Ein großer Roman über Schuld, Moral und Verantwortung Als der Rechtsanwalt Jon Baeksgaard und seine israelische Lebensgefährtin Eve Lettermann am frühen Morgen des 11. September wie Millionen andere New Yorker zur Arbeit gehen, ahnen sie nicht, in welches die Welt erschütternde Ereignis sie geraten würden. Jon ist unterwegs zu seiner ersten Begegnung mit dem muslimischen Mandanten Ifrahim Mohammed, der wegen Mordes an einem jüdischen Juwelier angeklagt ist. Eve auf dem Weg zu ihrem Büro, wo sie für eine große amerikanische Immobilienfirma arbeitet - und das sich in der 84. Etage des Südturms des World Trade Centers befindet ... Stig Dalager zeichnet ein beeindruckendes Bild der dunklen Atmosphäre, die in den Monaten nach dem Terrorangriff über New York liegt und darüber, wie schwierig es für die Menschen nach diesem Ereignis ist, ihr Leben zu werten und ethisch zu handeln. "Wie Don deLillo und John Updike gelingt es Dalager, dem Unbegreiflichen und Unbeschreiblichen des katastrophalen Angriffs ein Gesicht zu geben." Politiken
"Ein Politikthriller erster Güte in intensiver Sprache eindringlich und sensibel erzählt." (Eberhard Reimann, Neues Deutschland, 28. November 2009)
"Stig Dalager gelingt es, die bedrückende, gespenstische, unwirkliche und phasenweise groteske Lage in den Wochen nach dem 11. September, in denen Bush seinen gnadenlosen Auge-um-auge-Zahn-um-Zahn-Krieg gegen den Terror und den Patriot Act verkündet, (...) von hypnotisierender Intensität zu beschreiben." (Alexandra Hagenguth, Schwedenkrimi.de, 30. Oktober 2009)
"Stig Dalager gelingt es, die bedrückende, gespenstische, unwirkliche und phasenweise groteske Lage in den Wochen nach dem 11. September, in denen Bush seinen gnadenlosen Auge-um-auge-Zahn-um-Zahn-Krieg gegen den Terror und den Patriot Act verkündet, (...) von hypnotisierender Intensität zu beschreiben." (Alexandra Hagenguth, Schwedenkrimi.de, 30. Oktober 2009)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2010Ein archimedischer Punkt für die Weltgeschichte
Stig Dalagers Roman „Im Schattenland” bringt die Gewaltexzesse der letzten Jahrzehnte im politischen Thriller zusammen
Schon auf den ersten Seiten seines neuen Romans zieht Stig Dalager alle Register. Sein Buch beginnt am Morgen des 11. September 2001 in Manhattan. Zwei erfolgreiche junge Menschen, Jon Baeksgaard und seine Freundin Eve Lettermann, machen sich auf den Weg zur Arbeit, er in seine Anwaltskanzlei im East Village, sie in eine Immobilienfirma im Südturm des World Trade Center. Natürlich weiß jeder, was gleich passieren wird. Und so steht kurz vor Seite 50 mit einem Mal die Zeit still. Eine lange Liste hält noch einmal fest, was in diesem Moment in den Straßen und Häusern des südlichen Manhattan alles gleichzeitig passiert. Dann schlägt das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Center ein. Nun rasende Bewegung: Eve und ihre Kollegen fliehen aus ihren Büros, wiegen sich in falscher Sicherheit, kehren an ihre Schreibtische zurück, versuchen zu begreifen, was passiert, bis das zweite Flugzeug angreift. Schwer verletzt rettet sich Eve im letzten Moment aus dem einstürzenden Südturm. Ende der Ouvertüre.
