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Rudolf Wolters (1903-1983) war Schüler von Heinrich Tessenow und Hans Poelzig. Nach einer Schaffensphase in der Sowjetunion kam er 1933 nach Deutschland zurück und wurde im Schatten seines Jugendfreundes Albert Speer einer der einfl ussreichsten Architekten des nationalsozialistischen Deutschlands. Als engster Mitarbeiter von Speer arbeitete er an der Neugestaltung der 'Reichshauptstadt' und schrieb für ihn Reden und Pressetexte. Von Speer von jeder Verantwortung freigesprochen, lebte Wolters nach 1945 unbehelligt in seiner Heimatstadt Coesfeld, von wo aus er dank seiner NS-Verbindungen ein…mehr

Produktbeschreibung
Rudolf Wolters (1903-1983) war Schüler von Heinrich Tessenow und Hans Poelzig. Nach einer Schaffensphase in der Sowjetunion kam er 1933 nach Deutschland zurück und wurde im Schatten seines Jugendfreundes Albert Speer einer der einfl ussreichsten Architekten des nationalsozialistischen Deutschlands. Als engster Mitarbeiter von Speer arbeitete er an der Neugestaltung der 'Reichshauptstadt' und schrieb für ihn Reden und Pressetexte. Von Speer von jeder Verantwortung freigesprochen, lebte Wolters nach 1945 unbehelligt in seiner Heimatstadt Coesfeld, von wo aus er dank seiner NS-Verbindungen ein Netzwerk von Architekten zum Aufbau der Bundesrepublik fl ocht. In der Auswertung des Nachlasses von Wolters werden sein Werdegang und seine Rolle im 'Dritten Reich' erstmals klar fassbar.
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Autorenporträt
André Deschan arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Wolfgang Schäche am Lehrstuhl für Baugeschichte und Architekturtheorie der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Er lebt als selbstständiger Architekt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2016

Ein Technokrat im Dienst der Barbarei
Er war die rechte Hand von Hitlers Baumeister Albert Speer: André Deschan nimmt sich die Karrierekurven des wendigen Architekten Rudolf Wolters vor

Bei den Griechen war der "architecton" derjenige, der "bauend herrscht". Bauen ist immer auch politisches Handeln, und Architektur dient als Instrument zur Sicherung von Herrschaft, zur Herstellung gesellschaftlicher Sicherheit und zur politischen Repräsentation. Wie kein zweiter gilt Albert Speer als Architekt der nationalsozialistischen Diktatur. Allerdings ist er, wie Hans Poelzig früh erkannte, ein nicht sonderlich begabter Baumeister gewesen. Erst als Hitler dem ehrgeizigen Planer unumschränkte Vollmachten erteilte, konnte er es zu einem Fanatiker von Unterwerfungsarchitekturen und Organisator von Massenschauplätzen bringen.

In Rudolf Wolters fand Speer einen kongenialen Partner. Kennengelernt hatten sie sich 1923 in München beim Architekturstudium. Gemeinsam wechselten sie ein Jahr später an die Technische Hochschule Berlin. Dort orientierten sich beide an dem berühmten Heinrich Tessenow, wobei Rudolf Wolters nach dem Diplom auch in dessen Privatatelier weiter arbeitete. Wolters las schöngeistige Literatur und blieb bis zu seinem Lebensende parteilos. Umso bemerkenswerter seine Karriere als eigentlicher Kopf der nationalsozialistischen Architekturpropaganda.

Hellsichtig schrieb der exilierte Sebastian Haffner im April 1944: "Speer ist keiner von diesen extravaganten und pittoresken Nazis. Ob er überhaupt andere politische Meinungen hat als die herkömmlichen, ist unbekannt. Er hätte jeder anderen politischen Partei beitreten können, die ihm einen Job und eine Karriere gegeben hätte. Die Hitlers und die Himmlers mögen wir loswerden, aber die Speers, was auch im einzelnen mit diesem besonderen Exemplar geschieht, werden lange unter uns sein." Mehr noch als Speer muss man sich Wolters als den Prototypen einer technokratischen Funktionselite vorstellen, die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ihre Stunde gekommen sah. Bereits 1937 wurde Wolters von Speer, dem "Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt", zum Abteilungsleiter in dessen Hauptamt I, später zu seinem Stellvertreter berufen. Zudem ernannte Joseph Goebbels ihn im Januar 1940 zum "Ausstellungskommissar", betraut mit der Organisation einer Propagandaschau, die die Größe nationalsozialistischer Architektur in der Welt verkünden sollte. Schließlich avancierte Wolters in der Organisation Todt (OT) zum Hauptabteilungsleiter für Kultur, Presse und Propaganda.

