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Von der Leichtigkeit eines Wiener Sommers 1914 - und dem drohenden Gewitter des Krieges im Paris der späten Dreißiger.
Es wird Frühjahr in Wien, und bei der jüdischen Familie des Schuhmachers Fischler wird ein Zimmer zur Untermiete frei. Der neue Mieter ist ein schüchterner, etwas verquerer Student aus Galizien. Sein Name: Joseph Roth.
Bald lernen Fanny, die ältere Tochter der Familie, und er sich kennen, und für die beiden beginnt ein heimlicher verliebter Sommer. Der allerdings endet in einer Trennung - und in geschichtlicher Dimension in einer Menschheitskatastrophe: Der Erste
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Produktbeschreibung
Von der Leichtigkeit eines Wiener Sommers 1914 - und dem drohenden Gewitter des Krieges im Paris der späten Dreißiger.

Es wird Frühjahr in Wien, und bei der jüdischen Familie des Schuhmachers Fischler wird ein Zimmer zur Untermiete frei. Der neue Mieter ist ein schüchterner, etwas verquerer Student aus Galizien. Sein Name: Joseph Roth.

Bald lernen Fanny, die ältere Tochter der Familie, und er sich kennen, und für die beiden beginnt ein heimlicher verliebter Sommer. Der allerdings endet in einer Trennung - und in geschichtlicher Dimension in einer Menschheitskatastrophe: Der Erste Weltkrieg bricht aus.

Lange Jahre werden die beiden sich nicht wiedersehen - bis es Fanny nach abenteuerlicher Flucht aus Wien 1938 nach Paris verschlägt, wo sie zufällig im Deutschen Hilfskommitee ihren ersten Sommerschwarm wiedertrifft. Roth ist inzwischen berühmter Schriftsteller geworden, befindet sich ebenfalls im Exil in Paris und gerade hat Irmgard Keun, seine letzte Geliebte, die Flucht vor ihm ergriffen. Fanny wird den cholerischen, mit sich und der Welt zerstrittenen charismatischen Autor, der in seinem Kreis Hof hält wie ein Fürst und doch gerade keinen Pfennig mehr hat, bis kurz vor seinem Tod begleiten.
Autorenporträt
Jan Koneffke, geboren 1960 in Darmstadt, studierte und arbeitete ab 1981 in Berlin. Nach seinem Villa-Massimo-Stipendium 1995 lebte er für weitere sieben Jahre in Rom und pendelt heute zwischen Wien, Bukarest und dem Karpatenort M¿neciu. Koneffke schreibt Romane, Lyrik, Kinderbücher, Essays und übersetzt aus dem Italienischen und Rumänischen. Er wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt dem Uwe-Johnson-Preis 2016. Zuletzt erschienen bei Galiani Ein Sonntagskind (2015), 2020 sein von der Presse gefeiertes Erzählkunststück Die Tsantsa-Memoiren.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nachdem Jan Koneffke erfahren hat, dass in seinem Wiener Haus einst auch der Schriftsteller Joseph Roth Quartier bezogen hatte, macht er ihn zur zentralen Person seines neuen Romans, erklärt Rezensent Stefan Michalzik. Die Ich-Erzählerin Fanny erzählt von ihrer Liebes- und Lebensgeschichte mit dem früh verstorbenen Roth, dessen Lügen über seine galizische Herkunft kommen ebenso zur Sprache wie die schwierigen Lebensumstände zwischen Erstem Weltkrieg und NS-Zeit und die Alkoholabhängigkeit Roths, erfahren wir. Im "gradlinig-klaren Erzählstil" schreibt Koneffke diese Geschichte von komplizierter Liebe und schicksalshaften Wiederbegegnungen, doch macht der Kritiker klar, dass sich der Autor dabei natürlich an die Biografie Roths halten muss und deswegen für bewanderte Leser wenig Neues dabeisein dürfte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2024

Sperrangelweit offene Sehnsucht

Jan Koneffke imaginiert in seinem Roman "Im Schatten zweier Sommer" eine Liebesaffäre des Schriftstellers Joseph Roth.

Roth fiel mir auf", erinnert sich der Schriftsteller Józef Wittlin an den jungen Mann, der sich im Sommersemester 1914 an der Wiener Universität als Hörer der germanistischen Fakultät einschrieb. "Er war sehr dünn, gepflegt, gut gekleidet. Sein blondes Haar trug er in der Mitte gescheitelt, es war immer mit Pomade glatt gekämmt. Er kam mir wie der klassische Typ eines Wiener Dandy aus Beamtenkreisen vor, ein sogenannter 'Gigerl'. In seinen schönen blauen Augen, die oft ironisch blickten, trug er ein Monokel." In Briefen und Notizen inszeniert sich Joseph Roth mal als Frauenheld und Draufgänger, um sich dann wieder distanziert zu geben. Letztlich wissen wir nicht allzu viel über sein Alltagsleben als Wiener Student - immerhin, dass er zunächst ein kleines Zimmer in der Rembrandtstraße 35, in der Leopoldstadt, anmietete.

