DER EWIGE SOHN - DAS TRAGISCHE LEBEN DES AUGUST VON GOETHE
August von Goethe ist wohl der berühmteste Sohn der deutschen Literaturgeschichte. In der Regel gilt er jedoch als schwarzes Schaf der Familie. Stephan Oswald erzählt Augusts bewegte Lebensgeschichte erstmals aus dessen eigener Perspektive. Gestützt auf zahlreiche unbekannte Quellen, macht er einen ganz anderen Menschen sichtbar und eröffnet zugleich einen intimen Einblick in das Leben am Frauenplan und die Verhältnisse im klassischen Weimar.
Was weiß man über August von Goethe? Dass er ein Alkoholproblem hatte, ist bekannt und soll zu seinem frühen Tod geführt haben. Überhaupt soll er seinem Namen wenig Ehre gemacht haben. Doch August stieg nach seinem Jurastudium rasch in der herzoglichen Verwaltung Weimars auf und wurde mit gerade mal 34 Jahren zum Geheimen Kammerrat ernannt. Er gehörte dem Hof an, heiratete eine Frau aus altem Adel und war ein angesehenes Mitglied der Weimarer Gesellschaft. Wie Stephan Oswald entdeckt hat, unternahm er eigene literarische Versuche - die erhaltenen Fragmente werden hier erstmals veröffentlicht. Wahr ist allerdings auch, dass sein Vater ihn mehr und mehr zu seinem Faktotum machte, zum Assistenten in allen möglichen Angelegenheiten. Stephan Oswalds einfühlsame und lebendig geschriebene Biographie zeigt, in welchem Maße der Schatten des Vaters auf August lastete und seiner Entfaltung enge Grenzen setzte. Hier liegt die ganze Tragik dieses Lebens.
Die erste aus den Quellen gearbeitete Biographie seit über 100 Jahren August von Goethes Leben erstmals aus seiner eigenen Perspektive Mit der Erstpublikation von August von Goethes bislang unbekannten literarischen Versuchen Das Buch eröffnet zugleich einen intimen Einblick in das Leben im Hause Goethe
August von Goethe ist wohl der berühmteste Sohn der deutschen Literaturgeschichte. In der Regel gilt er jedoch als schwarzes Schaf der Familie. Stephan Oswald erzählt Augusts bewegte Lebensgeschichte erstmals aus dessen eigener Perspektive. Gestützt auf zahlreiche unbekannte Quellen, macht er einen ganz anderen Menschen sichtbar und eröffnet zugleich einen intimen Einblick in das Leben am Frauenplan und die Verhältnisse im klassischen Weimar.
Was weiß man über August von Goethe? Dass er ein Alkoholproblem hatte, ist bekannt und soll zu seinem frühen Tod geführt haben. Überhaupt soll er seinem Namen wenig Ehre gemacht haben. Doch August stieg nach seinem Jurastudium rasch in der herzoglichen Verwaltung Weimars auf und wurde mit gerade mal 34 Jahren zum Geheimen Kammerrat ernannt. Er gehörte dem Hof an, heiratete eine Frau aus altem Adel und war ein angesehenes Mitglied der Weimarer Gesellschaft. Wie Stephan Oswald entdeckt hat, unternahm er eigene literarische Versuche - die erhaltenen Fragmente werden hier erstmals veröffentlicht. Wahr ist allerdings auch, dass sein Vater ihn mehr und mehr zu seinem Faktotum machte, zum Assistenten in allen möglichen Angelegenheiten. Stephan Oswalds einfühlsame und lebendig geschriebene Biographie zeigt, in welchem Maße der Schatten des Vaters auf August lastete und seiner Entfaltung enge Grenzen setzte. Hier liegt die ganze Tragik dieses Lebens.
