In ihrem neuen Buch "Im Namen Gottes" nimmt die Autorin erstmals die Geschichte und Gegenwart von Judentum, Christentum und Islam in Bezug auf religiöse Gewalt in den Blick. Karen Armstrong geht den Ursachen dieser Gewalt auf den Grund. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Jahrtausendelang waren Politik und Religion ineinander verwoben. Die Trennung von Politik und Religion in der Neuzeit konnte die Gewalt nicht eindämmen. Mit ihrer Analyse schafft Karen Armstrong die Grundlagen für das Verständnis der aktuellen internationalen Konflikte, die von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Interessen beherrscht sind.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Tilman Allert möchte den anthropologischen Pessimismus der Autorin lieber nicht teilen. Dass die menschliche Natur zur Gewalt neigt, dass ihr nicht zu entkommen sei, möchte er dahin gestellt lassen. Wie die Historikerin und Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong hingegen die Religion von der Bürde eines inhärenten Gewaltpotenzials zu befreien versucht, indem sie auf ihre lebensspendenden Kräfte verweist und das Gewalttätige im wesentlichen den sozialen Ordnungen und ihrem Zerfall anlastet, scheint Allert nachvollziehen zu können. Zumal die Autorin diesem "Kategorienfehler" historisch nachgeht und einem modernen Säkularismus nicht das Wort redet, wie der Rezensent konstatiert. Verdienstvoll erscheint ihm auch der Mut der Autorin zu einer großen, dichten Erzählung - eine Seltenheit unter Historikern, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2015Höhere Weihe für Angriffslust
Karen Armstrong zeigt im weltgeschichtlichen Aufriss, dass Religionen nicht am Ursprung von Gewalt stehen
Ein Gespenst geht um in Europa, die Frage nach dem Gewaltpotential des Islams. Beinahe täglich gestellt, wird ihre Prämisse durch noch so suggestive furchterregende Bilder aus den Konfliktregionen des arabischen Raums nicht überzeugender. Die Frage ist so unsinnig wie die gleichlautende Frage an das Judentum, Christentum oder an welche Religion immer. Nichts an den Religionen, weder an ihrem Gehalt noch an der Glaubenspraxis, verweist inhärent auf die Anwendung von Gewalt.
Unter den zahlreichen Publikationen zum Thema nimmt das Buch der Historikerin, Religionswissenschaftlerin und Bestsellerautorin Karen Armstrong eine Sonderstellung ein. Flüssig geschrieben, einschlägige Literatur verarbeitend, dabei in den Anmerkungen nicht überlastet, gelingt der ehemaligen Nonne mit ihm eine Herkulesarbeit der Aufklärung.
Im weltgeschichtlichen Aufriss wird eine zentrale Aussage darin immer wieder variiert: Es handelt sich bei der Religion um die Deutung einer Erfahrung von Irrationalität, um das Angebot eines umfassenden Trostes für nicht zurechenbare Ereignisse durch die Anrufung einer Instanz, der man größere Wirkkraft zutraut als dem eigenen Vermögen. Religionen spenden Zuversicht und verweisen auf die lebensspendende Kraft der Zukunftserwartung.
Zukunft ist diffus und projektiv. Ob sie als Jenseits des eigenen irdischen Lebens erscheint oder als Idee der Erneuerung in einer anderen Identität, immer geht es um das Vertrauen in ein "Und so weiter" des gebrochenen oder als gebrochen empfundenen Lebens. Verzweiflung und Ungewissheit verlangen nach Zurechnung, veranlassen die Suche nach einem Schuldigen, flüstern Rache ein und lassen Zorn und Wut entstehen, machen vergeltungsanfällig. Wenngleich man darin Legitimationsgründe für Übergriffe, Kriege und Exzesse vermuten könnte, so werden, wie Armstrong zeigt, dergleichen Empfindungen von Religionen kognitiv aufgegriffen, aber nur, um die aus Not und Verzweiflung naheliegenden Handlungen über die Idee gerechten Ausgleichs und der Versöhnung zu moderieren.
Den Religionen die Gewalt unter den Menschen zurechnen zu wollen gründet für Armstrong auf einem Kategorienfehler. Ob die Kreuzzüge der Christen, die Kolonialkriege der Europäer, die Vertreibungen, die mit der Nationalstaatsbildung verbunden waren, ob der Kampf zwischen Pakistan und Indien, ob die Erschütterungen im byzantinischen Reich oder die Intifada und der Kampf um das Territorium in Israel - die Religionen ermöglichen Rechtfertigungen, aber die Grundlagen der Gewalt sind verknüpft mit Problemen der sozialen Ordnung.
Die militärisch hochgerüsteten Horden des "Islamischen Staats" zum Beispiel heften den "Islam" als Logo auf ihre Gewehre und Schwerter. Bekräftigt und aufrechterhalten ausschließlich durch Expansionserfolge, im Binnenverhältnis getragen von Gefolgschaftsbeziehungen, wird diese exzessive Form von Landpiraterie durch eine vollkommen unterinstitutionalisierte Staatlichkeit freigesetzt: Ordnungszerfall, und nicht eine religiöse Botschaft, motiviert die Gewalt.
