Wie kann ein Land dem Rest der Welt so ahnungslos begegnen und zugleich so genau wissen, was für die Menschheit das Richtige ist und was nicht? Wie kann eine Großmacht auf dem Weltmarkt so strategisch agieren und zugleich von den Reaktionen auf den Globalisierungsprozess so überrascht werden? Und warum breitet die amerikanische Kultur sich über die ganze Welt aus, während der US-Präsident in Paris, Rom oder Berlin von wütenden Demonstranten empfangen wird? Amerikaner denken wenig über die Welt außerhalb der Vereinigten Staaten nach. Das mächtigste Land der Welt hatte bis vor kurzem dazu keinen Anlass. Aber nach dem 11. September ist die beängstigende Kluft zwischen Amerika und dem Rest der Welt sichtbarer geworden. Mark Hertsgaard, einer der profiliertesten unabhängigen Journalisten der USA, hat auf seinen Reisen mit Menschen in der ganzen Welt gesprochen - Konzerndirektoren, Jugendlichen, Fundamentalisten, Taxifahrern und Intellektuellen -, und alle hatten eine dezidierte Meinung über die USA. In zehn Kapiteln zu den gängigsten Urteilen beleuchtet und kommentiert Hertsgaard die amerikanischen Auffassungen von Demokratie, Presse, Reichtum, Bildung und dem sozialen Netz; dabei sucht er nach den Ursachen für die oft frappierenden Unterschiede zwischen dem, was in und außerhalb der USA gedacht wird. So entsteht ein Bild, das unseren eigenen Blick auf Amerika schärft und verändert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2003Die Achse der Empörten
USA–Kritiker Mark Hertsgaard liest im Literaturhaus
Kritik an der eigenen Nation hat in den USA zur Zeit Konjunktur. Michael Moore führt in seinem Film „Bowling for Columbine” die paranoide Angst- und Gewaltkultur seiner waffenverliebten Landsleute vor. Moores literarische Abrechnung mit der Bush-Regierung, „Stupid White Men”, führt seit Wochen die Sachbuch-Bestsellerlisten an. Der Linguist Noam Chomsky vertritt die These, dass der Begriff „Schurkenstaat” auf die USA selbst zutrifft.
Ähnlich argumentiert der amerikanische Journalist Mark Hertsgaard in seinem Buch „Im Schatten des Sternenbanners”. Der Autor bereiste mehrere Jahre lang die Welt und befragte vom Busfahrer in Südafrika bis zum ägyptischen Ingenieur Menschen zu ihrer Sichtweise auf die USA. Hertsgaard stellte fest, dass die meisten Befragten ähnlich über die USA dächten, in einer Mischung aus „Bewunderung und Beklommenheit”. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Ambivalenz liege in der Unterscheidung, die zwischen der Politik und der amerikanischen Kultur gemacht werde. Hertsgaard zitiert eine Spanierin, die die Musik aus Motown schätze, sich aber eine umsichtigere Regierung wünsche. Ein Kubaner kommentiert Bushs zweifelhaften Sieg der Präsidentschaftswahl: „Sie scheinen in den Vereinigten Staaten Probleme mit Ihrer Demokratie zu haben. Vielleicht sollte Kuba Ihnen beim nächsten Mal Wahlbeobachter schicken. ”
Ein Kapitel widmet Hertsgaard dem Pressesystem der USA, das er „unsere Hofberichterstattung” nennt, da die Presse überwiegend nur die Sicht der Regierung wiedergebe. Als weitere Probleme kritisiert er Ignoranz und Uniformiertheit der Amerikaner der restlichen Welt gegenüber. Im Gespräch über die aktuelle politische Lage sagte Hertsgaard: „Bush tut gerade sein Bestes, dass jeder die USA hasst. Während die Ereignisse des 11. September zu viel Solidarität mit Amerika führten, zeigen aktuelle Umfragen, dass der Beliebtheitsbonus bald aufgezehrt ist.” Die amerikanische Presse kritisierte sein Buch. „Die New York Times schrieb, es sei beschämend, böse und anti-amerikanisch.” Mark Hertsgaard liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus. BASTIENNE MÜLLER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
USA–Kritiker Mark Hertsgaard liest im Literaturhaus
Kritik an der eigenen Nation hat in den USA zur Zeit Konjunktur. Michael Moore führt in seinem Film „Bowling for Columbine” die paranoide Angst- und Gewaltkultur seiner waffenverliebten Landsleute vor. Moores literarische Abrechnung mit der Bush-Regierung, „Stupid White Men”, führt seit Wochen die Sachbuch-Bestsellerlisten an. Der Linguist Noam Chomsky vertritt die These, dass der Begriff „Schurkenstaat” auf die USA selbst zutrifft.