Fast neunzig Jahre später schlägt, der Zufall will es so, an ebenjener Adresse im 2. Wiener Gemeindebezirk, der Autor Jan Koneffke seine Zelte auf. Nach sieben Jahren in Rom sucht er mit seiner rumänischen Frau einen Anker im deutschen Sprachraum. Die Wohnung im alten jüdischen Viertel Wiens, zwischen Augarten, Prater und Donaukanal, scheint ein Glücksgriff. Von seinem berühmten "Hausgenossen" liest Koneffke eher beiläufig, in Claudio Magris' "Donau". Ein Zufall, der die Phantasie in Gang setzt: Wie wäre es gewesen, diesen aus der Provinz in die Großstadt gekommenen Studenten im Stiegenhaus zu treffen? "Ich fragte mich", schreibt Koneffke in einer Nachbemerkung, "wie ich mit ihm ins Gespräch kommen könne, um Genaueres übers einen Wiener Beginn zu erfahren." Roth selbst gibt den entscheidenden Fingerzeig: "Die Liebe nämlich macht uns nicht blind, sondern, im Gegenteil, sehend", heißt es in "Beichte eines Mörders" (1936). Um den jungen Joseph Roth wirklich zu sehen, muss eine Liebesgeschichte her!

Deren Konstruktion ist so schlüssig, dass man sich für Momente verblüfft in einem erzählenden Sachbuch wähnt: In einem kurzen Prolog erinnert ein namenloser deutscher Icherzähler an seine Wiener Großtante Franziska Paulina Fischler, kurz Fanny, eine lebensfrohe Dame, die noch in hohem Alter mit ihrem aquamarinblauen Steyr-Puch den Ku'damm entlangheizt und mit Charme und Unerschrockenheit selbst Pankower Volkspolizisten schachmatt setzt. Eine grundsympathische Figur, mit der Koneffke der Widerstandskämpferin Irmgard Heydorn (1916 bis 2017), einer engen Freundin der Familie, abermals ein Denkmal setzt (Heydorn hatte 2015 schon das Vorbild für die Figur der Nelli Moosbach in Koneffkes Roman "Ein Sonntagskind" abgegeben). Als Fanny 2000 mit 103 Jahren stirbt, hinterlässt sie ihrem Großneffen ein Tagebuch von 1914 und zehn Audio-Kassetten mit Erinnerungen. Diese bilden die beiden Romanteile, die ein Zeitbild des letzten Sommers vor Ausbruch des Ersten und des vorletzten vor dem Zweiten Weltkrieg entfalten - und die fiktive Liebesgeschichte zwischen Fanny Fischler und Joseph Roth erzählen.

Im Tagebuch-Teil des Romans sieht der Leser den jungen zwischen Hochmut und Befangenheit oszillierenden "Zimmerherrn" - vulgo: Untermieter - mit den Augen der siebzehnjährigen Fanny, ein erzählerischer Kniff, mit dem Koneffke größtmögliche Unmittelbarkeit herstellt: Man sitzt quasi am "Kuchltisch" der sozialdemokratisch geprägten Schuhmacherfamilie Fischler und erlebt hautnah die wechselnden Stimmungen und die aufkeimende Zuneigung zwischen Fanny und "Muniu" (so der Familienkose- und Spitzname von Roth). Wien, die ahnungslos-friedliche Metropole der Monarchie, in der es nach "Hafer und Pferdemist, Jod und Karbidlampen, Bratmaroni und Schuhwichse, Kampfer und Leder" riecht, ist durch die gemeinsamen Ausflüge von Fanny und Joseph präsent, wie auch durch das Wienerisch der Tagebuchschreiberin, mit dem Koneffke ein wenig zu stark nachwürzt: Es wird gesempert, gebrottelt, geschmaundlt und gespechtelt, dass einem die Ohren klingen.

Am Tag des Attentats von Sarajevo kommt es auch in der sich noch zart anbahnenden Geschichte zwischen Fanny und Joseph zur Katastrophe: In der Grottenbahn am Wurstprater wird Muniu übergriffig. Die Beziehung bekommt einen Knacks, Roth zieht aus und mit seiner vor den russischen Truppen nach Wien geflüchteten Mutter zusammen. Es ist Krieg, und nichts anderes hat mehr Gewicht.