Sobald sich Rauch und Staub von Ground Zero verzogen haben, setzt die eigentliche, die erfundene Romanhandlung ein. Jon Baeksgaard hatte just am Morgen jenes Schicksalstags ein erstes Gespräch mit einem neuen Mandanten: einem Muslim, dringend verdächtigt, einen jüdischen Juwelier ausgeraubt und ermordet zu haben. Weil er sich auf einen schwierigen Prozess gefasst macht, sollte Eve am nächsten Tag allein nach Jerusalem fliegen. Dort sehnte deren alter Vater, ehemaliger Auschwitz-Häftling, ein vielleicht letztes Treffen mit seiner Tochter herbei. Nun liegt sie mit lebensgefährlichen Brandwunden im Krankenhaus. Während die Ärzte um ihr Leben kämpfen, schlüpft Baeksgaard in die Rolle des Kommissars, der die Spur eines Verbrechers aufnimmt.
Will man in diesen Wochen und Monaten die Unschuld eines muslimischen Angeklagten beweisen, ist auf die staatlichen Instanzen kein Verlass. Bei seinen Ermittlungen stößt Baeksgaard auf die Attentatspläne einer islamistischen Zelle, vernetzt mit Hamas und al-Qaida. In seinem einsamen Kampf für das Recht vergisst er jede Vorsicht. Er wird verfolgt, eine Kollegin stirbt im Kugelhagel arabischer Extremisten, daran ist er nicht unschuldig. Die CIA will den unerschrockenen Kämpfer unter ihre Fittiche nehmen, doch Baeksgaard will sich nicht von den Handlangern eines George W. Bush korrumpieren lassen. Es kommt zu einem letzten Showdown in einer U-Bahnstation, den er nur knapp überlebt – Schnitt – das annus horribilis 2001 ist zu Ende. Eve wird aus dem Krankenhaus entlassen und gemeinsam reisen die beiden nun endlich nach Israel. Für
Baeksgaard freilich keine Familienreise, sondern die Chance zu einem Abstecher in die Palästinensergebiete, wo er den Drahtzieher der von ihm aufgedeckten Verschwörung vermutet . . .
Haarsträubend? Allerdings. Und trotzdem liest man dieses Buch an zwei oder drei Abenden, ohne sich von durchaus naheliegenden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Figuren oder an der Plausibilität des Plots irritieren zu lassen. Ein Sog zieht durch die Handlung, und einen Teil seiner Kraft gewinnt er aus der handwerklichen Perfektion Dalagers. Bei der Schilderung von Eves Flucht aus dem kollabierenden Südturm etwa setzt er eine ungeheuere Fülle intensiver Geräusche, Gerüche und Farben ein, ohne die Zerstörung um der Zerstörung willen zu zelebrieren. Der Leser glaubt sich mitten im Geschehen, ohne von ihm bedroht zu werden. Gut 300 Seiten lang gehört er zur verschworenen Gemeinschaft jener, die den 11. September 2001 in New York überlebt haben.
Auf die nun drängende Frage, von wo der Wahnsinn der Attentäter seinen Ausgang genommen hat, verspricht Dalager zumindest eine literarische Antwort – und das ist ein Angebot, das kaum ein Leser wird ausschlagen wollen. Er schickt Baeksgaard in einen jener Hinterhöfe, wo extremistische Islamisten ihre Anschläge planen. Auf der Suche nach dem Unschuldsbeweis für seinen Mandanten stößt er auf Spuren, die nach Afghanistan, Europa und Palästina weisen. Gleichzeitig erfahren wir immer mehr Details aus den Familiengeschichten einiger Haupt- und Nebenfiguren. Und so kommten nicht nur Auschwitz, Jerusalem und Hebron, sondern auch Deutschland oder das Saigon der letzten Tage des Vietnamkriegs ins Spiel. Damit sind fast alle wichtigen Schauplätze der jüngeren Gewaltgeschichte aufgerufen. Die New Yorker Anschläge rücken in einen Zusammenhang, der, so finster er auch sein mag, den Schrecken der singulären Zerstörungstat erst einmal mildert.
