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Zehn Arbeiten zur literarischen und künstlerischen Kultur des 20. Jahrhunderts - Aufsätze, Vorträge, essayistische Notate - legt Felix Philipp Ingold hier erstmals in Buchform vor. Unter wechselnden Gesichtspunkten wird ein weiter Themen- und Problemkreis eröffnet, der Autoren wie Rainer Maria Rilke, Boris Pasternak oder Elias Canetti in den Blick rückt und auf immer überraschende Weise die Frage nach dem literarischen Verstehen und dem literarischen Übersetzen zur Diskussion stellt. Gefragt wird auch nach den vorsprachlichen Entstehungsbedingungen des Gedichts, nach der Funktion und Bedeutung…mehr

Produktbeschreibung
Zehn Arbeiten zur literarischen und künstlerischen Kultur des 20. Jahrhunderts - Aufsätze, Vorträge, essayistische Notate - legt Felix Philipp Ingold hier erstmals in Buchform vor. Unter wechselnden Gesichtspunkten wird ein weiter Themen- und Problemkreis eröffnet, der Autoren wie Rainer Maria Rilke, Boris Pasternak oder Elias Canetti in den Blick rückt und auf immer überraschende Weise die Frage nach dem literarischen Verstehen und dem literarischen Übersetzen zur Diskussion stellt. Gefragt wird auch nach den vorsprachlichen Entstehungsbedingungen des Gedichts, nach der Funktion und Bedeutung des Autornamens, nach dem Verhältnis der schönen Literatur zur Tierwelt sowie nach der prekären Wechselbeziehung zwischen Werk und Biographie. Weitere Beiträge sind der Dingästhetik der Moderne, der Bild- und Wortkunst des Kubofuturismus und der lettristischen Spracharbeit von André Thomkins gewidmet.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Felix Philip Ingold, lebt und arbeitet nach langjähriger Lehr- und Forschungstätigkeit als Schriftsteller, Publizist und Übersetzer in Romainmôtier/VD. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören der Petrarca-Preis für literarische Übersetzung, der Ernst-Jandl-Preis für Lyrik, der Erlanger Preis für Übersetzung als Poesie und der Basler Lyrik-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2005

Der Rhythmus, wo ich mitmuß
Felix Philipp Ingold sucht das Individuelle an der Autorschaft

Man darf sich nicht täuschen: In seinen Essays über den künstlerischen Schaffensprozeß spricht Felix Philipp Ingold vom "Autor", in dessen Namen er auftreten möchte, und vom "Sinn", für den der Leser, ein zweites Mal schaffend, verantwortlich ist: Doch nur an der Wortoberfläche stellt Ingold sich der hermeneutischen Frage, wie ein individuelles, meist schriftliches Gebilde zu verstehen sei. Er verfolgt, im Gewand des Gegners, ein anderes Ziel: Der Schweizer Lyriker, Übersetzer und Kritiker will - in der Betrachtung der Werke von Edmond Jabès, Elias Canetti, Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa etwa - der Schriftlichkeit den Stachel ziehen und rechtfertigt damit zugleich seine poetologische Politik, jene Hauptwörter des Verstehens leichthin zu erobern, im Namen von Körper, Stimme und Präsenz.

Spricht Ingold "im Namen des Autors", so ist das doppelsinnig, programmatisch, denn im Namen zeigen sich ihm die eigentlichen ästhetischen Verhältnisse. Ingold wünscht sich den Autor physisch präsent. Das ist bei Texten nicht möglich, die zwar individuell, aber nicht authentisch sein können. Ehrliche Texte führen vor, daß der Autor nur "durch Abwesenheit anwesend" sei wie bei Eigennamen: Der Name ist ein Wort, das nichts sagt und das Ganze meint.

In diesem Sinn verteidigt Ingold den Autor gegen seine Texte zugunsten der Kräfte, die den Autor übersteigen und ihn zu befreien vermögen. Sein Ziel ist "gewaltfreies, nicht auf Verständigung gerichtetes Schreiben". Die Texte des französischen Schriftstellers und modernen Mystikers Jabès sind ihm ein Vorbild: Sie vertrauen auf die subversive Kraft der Sprache, auf Homophonien vor allem, die sogar im Wort "subversiv" am Werk seien, das auch als "sub vers Sion" (darunter, aber gen Zion) zu hören ist. Für die Übertragung der Werke von Jabès erhielt Ingold 1992 den Petrarca-Preis.

In der Lektüre von Jabès-Texten faßt Ingold die numinose Macht als theologisch eingerichtete Sprache auf, doch er kennt auch biologische oder existentialphilosophische Deutungen dieser Macht. Weil er sich nicht für das Gedicht als Produkt entscheidet, sondern für die Dichtung als Prozeß, für die Vorgeschichte der Gedichte also, achtet Ingold auch auf "rhythmische Präfigurationen". Er sammelt, was Autoren dazu bemerkt haben. In seinem Zettelkasten kommen die unterschiedlichsten Charaktere zusammen, doch können sie sich ähneln und ineinander übergehen, nicht weil sie eine Tradition bilden (wie das die philosophische Hermeneutik Gadamers will), sondern weil sie eine biologische Disposition teilen, anders auch als bei Henri Meschonnic, für den der Rhythmus ein Mittel ist, im Diskurs und in der langage Bedeutung zu organisieren.

