Oberflächlich weiß alle Welt, dass Goethe und Kotzebue keineswegs Arm in Arm ihres Weges wandelten, obwohl beide Weimar angehörten, obwohl ... beide Ruhm genossen, obwohl nicht nur Kotzebue Goethe, sondern auch dieser jenen in seinen Leistungen hochstellte, und obwohl sie in regem literarisch-geschäftlichen Verkehr standen. Der Ruhm, den beide theilweise auf demselben Gebiet errangen, war allerdings ein verschiedener; eng war bei Lebzeiten beider der Kreis, in dem der Eine gewürdigt und verehrt wurde, und in diesem Kreis genoss der Andere geringen Ansehens; aber ihn entschädigte die zahllose Menge seiner Bewunderer, in denen der Erstere kaum dem Namen nach bekannt war.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2019Goethes Antipode Kotzebue
An das spektakuläre politische Attentat auf August von Kotzebue, das in die restriktiven Karlsbader Beschlüsse mündete, wurde im März erinnert. Der zum Tode verurteilte nationalpatriotische Mörder Karl Ludwig Sand stilisierte sich zum Helden der Befreiung, Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt er gar ein Ehrengrab. Das Mannheimer Nationaltheater hingegen führte in Kotzebues Todesjahr verstärkt seine Stücke auf, die auch in Weimar längst in Führung lagen. Eine kleine Biographie von Bertold Heizmann untersucht jetzt prägnant das lebenslange Konkurrenzverhältnis zwischen Goethe und dem einzigen in Weimar geborenen "Klassiker", den Nietzsche "das eigentliche Theatertalent der Deutschen" nannte. Von seinem Mitspielen im Einakter "Die Geschwister", mit dem Goethe selbst auf der Bühne um Kotzebues Schwester Amalie wirbt, bis zum Bruch durch die Krähwinkel-Parodie "Die deutschen Kleinstädter" werden darin alle möglichen Konfliktherde der beiden beleuchtet. Kotzebue, inzwischen zum Präsidenten des russischen Gouvernements im estnischen Reval aufgestiegen, wird in Weimar von Goethes Mittwochskränzchen ausgeschlossen, gründet aber eine viel erfolgreichere Donnerstagsgesellschaft. Scharf schießt er gegen Goethes neue Koalitionen mit den Brüdern Schlegel und genießt den Misserfolg des "Alarcos" und "Ion" in Weimar und Berlin. In der ästhetischen Prügelei im "Freimüthigen" führt er die Partei gegen die Klassiker und Romantiker an oder parodiert "Stella" mit "La Peyrouse" und dem "Graf von Gleichen". Mit seiner Streitlust und den nicht ganz geheim bleibenden Berichten über angeblich jakobinische Tendenzen im Herzogtum Weimar verspielt er letzte Sympathien, was leider auch sein dramatisches Riesenwerk - oft gar nicht übler - Stücke in Misskredit bringt. Gegen Goethes Verdikt populärer "Nullität" wendet sich Heizmanns ausgewogene Bestandsaufnahme.
kos.
Berthold Heizmann: "Im Schatten Goethes: Kotzebue".
Schrenk Verlag, Röttenbach 2019, 180 S., broschiert, 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An das spektakuläre politische Attentat auf August von Kotzebue, das in die restriktiven Karlsbader Beschlüsse mündete, wurde im März erinnert. Der zum Tode verurteilte nationalpatriotische Mörder Karl Ludwig Sand stilisierte sich zum Helden der Befreiung, Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt er gar ein Ehrengrab. Das Mannheimer Nationaltheater hingegen führte in Kotzebues Todesjahr verstärkt seine Stücke auf, die auch in Weimar längst in Führung lagen. Eine kleine Biographie von Bertold Heizmann untersucht jetzt prägnant das lebenslange Konkurrenzverhältnis zwischen Goethe und dem einzigen in Weimar geborenen "Klassiker", den Nietzsche "das eigentliche Theatertalent der Deutschen" nannte. Von seinem Mitspielen im Einakter "Die Geschwister", mit dem Goethe selbst auf der Bühne um Kotzebues Schwester Amalie wirbt, bis zum Bruch durch die Krähwinkel-Parodie "Die deutschen Kleinstädter" werden darin alle möglichen Konfliktherde der beiden beleuchtet. Kotzebue, inzwischen zum Präsidenten des russischen Gouvernements im estnischen Reval aufgestiegen, wird in Weimar von Goethes Mittwochskränzchen ausgeschlossen, gründet aber eine viel erfolgreichere Donnerstagsgesellschaft. Scharf schießt er gegen Goethes neue Koalitionen mit den Brüdern Schlegel und genießt den Misserfolg des "Alarcos" und "Ion" in Weimar und Berlin. In der ästhetischen Prügelei im "Freimüthigen" führt er die Partei gegen die Klassiker und Romantiker an oder parodiert "Stella" mit "La Peyrouse" und dem "Graf von Gleichen". Mit seiner Streitlust und den nicht ganz geheim bleibenden Berichten über angeblich jakobinische Tendenzen im Herzogtum Weimar verspielt er letzte Sympathien, was leider auch sein dramatisches Riesenwerk - oft gar nicht übler - Stücke in Misskredit bringt. Gegen Goethes Verdikt populärer "Nullität" wendet sich Heizmanns ausgewogene Bestandsaufnahme.
kos.
Berthold Heizmann: "Im Schatten Goethes: Kotzebue".
Schrenk Verlag, Röttenbach 2019, 180 S., broschiert, 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main