Russisches Zarenreich und britisches Empire pokerten im »Great Game« um Zentralasien als Schlüsselposition im internationalen Mächteringen. Das deutsche Kaiserreich verfolgte die Entwicklungen zwischen Indus, Pamir und Kaspischem Meer aufmerksam.Denn Bismarck und seine Nachfolger suchten Gelegenheiten, um Spannungen oder offene Auseinandersetzungen zwischen Zar und Queen zu schüren. Berlin hatte dabei immer den Druck auf die deutschen Grenzen und den eigenen außenpolitischen Spielraum im Blick. Zugänge zu neuen Märkten konnten sich durch deutsche Kolonisten und Geschäftsleute in Russisch-Turkestan ergeben. Anhand deutscher und russischer Quellen entfaltet der Verfasser die Geschichte der Region als Schauplatz internationaler Interessen in den Jahrzehnten um 1900.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungZwischen russischem Bären und englischem Walfisch
Rudolf A. Mark studiert die Bedeutung Zentralasiens für die Außenpolitik des Deutschen Kaiserreichs
Als Deutschland nach dem 11. September 2001 Soldaten nach Afghanistan entsandte, schien die Bundeswehr ihren Einsatz am Hindukusch ohne Vorgeschichte zu beginnen. Umso wertvoller sind die erhellenden Studien von Rudolf A. Mark. Der Hamburger Historiker Rudolf A. Mark erinnert mit seiner detaillierten Untersuchung daran, wie sehr Zentralasien bereits in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland Gegenstand des öffentlichen Interesses und Teil des politischen Horizonts der Regierenden in Berlin war. Die Beobachtung des "Great Game", der Auseinandersetzung zwischen dem British Empire und dem russischen Zarenreich, durch die deutsche Regierung seit Bismarck bildete nach Marks Urteil ein nicht zu unterschätzendes Element der Berliner Orientpolitik.
Auch nach Bismarck zählte Zentralasien beziehungsweise Russisch-Turkestan als neu eroberte Kolonie des Zarenreiches und damit Teil des lange Zeit wichtigsten Bündnispartners Berlins zu den Zielregionen deutscher Wirtschaftsinteressen. Russisch-Turkestan war zudem auch Siedlungsraum von Deutschen, die als Verwaltungsbeamte oder Militärpersonal dem Zaren dienten. Darüber hinaus erhielten Handwerker, Arbeiter, Angestellte, Händler und Unternehmer die Genehmigung zur Einreise und Niederlassung von den russischen Behörden. Ihr Zuzug begann direkt mit der Eroberung der Kolonie, in der sie rasch in den meisten Städten und Siedlungen präsent waren. Zusammen mit ihnen versuchten dort bald deutsche Handelsfirmen, Banken und Unternehmen Filialen zu eröffnen und im leichtindustriellen Sektor, in der Landwirtschaft und im Agrarhandel Fuß zu fassen. Dabei gelang es einzelnen Gesellschaften sogar, eine monopolartige Stellung zu erreichen. Damit wurden Deutsche nach Marks Analyse Teil der kolonialen Gesellschaft.
Russlands Expansion nach Zentralasien und Großbritanniens Politik in Afghanistan erregten Bismarcks Aufmerksamkeit, noch bevor sich Berlin im Osmanischen Reich zu engagieren begann. Der Reichskanzler empfand die damaligen Spielräume der deutschen Außenpolitik als derart eng, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet sein wollte. Er ließ sich daher kontinuierlich über die Entwicklungen am Hindukusch informieren, die nach Marks damit ein viel wichtigerer Faktor in der Berliner Orientpolitik waren als bislang angenommen.
Die damalige Publizistik in Deutschland stellte ihren Lesern - dem Duktus der Zeit gemäß - das Zarenreich als eine Kolonialmacht dar, die der Bevölkerung Mittelasiens die Befreiung aus Unsicherheit, Not und Barbarei brachte, die "räuberischen Nomaden" pazifizierte und sie mit den Segnungen von Aufklärung und Fortschritt bekannt machte. Den vermeintlichen Erfolg dieser Mission schrieben die deutschen Autoren vor allem der kulturellen Nähe der Russen zur orientalischen Welt, ihrer religiösen Toleranz gegenüber dem Islam und dem vorurteilsfreien Umgang der Untertanen des Zaren mit Menschen anderer Länder zu. Eine solche Einstellung beförderte in Marks Augen die Akzeptanz der russischen Herrschaft in Turkestan. Dagegen wurde die Stellung der Briten in Indien aufgrund ihrer Distanz zur indigenen Bevölkerung des Subkontinents als über kurz oder lang gefährdet angesehen.