Obgleich er fraglos eine Art "spin doctor" in einem wichtigen Teilsystem des NS-Staates war, wurde Rudolf Wolters über Jahrzehnte hinweg in den einschlägigen Forschungsarbeiten kaum erwähnt - sieht man einmal von den längsschnittartigen Untersuchungen und Publikationen Werner Durths ab. Im vergangenen Jahr hat Jörn Düwel in zwei Veröffentlichungen ("Neue Städte für Stalin" und "Baukunst und Nationalsozialismus", letztere zusammen mit Niels Gutschow, beide bei DOM-Publisher erschienen) wichtige Stationen aus Wolters' Biographie beleuchet: zum einen dessen beruflichen Aufenthalt in der Sowjetunion im Jahr 1932, den er in einem Reisebericht verarbeitete.

Wolters beschreibt darin die Ambivalenz von Realität und Hoffnung sowie die Erkenntnis vom frühen Scheitern einer Idee, wobei seine Schilderungen keine hämische Abrechnung sind, sondern eine genaue Beobachtung von Propaganda und gesellschaftlichen Strukturen. Zum anderen die von ihm verantwortete Ausstellung "Neue Deutsche Baukunst", die zwischen 1940 und 1943 - während Deutschland Krieg führte - in mehreren europäischen Großstädten mit großem Erfolg gezeigt wurde. Die aufwendige Schau demonstrierte einen selbstbewussten Machtanspruch: Das nationalsozialistische Deutschland reklamierte damit im Rahmen einer Kulturkampagne seine Führung in Europa - vermittels seiner Architektur.

Von Albert Speer von jeder Verantwortung freigesprochen, lebte Rudolf Wolters nach 1945 unbehelligt in seiner Heimatstadt Coesfeld. Die seltsame Ambivalenz dieses Treueverhältnisses offenbarte sich erst in den sechziger Jahren. Wolters weihte auch sein Nachkriegsleben bruchlos dem ehemaligen Vorgesetzten. Speer, der als Kriegsverbrecher mehr als zwanzig Jahre in Spandau einsaß, wurde dort von seinem Adlatus mit Champagner und Beluga-Kaviar versorgt, während er auf Toilettenpapier seine Memoiren schrieb, die Wolters und seine Sekretärin und Geliebte mühevoll entzifferten und transkribierten. Zum Bruch kam es erst, als Speer dem Dritten Reich öffentlich abschwor und eine gewisse Mitschuld bekannte. Für Wolters kam dieses Geständnis einem Verrat an der gemeinsamen Sache gleich.

André Deschans Buch ist deshalb lesenswert, weil es anhand einer historischen Figur versucht, den Zusammenhang und die Wechselbeziehungen zwischen den Akteuren sowie die politischen Hintergründe der Architekten, die unter Hitler erfolgreich waren, zu analysieren. Der Autor möchte dazu beitragen, "einer zunehmenden Verherrlichung der aus dem Zusammenhang gelösten Architektur entgegenzuwirken und die langsam verblassende Kraft der Fakten wiederzubeleben und fortzuschreiben". Als zentrale Quelle diente ihm Wolters' Nachlass, der sich seit 2011 im Landesarchiv Berlin befindet. Dessen Auswertung zeigt, dass Wolters nicht nur eine Schlüsselrolle in der Baupolitik des Nationalsozialismus einnahm, sondern später auch ein Netzwerk von Architekten zum Aufbau der Bundesrepublik spannte. Zugleich korrigiert Deschan die historische Sicht auf Albert Speer.

Manche Aussage wünschte man sich zugespitzter, die ein oder andere Entwicklungslinie deutlicher herauspräpariert. Aber diese Art der biographischen Erkundung hat doch einen grundsätzlichen Wert: Wie jede Erfahrung verlangt auch die des Extrems nach Sinngebung, und Sinn entsteht immer erst aus Erzählungen - auch das Beispiel Wolters' zeigt, dass es die Wahrheit nicht nackt gibt, nur erzählt, verformt, überschrieben.

ROBERT KALTENBRUNNER.

André Deschan: "Im Schatten von Albert Speer". Der Architekt Rudolf Wolters.

Gebr. Mann Verlag, Berlin 2016. 290 S., zahlr. Abb., geb., 79,- [Euro].

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