Endlich sind sie wieder greifbar: die Geschichten von Zorro, dem Rächer der Würstelmänner, Herrn Quarglschmitt, der nicht in den Rind will, von Herrn Krabaths musikalischer Haar- und Bartpflege und vielen anderen Merkwürdigkeiten aus Wien.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2004Wo Frau Reißfleisch amtiert
Welthistörchen: H. C. Artmanns frühe Feuilletons, neu aufgelegt
Zu den Irrtümern der österreichischen Literatur gehört die Überzeugung, daß H. C. Artmann (1921 bis 2000) ein moderner Dichter gewesen sei. Aber er war jemand, der aus einer anderen Zeit in das zwanzigste Jahrhundert versetzt wurde und sich damit arrangierte. Er stilisierte sich zu einem romantischen Dichter mit genialischen Zügen und brachte ferne, fremde Literaturen in die Gegenwart, die ihn selber geprägt hatten. Die Vergangenheit war ihm näher als seine Zeit, und so nahm er sprachlich Anleihen im Barock und im Rokoko, übersetzte Goldoni und keltische Gedichte (wer weiß schon so genau, ob sich nicht Artmann als Spezialist für das Keltische ausgegeben und in Wahrheit reine Artmann-Gedichte geliefert hat), er imitierte den Grobian und den feinsinnig verzärtelten Adeligen, er war Snob und Kumpel.
Raunend und mit auftrumpfendem Gestus verzauberte er sein Publikum. Artmann fühlte sich gut aufgehoben in Abenteuergeschichten, die sich zu einer Zeit ereigneten, als die Welt noch voller weißer, unerforschter Flecken war. Er war der forsche Weltreisende auf dem Papier, schrieb sich weg aus der Wirklichkeit der Enge und Nöte und entwickelte seinen eigenen Sprachraum, in dem er sich nach Belieben bewegen durfte. Der eigentliche Artmann ist der Sprachkünstler, der sich in Jargons tummelt, sich in Dialekten einübt und ausprobiert, was die Sprache hergibt. Und wenn ihm der Sprachraum zu eng wurde, weitete er ihn kurzerhand aus, um neue, ungehörte Wortschöpfungen in die Welt zu entlassen, bediente sich aus dem Fundus ausgestorbener Vokabeln und putzte sie adrett auf. Er hörte dem Klang der Wörter nach und war fasziniert vom Rhythmus der Sprache.
Artmanns Talent war lyrisch, aber sein Werk besteht zu einem großen Teil aus Prosatexten, und darunter finden sich Gelegenheitsarbeiten und Auftragskolumnen, denen der Zahn der Zeit arg zugesetzt hat. Für eine österreichische Tageszeitung schrieb Artmann vor gut vierzig Jahren kleine Feuilletons, die, heute betrachtet, gar nicht gut aussehen. Nun sind sie noch einmal aufgelegt worden. Artmann war mit dem Genie-Bonus ausgestattet. Ihm traute man jederzeit alles Große zu. Deshalb schaute niemand genau hin, auch seine schwachen Arbeiten wurden gefeiert, als handelte es sich um Meisterwerke.
Dieser Dichter war nicht nur ein Meister der Selbstdarstellung, sondern auch einer der Verstellung. Er verfügte über ein unbegrenztes Sprachvermögen und eine begrenzte Phantasie. Diese Sprachintensität vermittelte den Eindruck, daß einer am Werk war, der den Menschen genau aufs Maul schaute. Er hatte keine Scheu vor dem rauhen Umgangston, erkannte dessen poetische Qualitäten. Leute, die sonst niemand für literaturwürdig hielt, erhob er in den Stand des Besonderen. Er war fasziniert von der Sprache der einfachen Leute mit ihren Beschränkungen und Vorurteilen. Er eignete sich deren Kümmerjargon an, weil er die Literatur damit vom hohen Roß der Erkenntnis herunterholte, um sie in den Staub der bloßen Existenz zu werfen. Für die mit Edelpatina überzogene Literatur war es allemal eine Bereicherung, die wohlgeordnete Schriftsprache mit dem Reibeisen des Dialekts anzukratzen.
