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Die Menschen in den beiden Städten Hückeswagen und Etaples-sur-Mer verbindet seit über vierzig Jahren eine enge Partnerschaft. Im ersten Weltkrieg wurden die Deutschen im Bergischen Land und die Franzosen im Pas-de-Calais auf ganz unterschiedliche Weise zu Opfern der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Hier gab es keine Kämpfe und Schützengräben, und dennoch veränderte der Krieg auch das tägliche Leben der beiden verfeindeten Völker. In der Schloss-Stadt litt man unter Mangel und Misswirtschaft, die einst florierende Textil- und Eisenindustrie büßte ihre weltweite Bedeutung ein. Die Bewohner…mehr

Produktbeschreibung
Die Menschen in den beiden Städten Hückeswagen und Etaples-sur-Mer verbindet seit über vierzig Jahren eine enge Partnerschaft. Im ersten Weltkrieg wurden die Deutschen im Bergischen Land und die Franzosen im Pas-de-Calais auf ganz unterschiedliche Weise zu Opfern der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Hier gab es keine Kämpfe und Schützengräben, und dennoch veränderte der Krieg auch das tägliche Leben der beiden verfeindeten Völker. In der Schloss-Stadt litt man unter Mangel und Misswirtschaft, die einst florierende Textil- und Eisenindustrie büßte ihre weltweite Bedeutung ein. Die Bewohner des Fischerorts erlebten, wie um sie herum das größte Militärlager auf französischen Boden entstand ein logistisches Zentrum zur Versorgung der Front, eine Durchgangsstation von Soldaten und Arbeitern aus aller Welt.
Der Bericht des Journalisten und Filmemachers Axel Bornkessel zeigt am Beispiel zweier Städte, wie im Krieg zwischen 1914 und 1918 viele Aspekte des Alltags jenseits der Fronten auf dramatische Weise berührt und verändert wurden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2016

Auf der Place de Hückeswagen
Erster Weltkrieg: Landleben

Die in der organisierten Euphorie der Nachkriegsaussöhnung Frankreichs und (West-)Deutschlands konstruierten Städtepartnerschaften werden gern belächelt. Dabei verblüfft immer wieder, welche unterschiedlichen Gemeinden zusammenkamen. Aber wie ein Blick auf das vorliegende Buch zeigt, treibt dieser Boden auch gänzlich unerwartete Blüten. Nicht die geringste ist sicher, dass Étaples-sur-Mer (im Departement Pas-de-Calais südlich von Boulogne) seinen Bahnhofsplatz zu Ehren der Partnergemeinde umtaufte in "Place de Hückeswagen", wiewohl der Name bereits für Ortsfremde deutscher Zunge seine orthographischen Ansprüche stellt.

Dass Autor Axel Bornkessel, der auch Filme dreht, sein Werk mit Blick auf eine Ausstellung konzipierte, hat den Vorteil klar gegliederter Kapitel. Sie sind nicht alle gleichmäßig intensiv erschlossen, auch nicht alle gleichermaßen zwingend (etwa das Kapitel über den deutschen Angriffsplan), aber entschädigen dafür mit einigen unerwarteten Einblicken. Etwa in das großzügig dimensionierte britische Versorgungssystem für das Expeditionskorps in Frankreich oder die chinesischen Schanzarbeiter mit ihren bis 1920 laufenden Arbeitsverträgen (kein uninteressantes Zeichen für die erwartete Kriegsdauer, um Deutschland niederzuringen). Bemerkenswerterweise ignoriert der Autor weder die organisierte Ausplünderung der besetzten Gebiete noch die systematischen Zerstörungen der Infrastruktur durch die kaiserlichen Armeen auf ihrem Rückzug; Bornkessel stützt sich auf solide Quellen.

Die Zerstörungsorgien 1917 im Gefolge der Frontrückführung auf die Alberich-Linie und nachfolgend nach den gescheiterten Offensivanläufen 1918 sowie schließlich beim geordneten Rückzug sind im Allgemeinen kein Thema. Wie es auch in deutschen Darstellungen gerne schleierhaft bleibt, wieso das Reich zum Frieden finden und einen Waffenstillstand erbitten musste. Insofern belegt Bornkessels Buch, dass etwas in Bewegung kommt im Geschichtsbild der breiteren Öffentlichkeit. Dass der Autor ein positives Element im Friedensvertrag von Versailles entdeckte, gehört zu den kleineren Überraschungen des Schlusskapitels. Insgesamt jedoch bleibt der Tenor der vom NS-Deutschland überlieferten und bis heute dominierenden Vorstellung verhaftet, die Wurzeln des "Dritten Reichs" und seines gewaltsamen Expansionismus seien in Versailles zu suchen. Aber wie der frühverstorbene englische Historiker Tony Judt einmal bemerkte, kann der Vertrag nicht so furchtbar gewesen sein, wenn das Deutsche Reich bereits 20 Jahre später ganz Europa überfallen konnte. Vertiefte Reflexion verdient weiter die Darstellung der Ruhrbesetzung, die auch Hückeswagen tangierte. Womöglich böte das Jahr 1923 einmal den Stoff für eine weitere Ausstellung und ein neues Kapitel in der Städtepartnerschaft. Wenn darüber dann ein etwas differenzierteres Geschichtsbild vermittelt würde, wäre dies sicher kein Nachteil. Vielleicht helfen diese Partnerschaften an unerwarteter Stelle: nämlich einem weniger vorurteilsbeladenen Verständnis der Vergangenheit und der allmählichen Etablierung einer Wahrnehmung aus europäischer Perspektive. Hoffen wir also auf weitere Arbeiten dieser Art.

IGNAZ MILLER

Axel Bornkessel: Im Schatten des Krieges. Hückeswagen und Etaples-sur-Mer von 1914 bis 1918. Mediabook Verlag Reil, Gau-Heppenheim 2016. 238 S., 19,80 [Euro].

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