Ähnlich argumentiert der amerikanische Journalist Mark Hertsgaard in seinem Buch „Im Schatten des Sternenbanners”. Der Autor bereiste mehrere Jahre lang die Welt und befragte vom Busfahrer in Südafrika bis zum ägyptischen Ingenieur Menschen zu ihrer Sichtweise auf die USA. Hertsgaard stellte fest, dass die meisten Befragten ähnlich über die USA dächten, in einer Mischung aus „Bewunderung und Beklommenheit”. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Ambivalenz liege in der Unterscheidung, die zwischen der Politik und der amerikanischen Kultur gemacht werde. Hertsgaard zitiert eine Spanierin, die die Musik aus Motown schätze, sich aber eine umsichtigere Regierung wünsche. Ein Kubaner kommentiert Bushs zweifelhaften Sieg der Präsidentschaftswahl: „Sie scheinen in den Vereinigten Staaten Probleme mit Ihrer Demokratie zu haben. Vielleicht sollte Kuba Ihnen beim nächsten Mal Wahlbeobachter schicken. ”
Ein Kapitel widmet Hertsgaard dem Pressesystem der USA, das er „unsere Hofberichterstattung” nennt, da die Presse überwiegend nur die Sicht der Regierung wiedergebe. Als weitere Probleme kritisiert er Ignoranz und Uniformiertheit der Amerikaner der restlichen Welt gegenüber. Im Gespräch über die aktuelle politische Lage sagte Hertsgaard: „Bush tut gerade sein Bestes, dass jeder die USA hasst. Während die Ereignisse des 11. September zu viel Solidarität mit Amerika führten, zeigen aktuelle Umfragen, dass der Beliebtheitsbonus bald aufgezehrt ist.” Die amerikanische Presse kritisierte sein Buch. „Die New York Times schrieb, es sei beschämend, böse und anti-amerikanisch.” Mark Hertsgaard liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus. BASTIENNE MÜLLER
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Abrechnung
Der Autor zitiert einen Londoner Taxifahrer mit der Aussage, dass die Amerikaner "von anderen Ländern nicht die geringste Ahnung haben - solange sie dort nicht einmarschiert sind". "Warum nimmt die Welt uns so wahr?", fragt Mark Hertsgaard. Antworten auf diese Frage hat der amerikanische Publizist in seinem Buch zusammengetragen, das die südafrikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer als "prägnant und ungeheuer informativ" charakterisiert. Man kann es aber auch anders sagen: Es ist eine Abrechnung mit einem Land, das er liebt.
Außenansichten
Nach Reisen in 15 Länder und zahlreichen Gesprächen präsentiert Hertsgaard viele Außenansichten auf die USA. Der Ausstieg aus dem ABM-Vertrag sowie aus dem Kyoto-Protokoll über die globale Erwärmung der Erde und die Weigerung, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuerkennen: Schon die ersten Entscheidungen der Bush-Administration haben selbst bei den Verbündeten Kritik ausgelöst. Und angesichts der allgemeinen Ahnungslosigkeit der Amerikaner, was andere Länder, Völker und Sprachen betrifft, sei es schon anmaßend, wenn sie die USA mit ihren "Herrlichkeiten der von den Konzernen angeführten Globalisierung" zum Vorbild für den Rest der Welt erklären. Doch, so die bittere Feststellung Hertsgaards, die wirtschaftlichen und politischen Eliten wüssten schon, wo sich Profit mehren, Öl und Gas finden oder Fastfood und Coca-Cola verkaufen lassen.