Diese hier zusammengespannten sechsunddreißig Geschichten kaschieren mit sprachlicher Aufmerksamkeit eine konventionelle, ja biedere Weltsicht. "De Leit haum kaa Moräu mea", sagt eine "Branntweinerin" in einer Geschichte, sie beklagt sich also, daß die Leute keine Moral mehr hätten. Artmann benützt das Wienerische, um Menschen zu charakterisieren. Er stellt ihre Haltung, ihre Ansichten, ihre Engstirnigkeit aus.
Diese Texte sind auf Unterhaltung angelegt, aber keine der höheren Art. Sie explodieren bevorzugt in einer Pointe. Am Ende, wenn sich Konflikte in heiteres Lachen entladen, ist alles gesagt. Diese Geschichten fallen in die Kategorie launig. Die Witze sind mickrig, und die Geschichten, befreit von ihrer sprachlichen Gewandung, kommen über den Status des Banalen nicht hinaus. Frau Amtsrat Reißfleisch (ach, diese witzig gemeinten Namen!) mit panischer Angst vor fremdländischen Studenten wäre am liebsten "so ein solider Amerikaner" als Untermieter. Und tatsächlich stellt sich einer ein, und "aus seinem kohlschwarzen Gesicht blitzte ein tadelloses, freundliches Gebiß". Dieser Art sind die Witze bei Artmann, das Triviale nicht elegant streifend, sondern sich in dessen Mitte pudelwohl fühlend. Artmann gibt sich zufrieden mit dem plumpen Effekt.
In den Feuilletons verlegt sich der Dichter auf Großstadtszenen am Rande von Wien, wo sich das großzügig Urbane ins kleinmütig Hinterwäldlerische ausdünnt. Artmann läuft zu höchster Form auf, wenn seine Phantasie Rückendeckung bekommt durch die von der Tradition gestifteten handlungsgesättigten Reise- und Abenteuergeschichten von Finsterlingen, starken Helden und schönen Frauen. Dann erzählt er das, was in früheren Jahrhunderten auch schon erzählt worden ist, aber wirklich wichtig ist ihm der Sprachzauber, den er entzünden darf. Artmann fühlte sich literarisch wohl in der Fremde, weil er sie sich bunt und großartig zurechtfabulierte, und niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen.
Aber wie anders verhält es sich mit diesen Geschichten. Artmann bewegt sich durch das Wien, das er kennt, wählt skurrile Erscheinungen, denen absonderliche Begebenheiten widerfahren, und verheddert sich im Konventionellen. Artmann war kein begnadeter Beobachter, und so verlegte er sich aufs Erfinden. Artmann war aber auch kein origineller Geschichtenerfinder, und so fielen ihm Histörchen zu, die sich zufriedengaben mit dem Kuriosen und Krausen, recht liebe Schmunzelgeschichten eben. Sie wirken wie ein Angriff gegen die Errungenschaften der Moderne in ihrer friedlichen Apologie der Gemütlichkeit, dem beschaulichen Lob des Mediokren, der freundlichen Zuversicht, daß alles so, wie es ist, ganz schön eingerichtet ist in der Welt. Artmann liebt sie alle, die Vorstadt-Strizzis und Versager, die kleinen Gauner und zaghaften Rebellen, milde schaut er auf alle herab und legt für alle ein gutes Wort ein.
Aber manchmal ziehen schöne Sätze vorbei, wie der von einer Abendstimmung: "Über dem Mödlinger Horizont schwimmt wie ein unendlich ferner, milchiger Mopedscheinwerfer der Abendstern dieses Tages."