Nach einer abenteuerlichen Flucht kurz vorm "Anschluss" Österreichs trifft Fanny 1939 in Paris noch einmal auf ihre Jugendliebe - diesen Teil des Romans lässt Koneffke von seiner fiktiven Heldin selbst erzählen. Schauplatz ist das kleine Hôtel de la Poste im 6. Arrondissement, wenige Schritte vom Jardin du Luxembourg entfernt. Roths Tisch im zugehörigen Café Tournon ist Treffpunkt namentlich für österreichische Emigranten, in diesem Kreis lässt sich Fanny noch einmal in die Erinnerung an das "gute Vergangene" im jüdisch-kakanischen Wien fallen. Auf den kurzen Traum von der Wiedervereinigung mit der Jugendliebe folgt ein hartes Erwachen: "Ich liebte einen leidenden Menschen, der trotz seines Alters von erst 43 uralt war, den verfallenen Rest eines Mannes, ja, eine Ruine an Seele und Leib, in der nur noch sein scharfer und witziger Geist umging. Was Joseph von unserem Zimmerherrn trennte, war wesentlich mehr als ein Leben: ein Weltenbrand."

Im Kreis der Exilanten um Roth im Café Tournon mischt Koneffke historisches und erfundenes Personal, so haben etwa der Freund Soma Morgenstern ("Joseph Roths Flucht und Ende") und die Geliebte Andrea Manga Bell Gastauftritte. Da die Quellen aus dieser Phase von Roths Biographie reichlicher sprudeln, tauchen in Fannys Erinnerungen häufig verdeckte oder leicht verfremdete Zitate aus Prosa, Artikeln, Romanen oder Briefen des Schriftstellers auf. Dass sie unsere heutige Weltlage häufig auf den Kopf treffen, zeigt einmal mehr Roths Genialität.

Koneffke erzählt seine Geschichte einer versäumten Jugendliebe mitreißend. Die resolute Fanny, die sich ihre "sperrangelweit offene Sehnsucht" nie hat austreiben lassen, steht einem ebenso plastisch vor Augen wie der zur Romanfigur werdende historische Roth. Auffällig allerdings, dass die schwärmerische Siebzehnjährige ("Jesus, es ist eine Woche vergangen und ich fand keine Zeit zum Hereinschreiben") nach ein paar Seiten im Backfisch-Ton fast so klingt wie ihr um Jahrzehnte reiferes Alter Ego, das komplette Dialogkaskaden aus dem Café Tournon ohne Punkt und Komma memoriert: Beide sind sie, wenn man so will, raunende Beschwörerinnen des Imperfekts.

Ist dann andererseits der zuweilen tiefe Griff in den Instrumentenkoffer der Trivialliteratur plausibler Figurenrede geschuldet oder Fanny eine notorische Leserin von Lore-Romanen? Bei wimpernschlagkurzen Begegnungen mit historischen Nebenfiguren wie Roths späterer Ehefrau Friederike Reichler (die 1940 von den Nazis ermordet wird) oder der Geliebten Irmgard Keun ("Es erweckte den Anschein, als ob sie Bescheid wisse, was sie vom Leben verlangen konnte") wird hemmungslos drauflospsychologisiert. Ein "SS-Mann in blitzblanken Stiefeln", der Fanny kontrolliert, hat, selbstverständlich, eine "Reitpeitsche in seinen fleischigen Fingern" - während der ansehnliche Dr. Maximilian Sasse, kurz nach Joseph Roths Beerdigung, in Fannys Herzen "vor allem den Platz eines Bruders" einnimmt. Der Arzt wird später ihr Ehemann. An solchen Stellen fühlt man sich als Leser wie die junge Fanny auf dem Prater-Riesenrad: "Es huscherlte mir, ich bekam eine Ganslhaut." NILS KAHLEFENDT

Jan Koneffke: "Im Schatten zweier Sommer". Roman.

Galiani Verlag,

Berlin 2024.

298 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Es ist eine Qualität dieses Romans, dass er Ambivalenzen der Liebe greifbar zu machen versteht. Stefan Michalzik Frankfurter Rundschau 20240505
Sperrangelweit offene Sehnsucht

Jan Koneffke imaginiert in seinem Roman "Im Schatten zweier Sommer" eine Liebesaffäre des Schriftstellers Joseph Roth.