Mitverantwortung
Für den Autor bleibt die Erkenntnis, dass die Menschen außerhalb der USA durchaus zu unterscheiden wissen zwischen der amerikanischen Bevölkerung einerseits und ihrer Regierung, den Militärs und den Konzernen andererseits. "Wenn wir Amerikaner diese Unterscheidung einmal erfasst haben, werden wir nicht nur besser verstehen, warum unser Land bei anderen Völkern einen zweifelhaften Ruf hat." Aus dieser Einsicht folge noch eine weitere: Der Mitverantwortung für das, was in aller Welt im Namen der USA geschieht, könne sich in diesem demokratischen Land keiner entziehen.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Der Autor zitiert einen Londoner Taxifahrer mit der Aussage, dass die Amerikaner "von anderen Ländern nicht die geringste Ahnung haben - solange sie dort nicht einmarschiert sind". "Warum nimmt die Welt uns so wahr?", fragt Mark Hertsgaard. Antworten auf diese Frage hat der amerikanische Publizist in seinem Buch zusammengetragen, das die südafrikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer als "prägnant und ungeheuer informativ" charakterisiert. Man kann es aber auch anders sagen: Es ist eine Abrechnung mit einem Land, das er liebt.
Außenansichten
Nach Reisen in 15 Länder und zahlreichen Gesprächen präsentiert Hertsgaard viele Außenansichten auf die USA. Der Ausstieg aus dem ABM-Vertrag sowie aus dem Kyoto-Protokoll über die globale Erwärmung der Erde und die Weigerung, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuerkennen: Schon die ersten Entscheidungen der Bush-Administration haben selbst bei den Verbündeten Kritik ausgelöst. Und angesichts der allgemeinen Ahnungslosigkeit der Amerikaner, was andere Länder, Völker und Sprachen betrifft, sei es schon anmaßend, wenn sie die USA mit ihren "Herrlichkeiten der von den Konzernen angeführten Globalisierung" zum Vorbild für den Rest der Welt erklären. Doch, so die bittere Feststellung Hertsgaards, die wirtschaftlichen und politischen Eliten wüssten schon, wo sich Profit mehren, Öl und Gas finden oder Fastfood und Coca-Cola verkaufen lassen.
Mitverantwortung
Für den Autor bleibt die Erkenntnis, dass die Menschen außerhalb der USA durchaus zu unterscheiden wissen zwischen der amerikanischen Bevölkerung einerseits und ihrer Regierung, den Militärs und den Konzernen andererseits. "Wenn wir Amerikaner diese Unterscheidung einmal erfasst haben, werden wir nicht nur besser verstehen, warum unser Land bei anderen Völkern einen zweifelhaften Ruf hat." Aus dieser Einsicht folge noch eine weitere: Der Mitverantwortung für das, was in aller Welt im Namen der USA geschieht, könne sich in diesem demokratischen Land keiner entziehen.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Paul Nolte fühlt sich in die Zeit der "muckrakers", der "Mistkratzer" des vorigen Jahrhunderts zurückversetzt. Denn ganz in der Tradition dieses sozialkritischen Journalismus sei das Buch von Hertsgaard geschrieben. "Sogar die Themen sind häufig die gleichen geblieben", was laut Nolte zeigt, dass diese Tradition in Amerika immer noch lebendig ist. Die "Grundidee" des Buches, die Eigenarten der Vereinigten Staaten durch eine Außenperspektive einzufangen, ist zwar provokativ, "im Kern" geht es dem Autor jedoch nicht um "Fremdwahrnehmung", sondern um die amerikanische Realität, analysiert Nolte. Also enthält das Buch viel Kritisches, aber leider schrecke der Autor nicht vor den "banalsten Klischees" zurück. Denn nach den Ereignissen des 11. Septembers kann die Forderung, weniger McDonald-Imbisse zu eröffnen, wohl kaum die einzige Konsequenz sein, ärgert sich der Rezensent. Diese "Kapitulation vor dem Terrorismus" sei nicht verwunderlich, da Hertsgaarden laut Nolte zu den Anhängern von Verschwörungstheorien gezählt wird, die glauben, amerikanische Eliten hätten von den Anschlägen im Vorfeld gewusst, sie aber aus Kalkül nicht verhindert. Trotz oftmals fragwürdiger, "poröser" Argumente hält Paul Nolte das Buch jedoch durchaus für lesenswert, zeige es doch ein Amerika, das "aus europäischer Sicht fast ganz auf Außenpolitik und militärische Macht" verengt scheint, aus einer anderen Perspektive.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2003Mist abkratzen
Mark Hertsgaards Amerika-Kritik ist zutiefst amerikanisch
In Amerika gibt es mutige Journalisten, die die Auswüchse des ungezügelten Kapitalismus beim Namen nennen, die Arroganz der Macht und der Mächtigen anprangern und auf die Existenz derer hinweisen, die im Schatten des vordergründigen Erfolges leben: die Benachteiligten, die Armen und Obdachlosen, die Einwanderer. So war es vor hundert Jahren, als die "muckrakers", die "Mistkratzer", mit ihrer Kritik an der amerikanischen Gesellschaft Furore machten und damit zugleich dem sozialkritischen Journalismus zu politischer Bedeutung verhalfen.