In der Wilhelminischen Zeit galt die russische Expansion in Zentralasien als Beispiel nationaler Interessenwahrnehmung in Zeiten der Globalisierung. Dabei wurde Russisch-Turkestan als ein Bindeglied zwischen den bestehenden Wirtschaftsgroßräumen gesehen und besaß nun grundsätzliche Bedeutung für die deutsche Welt- und Welthandelspolitik.
In der Folge richtete sich in beinahe jeder internationalen Krise, in die Großbritannien involviert war, der Blick Berlins auf Zentralasien, zumal Russland es nach Marks Urteil geschickt verstand, durch militärische Bewegungen im Kaukasus und in Turkestan Druck auf London auszuüben. Verstärkt wurde er dadurch, dass Wilhelm II. versuchte, den Zaren immer wieder zu antibritischen Manövern und Operationen an den zentralasiatischen Grenzen zum Empire zu bewegen und durch solche Machtdemonstrationen London in Indien die Hände zu binden - wie etwa zur Zeit der Burenkrise.
Doch diese deutsche Zentralasien-Politik brachte keinen langfristigen Erfolg. Als Kardinalproblem wertet Mark die falsche Wahrnehmung der realen Interessen Russlands und Großbritanniens, ihrer Ressourcen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das sich wirtschaftlich wie politisch immer anspruchsvoller gebende Deutsche Reich übersah zu lange, dass es als Konkurrent zur eigentlichen Herausforderung für St. Petersburg und London geworden war. Hier wie dort wurde beschwichtigenden Argumenten Berlins, weltweit lediglich kommerzielle Ziele zu verfolgen, immer weniger Gehör geschenkt.
Hinzu kamen nach Marks Analyse vertane Chancen Deutschlands, mit Großbritannien zu einer Verständigung zu gelangen und die traditionelle Partnerschaft mit Russland zu erneuern, das mit der Regelung der Verhältnisse am Hindukusch und im Pamir zugleich immer weniger auf Berlins Unterstützung angewiesen war. Zudem hatten sich im Zarenreich einflussreiche Gruppen gegen Deutschland entschieden, da Berlin in erster Linie als Bündnispartner Österreich-Ungarns und aufgrund seines Einflusses im Osmanischen Reich als Hauptgegner russischer Großmachtpläne angesehen wurde.
THOMAS SPECKMANN
Rudolf A. Mark: "Im Schatten des ,Great Game' ". Deutsche "Weltpolitik" und russischer Imperialismus in Zentralasien 1871-1914.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 504 S., geb., 58,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rudolf A. Mark studiert die Bedeutung Zentralasiens für die Außenpolitik des Deutschen Kaiserreichs
Als Deutschland nach dem 11. September 2001 Soldaten nach Afghanistan entsandte, schien die Bundeswehr ihren Einsatz am Hindukusch ohne Vorgeschichte zu beginnen. Umso wertvoller sind die erhellenden Studien von Rudolf A. Mark. Der Hamburger Historiker Rudolf A. Mark erinnert mit seiner detaillierten Untersuchung daran, wie sehr Zentralasien bereits in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland Gegenstand des öffentlichen Interesses und Teil des politischen Horizonts der Regierenden in Berlin war. Die Beobachtung des "Great Game", der Auseinandersetzung zwischen dem British Empire und dem russischen Zarenreich, durch die deutsche Regierung seit Bismarck bildete nach Marks Urteil ein nicht zu unterschätzendes Element der Berliner Orientpolitik.
Auch nach Bismarck zählte Zentralasien beziehungsweise Russisch-Turkestan als neu eroberte Kolonie des Zarenreiches und damit Teil des lange Zeit wichtigsten Bündnispartners Berlins zu den Zielregionen deutscher Wirtschaftsinteressen. Russisch-Turkestan war zudem auch Siedlungsraum von Deutschen, die als Verwaltungsbeamte oder Militärpersonal dem Zaren dienten. Darüber hinaus erhielten Handwerker, Arbeiter, Angestellte, Händler und Unternehmer die Genehmigung zur Einreise und Niederlassung von den russischen Behörden. Ihr Zuzug begann direkt mit der Eroberung der Kolonie, in der sie rasch in den meisten Städten und Siedlungen präsent waren. Zusammen mit ihnen versuchten dort bald deutsche Handelsfirmen, Banken und Unternehmen Filialen zu eröffnen und im leichtindustriellen Sektor, in der Landwirtschaft und im Agrarhandel Fuß zu fassen. Dabei gelang es einzelnen Gesellschaften sogar, eine monopolartige Stellung zu erreichen. Damit wurden Deutsche nach Marks Analyse Teil der kolonialen Gesellschaft.