Die erste aus den Quellen gearbeitete Biographie seit über 100 Jahren August von Goethes Leben erstmals aus seiner eigenen Perspektive Mit der Erstpublikation von August von Goethes bislang unbekannten literarischen Versuchen Das Buch eröffnet zugleich einen intimen Einblick in das Leben im Hause Goethe
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Malte Osterloh stellt fest, dass Stephan Oswald, obgleich er sich genau das vornimmt, den Schatten Goethes nicht von dessen Sohn August nehmen kann. Das Ansinnen einer Ehrenrettung des Sohnes, der sich selbstlos in den Dienst des Vaters stellte und dafür kaum Dank erhielt, findet Osterloh zwar ehrenhaft, gelingen will es dem Autor allerdings nicht. Eher noch wird Goethes Schatten dunkler, meint der Rezensent. Das Buch liest sich laut Osterloh zwar flüssig, nervt aber mit Sottisen und abenteuerlicher Psychologie, für die Oswald Belege schuldig bleibe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2023„Die Nation hat große Anforderungen an Sie“
Vernichtende Kälte: Stephan Oswalds Biografie von Goethes Sohn August gerät zur Anklageschrift gegen den Vater
Dem jungen August, Goethes Sohn, schrieb der Philosoph Johann Gottlieb Fichte folgende Ermahnung ins Stammbuch: „Die Nation hat große Anforderungen an Sie, einziger Sohn des Einzigen in unserm Zeitalter. Zählen Sie mich sodann unter diejenigen, die am aufmerksamsten beobachten werden, ob Sie würdig sich bilden, des Vaters Platz einst auszufüllen, da ich unter diejenigen zähle, die Seinen Werth am tiefsten begreifen und neidlos lieben. Möge sodann dieses Blatt Sie mahnen, oder auch trösten." Der so angesprochene war damals 15 Jahre alt.
In diesen gleichermaßen taktlosen wie anmaßenden Zeilen liegt das Unglück von Augusts Existenz beschlossen. Er wurde von der Welt als Sohn wahrgenommen und an einem Vater gemessen, den die Gebildeten je länger desto mehr als größten zeitgenössischen Schriftsteller verehrten. Allerdings, so töricht, dem Sohn direkt eine Nachfolge in der Rolle des Vaters zuzumuten, war nur Fichte. Doch der Unvermeidlichkeit des Vergleichs konnte August auch unter zartfühlenderen Augen nicht entrinnen.
Die neue Biografie von Stephan Oswald, reich an neuen Informationen aus den Archiven, gut geschrieben, gut disponiert, entfaltet eine Tragödie, deren Grundlinien in grausamer Härte schon Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ 1939 gezeichnet hatte. Mann stützte sich auf die präzise Biografie „Goethes Sohn“ von Wilhelm Bode aus dem Jahr 1918, die nun endgültig durch Oswalds Buch ersetzt wird. Das Bild wird dabei schärfer, aber nicht grundsätzlich anders.
Daher verwundert ein wenig der moralische Furor, mit dem Oswald sein Lebensbild zur Anklageschrift gegen den Vater anlegt. Dass Goethe seine Familie seiner sorgfältig organisierten Arbeit, auch seinen sonstigen Lebens- und Reisebedürfnissen unterordnete, hatte auch Sigrid Damm in ihrem Buch über Goethes Frau Christiane Vulpius 1998 minutiös vor Augen geführt. Wenn Goethe bei der Rückkehr des Sohns nach Hause in Weimar nicht sofort zur Stelle ist – er arbeitet in Jena gerade am komplexesten Roman der Epoche, den „Wahlverwandtschaften“ –, dann empört Oswald das ebenso wie die „Selbstverständlichkeit, mit welcher Goethe die Existenz seines Sohnes den eigenen, auch finanziellen Interessen unterordnet“.
Dabei geht es um Goethes Bemühungen, August 1813 aus den Gefahren des Kriegs gegen Napoleon herauszuhalten, zu dem sich die adelige Jugend Weimars in großer Zahl freiwillig meldete. Teilnahme am „Befreiungskrieg“ war Ehrensache, der August sich nicht entziehen wollte, zum Verdruss des Vaters. Goethe lehnte ganz allgemein die Opferung gut ausgebildeter Jugend im Krieg ab – man muss bedenken, dass damals in Deutschland pro Jahrgang überhaupt nur ein paar hundert Männer studierten.
