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Der 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst (BND) und sein Vorläufer, die Organisation Gehlen, rekrutierten in den 1950er Jahren viel Personal, das schon im Dritten Reich für Gestapo, SS oder den militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Dazu gehörte auch der Lothringer Richard Christmann, im Krieg Doppelagent der Wehrmacht in den Niederlanden und der wohl erfolgreichste Agentenführer im besetzten Paris. Von 1956 bis 1961 als BND-Resident in Tunis eingesetzt, konterkarierte er unter anderem die offizielle deutsch-französische Versöhnungspolitik durch die gezielte Unterstützung der…mehr

Produktbeschreibung
Der 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst (BND) und sein Vorläufer, die Organisation Gehlen, rekrutierten in den 1950er Jahren viel Personal, das schon im Dritten Reich für Gestapo, SS oder den militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Dazu gehörte auch der Lothringer Richard Christmann, im Krieg Doppelagent der Wehrmacht in den Niederlanden und der wohl erfolgreichste Agentenführer im besetzten Paris. Von 1956 bis 1961 als BND-Resident in Tunis eingesetzt, konterkarierte er unter anderem die offizielle deutsch-französische Versöhnungspolitik durch die gezielte Unterstützung der algerischen Unabhängigkeitsbewegung gegen Frankreich. Matthias Ritzi und Erich Schmidt-Eenboom belegen am Fall Christmann die personelle und operative Kontinuität zwischen den Geheimdiensten der Nazis und der Bundesrepublik. Vor allem räumen sie mit der bis heute gültigen Legende auf, der BND sammle im Ausland nur Nachrichten und habe in bewaffneten Konflikten nie massiv zugunsten einer Partei interveniert.
Autorenporträt
Ritzi, Matthias§Jahrgang 1963; Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim und später der Politikwissenschaft am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck; dort 2010 Promotion mit der Arbeit 'Richard Christmann: Nachrichtendienstliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich in den Jahren 1936 bis 1961'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2011

"Salah"
BND-Agent Christmann

Ein aufschlussreiches Buch mit abgedroschenem Titel: "Im Schatten des Dritten Reiches". Zwar lässt sich auch an Richard Christmann (1905-1989) "die personelle und operative Kontinuität zwischen den Geheimdiensten der Nazis und der Bundesrepublik" belegen. Allerdings hält sich eine mögliche Empörung darüber in Grenzen. Bei ihm handelte es sich weder um einen SS-Führer noch um einen Kriegsverbrecher, sondern um einen Abwehr-Mann (in der Obhut von Admiral Canaris), der britische und französische Dienste zum Narren hielt: ein erfolgreicher Allzweck-Agent. Geboren im lothringischen Dorf Montigny bei Metz war sein Leben "vom Spannungsfeld zwischen Frankreich und Deutschland geprägt". Nach dem Abitur in die Fremdenlegion gepresst, nach missglückter Fahnenflucht im Militärgefängnis in Tunis, in den dreißiger Jahren Besuch einer Ingenieurschule in Paris, von 1937 an "erste nachrichtendienstliche Bewährung" im Auftrag der Abwehrstelle Münster in den Niederlanden, anschließend von 1940 bis 1944 "Topspion" im besetzen und unbesetzten Teil Frankreichs. Hier dienen Christmanns unveröffentlichte Memoiren den Autoren Ritzi und Schmidt-Eenboom als Hauptquelle.

In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre operierte er verdeckt im Saarland, um die Eingliederung in die Bundesrepublik im Auftrag des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen zu fördern. Der Schilderung des Lebensabschnitts in Tunesien von 1956 bis 1961 - einerseits offizieller Auslandsvertreter von 17 westdeutschen Firmen, andererseits mehr oder weniger heimlicher BND-Resident - liegen 499 Berichte an die Zentrale sowie 230 Mitteilungen aus Pullach zugrunde. Damit lassen sich der Agentenalltag und sogar Eigeninitiativen rekonstruieren, mit denen "Salah" - so der Deckname - in die Politik des Nachbarlandes Algerien eingriff und die Befreiungsbewegung gegen die Kolonialmacht Frankreich unterstützte. Die Solidarität im westlichen Bündnis sei damals durch den BND-Präsidenten Gehlen "verletzt", Adenauers Versöhnungspolitik mit General de Gaulle konterkariert worden. Zudem berichtete Christmann, dem wohl die "Frankreichhörigkeit" des westdeutschen Botschaftspersonals in Tunis missfiel, über deren angeblichen Sittenverfall: "Das Privatleben bundesdeutscher Diplomaten auszuforschen gehört nicht gerade zu den Aufgaben des Auslandsnachrichtendienstes. Doch zumindest in der Ära Gehlen war es üblich, solche Informationen in Personendossiers zu sammeln. Christmann erhielt nie eine Aufforderung aus Pullach, dass er solche Spitzeleien zu unterlassen habe." Im August 1961 schied er offiziell aus dem BND aus. Seine Lebensbeichte samt Papieren vertraute er Roger Faligot an, der 1984 in Paris eine Biographie über ihn veröffentlichte.

RAINER BLASIUS

Matthias Ritzi/Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann. Ch. Links Verlag, Berlin 2011. 248 S., 19,90 [Euro].

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