Dem "Heiligen Terror" widmet Armstrong ein ganzes Kapitel. Wer implizit oder ausdrücklich dem Islam als Glaubensgemeinschaft, dem Koran als deren heiliger Schrift, den Schiiten oder Sunniten die Neigung zur oder gar den Aufruf zur gewaltsamen Auseinandersetzung, mithin zu Krieg und Zerstörung, zuschreiben wolle, verkenne die Spannung zwischen Religion und politischer Ordnung.
Für gleichermaßen naiv hält Armstrong die in der modernen Gesellschaft sich ausbreitende Präferenz für den Säkularismus. Armstrong argumentiert nicht systematisch religionsvergleichend, sondern historisch. Der Untertitel des Buches unterstreicht, worauf es ihr ankommt: Die Weltgeschichte ist durchzogen von Gewalt. Die Überschreitung moralischer Regeln wurde und wird mit Elementen des religiösen Kanons begründet, initiiert, verschärft und bis zum Fanatismus verklärt - aber es sind dieselben Überzeugungen, die diese Gewaltexzesse auch immer wieder in Frage stellen. Das politische Handeln, das zu Stammeskriegen, Territorialkriegen, Kolonial- oder Weltkriegen führt, gehorcht Regeln eigener Logik und ist unabhängig vom Kosmos der Religionen zu verstehen.
"Heilige Kriege" suggerieren dagegen eine zwingend aus der religiösen Überzeugung hergeleitete Angriffslust. Tatsächlich dienen sie der Ermutigung der Massen: durch eine herangetragene Sakralität des mörderischen Tuns, die - so die zentrale Aussage des Buches - dem Kampf und dem Krieg eine höhere Weihe erteilt. Niemals lässt sich hingegen der in Krieg und Gewalt zum Ausdruck kommende Streit der Gemeinschaften der Religion qua Religion zurechnen.
Methodologisch betrachtet, argumentiert das Buch im Fahrwasser eines religionssystematischen Relativismus, der weder die kanonisierten Schriften der Weltreligionen noch deren Ritus verschont und dabei dennoch nicht dem lässigen modernen Säkularismus das Wort redet. Das Verdienst des Buches liegt im Mut zu einer großen Erzählung, die in dieser Dichte von der Fachdisziplin der Historiker nicht mehr riskiert wird.
Irritierend ist allerdings, wie unverkennbar ein anthropologischer Pessimismus der Autorin die Feder führt. Die menschliche Natur, eine ihr inhärente Disposition zur Gewalt, bleibt die letzte Zurechnungsgröße, von Armstrong im aufklärungsmissionarischen Duktus mystifiziert zur Instanz, der nicht zu entkommen sei. Dieser Essentialismus eines "homo homini lupus est", vermutlich einer der Gründe für Armstrongs Welterfolg, muss und wird nicht das letzte Urteil zur Debatte bleiben. Religionen sind gewiss nicht der Schlüssel zur Analyse menschlicher Gemeinschaften und des Grades ihrer Zivilität.
TILMAN ALLERT
Karen Armstrong: "Im Namen Gottes". Religion und Gewalt. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz. Pattloch Verlag, München 2014. 688 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karen Armstrong zeigt im weltgeschichtlichen Aufriss, dass Religionen nicht am Ursprung von Gewalt stehen
Ein Gespenst geht um in Europa, die Frage nach dem Gewaltpotential des Islams. Beinahe täglich gestellt, wird ihre Prämisse durch noch so suggestive furchterregende Bilder aus den Konfliktregionen des arabischen Raums nicht überzeugender. Die Frage ist so unsinnig wie die gleichlautende Frage an das Judentum, Christentum oder an welche Religion immer. Nichts an den Religionen, weder an ihrem Gehalt noch an der Glaubenspraxis, verweist inhärent auf die Anwendung von Gewalt.
Unter den zahlreichen Publikationen zum Thema nimmt das Buch der Historikerin, Religionswissenschaftlerin und Bestsellerautorin Karen Armstrong eine Sonderstellung ein. Flüssig geschrieben, einschlägige Literatur verarbeitend, dabei in den Anmerkungen nicht überlastet, gelingt der ehemaligen Nonne mit ihm eine Herkulesarbeit der Aufklärung.
Im weltgeschichtlichen Aufriss wird eine zentrale Aussage darin immer wieder variiert: Es handelt sich bei der Religion um die Deutung einer Erfahrung von Irrationalität, um das Angebot eines umfassenden Trostes für nicht zurechenbare Ereignisse durch die Anrufung einer Instanz, der man größere Wirkkraft zutraut als dem eigenen Vermögen. Religionen spenden Zuversicht und verweisen auf die lebensspendende Kraft der Zukunftserwartung.
