbst schätzen dürfte.
Rudolf Burger: "Im Namen der Geschichte". Vom Missbrauch der historischen Vernunft. zu Klampen Verlag, Springe 2007. 128 S., geb., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das elfte Gebot: Rudolf Burger warnt vor dem Missbrauch der historischen Vernunft / Von Michael Jeismann
Rudolf Burger hat sich fest vorgenommen, Geschichte als Mythos der Moderne zu entlarven. Aber sie holt ihn dabei selbst ein.
Es wird vielleicht einmal als Beginn einer neuen Menschheitspolitik in die Geschichte eingehen oder doch wenigstens als ihr Vorzeichen, dass der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis für sein umweltpolitisches Engagement erhielt. Ein Beginn deshalb, weil mit der Preisvergabe erstmals ein Geschichtsbegriff geradezu verbindlich belobigt wird, der seine Legitimation aus einem hochgerechneten Zusammenhang von Mensch und Natur bezieht. Es ist die von ihr selbst bedrohte Zukunft der Natur, die die Menschheit sittliches, verantwortungsvolles Handeln lehren soll. Wir sind verpflichtet, von einer Geschichte zu lernen, die, global betrachtet, niemals zu ihrem Ende kommen darf, weil es auch unser Ende wäre - und damit wirklich auch das Ende der Menschengeschichte.
Diese hochgerechnete Zukunftsgeschichte der Menschheit als globale ökologische magistra vitae mit Lernzwang ist eine Denkfigur, die zwar nicht vollständig neu ist, wenn man an die Mahnungen des Club of Rome zu Beginn der siebziger Jahre denkt. Neu ist aber die scheinbare Evidenz dieser Geschichte, die sich mit Überschwemmungen, verhuschten Jahreszeiten, mit Brand und Dürre in das Alltagsleben der Menschheit einschreibt und zu neuer sozialer Ungleichheit im planetarischen Maßstab führt. Alles scheint auf eine Geschichte zuzulaufen, die nie passieren darf. Die Zukunft lehrt uns, was wir heute schon vermeiden müssen, so lautet kurz gefasst die Quintessenz dieser Geschichtsbetrachtung ex futura naturae. Kein Wunder, dass die entwickelten Gesellschaften auf dem Weg zu Verbots-Gesellschaften sind, deren gesellschaftspolitischer Konsens an den Leitbegriffen von Gesundheit, Verantwortung und Kontrolle ausgerichtet ist. Es liegt auf der Hand, dass solche Geschichten aus der Zukunft ein gefährliches Ermächtigungspotential haben. Schon stürzen sich die Gesellschaftswissenschaften auf das "Klima" als neues Paradigma, das sie aus der aussichtslosen Versandung einer monochromen kapitalistischen Gesellschaft errettet. Andere "Retter", die auch "Führer" sind, mögen folgen.
Vor diesem Hintergrund scheint ein Buch gerade recht zu kommen, das "vom Missbrauch der historischen Vernunft" handelt, der "im Namen der Geschichte" verübt werde. Diese Kritik angesichts der Aussiedlung der Geschichte in die Naturgeschichte sowie einer neuen Biologisierung der Politik wirkt auf den ersten Blick ein wenig altmodisch, um nicht zu sagen überholt. Rudolf Burger, Professor für Philosophie an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, hat sich vorgenommen, Geschichte als "Mythos der Moderne" zu entlarven und ihr einiges von ihrer "epistemischen und moralischen Verbindlichkeit" zu nehmen. Er richtet sich dabei insbesondere gegen den bedenkenlosen Einsatz der nationalsozialistischen Geschichte und des Judenmordes als Alltagsmoral in kleiner Münze: Man sei von der Helden- zur Opfergeschichte gewechselt und huldige nun einem "negativen Monumentalismus". Erinnerungskartelle kämpfen um das Opfermonopol, so Burger. Er moniert: "Nicht verstehen oder begreifen, sondern ,Niemals vergessen!' lautet das Gebot dieses moralisierenden Neohistorismus." Burger nennt es das "elfte Gebot" und widmet sich dann dem Nachweis, dass dieses elfte Gebot eben als Gebot absurd sei. In der Befolgung dieses Gebots nämlich sei "das Denken durch das Gedenken ersetzt worden und das Denkmal durch das Mahnmal". Die "Erinnerung" aber biete allenfalls einen höchst trügerischen Schutz und wiege die Menschen in falscher Sicherheit.