Roth fiel mir auf", erinnert sich der Schriftsteller Józef Wittlin an den jungen Mann, der sich im Sommersemester 1914 an der Wiener Universität als Hörer der germanistischen Fakultät einschrieb. "Er war sehr dünn, gepflegt, gut gekleidet. Sein blondes Haar trug er in der Mitte gescheitelt, es war immer mit Pomade glatt gekämmt. Er kam mir wie der klassische Typ eines Wiener Dandy aus Beamtenkreisen vor, ein sogenannter 'Gigerl'. In seinen schönen blauen Augen, die oft ironisch blickten, trug er ein Monokel." In Briefen und Notizen inszeniert sich Joseph Roth mal als Frauenheld und Draufgänger, um sich dann wieder distanziert zu geben. Letztlich wissen wir nicht allzu viel über sein Alltagsleben als Wiener Student - immerhin, dass er zunächst ein kleines Zimmer in der Rembrandtstraße 35, in der Leopoldstadt, anmietete.

Fast neunzig Jahre später schlägt, der Zufall will es so, an ebenjener Adresse im 2. Wiener Gemeindebezirk, der Autor Jan Koneffke seine Zelte auf. Nach sieben Jahren in Rom sucht er mit seiner rumänischen Frau einen Anker im deutschen Sprachraum. Die Wohnung im alten jüdischen Viertel Wiens, zwischen Augarten, Prater und Donaukanal, scheint ein Glücksgriff. Von seinem berühmten "Hausgenossen" liest Koneffke eher beiläufig, in Claudio Magris' "Donau". Ein Zufall, der die Phantasie in Gang setzt: Wie wäre es gewesen, diesen aus der Provinz in die Großstadt gekommenen Studenten im Stiegenhaus zu treffen? "Ich fragte mich", schreibt Koneffke in einer Nachbemerkung, "wie ich mit ihm ins Gespräch kommen könne, um Genaueres übers einen Wiener Beginn zu erfahren." Roth selbst gibt den entscheidenden Fingerzeig: "Die Liebe nämlich macht uns nicht blind, sondern, im Gegenteil, sehend", heißt es in "Beichte eines Mörders" (1936). Um den jungen Joseph Roth wirklich zu sehen, muss eine Liebesgeschichte her!

Deren Konstruktion ist so schlüssig, dass man sich für Momente verblüfft in einem erzählenden Sachbuch wähnt: In einem kurzen Prolog erinnert ein namenloser deutscher Icherzähler an seine Wiener Großtante Franziska Paulina Fischler, kurz Fanny, eine lebensfrohe Dame, die noch in hohem Alter mit ihrem aquamarinblauen Steyr-Puch den Ku'damm entlangheizt und mit Charme und Unerschrockenheit selbst Pankower Volkspolizisten schachmatt setzt. Eine grundsympathische Figur, mit der Koneffke der Widerstandskämpferin Irmgard Heydorn (1916 bis 2017), einer engen Freundin der Familie, abermals ein Denkmal setzt (Heydorn hatte 2015 schon das Vorbild für die Figur der Nelli Moosbach in Koneffkes Roman "Ein Sonntagskind" abgegeben). Als Fanny 2000 mit 103 Jahren stirbt, hinterlässt sie ihrem Großneffen ein Tagebuch von 1914 und zehn Audio-Kassetten mit Erinnerungen. Diese bilden die beiden Romanteile, die ein Zeitbild des letzten Sommers vor Ausbruch des Ersten und des vorletzten vor dem Zweiten Weltkrieg entfalten - und die fiktive Liebesgeschichte zwischen Fanny Fischler und Joseph Roth erzählen.

Im Tagebuch-Teil des Romans sieht der Leser den jungen zwischen Hochmut und Befangenheit oszillierenden "Zimmerherrn" - vulgo: Untermieter - mit den Augen der siebzehnjährigen Fanny, ein erzählerischer Kniff, mit dem Koneffke größtmögliche Unmittelbarkeit herstellt: Man sitzt quasi am "Kuchltisch" der sozialdemokratisch geprägten Schuhmacherfamilie Fischler und erlebt hautnah die wechselnden Stimmungen und die aufkeimende Zuneigung zwischen Fanny und "Muniu" (so der Familienkose- und Spitzname von Roth). Wien, die ahnungslos-friedliche Metropole der Monarchie, in der es nach "Hafer und Pferdemist, Jod und Karbidlampen, Bratmaroni und Schuhwichse, Kampfer und Leder" riecht, ist durch die gemeinsamen Ausflüge von Fanny und Joseph präsent, wie auch durch das Wienerisch der Tagebuchschreiberin, mit dem Koneffke ein wenig zu stark nachwürzt: Es wird gesempert, gebrottelt, geschmaundlt und gespechtelt, dass einem die Ohren klingen.