Das neue Buch von Mark Hertsgaard zeigt, daß diese Tradition der politischen Publizistik in Amerika lebendig geblieben ist. Sogar die Themen sind häufig die gleichen geblieben. Mit populistischem Drang geht es gegen die Exzesse des Kapitalismus, gegen die unmoralische Macht des "big money". Was damals der Industriekapitalismus rauchender Schlote und reicher Männer war, ist jetzt der globalisierte, neoliberale Kapitalismus seit den Reagan-Jahren. Die engagierten Texte der "muckrakers" wurden zu einer einflußreichen Wurzel des "Progressive Movement" am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, einer der wichtigsten Reformbewegungen in der amerikanischen Geschichte. Auch in diese Tradition ordnet sich der Journalist Mark Hertsgaard ein, eine Tradition, deren Lied am Ende immer wieder optimistisch klingt, die den übelsten Mißständen zum Trotz an den Fortschritt zum Besseren glaubt.
Hertsgaard ist in den Monaten vor und nach dem 11. September 2001 um die Welt gereist, quer durch Europa, Afrika und Asien, und fängt Amerika in den stets sehr widersprüchlichen Bildern ein, welche die Außenwahrnehmung dieses mächtigen Landes ausmachen. Er hat nicht nur in den Büros und Konzernzentralen der Hauptstädte vorgesprochen, sondern die Meinungen und Stimmungen bei den einfachen Leuten erkundet, für die Amerika Objekt des Hasses und der unerfüllten Sehnsucht zugleich ist. Schon in dieser Grundidee des Buches, die Eigenarten der Vereinigten Staaten in der Perspektive von außen einzufangen, steckt einer der Hauptvorwürfe an seine Landsleute: daß sie nämlich provinziell seien und sich für die Meinung der anderen - den "Rest der Welt", so der Untertitel des Buches - nicht interessierten.
Im Kern geht es dem Autor jedoch keineswegs um die Fremdwahrnehmung, sondern um die Realität Amerikas und seine uneingelösten Versprechen. Die einzelnen Kapitel des Buches werfen Schlaglichter auf Eigenarten und Problemzonen im Innenleben der Vereinigten Staaten. Ganz im Vordergrund stehen dabei die amerikanische Konsumgesellschaft und die Massenkultur, bei deren Behandlung Hertsgaard nicht vor den banalsten Klischees zurückscheut: das Übel der übermäßigen Automobilisierung und die Vorliebe der Amerikaner für die spritfressenden Giganten; die Zerstörung älterer Strukturen von Öffentlichkeit und Nachbarschaft in den anonymen, immer gleichen Shopping Malls an der Peripherie; und natürlich die unvermeidlichen "Fast-food-Schuppen", welche die Landschaft "verschandeln". Wie wahr - und oberflächlich. Bei dieser Form der generalisierten Kulturkritik geht der genaue Blick für die amerikanischen Besonderheiten denn auch öfter verloren; was der Autor dann aufspießt, findet man in Kanada oder Australien, Deutschland oder Dänemark gleichermaßen: das Leben in der modernen, entgrenzten Massengesellschaft der westlichen Wohlstandsdemokratien.