Oswald sagt es aber selbst, dass die Bestimmung des Lebensgangs durch die Väter damals nichts Ungewöhnliches war. In der Tat: Bürgerliche Handelshäuser oder kleinbürgerliche Handwerksbetriebe wurden ebenso in Familiennachfolge geführt wie adelige Gutsherrschaften. Bauern und Leibeigene setzten schon kleine Kinder als Arbeitskräfte ein. Die Welt war noch patriarchalisch. Goethes nachitalienische Existenz mit ihren beiden Schwerpunkten, höfisch-repräsentativ in Weimar, akademisch-gelehrt in Jena, skandiert durch luxuriöse Badereisen, kann auch als Unternehmen beschrieben werden, mit Schreib- und Hilfskräften, Partnern für Druck und Verlag, Bankhäusern, weltweiter Korrespondenz: ein „Kollektivwesen“ auch im Sozialen und Wirtschaftlichen, nicht nur im Literarischen.
Das ist die Welt, in die August hereinwuchs. Goethe sicherte die Stellung des unehelich Geborenen durch Legitimation, durch Eheschließung mit der Mutter – spät, aber doch –, in Testamenten. Er sorgte für ein juristisches Studium, das dem Sohn eine solide Beamtenlaufbahn im Weimarer Staat ermöglichte. Oswald zeigt interessant im Detail, dass August ein tüchtiger, erfolgreicher Beamter in Kammer und Bauverwaltung war: Wenn Protektion – auch sie damals üblich – ihm half, dann hat er sie doch durch Leistung gerechtfertigt.
Durch die Regulierung der Familienverhältnisse wurde August auch hoffähig, er hatte Dienste als Kammerherr und -junker zu leisten, was vor allem Präsenz bei großherzoglichen Diners bedeutete. Langweilig, gewiss. Aber gelegentlich saß man dabei an der Tafel dem König von Preußen gegenüber. August wurde Teil der europäischen Aristokratie. Er heiratete eine adelige Frau, Ottilie von Pogwisch. Das ging freilich erst nach dem Tod der nicht standesgemäßen Mutter, sodass er gleichzeitig mit Eheschließung und Familiengründung im Haus des Vaters die Lasten der Haushaltsführung schultern musste. Doch das lag auch daran, dass Ottilie sich in praktischen und finanziellen Fragen als unfähig erwies. Die Ehe, die von Ottilie ebenso mit Blick auf den Vater wie den Sohn eingegangen wurde, geriet zum Desaster. Die Stimmung wurde zeitweise so schlecht, dass Goethe in seinen Arbeitsräumen für sich speiste. Dass Ottilie die Rolle einer Hausfrau nicht übernehmen konnte, ist nun nicht seine Schuld. Man hat Augusts immer exzessiveren Alkoholkonsum seit jeher mit dem häuslichen Unglück in Verbindung gebracht – Oswald zeigt, dass das Verhältnis zum Wein in einer Zeit hygienisch unsicherer Trinkwasserquellen lässiger war als heute. Die frühe Gewöhnung von Kindern an Wein und Bier war nichts Ungewöhnliches.
August übte, so zählt Oswald zurecht auf, mehrere Berufe nebeneinander aus: als Beamter, als Kammerherr, als Haushaltsvorstand und als Mitarbeiter des Vaters, etwa in der Hoftheaterintendanz, auch als Organisator von Lebensmitteln und Schreibgerät, wenn der Vater nicht zu Hause war. Viel Stress, keine Zärtlichkeit. Bei den wenigen Reisen bestand Goethe, wie übrigens dienstlich auch bei anderen Mitarbeitern, auf der Führung eines Tagebuchs, das Stück für Stück abgeliefert werden musste. August freute sich kindlich über karges Lob, und in solchen Momenten wird etwas von der „vernichtenden Kälte“ um Goethe spürbar, die Thomas Mann diagnostiziert hat. Goethes für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Langlebigkeit zog einen kaum erträglichen Zustand in folternde Länge. So wurde das Weimarer Haus je länger desto mehr zu einer Stätte des Lebensopfers der Jungen für den Alten. Am Ende richtet sich der Moralismus Oswalds dann auch noch gegen seinen Helden: Auf der letzten Reise, in Italien, genauer in Neapel, wird August für ein paar Wochen zum spendierfreudigen Touristen, er lässt es krachen und macht Einheimische betrunken. Das missfällt dem achtsamen Biographen recht sehr. Gut, dass August in Rom seine fleißigen Kunstbesuche wieder aufnimmt!