Mehr noch: Die Erzählstränge, die Dalager vom malträtierten Manhattan aus nach Europa und in den Nahen und Mittleren Osten auswirft, ersetzen eine Erklärung des Schreckens, nach der wir alle suchen, die aber in der Wirklichkeit nicht zu finden ist. Dalager stellt all die verschiedenen Geschichten in seinem Roman ganz eng nebeneinander, und so kann wenigstens die literarische Phantasie des Lesers ausprobieren, wie sich eine Welt anfühlt, deren Geschichte sich von einem archimedischen Punkt aus erzählen und verstehen lässt. Die Wirklichkeit ist disparat und widersprüchlich. Auf die Frage, wo das Übel seinen Ausgang nimmt, schweigt sie beharrlich.
So lässt sich vielleicht verstehen, warum politische Thriller seit Jahren Erfolge feiern, während gleichzeitig das traditionelle politische Sachbuch schwächelt. Die Figur des mutigen, moralisch integren Kommissars lockt mit dem Versprechen, die zerrissenen Weltläufte wieder in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. An den glauben wir aus guten Gründen schon längst nicht mehr, ihn vermissen wir aber trotzdem. Da kommen Geschichten, wie sie Dalager erzählt, gerade recht: Perfekt gemachte Unterhaltung im Gewande politisch-historischer Aufklärung. TOBIAS HEYL
STIG DALAGER: Im Schattenland. Roman. Aus d. Dänischen von Heinz Kulas und Jette Mez. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009, 336 S, 19,95 Euro.
Wo das traditionelle Sachbuch schwächelt, triumphiert heute der politische Thriller . . . und er beginnt kühn im annus horribilis, am 11. September 2001 in New York Shannon Stapleton/Reflexenews/E-Lance Media/Getty
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Stig Dalagers Roman „Im Schattenland” bringt die Gewaltexzesse der letzten Jahrzehnte im politischen Thriller zusammen
Schon auf den ersten Seiten seines neuen Romans zieht Stig Dalager alle Register. Sein Buch beginnt am Morgen des 11. September 2001 in Manhattan. Zwei erfolgreiche junge Menschen, Jon Baeksgaard und seine Freundin Eve Lettermann, machen sich auf den Weg zur Arbeit, er in seine Anwaltskanzlei im East Village, sie in eine Immobilienfirma im Südturm des World Trade Center. Natürlich weiß jeder, was gleich passieren wird. Und so steht kurz vor Seite 50 mit einem Mal die Zeit still. Eine lange Liste hält noch einmal fest, was in diesem Moment in den Straßen und Häusern des südlichen Manhattan alles gleichzeitig passiert. Dann schlägt das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Center ein. Nun rasende Bewegung: Eve und ihre Kollegen fliehen aus ihren Büros, wiegen sich in falscher Sicherheit, kehren an ihre Schreibtische zurück, versuchen zu begreifen, was passiert, bis das zweite Flugzeug angreift. Schwer verletzt rettet sich Eve im letzten Moment aus dem einstürzenden Südturm. Ende der Ouvertüre.
Sobald sich Rauch und Staub von Ground Zero verzogen haben, setzt die eigentliche, die erfundene Romanhandlung ein. Jon Baeksgaard hatte just am Morgen jenes Schicksalstags ein erstes Gespräch mit einem neuen Mandanten: einem Muslim, dringend verdächtigt, einen jüdischen Juwelier ausgeraubt und ermordet zu haben. Weil er sich auf einen schwierigen Prozess gefasst macht, sollte Eve am nächsten Tag allein nach Jerusalem fliegen. Dort sehnte deren alter Vater, ehemaliger Auschwitz-Häftling, ein vielleicht letztes Treffen mit seiner Tochter herbei. Nun liegt sie mit lebensgefährlichen Brandwunden im Krankenhaus. Während die Ärzte um ihr Leben kämpfen, schlüpft Baeksgaard in die Rolle des Kommissars, der die Spur eines Verbrechers aufnimmt.