ANTON THUSWALDNER
H. C. Artmann: "Im Schatten der Burenwurst". Mit Zeichnungen von Ironimus. Residenz Verlag, Salzburg 2003. 158 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Welthistörchen: H. C. Artmanns frühe Feuilletons, neu aufgelegt
Zu den Irrtümern der österreichischen Literatur gehört die Überzeugung, daß H. C. Artmann (1921 bis 2000) ein moderner Dichter gewesen sei. Aber er war jemand, der aus einer anderen Zeit in das zwanzigste Jahrhundert versetzt wurde und sich damit arrangierte. Er stilisierte sich zu einem romantischen Dichter mit genialischen Zügen und brachte ferne, fremde Literaturen in die Gegenwart, die ihn selber geprägt hatten. Die Vergangenheit war ihm näher als seine Zeit, und so nahm er sprachlich Anleihen im Barock und im Rokoko, übersetzte Goldoni und keltische Gedichte (wer weiß schon so genau, ob sich nicht Artmann als Spezialist für das Keltische ausgegeben und in Wahrheit reine Artmann-Gedichte geliefert hat), er imitierte den Grobian und den feinsinnig verzärtelten Adeligen, er war Snob und Kumpel.
Raunend und mit auftrumpfendem Gestus verzauberte er sein Publikum. Artmann fühlte sich gut aufgehoben in Abenteuergeschichten, die sich zu einer Zeit ereigneten, als die Welt noch voller weißer, unerforschter Flecken war. Er war der forsche Weltreisende auf dem Papier, schrieb sich weg aus der Wirklichkeit der Enge und Nöte und entwickelte seinen eigenen Sprachraum, in dem er sich nach Belieben bewegen durfte. Der eigentliche Artmann ist der Sprachkünstler, der sich in Jargons tummelt, sich in Dialekten einübt und ausprobiert, was die Sprache hergibt. Und wenn ihm der Sprachraum zu eng wurde, weitete er ihn kurzerhand aus, um neue, ungehörte Wortschöpfungen in die Welt zu entlassen, bediente sich aus dem Fundus ausgestorbener Vokabeln und putzte sie adrett auf. Er hörte dem Klang der Wörter nach und war fasziniert vom Rhythmus der Sprache.
Artmanns Talent war lyrisch, aber sein Werk besteht zu einem großen Teil aus Prosatexten, und darunter finden sich Gelegenheitsarbeiten und Auftragskolumnen, denen der Zahn der Zeit arg zugesetzt hat. Für eine österreichische Tageszeitung schrieb Artmann vor gut vierzig Jahren kleine Feuilletons, die, heute betrachtet, gar nicht gut aussehen. Nun sind sie noch einmal aufgelegt worden. Artmann war mit dem Genie-Bonus ausgestattet. Ihm traute man jederzeit alles Große zu. Deshalb schaute niemand genau hin, auch seine schwachen Arbeiten wurden gefeiert, als handelte es sich um Meisterwerke.
Dieser Dichter war nicht nur ein Meister der Selbstdarstellung, sondern auch einer der Verstellung. Er verfügte über ein unbegrenztes Sprachvermögen und eine begrenzte Phantasie. Diese Sprachintensität vermittelte den Eindruck, daß einer am Werk war, der den Menschen genau aufs Maul schaute. Er hatte keine Scheu vor dem rauhen Umgangston, erkannte dessen poetische Qualitäten. Leute, die sonst niemand für literaturwürdig hielt, erhob er in den Stand des Besonderen. Er war fasziniert von der Sprache der einfachen Leute mit ihren Beschränkungen und Vorurteilen. Er eignete sich deren Kümmerjargon an, weil er die Literatur damit vom hohen Roß der Erkenntnis herunterholte, um sie in den Staub der bloßen Existenz zu werfen. Für die mit Edelpatina überzogene Literatur war es allemal eine Bereicherung, die wohlgeordnete Schriftsprache mit dem Reibeisen des Dialekts anzukratzen.
Diese hier zusammengespannten sechsunddreißig Geschichten kaschieren mit sprachlicher Aufmerksamkeit eine konventionelle, ja biedere Weltsicht. "De Leit haum kaa Moräu mea", sagt eine "Branntweinerin" in einer Geschichte, sie beklagt sich also, daß die Leute keine Moral mehr hätten. Artmann benützt das Wienerische, um Menschen zu charakterisieren. Er stellt ihre Haltung, ihre Ansichten, ihre Engstirnigkeit aus.