Den Tod in Rom verursachte nicht, wie oft behauptet wurde, der Alkoholismus, sondern offenbar eine Meningitis. Immerhin, die Grabschrift für die Stele am Friedhof bei der Cestius-Pyramide verteidigt Oswald: Dass der Sohn dem Vater ohne Namen voraneilt (Goethe Filius Patri antevertens) gelte eben dem unerhörten Ereignis an einem Ort, den Goethe selbst schon als Grabstätte für sich imaginiert habe. Der Rest ist Versteinerung und Zeitpanik in Weimar. Goethe, „über Gräber vorwärts“, stürzt sich in die Arbeit und schließt den vierten Band von „Dichtung und Wahrheit“ in einem gewaltsamen Kraftakt ab. Dort geht es noch einmal um seine Jugend, um den Aufbruch ins Leben.
Wer möchte über einen seit fast 200 Jahren Verstorbenen richten, der „den Tod nicht statuierte“? Und wie hätte ein alternatives, eigenständigeres Leben für August geraten können? Doch wohl nur durch abruptes Losreißen, ähnlich dem Goethes, als er sich 1775 gegen sein Vaterhaus für den Weimarer Hof entschied. Aber auch dann wäre August dem Fluch seiner Existenz nicht entkommen, dem Vergleich mit dem Vater.
Hat August über eine solche andere Möglichkeit nachgedacht? Jedenfalls vermochte er seine Lage zu reflektieren. Das zeigen bisher unbekannte Fragmente, die Oswald erstmals aus den Beständen des Thüringischen Hauptstaatsarchivs publiziert. Sie zeigen August als sensiblen und kenntnisreichen Zeitgenossen, dessen legasthenische Schreibschwäche nicht über seine Bildung hinwegtäuschen kann. August setzte offenbar kurz vor seiner letzten Reise zu einer längeren Selbsterklärung an. Vollendet hat er sie nicht.
GUSTAV SEIBT
In großer Zahl meldete sich
die Weimarer Jugend
zum Krieg gegen Napoleon
Viel Stress, keine Zärtlichkeit: August von Goethe.
Foto: ullstein bild Dtl.
Stephan Oswald:
Im Schatten des Vaters – August von Goethe.
C.H. Beck, München 2032.
424 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vernichtende Kälte: Stephan Oswalds Biografie von Goethes Sohn August gerät zur Anklageschrift gegen den Vater
Dem jungen August, Goethes Sohn, schrieb der Philosoph Johann Gottlieb Fichte folgende Ermahnung ins Stammbuch: „Die Nation hat große Anforderungen an Sie, einziger Sohn des Einzigen in unserm Zeitalter. Zählen Sie mich sodann unter diejenigen, die am aufmerksamsten beobachten werden, ob Sie würdig sich bilden, des Vaters Platz einst auszufüllen, da ich unter diejenigen zähle, die Seinen Werth am tiefsten begreifen und neidlos lieben. Möge sodann dieses Blatt Sie mahnen, oder auch trösten." Der so angesprochene war damals 15 Jahre alt.
In diesen gleichermaßen taktlosen wie anmaßenden Zeilen liegt das Unglück von Augusts Existenz beschlossen. Er wurde von der Welt als Sohn wahrgenommen und an einem Vater gemessen, den die Gebildeten je länger desto mehr als größten zeitgenössischen Schriftsteller verehrten. Allerdings, so töricht, dem Sohn direkt eine Nachfolge in der Rolle des Vaters zuzumuten, war nur Fichte. Doch der Unvermeidlichkeit des Vergleichs konnte August auch unter zartfühlenderen Augen nicht entrinnen.
Die neue Biografie von Stephan Oswald, reich an neuen Informationen aus den Archiven, gut geschrieben, gut disponiert, entfaltet eine Tragödie, deren Grundlinien in grausamer Härte schon Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ 1939 gezeichnet hatte. Mann stützte sich auf die präzise Biografie „Goethes Sohn“ von Wilhelm Bode aus dem Jahr 1918, die nun endgültig durch Oswalds Buch ersetzt wird. Das Bild wird dabei schärfer, aber nicht grundsätzlich anders.