Will man in diesen Wochen und Monaten die Unschuld eines muslimischen Angeklagten beweisen, ist auf die staatlichen Instanzen kein Verlass. Bei seinen Ermittlungen stößt Baeksgaard auf die Attentatspläne einer islamistischen Zelle, vernetzt mit Hamas und al-Qaida. In seinem einsamen Kampf für das Recht vergisst er jede Vorsicht. Er wird verfolgt, eine Kollegin stirbt im Kugelhagel arabischer Extremisten, daran ist er nicht unschuldig. Die CIA will den unerschrockenen Kämpfer unter ihre Fittiche nehmen, doch Baeksgaard will sich nicht von den Handlangern eines George W. Bush korrumpieren lassen. Es kommt zu einem letzten Showdown in einer U-Bahnstation, den er nur knapp überlebt – Schnitt – das annus horribilis 2001 ist zu Ende. Eve wird aus dem Krankenhaus entlassen und gemeinsam reisen die beiden nun endlich nach Israel. Für
Baeksgaard freilich keine Familienreise, sondern die Chance zu einem Abstecher in die Palästinensergebiete, wo er den Drahtzieher der von ihm aufgedeckten Verschwörung vermutet . . .
Haarsträubend? Allerdings. Und trotzdem liest man dieses Buch an zwei oder drei Abenden, ohne sich von durchaus naheliegenden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Figuren oder an der Plausibilität des Plots irritieren zu lassen. Ein Sog zieht durch die Handlung, und einen Teil seiner Kraft gewinnt er aus der handwerklichen Perfektion Dalagers. Bei der Schilderung von Eves Flucht aus dem kollabierenden Südturm etwa setzt er eine ungeheuere Fülle intensiver Geräusche, Gerüche und Farben ein, ohne die Zerstörung um der Zerstörung willen zu zelebrieren. Der Leser glaubt sich mitten im Geschehen, ohne von ihm bedroht zu werden. Gut 300 Seiten lang gehört er zur verschworenen Gemeinschaft jener, die den 11. September 2001 in New York überlebt haben.
Auf die nun drängende Frage, von wo der Wahnsinn der Attentäter seinen Ausgang genommen hat, verspricht Dalager zumindest eine literarische Antwort – und das ist ein Angebot, das kaum ein Leser wird ausschlagen wollen. Er schickt Baeksgaard in einen jener Hinterhöfe, wo extremistische Islamisten ihre Anschläge planen. Auf der Suche nach dem Unschuldsbeweis für seinen Mandanten stößt er auf Spuren, die nach Afghanistan, Europa und Palästina weisen. Gleichzeitig erfahren wir immer mehr Details aus den Familiengeschichten einiger Haupt- und Nebenfiguren. Und so kommten nicht nur Auschwitz, Jerusalem und Hebron, sondern auch Deutschland oder das Saigon der letzten Tage des Vietnamkriegs ins Spiel. Damit sind fast alle wichtigen Schauplätze der jüngeren Gewaltgeschichte aufgerufen. Die New Yorker Anschläge rücken in einen Zusammenhang, der, so finster er auch sein mag, den Schrecken der singulären Zerstörungstat erst einmal mildert.
Mehr noch: Die Erzählstränge, die Dalager vom malträtierten Manhattan aus nach Europa und in den Nahen und Mittleren Osten auswirft, ersetzen eine Erklärung des Schreckens, nach der wir alle suchen, die aber in der Wirklichkeit nicht zu finden ist. Dalager stellt all die verschiedenen Geschichten in seinem Roman ganz eng nebeneinander, und so kann wenigstens die literarische Phantasie des Lesers ausprobieren, wie sich eine Welt anfühlt, deren Geschichte sich von einem archimedischen Punkt aus erzählen und verstehen lässt. Die Wirklichkeit ist disparat und widersprüchlich. Auf die Frage, wo das Übel seinen Ausgang nimmt, schweigt sie beharrlich.