So liest man die einzelnen Kapitel mit unterschiedlichem Gewinn. Mit dem ernsten Zorn des Betroffenen werden die amerikanischen Medien beschrieben: die Presselandschaft und die Fernsehsender, der Druck der großen Konzerne und des Gewinninteresses, die Folgen der Reaganschen Deregulierungspolitik der achtziger Jahre. Aber ob die amerikanischen Medien deswegen ganz überwiegend unkritisch, ja unseriös sind, ob die Journalisten schreiben, was "die Mächtigen" - ein Lieblingsfeindbild von Hertsgaard - vorgeben? Hier wie an anderen Stellen ist das Buch enttäuschend, weil es die Chance vergibt, kritisch zu differenzieren. So auch im Kapitel über die Demokratie: Ganz in der Perspektive zumal der deutschen Trivialkritik an der amerikanischen Demokratie wird vor allem auf die niedrige Beteiligung an den Präsidentenwahlen hingewiesen. Daß sich Demokratie in den Vereinigten Staaten auf vielfältige Weise artikuliert und an der Basis verwurzelter ist als in den meisten europäischen Staaten, entgeht dem Autor.
Lehrreicher sind die Ausführungen über die amerikanische Klassengesellschaft, über das Dilemma der Dienstleistungsgesellschaft, die mehr hochqualifizierte Jobs geschaffen hat, als häufig unterstellt wird, aber eben auch ein Heer von Beschäftigten in einfachen Serviceberufen, die ein Leben bestenfalls am Rande des Existenzminimums gestatten. Und wichtig sind auch die Hinweise auf die Kraft der Religion im gegenwärtigen Amerika, in den vielfältigsten Formen vom zivilreligiösen Bekenntnis bis zum protestantischen Fundamentalismus. Die Religiosität Amerikas markiert in zunehmender Weise einen tiefen kulturellen Unterschied zur Säkularität Europas.
Ziemlich ärgerlich wird das Buch, wenn der Autor auf den 11. September zu sprechen kommt. Muß man aus den Terroranschlägen wirklich die Konsequenz ziehen, die kulturelle Amerikanisierung der Welt beschämend zu finden und nicht mehr ganz so viele McDonald's-Filialen zu eröffnen? Man kann dem Globalisierungsprotest durchaus Sympathisches abgewinnen, aber ihn auf diese Weise mit den Anschlägen des 11. September zu verknüpfen bedeutet eine Kapitulation vor dem Terrorismus. Kein Zufall: Hertsgaard gehört zu den Anhängern jener bizarren Verschwörungstheorien, die weismachen wollen, die Pläne der Terroristen seien Amerikas Eliten vorher bekannt gewesen, doch aus perfidem Kalkül weder öffentlich gemacht noch verhindert worden.
Letztlich bekommt Mark Hertsgaard auch die Amerikanisierung der Welt, das Vordringen der amerikanischen Kultur bis in die tiefsten Provinzen Siziliens, Ägyptens oder Südafrikas, nicht wirklich in den Griff. MTV und McDonald's halten Einzug - und schon lösen sich alte Werte und Bräuche der indigenen Kulturen auf. Anthropologen wissen längst, daß der Prozeß der kulturellen Überlagerung viel komplizierter ist. Wer eine Levis-Jeans trägt, legt noch lange nicht den Glauben seiner Vorväter ab. Aber die Rahmenhandlung des Buchs, die Reise durch die Welt und ihre Amerika-Bilder, ist ohnehin eher ein Vorwand. Im Zentrum steht eine ganz klassische amerikanische Kritik an Amerika - so amerikanisch, daß sie am Ende, wie könnte es anders sein, eine "Revolution", eine Rückkehr zu den Werten und Idealen von 1776, fordert. Trotz der häufig porösen Argumente ist das lesenswert in einer Zeit, in der sich das Wesen Amerikas aus europäischer Sicht fast ganz auf Außenpolitik und militärische Macht zu verengen scheint.