Daher verwundert ein wenig der moralische Furor, mit dem Oswald sein Lebensbild zur Anklageschrift gegen den Vater anlegt. Dass Goethe seine Familie seiner sorgfältig organisierten Arbeit, auch seinen sonstigen Lebens- und Reisebedürfnissen unterordnete, hatte auch Sigrid Damm in ihrem Buch über Goethes Frau Christiane Vulpius 1998 minutiös vor Augen geführt. Wenn Goethe bei der Rückkehr des Sohns nach Hause in Weimar nicht sofort zur Stelle ist – er arbeitet in Jena gerade am komplexesten Roman der Epoche, den „Wahlverwandtschaften“ –, dann empört Oswald das ebenso wie die „Selbstverständlichkeit, mit welcher Goethe die Existenz seines Sohnes den eigenen, auch finanziellen Interessen unterordnet“.
Dabei geht es um Goethes Bemühungen, August 1813 aus den Gefahren des Kriegs gegen Napoleon herauszuhalten, zu dem sich die adelige Jugend Weimars in großer Zahl freiwillig meldete. Teilnahme am „Befreiungskrieg“ war Ehrensache, der August sich nicht entziehen wollte, zum Verdruss des Vaters. Goethe lehnte ganz allgemein die Opferung gut ausgebildeter Jugend im Krieg ab – man muss bedenken, dass damals in Deutschland pro Jahrgang überhaupt nur ein paar hundert Männer studierten.
Oswald sagt es aber selbst, dass die Bestimmung des Lebensgangs durch die Väter damals nichts Ungewöhnliches war. In der Tat: Bürgerliche Handelshäuser oder kleinbürgerliche Handwerksbetriebe wurden ebenso in Familiennachfolge geführt wie adelige Gutsherrschaften. Bauern und Leibeigene setzten schon kleine Kinder als Arbeitskräfte ein. Die Welt war noch patriarchalisch. Goethes nachitalienische Existenz mit ihren beiden Schwerpunkten, höfisch-repräsentativ in Weimar, akademisch-gelehrt in Jena, skandiert durch luxuriöse Badereisen, kann auch als Unternehmen beschrieben werden, mit Schreib- und Hilfskräften, Partnern für Druck und Verlag, Bankhäusern, weltweiter Korrespondenz: ein „Kollektivwesen“ auch im Sozialen und Wirtschaftlichen, nicht nur im Literarischen.
Das ist die Welt, in die August hereinwuchs. Goethe sicherte die Stellung des unehelich Geborenen durch Legitimation, durch Eheschließung mit der Mutter – spät, aber doch –, in Testamenten. Er sorgte für ein juristisches Studium, das dem Sohn eine solide Beamtenlaufbahn im Weimarer Staat ermöglichte. Oswald zeigt interessant im Detail, dass August ein tüchtiger, erfolgreicher Beamter in Kammer und Bauverwaltung war: Wenn Protektion – auch sie damals üblich – ihm half, dann hat er sie doch durch Leistung gerechtfertigt.
Durch die Regulierung der Familienverhältnisse wurde August auch hoffähig, er hatte Dienste als Kammerherr und -junker zu leisten, was vor allem Präsenz bei großherzoglichen Diners bedeutete. Langweilig, gewiss. Aber gelegentlich saß man dabei an der Tafel dem König von Preußen gegenüber. August wurde Teil der europäischen Aristokratie. Er heiratete eine adelige Frau, Ottilie von Pogwisch. Das ging freilich erst nach dem Tod der nicht standesgemäßen Mutter, sodass er gleichzeitig mit Eheschließung und Familiengründung im Haus des Vaters die Lasten der Haushaltsführung schultern musste. Doch das lag auch daran, dass Ottilie sich in praktischen und finanziellen Fragen als unfähig erwies. Die Ehe, die von Ottilie ebenso mit Blick auf den Vater wie den Sohn eingegangen wurde, geriet zum Desaster. Die Stimmung wurde zeitweise so schlecht, dass Goethe in seinen Arbeitsräumen für sich speiste. Dass Ottilie die Rolle einer Hausfrau nicht übernehmen konnte, ist nun nicht seine Schuld. Man hat Augusts immer exzessiveren Alkoholkonsum seit jeher mit dem häuslichen Unglück in Verbindung gebracht – Oswald zeigt, dass das Verhältnis zum Wein in einer Zeit hygienisch unsicherer Trinkwasserquellen lässiger war als heute. Die frühe Gewöhnung von Kindern an Wein und Bier war nichts Ungewöhnliches.