Russlands Expansion nach Zentralasien und Großbritanniens Politik in Afghanistan erregten Bismarcks Aufmerksamkeit, noch bevor sich Berlin im Osmanischen Reich zu engagieren begann. Der Reichskanzler empfand die damaligen Spielräume der deutschen Außenpolitik als derart eng, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet sein wollte. Er ließ sich daher kontinuierlich über die Entwicklungen am Hindukusch informieren, die nach Marks damit ein viel wichtigerer Faktor in der Berliner Orientpolitik waren als bislang angenommen.
Die damalige Publizistik in Deutschland stellte ihren Lesern - dem Duktus der Zeit gemäß - das Zarenreich als eine Kolonialmacht dar, die der Bevölkerung Mittelasiens die Befreiung aus Unsicherheit, Not und Barbarei brachte, die "räuberischen Nomaden" pazifizierte und sie mit den Segnungen von Aufklärung und Fortschritt bekannt machte. Den vermeintlichen Erfolg dieser Mission schrieben die deutschen Autoren vor allem der kulturellen Nähe der Russen zur orientalischen Welt, ihrer religiösen Toleranz gegenüber dem Islam und dem vorurteilsfreien Umgang der Untertanen des Zaren mit Menschen anderer Länder zu. Eine solche Einstellung beförderte in Marks Augen die Akzeptanz der russischen Herrschaft in Turkestan. Dagegen wurde die Stellung der Briten in Indien aufgrund ihrer Distanz zur indigenen Bevölkerung des Subkontinents als über kurz oder lang gefährdet angesehen.
In der Wilhelminischen Zeit galt die russische Expansion in Zentralasien als Beispiel nationaler Interessenwahrnehmung in Zeiten der Globalisierung. Dabei wurde Russisch-Turkestan als ein Bindeglied zwischen den bestehenden Wirtschaftsgroßräumen gesehen und besaß nun grundsätzliche Bedeutung für die deutsche Welt- und Welthandelspolitik.
In der Folge richtete sich in beinahe jeder internationalen Krise, in die Großbritannien involviert war, der Blick Berlins auf Zentralasien, zumal Russland es nach Marks Urteil geschickt verstand, durch militärische Bewegungen im Kaukasus und in Turkestan Druck auf London auszuüben. Verstärkt wurde er dadurch, dass Wilhelm II. versuchte, den Zaren immer wieder zu antibritischen Manövern und Operationen an den zentralasiatischen Grenzen zum Empire zu bewegen und durch solche Machtdemonstrationen London in Indien die Hände zu binden - wie etwa zur Zeit der Burenkrise.
Doch diese deutsche Zentralasien-Politik brachte keinen langfristigen Erfolg. Als Kardinalproblem wertet Mark die falsche Wahrnehmung der realen Interessen Russlands und Großbritanniens, ihrer Ressourcen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das sich wirtschaftlich wie politisch immer anspruchsvoller gebende Deutsche Reich übersah zu lange, dass es als Konkurrent zur eigentlichen Herausforderung für St. Petersburg und London geworden war. Hier wie dort wurde beschwichtigenden Argumenten Berlins, weltweit lediglich kommerzielle Ziele zu verfolgen, immer weniger Gehör geschenkt.
Hinzu kamen nach Marks Analyse vertane Chancen Deutschlands, mit Großbritannien zu einer Verständigung zu gelangen und die traditionelle Partnerschaft mit Russland zu erneuern, das mit der Regelung der Verhältnisse am Hindukusch und im Pamir zugleich immer weniger auf Berlins Unterstützung angewiesen war. Zudem hatten sich im Zarenreich einflussreiche Gruppen gegen Deutschland entschieden, da Berlin in erster Linie als Bündnispartner Österreich-Ungarns und aufgrund seines Einflusses im Osmanischen Reich als Hauptgegner russischer Großmachtpläne angesehen wurde.
THOMAS SPECKMANN
Rudolf A. Mark: "Im Schatten des ,Great Game' ". Deutsche "Weltpolitik" und russischer Imperialismus in Zentralasien 1871-1914.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 504 S., geb., 58,- [Euro]
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Verdienstvoll findet Thomas Speckmann das Buch des Hamburger Historikers Rudolf A. Mark schon darum, weil der Autor damit eine Art Vorgeschichte zu "unserem" aktuellen Engagement am Hindukusch vorlegt. Detailliert vermag ihm Mark zu zeigen, wie wichtig die Auseinandersetzung zwischen dem British Empire und dem russischen Zarenreich für die Berliner Orientpolitik seit Bismarck war. War doch Russisch -Turkestan bereits damals Ziel deutscher Wirtschaftsinteressen. Dass der Autor auch die Fehleinschätzungen der deutschen Orientpolitik aufzeigt, scheint dem Rezensenten nicht minder verdienstvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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