PAUL NOLTE
Mark Hertsgaard: "Im Schatten des Sternenbanners". Amerika und der Rest der Welt. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2003. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mark Hertsgaards Amerika-Kritik ist zutiefst amerikanisch
In Amerika gibt es mutige Journalisten, die die Auswüchse des ungezügelten Kapitalismus beim Namen nennen, die Arroganz der Macht und der Mächtigen anprangern und auf die Existenz derer hinweisen, die im Schatten des vordergründigen Erfolges leben: die Benachteiligten, die Armen und Obdachlosen, die Einwanderer. So war es vor hundert Jahren, als die "muckrakers", die "Mistkratzer", mit ihrer Kritik an der amerikanischen Gesellschaft Furore machten und damit zugleich dem sozialkritischen Journalismus zu politischer Bedeutung verhalfen.
Das neue Buch von Mark Hertsgaard zeigt, daß diese Tradition der politischen Publizistik in Amerika lebendig geblieben ist. Sogar die Themen sind häufig die gleichen geblieben. Mit populistischem Drang geht es gegen die Exzesse des Kapitalismus, gegen die unmoralische Macht des "big money". Was damals der Industriekapitalismus rauchender Schlote und reicher Männer war, ist jetzt der globalisierte, neoliberale Kapitalismus seit den Reagan-Jahren. Die engagierten Texte der "muckrakers" wurden zu einer einflußreichen Wurzel des "Progressive Movement" am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, einer der wichtigsten Reformbewegungen in der amerikanischen Geschichte. Auch in diese Tradition ordnet sich der Journalist Mark Hertsgaard ein, eine Tradition, deren Lied am Ende immer wieder optimistisch klingt, die den übelsten Mißständen zum Trotz an den Fortschritt zum Besseren glaubt.
Hertsgaard ist in den Monaten vor und nach dem 11. September 2001 um die Welt gereist, quer durch Europa, Afrika und Asien, und fängt Amerika in den stets sehr widersprüchlichen Bildern ein, welche die Außenwahrnehmung dieses mächtigen Landes ausmachen. Er hat nicht nur in den Büros und Konzernzentralen der Hauptstädte vorgesprochen, sondern die Meinungen und Stimmungen bei den einfachen Leuten erkundet, für die Amerika Objekt des Hasses und der unerfüllten Sehnsucht zugleich ist. Schon in dieser Grundidee des Buches, die Eigenarten der Vereinigten Staaten in der Perspektive von außen einzufangen, steckt einer der Hauptvorwürfe an seine Landsleute: daß sie nämlich provinziell seien und sich für die Meinung der anderen - den "Rest der Welt", so der Untertitel des Buches - nicht interessierten.
Im Kern geht es dem Autor jedoch keineswegs um die Fremdwahrnehmung, sondern um die Realität Amerikas und seine uneingelösten Versprechen. Die einzelnen Kapitel des Buches werfen Schlaglichter auf Eigenarten und Problemzonen im Innenleben der Vereinigten Staaten. Ganz im Vordergrund stehen dabei die amerikanische Konsumgesellschaft und die Massenkultur, bei deren Behandlung Hertsgaard nicht vor den banalsten Klischees zurückscheut: das Übel der übermäßigen Automobilisierung und die Vorliebe der Amerikaner für die spritfressenden Giganten; die Zerstörung älterer Strukturen von Öffentlichkeit und Nachbarschaft in den anonymen, immer gleichen Shopping Malls an der Peripherie; und natürlich die unvermeidlichen "Fast-food-Schuppen", welche die Landschaft "verschandeln". Wie wahr - und oberflächlich. Bei dieser Form der generalisierten Kulturkritik geht der genaue Blick für die amerikanischen Besonderheiten denn auch öfter verloren; was der Autor dann aufspießt, findet man in Kanada oder Australien, Deutschland oder Dänemark gleichermaßen: das Leben in der modernen, entgrenzten Massengesellschaft der westlichen Wohlstandsdemokratien.