Am Tag des Attentats von Sarajevo kommt es auch in der sich noch zart anbahnenden Geschichte zwischen Fanny und Joseph zur Katastrophe: In der Grottenbahn am Wurstprater wird Muniu übergriffig. Die Beziehung bekommt einen Knacks, Roth zieht aus und mit seiner vor den russischen Truppen nach Wien geflüchteten Mutter zusammen. Es ist Krieg, und nichts anderes hat mehr Gewicht.

Nach einer abenteuerlichen Flucht kurz vorm "Anschluss" Österreichs trifft Fanny 1939 in Paris noch einmal auf ihre Jugendliebe - diesen Teil des Romans lässt Koneffke von seiner fiktiven Heldin selbst erzählen. Schauplatz ist das kleine Hôtel de la Poste im 6. Arrondissement, wenige Schritte vom Jardin du Luxembourg entfernt. Roths Tisch im zugehörigen Café Tournon ist Treffpunkt namentlich für österreichische Emigranten, in diesem Kreis lässt sich Fanny noch einmal in die Erinnerung an das "gute Vergangene" im jüdisch-kakanischen Wien fallen. Auf den kurzen Traum von der Wiedervereinigung mit der Jugendliebe folgt ein hartes Erwachen: "Ich liebte einen leidenden Menschen, der trotz seines Alters von erst 43 uralt war, den verfallenen Rest eines Mannes, ja, eine Ruine an Seele und Leib, in der nur noch sein scharfer und witziger Geist umging. Was Joseph von unserem Zimmerherrn trennte, war wesentlich mehr als ein Leben: ein Weltenbrand."

Im Kreis der Exilanten um Roth im Café Tournon mischt Koneffke historisches und erfundenes Personal, so haben etwa der Freund Soma Morgenstern ("Joseph Roths Flucht und Ende") und die Geliebte Andrea Manga Bell Gastauftritte. Da die Quellen aus dieser Phase von Roths Biographie reichlicher sprudeln, tauchen in Fannys Erinnerungen häufig verdeckte oder leicht verfremdete Zitate aus Prosa, Artikeln, Romanen oder Briefen des Schriftstellers auf. Dass sie unsere heutige Weltlage häufig auf den Kopf treffen, zeigt einmal mehr Roths Genialität.

Koneffke erzählt seine Geschichte einer versäumten Jugendliebe mitreißend. Die resolute Fanny, die sich ihre "sperrangelweit offene Sehnsucht" nie hat austreiben lassen, steht einem ebenso plastisch vor Augen wie der zur Romanfigur werdende historische Roth. Auffällig allerdings, dass die schwärmerische Siebzehnjährige ("Jesus, es ist eine Woche vergangen und ich fand keine Zeit zum Hereinschreiben") nach ein paar Seiten im Backfisch-Ton fast so klingt wie ihr um Jahrzehnte reiferes Alter Ego, das komplette Dialogkaskaden aus dem Café Tournon ohne Punkt und Komma memoriert: Beide sind sie, wenn man so will, raunende Beschwörerinnen des Imperfekts.

Ist dann andererseits der zuweilen tiefe Griff in den Instrumentenkoffer der Trivialliteratur plausibler Figurenrede geschuldet oder Fanny eine notorische Leserin von Lore-Romanen? Bei wimpernschlagkurzen Begegnungen mit historischen Nebenfiguren wie Roths späterer Ehefrau Friederike Reichler (die 1940 von den Nazis ermordet wird) oder der Geliebten Irmgard Keun ("Es erweckte den Anschein, als ob sie Bescheid wisse, was sie vom Leben verlangen konnte") wird hemmungslos drauflospsychologisiert. Ein "SS-Mann in blitzblanken Stiefeln", der Fanny kontrolliert, hat, selbstverständlich, eine "Reitpeitsche in seinen fleischigen Fingern" - während der ansehnliche Dr. Maximilian Sasse, kurz nach Joseph Roths Beerdigung, in Fannys Herzen "vor allem den Platz eines Bruders" einnimmt. Der Arzt wird später ihr Ehemann. An solchen Stellen fühlt man sich als Leser wie die junge Fanny auf dem Prater-Riesenrad: "Es huscherlte mir, ich bekam eine Ganslhaut." NILS KAHLEFENDT

Jan Koneffke: "Im Schatten zweier Sommer". Roman.

Galiani Verlag,

Berlin 2024.

298 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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