August übte, so zählt Oswald zurecht auf, mehrere Berufe nebeneinander aus: als Beamter, als Kammerherr, als Haushaltsvorstand und als Mitarbeiter des Vaters, etwa in der Hoftheaterintendanz, auch als Organisator von Lebensmitteln und Schreibgerät, wenn der Vater nicht zu Hause war. Viel Stress, keine Zärtlichkeit. Bei den wenigen Reisen bestand Goethe, wie übrigens dienstlich auch bei anderen Mitarbeitern, auf der Führung eines Tagebuchs, das Stück für Stück abgeliefert werden musste. August freute sich kindlich über karges Lob, und in solchen Momenten wird etwas von der „vernichtenden Kälte“ um Goethe spürbar, die Thomas Mann diagnostiziert hat. Goethes für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Langlebigkeit zog einen kaum erträglichen Zustand in folternde Länge. So wurde das Weimarer Haus je länger desto mehr zu einer Stätte des Lebensopfers der Jungen für den Alten. Am Ende richtet sich der Moralismus Oswalds dann auch noch gegen seinen Helden: Auf der letzten Reise, in Italien, genauer in Neapel, wird August für ein paar Wochen zum spendierfreudigen Touristen, er lässt es krachen und macht Einheimische betrunken. Das missfällt dem achtsamen Biographen recht sehr. Gut, dass August in Rom seine fleißigen Kunstbesuche wieder aufnimmt!
Den Tod in Rom verursachte nicht, wie oft behauptet wurde, der Alkoholismus, sondern offenbar eine Meningitis. Immerhin, die Grabschrift für die Stele am Friedhof bei der Cestius-Pyramide verteidigt Oswald: Dass der Sohn dem Vater ohne Namen voraneilt (Goethe Filius Patri antevertens) gelte eben dem unerhörten Ereignis an einem Ort, den Goethe selbst schon als Grabstätte für sich imaginiert habe. Der Rest ist Versteinerung und Zeitpanik in Weimar. Goethe, „über Gräber vorwärts“, stürzt sich in die Arbeit und schließt den vierten Band von „Dichtung und Wahrheit“ in einem gewaltsamen Kraftakt ab. Dort geht es noch einmal um seine Jugend, um den Aufbruch ins Leben.
Wer möchte über einen seit fast 200 Jahren Verstorbenen richten, der „den Tod nicht statuierte“? Und wie hätte ein alternatives, eigenständigeres Leben für August geraten können? Doch wohl nur durch abruptes Losreißen, ähnlich dem Goethes, als er sich 1775 gegen sein Vaterhaus für den Weimarer Hof entschied. Aber auch dann wäre August dem Fluch seiner Existenz nicht entkommen, dem Vergleich mit dem Vater.
Hat August über eine solche andere Möglichkeit nachgedacht? Jedenfalls vermochte er seine Lage zu reflektieren. Das zeigen bisher unbekannte Fragmente, die Oswald erstmals aus den Beständen des Thüringischen Hauptstaatsarchivs publiziert. Sie zeigen August als sensiblen und kenntnisreichen Zeitgenossen, dessen legasthenische Schreibschwäche nicht über seine Bildung hinwegtäuschen kann. August setzte offenbar kurz vor seiner letzten Reise zu einer längeren Selbsterklärung an. Vollendet hat er sie nicht.
GUSTAV SEIBT
In großer Zahl meldete sich
die Weimarer Jugend
zum Krieg gegen Napoleon
Viel Stress, keine Zärtlichkeit: August von Goethe.
Foto: ullstein bild Dtl.
Stephan Oswald:
Im Schatten des Vaters – August von Goethe.
C.H. Beck, München 2032.