So liest man die einzelnen Kapitel mit unterschiedlichem Gewinn. Mit dem ernsten Zorn des Betroffenen werden die amerikanischen Medien beschrieben: die Presselandschaft und die Fernsehsender, der Druck der großen Konzerne und des Gewinninteresses, die Folgen der Reaganschen Deregulierungspolitik der achtziger Jahre. Aber ob die amerikanischen Medien deswegen ganz überwiegend unkritisch, ja unseriös sind, ob die Journalisten schreiben, was "die Mächtigen" - ein Lieblingsfeindbild von Hertsgaard - vorgeben? Hier wie an anderen Stellen ist das Buch enttäuschend, weil es die Chance vergibt, kritisch zu differenzieren. So auch im Kapitel über die Demokratie: Ganz in der Perspektive zumal der deutschen Trivialkritik an der amerikanischen Demokratie wird vor allem auf die niedrige Beteiligung an den Präsidentenwahlen hingewiesen. Daß sich Demokratie in den Vereinigten Staaten auf vielfältige Weise artikuliert und an der Basis verwurzelter ist als in den meisten europäischen Staaten, entgeht dem Autor.
Lehrreicher sind die Ausführungen über die amerikanische Klassengesellschaft, über das Dilemma der Dienstleistungsgesellschaft, die mehr hochqualifizierte Jobs geschaffen hat, als häufig unterstellt wird, aber eben auch ein Heer von Beschäftigten in einfachen Serviceberufen, die ein Leben bestenfalls am Rande des Existenzminimums gestatten. Und wichtig sind auch die Hinweise auf die Kraft der Religion im gegenwärtigen Amerika, in den vielfältigsten Formen vom zivilreligiösen Bekenntnis bis zum protestantischen Fundamentalismus. Die Religiosität Amerikas markiert in zunehmender Weise einen tiefen kulturellen Unterschied zur Säkularität Europas.
Ziemlich ärgerlich wird das Buch, wenn der Autor auf den 11. September zu sprechen kommt. Muß man aus den Terroranschlägen wirklich die Konsequenz ziehen, die kulturelle Amerikanisierung der Welt beschämend zu finden und nicht mehr ganz so viele McDonald's-Filialen zu eröffnen? Man kann dem Globalisierungsprotest durchaus Sympathisches abgewinnen, aber ihn auf diese Weise mit den Anschlägen des 11. September zu verknüpfen bedeutet eine Kapitulation vor dem Terrorismus. Kein Zufall: Hertsgaard gehört zu den Anhängern jener bizarren Verschwörungstheorien, die weismachen wollen, die Pläne der Terroristen seien Amerikas Eliten vorher bekannt gewesen, doch aus perfidem Kalkül weder öffentlich gemacht noch verhindert worden.
Letztlich bekommt Mark Hertsgaard auch die Amerikanisierung der Welt, das Vordringen der amerikanischen Kultur bis in die tiefsten Provinzen Siziliens, Ägyptens oder Südafrikas, nicht wirklich in den Griff. MTV und McDonald's halten Einzug - und schon lösen sich alte Werte und Bräuche der indigenen Kulturen auf. Anthropologen wissen längst, daß der Prozeß der kulturellen Überlagerung viel komplizierter ist. Wer eine Levis-Jeans trägt, legt noch lange nicht den Glauben seiner Vorväter ab. Aber die Rahmenhandlung des Buchs, die Reise durch die Welt und ihre Amerika-Bilder, ist ohnehin eher ein Vorwand. Im Zentrum steht eine ganz klassische amerikanische Kritik an Amerika - so amerikanisch, daß sie am Ende, wie könnte es anders sein, eine "Revolution", eine Rückkehr zu den Werten und Idealen von 1776, fordert. Trotz der häufig porösen Argumente ist das lesenswert in einer Zeit, in der sich das Wesen Amerikas aus europäischer Sicht fast ganz auf Außenpolitik und militärische Macht zu verengen scheint.
PAUL NOLTE
Mark Hertsgaard: "Im Schatten des Sternenbanners". Amerika und der Rest der Welt. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2003. 254 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wer in Zukunft über Amerika sprechen will, muß dieses Buch gelesen haben."
The Independent
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