Ingold zitiert Mandelstam aus dem Jahr 1921: "Noch ist kein einziges Wort da, aber das Gedicht klingt bereits. Was hier klingt, ist das innere Bild, welches das Gehör des Dichters aufgreift." Dieses Innere ist für Ingold körperlich, und wenn es eine Individualität gibt, dann hier. Nochmals kommt Mandelstam zu Wort: "Der Rhythmus gehört dem einzelnen Dichter, ihm allein." Doch die vielen Stimmen sollen für Ingold nur eines sagen: Alles, was der Autor danach bewußt herstellt, sei eine Verunreinigung dessen, was er zuvor gehört habe. So verfolgt er nicht die Frage, wie der Dichter zu dem Stellung nimmt, was ihn überkommt (und ob das Zuströmende nicht auch schon Artefakt sein kann), sondern nimmt das Verhältnis an sich ins Visier.

Er kommt auf ein rhythmisches Gesetz, das nicht nur dem im Text Gesagten vorangeht, sondern auch dem Rhythmus, der dem Dichter eigen ist. Die Neurobiologie lehre: Weil der "Jetzt-Effekt" 2,9 Sekunden lang andauere, enthielten die Verse - welcher Gedichte auch immer - meist vier bis fünf Hebungen. So verknüpfen sich für Ingold Bio- und Semiosphäre. Der französische Alexandriner oder der griechische Hexameter sind vor diesem Hintergrund nur mehr Konvention und können einen individuellen Stil kaum ausdrücken - sie sind biologisch zu lang.

Eine Vorschrift fast. Auch in Ingolds Polemik gegen Canettis Ablehnung des Tods, gegen die Vorstellung, der Dichter könne - gerade indem er schreibe - den Tod bekämpfen ("Das Ich des Buchs / kann nicht sterben im Buch"), entblößt sich die Norm solcher Hingabe; für Ingold ist ein Verhältnis zum Tod die Bedingung der schöpferischen Existenz, er schreibt: "Canetti bleibt die allenfalls tröstliche Einsicht verschlossen, wonach zwar sein Leben, wie im übrigen jede individuelle Lebenszeit, ein Ende haben wird, das Leben aber, so oder anders, weitergeht."

Ingold entwickelt seinen Gedanken meist an Werken der Moderne, genauer: daran, was ihre Autoren darüber gesagt haben. Sorgfältig stellt er also seinen Kanon zusammen, doch will er seine Gedanken nicht historisieren. Das ist eine folgenreiche Entscheidung, denn die schwierige Individualität eines Gedankens bürgt eher für seine Haltbarkeit denn dessen "Geheimnis" oder "Schweigen". Doch Ingold verstrickt sich in das Paradox, daß nur Überindividuelles den einzelnen erlösen kann. Aus dem Paradox soll die Gedankenfigur befreien, daß sich die Individuation in jenen Kräften selbst ereignet: Daher sei der Rhythmus im Autor dessen individuelle Körperlichkeit, und alles andere verweise auf Fremdes, auf Gelesenes, auf die Konvention.

Doch sofort schließt sich ein zweites Paradox an: Ohne schriftliche Gestalt sind diese Mächte ungreifbar. Eine Besonderung ohne Materie läßt sich nicht vorstellen. Auch wenn es zu den vergeblichen Wünschen der Ausdruckstänzer vor hundert Jahren gehörte, dem Pulsschlag des Elementaren zu folgen. Ingold kennt die Problematik: Der einzige Sinn solcher Äußerungen bestehe darin, die Unsagbarkeit auszudrücken: Diesen "Sinn" dem Werk zu geben sei nun die Aufgabe des Lesers.

So kann Ingold den Essay über die Bedeutung des Hundes in der Literatur mit dem Vorschlag beschließen, nicht nur das Bellen, sondern überhaupt "Tierstimmen nachzubilden, die nichts mehr besagen müssen, weil sie als wortloses Sagen dem reinen Schweigen und der reinen Musik gleichermaßen nah sind". Mit anderen Worten: Sie bedeuten nur, was sie sind. Ingold hat solche Fragen auf die Spitze getrieben und ihre Systematik entfaltet. Das ist ein großes Verdienst seiner belesenen, zielstrebigen Essays. Doch soll man tatsächlich den Autor durch eine Problematik bestimmen? Der Dichter hat allenfalls etwas dazu gesagt.

CHRISTOPH KÖNIG

Felix Philipp Ingold: "Im Namen des Autors". Arbeiten für die Kunst und Literatur. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 404 S., 26 Abb., br., 32,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt scheint Rezensent Christoph König von Felix Philipp Ingolds Essays über den künstlerischen Schaffensprozess. In einer recht hermetischen Besprechung widmet er sich ausführlich Ingolds Suche nach dem "Individuellen an der Autorschaft". Zur Erklärung führt er einen Satz Mandelstams an, den auch Ingold zitiert: "Noch ist kein einziges Wort da, aber das Gedicht klingt bereits. Was hier klingt, ist das innere Bild, welches das Gehör des Dichters aufgreift." Dieses Innere, erklärt König, sei für Ingold körperlich. Wenn es eine Individualität gebe, dann hier. In der nachfolgenden bewussten Schaffensprozess des Autors sehe Ingold bereits eine Verunreinigung dessen, was er zuvor gehört habe. Ausgehend von einem weiteren Mandelstam-Zitat ("Der Rhythmus gehört dem einzelnen Dichter, ihm allein") komme Ingold auf ein "rhythmisches Gesetz", "das nicht nur dem im Text Gesagten vorangeht, sondern auch dem Rhythmus, der dem Dichter eigen ist", berichtet König. Er merkt an, dass Ingold seine Gedanken meist an Werken der Moderne beziehunsgweise daran, was ihre Autoren darüber gesagt haben, entwickelt. Allerdings glaubt er Ingold dabei zu ertappen, wie er sich bei seinen Ausführungen über die Individualität in Paradoxe verstrickt. Die Bedeutsamkeit seiner "belesenen, zielstrebigen Essays" schmälert das nach Ansicht des Rezensenten allerdings nicht.

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