So lässt sich vielleicht verstehen, warum politische Thriller seit Jahren Erfolge feiern, während gleichzeitig das traditionelle politische Sachbuch schwächelt. Die Figur des mutigen, moralisch integren Kommissars lockt mit dem Versprechen, die zerrissenen Weltläufte wieder in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. An den glauben wir aus guten Gründen schon längst nicht mehr, ihn vermissen wir aber trotzdem. Da kommen Geschichten, wie sie Dalager erzählt, gerade recht: Perfekt gemachte Unterhaltung im Gewande politisch-historischer Aufklärung. TOBIAS HEYL
STIG DALAGER: Im Schattenland. Roman. Aus d. Dänischen von Heinz Kulas und Jette Mez. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009, 336 S, 19,95 Euro.
Wo das traditionelle Sachbuch schwächelt, triumphiert heute der politische Thriller . . . und er beginnt kühn im annus horribilis, am 11. September 2001 in New York Shannon Stapleton/Reflexenews/E-Lance Media/Getty
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Am 11. September des Jahrs 2001 nimmt dieser neue Thriller von Stig Dalander seinen Ausgang. Und dann geht es erst so richtig los mit der Hineinmischung mehr oder weniger aller Konflikte unserer Zeit ins Geschehen, verspricht Rezensent Tobias Heyl. Politik und Familiengeschichte werden am roten Faden eines Ehepaares zusammengeführt; die Ehefrau überlebt die Anschläge, im World Trade Center arbeitend, knapp; der Ehemann verteidigt als Anwalt einen Muslim. Immer verwickelter und figurenreicher wird von da aus offenbar das Geschehen. Ja, das könne man durchaus "haarsträubend" finden. Trotzdem aber - und ein bisschen auch deshalb - hat Dalander, versichert der Rezensent, hier einen mitreißenden Thriller verfasst, über dessen gelegentlich mangelnde Plausibilität man mit angehaltenem Atem hinweglese. Und das Verlockende an Romanen wie diesem sei ja gerade, dass man hier vom Autor Übersicht über das ganze Weltlagendurcheinander der Gegenwart geliefert bekomme. "Perfekt gemachte Unterhaltung" sei dies darum in jedem Fall.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2010Ein Tag im September
Was Bin Ladin träumt: Stig Dalagers "Im Schattenland"
Wohl über kaum ein Ereignis der Zeitgeschichte wurde so viel geschrieben wie über den 11. September. Zu den unzähligen Dokumentationen und Reportagen ist längst auch ein wachsender Stapel an literarischen Werken hinzugekommen, in denen die Anschläge und ihre Folgen mit fiktionalen Mitteln verarbeitet werden, darunter Romane von John Updike, Don DeLillo und Jonathan Safran Foer. Bezeichnenderweise gehören zu den überzeugenderen Texten gerade jene, die sich mehr mit der mentalen Befindlichkeit in Zeiten des Terrors beschäftigen als mit dem Ereignis selbst, wie Ian McEwans "Saturday" oder Katharina Hackers "Die Habenichtse". Für literarische Wiederholungen der von der medialen Endlosschleife eingebrannten Bilder der einstürzenden Türme und mit Asche bedeckten New Yorker scheint es noch zu früh.
Dass sich Stig Dalager nun doch daran versucht, überrascht indes kaum, betrachtet man sein bisheriges Werk. Wer in seiner Autorenkarriere schon die Innensicht eines Juden im Warschauer Getto eingenommen hat ("David's Story", 1995) oder gar die Hitlers ("Zwei Tage im Juli", 2005), sollte, wenn es darum geht, die letzten Gedanken eines Terroristen im Flugzeug oder die Panik einer Angestellten im brennenden WTC zu schildern, keine Skrupel mehr entwickeln.
Immerhin gelingt es dem dänischen Autor eindrucksvoll, den Leser in das Inferno der Türme mitzunehmen. In seinem ambitionierten, durchgehend im Präsens gehaltenen Politthriller voller Perspektivwechsel arbeitet Eve Letterman in einer Maklerfirma in der sechsundachtzigsten Etage des Südturms - direkt über der zweiten Einschlagstelle. Eve hat das Glück, die einzige noch begehbare Treppe zu finden, auf der sich einige wenige aus den oberen Etagen durch das Feuer retten konnten.
