Wie jüdisch musste jemand sein, um als Jude zu gelten? In den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 verankerten die Nationalsozialisteneine perfide Definition, die Menschen mit teilweise jüdischer Abstammungin 'Mischlinge ersten' oder 'zweiten Grades' einteilte. So gekennzeichnet lebten diese Deutschen unter zunehmend restriktiven Bedingungen zwischen den Welten. Im Verlauf des Krieges verschärfte sich ihre Lage. Das Hitlerregime gab allmählich seine unentschiedene Haltung gegenüber den 'Mischlingen' auf, so dass auch sie früher oder später die Deportation befürchten mussten. Zwar bewahrte das Ende des Krieges die meisten von ihnen vor diesem Schicksal, ihr Leiden endete damit jedoch keineswegs. Zum Schweigen verdammt wollten sie sich im Nachkriegsdeutschland ein Leben aufbauen geriet ihr Schicksal in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch seitens der Forschung in Vergessenheit. Mit großer Sorgfalt und Sachlichkeit hat sich der amerikanische Historiker James F. Tent ihrer vergessenen Geschichte angenommen. In seinem Buch, dem ausführliche Interviews mit Überlebendenzugrunde liegen, geht er den Lebensgeschichten Einzelner nach und fügt sie zu einer authentischen Chronik ihres alltäglichen Schreckens. 'ImSchatten des Holocaust' wirft Licht auf eine wenig beachtete Seite des Nationalsozialismus eindringlich und umfassend. Eine wertvolle Lektüre für historisch Interessierte wie Wissenschaftler.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2007Nur Gastrolle
"Mischlinge" in der Hitler-Zeit
"Rassenvermischung" denunzierte Hitler schon in "Mein Kampf" als verderblich für die "Arier". So gerieten nach 1933 auch die Kinder und Nachkommen von jüdisch-christlichen Mischehen ins Visier des Systems. Gemessen an der Zahl der Gequälten und Toten, die das Regime zu verantworten hat, handelte es sich um eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Menschen. Mit pseudowissenschaftlicher Präzision wurde zwischen etwa 72 000 Mischlingen ersten Grades mit einem jüdischen Elternteil und rund 40 000 Mischlingen zweiten Grades mit jüdischen Großeltern unterschieden. Von beiden Gruppen wurden wiederum etwa 8000 als "Geltungsjuden" betrachtet, wenn sie einer jüdischen Gemeinde angehörten oder sich in anderer Form zum Judentum bekannt hatten. Über die Behandlung der Mischlinge bestand bis zum Schluss Uneinigkeit innerhalb des Machtapparates, dennoch wurden diese Menschen systematisch und im Lauf der Jahre zunehmend drangsaliert und verfolgt. Die meisten von ihnen überlebten aber den Zweiten Weltkrieg.
Zur Ergänzung der vielfältigen Forschungen auf diesem Gebiet stellt James F. Tent persönliche Schicksale, die sich nicht auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft beschränken, sondern die ganzen Lebensläufe im 20. Jahrhundert einbeziehen, in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Dabei schöpft er aus eigenen Befragungen und amtlichen Quellen, die allerdings meist nicht in direktem Bezug stehen. Die Befragten waren im "Dritten Reich" meist Kinder oder Jugendliche. In der "Volksgemeinschaft" blieb ihnen nur eine Art Gastrolle. Aus vielen weiterführenden Schulen wurden sie auch ohne staatliche Maßnahmen herausgedrängt, bis ihnen ab 1944 nicht einmal mehr der Grundschulbesuch möglich war. Ab 1941 wurden die meisten Mischlinge, die in der Wehrmacht dienten, als "wehrunwürdig" ausgeschlossen und ab 1944 zur Zwangsarbeit verpflichtet. Nach dem Krieg wurden Entschädigungen nur selten und schleppend gewährt, die allermeisten schwiegen über ihr Schicksal. Umso beeindruckender sind viele Nachkriegskarrieren, die Betroffene in wichtige Funktionen in Forschung, Wissenschaft, Medien und zu höchsten Staatsämtern aufsteigen ließen.
KLAUS A. LANKHEIT
James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich. Böhlau Verlag, Köln 2007. 352 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mischlinge" in der Hitler-Zeit
"Rassenvermischung" denunzierte Hitler schon in "Mein Kampf" als verderblich für die "Arier". So gerieten nach 1933 auch die Kinder und Nachkommen von jüdisch-christlichen Mischehen ins Visier des Systems. Gemessen an der Zahl der Gequälten und Toten, die das Regime zu verantworten hat, handelte es sich um eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Menschen. Mit pseudowissenschaftlicher Präzision wurde zwischen etwa 72 000 Mischlingen ersten Grades mit einem jüdischen Elternteil und rund 40 000 Mischlingen zweiten Grades mit jüdischen Großeltern unterschieden. Von beiden Gruppen wurden wiederum etwa 8000 als "Geltungsjuden" betrachtet, wenn sie einer jüdischen Gemeinde angehörten oder sich in anderer Form zum Judentum bekannt hatten. Über die Behandlung der Mischlinge bestand bis zum Schluss Uneinigkeit innerhalb des Machtapparates, dennoch wurden diese Menschen systematisch und im Lauf der Jahre zunehmend drangsaliert und verfolgt. Die meisten von ihnen überlebten aber den Zweiten Weltkrieg.
Zur Ergänzung der vielfältigen Forschungen auf diesem Gebiet stellt James F. Tent persönliche Schicksale, die sich nicht auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft beschränken, sondern die ganzen Lebensläufe im 20. Jahrhundert einbeziehen, in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Dabei schöpft er aus eigenen Befragungen und amtlichen Quellen, die allerdings meist nicht in direktem Bezug stehen. Die Befragten waren im "Dritten Reich" meist Kinder oder Jugendliche. In der "Volksgemeinschaft" blieb ihnen nur eine Art Gastrolle. Aus vielen weiterführenden Schulen wurden sie auch ohne staatliche Maßnahmen herausgedrängt, bis ihnen ab 1944 nicht einmal mehr der Grundschulbesuch möglich war. Ab 1941 wurden die meisten Mischlinge, die in der Wehrmacht dienten, als "wehrunwürdig" ausgeschlossen und ab 1944 zur Zwangsarbeit verpflichtet. Nach dem Krieg wurden Entschädigungen nur selten und schleppend gewährt, die allermeisten schwiegen über ihr Schicksal. Umso beeindruckender sind viele Nachkriegskarrieren, die Betroffene in wichtige Funktionen in Forschung, Wissenschaft, Medien und zu höchsten Staatsämtern aufsteigen ließen.
KLAUS A. LANKHEIT
James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich. Böhlau Verlag, Köln 2007. 352 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Instruktiv scheint Klaus A. Lankheit dieses Buch über die von den Nazis so titulierten deutsch-jüdischen "Mischlinge", das James F. Tent vorgelegt hat. Er betrachtet es als gute Ergänzung der diversen Forschungen auf diesem Gebiet. Im Mittelpunkt des Buchs sieht er die Schicksale von Menschen mit teilweise jüdischer Abstammung. Dabei unterstreicht er, dass der Autor für seine Darstellung auf eigene Befragungen und amtliche Quellen zurückgegriffen hat. Deutlich wird für ihn, dass sich die Nazis uneinig über den Umgang mit diesen Menschen waren, sie aber gleichwohl zunehmend drangsalierten und verfolgten. Dennoch hätten die meisten Betroffenen den Zweiten Weltkrieg überlebt und danach oft beeindruckende Karrieren in Wissenschaft, Medien und Politik gemacht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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