424 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Eine schöne und gerechte Biographie."
NZZ, Dieter Borchmeyer
"Oswald - und das ist die herausstechende Qualität seines Buches - zeigt wieder einmal, dass die Konzentration auf minutiöse Quellenausdeutung der Königsweg des biografischen Handwerks ist. Jede Nebensache wird, wenn belegt und im Detail beschrieben, zur Hauptsache."
DIE ZEIT, Golo Maurer
"Nach allen Regeln der Biographenkunst. ... Das Bild seines Ringens blieb der Nachwelt erhalten. Stephan Oswald hat es in einen würdigen Rahmen gestellt."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Kilb
"In mancher Hinsicht ist Oswalds vor- und umsichtige Biografie auch eine Ehrenrettung von Vater Goethe."
Neue Zürcher Zeitung, Dieter Borchmeyer
"Mit psychologischem Feingefühl befreit Stephan Oswald August von Gothe aus dem Schatten des übergroßen Vaters und erzählt dabei fesselnd ein Stück Sittengeschichte."
3sat kulturzeit
"Seine Studie über August von Goethe glänzt durch enorme Spritzigkeit. Der amüsante und erfrischende Stil schließt wissenschaftliche Präzision freilich nirgendwo aus."
mdr KULTUR, Ulf Heise
"Der ersten Biografie August von Goethes, die dem Dichterspross endlich wohl will und von dem Germanisten Stephan Oswald stammt, können wir jetzt dank fundierter Recherchen des Autors erstaunliche Dinge entnehmen."
Die WELT, Tilman Krause
"Reich an neuen Informationen aus den Archiven schieben, gut geschrieben, gut disponiert"
Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt
"Das Buch ist nicht nur akribisch recherchiert, sondern auch gut geschrieben. Ich habe es mit großer Anteilnahme gelesen und bin gewiss, dass mein Empfinden von vielen Lesern geteilt werden wird."
Goethe Jahrbuch 140, Jochen Golz
"This biography has several distinct merits. Diaries and letters enable the author to correct a series of common misrepresentations. ... As research increasingly takes stock of the partners, lovers and offspring of the great and famous, Stephan Oswald brings the younger Goethe into focus as a significant member of Weimar society in his own right."
Times Literary Supplement, Osman Durrani
"Hochsensibel, bisweilen herzzerreißend ... aber dennoch stets wissenschaftlich fundiert, gibt Oswald Einblick in das tragische und erbarmungslose Leben Augusts"
Kleine Zeitung, Julian Melichar
"Eine tolle, spannende Biografie - auch über den Vater."
Der Standard, Michael Wurmitzer
"Wir erfahren etwas über August von Goethe anhand von Fakten und Archivmaterial, wir bekommen auch Einblicke in die Privatsphäre des alten Goethe. ... Das bringt atmosphärisch viel für das Buch."
Deutschlandfunk Kultur Lesart, Michael Opitz
"Die erste Biografie über August von Goethe versucht die Ehrenrettung einer unglücklichen Existenz. Man erfährt viel über die Zeit, es ist herzzerreißend traurig - und zuweilen schrecklich komisch."
Die Presse, Karl Gaulhofer
"Eine 'Ehrenrettung' des 'angeblich missratenen Sohnes' war überfällig. ... Oswald hat sich dieser Aufgabe so engagiert wie umfassend angenommen."
neues deutschland, Klaus Bellin
"Spannende Sittengeschichte des klassischen Weimar."
Tagesspiegel, Reinhold Jaretzky
"Oswald hat ein anderes, ein neues Bild von August von Goethe gezeichnet, in all seinen Widersprüchen vermutlich das richtige, auf jeden Fall lesenswerteste."
Münchner Merkur, Sabine Dultz
"Stephan Oswald zeigt in seiner einfühlsamen Biographie, in welchem Maße der Schatten des Vaters auf August lastete und seiner Entfaltung enge Grenzen setzte."
literaturkritik.de, Manfred Orlick
"Oswald gelingt nicht nur eine Neubewertung des Sohnes, er wirft auch ein wenig schmeichelhaftes Licht auf den Vater und Privatmann Johann Wolfgang von Goethe."