Diese Kritik ist nun wirklich nicht neu, ihr wurde schon das ein oder andere Werk gewidmet. Auch, dass man aus der Geschichte eigentlich nichts lernen könne - oder meistens nur das Falsche, ist nun seit Nietzsche und Theodor Lessings "Sinngebung des Sinnlosen" aus dem Jahr 1919 bekannt. Deshalb biegt Burger auch bald scharf ab in eine Geschichte des historischen Denkens und lässt Polemik erst einmal Polemik sein. Was auf den folgenden siebzig Seiten geboten wird, ist im Grunde ein gelungener, vorlesungstauglicher Abriss des historischen Denkens mit einer Reihe nützlicher Begriffsunterscheidungen. Er reicht von Aristoteles über Hegel bis zu Karl Popper, von Vico bis zu Koselleck. Burger gelingt es, auf knappem Raum etwa zu zeigen, wie die Vorsehung bei Vico auf ein temporalisiertes Ordnungsschema reduziert wird, "dessen wesentlicher Inhalt nichts anderes ist als die universale und gesetzmäßige Ordnung des Geschichtsverlaufs selbst". Und er zeigt ebenso knapp wie luzide die überragende Bedeutung von Joachim von Fiore für das gesamte europäische Geschichtsdenken. Joachim ließ den Augustinischen Dualismus hinter sich und betrachtete die Realgeschichte als Vollzug einer Vergeistigung. Er holte damit die Heilsgeschichte in die Weltgeschichte zurück, und sein dreistufiges Schema des Geschichtsverlaufs wird von Hegel, Comte oder auch Marx aufgegriffen und neu gefüllt.
Immer wieder lässt Burger dabei sein Leitmotiv aufscheinen, dass "wir eine Vergangenheit haben, aber die Geschichte machen". Der Gedanke, dass Geschichte als Erzählung immer ein Konstrukt ist und bleiben muss, ist nun auch nicht neu, und es ist bedauerlich, dass Burger "die Geschichte", die ja keineswegs immer ein solcher Kollektivsingular gewesen ist, stets nur in ihrer Qualität als Darstellung behandelt, ihre analytische Dimension aber, aus der dann eben doch bestimmte strukturelle Schlüsse gezogen werden können, vernachlässigt. Geschichte ist also nicht bloß das Erzählte, sondern auch das Erfragte. Und die Qualität der Erzählung hängt aufs engste mit der Qualität der Fragen zusammen, die man zuvor an das Überlieferte gerichtet hat. Gleichwohl: Burger ist es mit seinem Essay gelungen, aus der Geschichte des historischen Denkens alle historischen Imperative reflexiv zu distanzieren und entsprechenden Mobilisierungsappellen die "inneren Widersprüche der Sache selbst" entgegenzuhalten. Dass ebendiese "Lehre" seine skeptische These nahezu widerlegt, ist eine der Pointen, wie sie Burger selbst schätzen dürfte.
Rudolf Burger: "Im Namen der Geschichte". Vom Missbrauch der historischen Vernunft. zu Klampen Verlag, Springe 2007. 128 S., geb., 14,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Scharf wendet sich der Philosoph Rudolf Burger gegen ein Gegenwartsverständnis, das sich von antizipierten Zukünften das Handeln vorschreiben lässt. Insbesondere die Tendenz, die menschliche im Rahmen der globalklimatischen Naturgeschichte zu sehen, hält Burger dabei für einen "Missbrauch der historischen Vernunft". Aber auch die leichtfertige Verwendung nationalsozialistischer Verbrechen für die Produktion von Moralisierungsdruck fällt unter dieses Verdikt. Neu findet der Rezensent Michael Jeismann das alles nicht - und mutmaßt, dass auch Burger das recht schnell so sah, weshalb er den größeren Teil seines Buchs denn auch einer Darstellung der "Geschichte des historischen Denkens" widme. Die sei zwar auch nicht aufregend innovativ, aber durchaus "luzide". An dem Paradox, dass Burgers Vorschlag daraus hinausläuft, aus der Geschichte zu lernen, dass aus der Geschichte nichts zu lernen sei, ändere das aber wenig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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