Zukunft ist diffus und projektiv. Ob sie als Jenseits des eigenen irdischen Lebens erscheint oder als Idee der Erneuerung in einer anderen Identität, immer geht es um das Vertrauen in ein "Und so weiter" des gebrochenen oder als gebrochen empfundenen Lebens. Verzweiflung und Ungewissheit verlangen nach Zurechnung, veranlassen die Suche nach einem Schuldigen, flüstern Rache ein und lassen Zorn und Wut entstehen, machen vergeltungsanfällig. Wenngleich man darin Legitimationsgründe für Übergriffe, Kriege und Exzesse vermuten könnte, so werden, wie Armstrong zeigt, dergleichen Empfindungen von Religionen kognitiv aufgegriffen, aber nur, um die aus Not und Verzweiflung naheliegenden Handlungen über die Idee gerechten Ausgleichs und der Versöhnung zu moderieren.
Den Religionen die Gewalt unter den Menschen zurechnen zu wollen gründet für Armstrong auf einem Kategorienfehler. Ob die Kreuzzüge der Christen, die Kolonialkriege der Europäer, die Vertreibungen, die mit der Nationalstaatsbildung verbunden waren, ob der Kampf zwischen Pakistan und Indien, ob die Erschütterungen im byzantinischen Reich oder die Intifada und der Kampf um das Territorium in Israel - die Religionen ermöglichen Rechtfertigungen, aber die Grundlagen der Gewalt sind verknüpft mit Problemen der sozialen Ordnung.
Die militärisch hochgerüsteten Horden des "Islamischen Staats" zum Beispiel heften den "Islam" als Logo auf ihre Gewehre und Schwerter. Bekräftigt und aufrechterhalten ausschließlich durch Expansionserfolge, im Binnenverhältnis getragen von Gefolgschaftsbeziehungen, wird diese exzessive Form von Landpiraterie durch eine vollkommen unterinstitutionalisierte Staatlichkeit freigesetzt: Ordnungszerfall, und nicht eine religiöse Botschaft, motiviert die Gewalt.
Dem "Heiligen Terror" widmet Armstrong ein ganzes Kapitel. Wer implizit oder ausdrücklich dem Islam als Glaubensgemeinschaft, dem Koran als deren heiliger Schrift, den Schiiten oder Sunniten die Neigung zur oder gar den Aufruf zur gewaltsamen Auseinandersetzung, mithin zu Krieg und Zerstörung, zuschreiben wolle, verkenne die Spannung zwischen Religion und politischer Ordnung.
Für gleichermaßen naiv hält Armstrong die in der modernen Gesellschaft sich ausbreitende Präferenz für den Säkularismus. Armstrong argumentiert nicht systematisch religionsvergleichend, sondern historisch. Der Untertitel des Buches unterstreicht, worauf es ihr ankommt: Die Weltgeschichte ist durchzogen von Gewalt. Die Überschreitung moralischer Regeln wurde und wird mit Elementen des religiösen Kanons begründet, initiiert, verschärft und bis zum Fanatismus verklärt - aber es sind dieselben Überzeugungen, die diese Gewaltexzesse auch immer wieder in Frage stellen. Das politische Handeln, das zu Stammeskriegen, Territorialkriegen, Kolonial- oder Weltkriegen führt, gehorcht Regeln eigener Logik und ist unabhängig vom Kosmos der Religionen zu verstehen.
"Heilige Kriege" suggerieren dagegen eine zwingend aus der religiösen Überzeugung hergeleitete Angriffslust. Tatsächlich dienen sie der Ermutigung der Massen: durch eine herangetragene Sakralität des mörderischen Tuns, die - so die zentrale Aussage des Buches - dem Kampf und dem Krieg eine höhere Weihe erteilt. Niemals lässt sich hingegen der in Krieg und Gewalt zum Ausdruck kommende Streit der Gemeinschaften der Religion qua Religion zurechnen.
Methodologisch betrachtet, argumentiert das Buch im Fahrwasser eines religionssystematischen Relativismus, der weder die kanonisierten Schriften der Weltreligionen noch deren Ritus verschont und dabei dennoch nicht dem lässigen modernen Säkularismus das Wort redet. Das Verdienst des Buches liegt im Mut zu einer großen Erzählung, die in dieser Dichte von der Fachdisziplin der Historiker nicht mehr riskiert wird.
Irritierend ist allerdings, wie unverkennbar ein anthropologischer Pessimismus der Autorin die Feder führt. Die menschliche Natur, eine ihr inhärente Disposition zur Gewalt, bleibt die letzte Zurechnungsgröße, von Armstrong im aufklärungsmissionarischen Duktus mystifiziert zur Instanz, der nicht zu entkommen sei. Dieser Essentialismus eines "homo homini lupus est", vermutlich einer der Gründe für Armstrongs Welterfolg, muss und wird nicht das letzte Urteil zur Debatte bleiben. Religionen sind gewiss nicht der Schlüssel zur Analyse menschlicher Gemeinschaften und des Grades ihrer Zivilität.
TILMAN ALLERT
Karen Armstrong: "Im Namen Gottes". Religion und Gewalt. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz. Pattloch Verlag, München 2014. 688 S., geb., 24,99 [Euro].
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"beredt, fundiert und überzeugend (...) Eine sehr interessante, sehr fundierte, sehr erhellende Lektüre." Rezensions-Seite.de, 21.10.2014