Neue Osnabrücker Zeitung
NZZ, Dieter Borchmeyer
"Oswald - und das ist die herausstechende Qualität seines Buches - zeigt wieder einmal, dass die Konzentration auf minutiöse Quellenausdeutung der Königsweg des biografischen Handwerks ist. Jede Nebensache wird, wenn belegt und im Detail beschrieben, zur Hauptsache."
DIE ZEIT, Golo Maurer
"Nach allen Regeln der Biographenkunst. ... Das Bild seines Ringens blieb der Nachwelt erhalten. Stephan Oswald hat es in einen würdigen Rahmen gestellt."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Kilb
"In mancher Hinsicht ist Oswalds vor- und umsichtige Biografie auch eine Ehrenrettung von Vater Goethe."
Neue Zürcher Zeitung, Dieter Borchmeyer
"Mit psychologischem Feingefühl befreit Stephan Oswald August von Gothe aus dem Schatten des übergroßen Vaters und erzählt dabei fesselnd ein Stück Sittengeschichte."
3sat kulturzeit
"Seine Studie über August von Goethe glänzt durch enorme Spritzigkeit. Der amüsante und erfrischende Stil schließt wissenschaftliche Präzision freilich nirgendwo aus."
mdr KULTUR, Ulf Heise
"Der ersten Biografie August von Goethes, die dem Dichterspross endlich wohl will und von dem Germanisten Stephan Oswald stammt, können wir jetzt dank fundierter Recherchen des Autors erstaunliche Dinge entnehmen."
Die WELT, Tilman Krause
"Reich an neuen Informationen aus den Archiven schieben, gut geschrieben, gut disponiert"
Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt
"Das Buch ist nicht nur akribisch recherchiert, sondern auch gut geschrieben. Ich habe es mit großer Anteilnahme gelesen und bin gewiss, dass mein Empfinden von vielen Lesern geteilt werden wird."
Goethe Jahrbuch 140, Jochen Golz
"This biography has several distinct merits. Diaries and letters enable the author to correct a series of common misrepresentations. ... As research increasingly takes stock of the partners, lovers and offspring of the great and famous, Stephan Oswald brings the younger Goethe into focus as a significant member of Weimar society in his own right."
Times Literary Supplement, Osman Durrani
"Hochsensibel, bisweilen herzzerreißend ... aber dennoch stets wissenschaftlich fundiert, gibt Oswald Einblick in das tragische und erbarmungslose Leben Augusts"
Kleine Zeitung, Julian Melichar
"Eine tolle, spannende Biografie - auch über den Vater."
Der Standard, Michael Wurmitzer
"Wir erfahren etwas über August von Goethe anhand von Fakten und Archivmaterial, wir bekommen auch Einblicke in die Privatsphäre des alten Goethe. ... Das bringt atmosphärisch viel für das Buch."
Deutschlandfunk Kultur Lesart, Michael Opitz
"Die erste Biografie über August von Goethe versucht die Ehrenrettung einer unglücklichen Existenz. Man erfährt viel über die Zeit, es ist herzzerreißend traurig - und zuweilen schrecklich komisch."
Die Presse, Karl Gaulhofer
"Eine 'Ehrenrettung' des 'angeblich missratenen Sohnes' war überfällig. ... Oswald hat sich dieser Aufgabe so engagiert wie umfassend angenommen."
neues deutschland, Klaus Bellin
"Spannende Sittengeschichte des klassischen Weimar."
Tagesspiegel, Reinhold Jaretzky
"Oswald hat ein anderes, ein neues Bild von August von Goethe gezeichnet, in all seinen Widersprüchen vermutlich das richtige, auf jeden Fall lesenswerteste."
Münchner Merkur, Sabine Dultz
"Stephan Oswald zeigt in seiner einfühlsamen Biographie, in welchem Maße der Schatten des Vaters auf August lastete und seiner Entfaltung enge Grenzen setzte."
literaturkritik.de, Manfred Orlick
"Oswald gelingt nicht nur eine Neubewertung des Sohnes, er wirft auch ein wenig schmeichelhaftes Licht auf den Vater und Privatmann Johann Wolfgang von Goethe."
Neue Osnabrücker Zeitung