Diese Texte sind auf Unterhaltung angelegt, aber keine der höheren Art. Sie explodieren bevorzugt in einer Pointe. Am Ende, wenn sich Konflikte in heiteres Lachen entladen, ist alles gesagt. Diese Geschichten fallen in die Kategorie launig. Die Witze sind mickrig, und die Geschichten, befreit von ihrer sprachlichen Gewandung, kommen über den Status des Banalen nicht hinaus. Frau Amtsrat Reißfleisch (ach, diese witzig gemeinten Namen!) mit panischer Angst vor fremdländischen Studenten wäre am liebsten "so ein solider Amerikaner" als Untermieter. Und tatsächlich stellt sich einer ein, und "aus seinem kohlschwarzen Gesicht blitzte ein tadelloses, freundliches Gebiß". Dieser Art sind die Witze bei Artmann, das Triviale nicht elegant streifend, sondern sich in dessen Mitte pudelwohl fühlend. Artmann gibt sich zufrieden mit dem plumpen Effekt.
In den Feuilletons verlegt sich der Dichter auf Großstadtszenen am Rande von Wien, wo sich das großzügig Urbane ins kleinmütig Hinterwäldlerische ausdünnt. Artmann läuft zu höchster Form auf, wenn seine Phantasie Rückendeckung bekommt durch die von der Tradition gestifteten handlungsgesättigten Reise- und Abenteuergeschichten von Finsterlingen, starken Helden und schönen Frauen. Dann erzählt er das, was in früheren Jahrhunderten auch schon erzählt worden ist, aber wirklich wichtig ist ihm der Sprachzauber, den er entzünden darf. Artmann fühlte sich literarisch wohl in der Fremde, weil er sie sich bunt und großartig zurechtfabulierte, und niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen.
Aber wie anders verhält es sich mit diesen Geschichten. Artmann bewegt sich durch das Wien, das er kennt, wählt skurrile Erscheinungen, denen absonderliche Begebenheiten widerfahren, und verheddert sich im Konventionellen. Artmann war kein begnadeter Beobachter, und so verlegte er sich aufs Erfinden. Artmann war aber auch kein origineller Geschichtenerfinder, und so fielen ihm Histörchen zu, die sich zufriedengaben mit dem Kuriosen und Krausen, recht liebe Schmunzelgeschichten eben. Sie wirken wie ein Angriff gegen die Errungenschaften der Moderne in ihrer friedlichen Apologie der Gemütlichkeit, dem beschaulichen Lob des Mediokren, der freundlichen Zuversicht, daß alles so, wie es ist, ganz schön eingerichtet ist in der Welt. Artmann liebt sie alle, die Vorstadt-Strizzis und Versager, die kleinen Gauner und zaghaften Rebellen, milde schaut er auf alle herab und legt für alle ein gutes Wort ein.
Aber manchmal ziehen schöne Sätze vorbei, wie der von einer Abendstimmung: "Über dem Mödlinger Horizont schwimmt wie ein unendlich ferner, milchiger Mopedscheinwerfer der Abendstern dieses Tages."
ANTON THUSWALDNER
H. C. Artmann: "Im Schatten der Burenwurst". Mit Zeichnungen von Ironimus. Residenz Verlag, Salzburg 2003. 158 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
H. C. Artmann war kein moderner Mensch, stellt Anton Thuswaldner fest. Aber er war ein "Sprachkünstler", der in seinen Gedichten Jargons, Dialekte und sprachliche Anleihen aus dem Barock und Rokoko vermischte und "neue, ungehörte Wortschöpfungen in die Welt" entließ. In diesem Buch sind kleine Feuilletons versammelt, die Artmann für eine österreichische Tageszeitung schrieb. Die 36 Texte über "Kurioses und Krauses" aus der Wiener Vorstadtperipherie, so Thuswaldner, gehören nicht zu Artmanns besten. Auch wenn sie den "Sprachzauberer" Artmann erkennen lassen, so verraten sie doch zugleich eine "konventionelle, ja biedere Weltsicht", findet unser Rezensent. "Die Witze sind mickrig", die Geschichten "banal". Für Thuswaldner drücken sie ein "beschauliches Lob des Mediokren" aus, das ihm sichtliches Unbehagen bereitet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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