Irgendwo auf der vierundsiebzigsten Etage wird sie bewusstlos und von Jon Baeksgaard mit schweren Verbrennungen gefunden, ihrem aus der Nachbarschaft herbeigeeilten Lebensgefährten. Er schafft es, Eve rechtzeitig aus dem Gebäude zu tragen, eine filmreife Leistung, wenn man bedenkt, dass zwischen erstem Einschlag und Einsturz des Südturms nur dreiundsiebzig Minuten vergingen. Baeksgaard, ein Anwalt "für aussichtslose Fälle", war schon in zwei früheren Romanen Dalagers Protagonist, zuletzt in "Das Labyrinth" (deutsch 2007), als er im Wien der Briefbomben-Ära NS-Kriegsverbrecher jagte und dabei sich und seine Familie in Lebensgefahr brachte. Mit seinem rücksichtslosen Einsatz für das Gute verkörpert Baeksgaard die moralische Zerrissenheit und Verzweiflung aufgeklärter Zeitgenossen in der globalisierten Gegenwart, eine durchaus interessante Figur.
Während Eve im Krankenhaus um ihr Leben kämpft, stürzt sich Jon, sein eigenes Trauma ignorierend, wieder in die Arbeit. In der Terrorhysterie in den Wochen nach dem Anschlag setzt er sich für einen muslimischen Mandanten ein, der einen jüdischen Juwelier ermordet haben soll, und behauptet, von einem weiteren Anschlag zu wissen. Dass Jon bereit ist, eher sein Leben und das seiner Mitarbeiter zu riskieren, als das FBI einzuschalten, lässt am Ende nicht nur die Behörden den Kopf schütteln, die den Anwalt bald mit Bushs Entweder-oder-Rhetorik unter Druck setzen. Der streckenweise spannend erzählte Plot leidet an einem dramaturgischen Fehler: Das noch ausstehende fiktive Attentat auf eine New Yorker U-Bahn-Station wirkt auf den Leser, nachdem er eben noch einmal den größten Anschlag der Geschichte miterlebt hat, zwangsläufig unbedeutender, als es diesem Vorhaben zukommen sollte. Problematischer ist freilich, das Dalager auf 330 Seiten alles zusammenrührt, was die jüngere Geschichte und die Weltgesellschaft an Konflikten hergeben, vom Vietnam-Krieg bis zum Palästina-Konflikt. Zuletzt fliegt das Paar sogar nach Israel, damit Jon auf der Westbank den letzten geflohenen Terroristen identifizieren kann, natürlich unter israelischem Geschützfeuer.
Wem das nicht reicht, für den schildert der Autor ausführlich, wie die Figuren sich in ihren Träumen in andere Personen hineinversetzten, die Spanne reicht dabei von Petrus bis Osama Bin Ladin, über den es da heißt: "Seine Knochen und Wunden schmerzen, er friert, ganz gleich, mit wie vielen Kamelhaardecken er sich zudeckt, hält die Kälte ihn gefangen und kann er nicht schlafen . . . Die Steinhöhle ist hart und leer, genauso wie die Welt in seinem Herzen." Das klingt ja fast so, wie man sich den Kerl immer vorgestellt hat.
OLIVER PFOHLMANN
Stig Dalager: "Im Schattenland". Roman. Aus dem Dänischen von Heinz Kulas und Jette Mez. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 336 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was Bin Ladin träumt: Stig Dalagers "Im Schattenland"
Wohl über kaum ein Ereignis der Zeitgeschichte wurde so viel geschrieben wie über den 11. September. Zu den unzähligen Dokumentationen und Reportagen ist längst auch ein wachsender Stapel an literarischen Werken hinzugekommen, in denen die Anschläge und ihre Folgen mit fiktionalen Mitteln verarbeitet werden, darunter Romane von John Updike, Don DeLillo und Jonathan Safran Foer. Bezeichnenderweise gehören zu den überzeugenderen Texten gerade jene, die sich mehr mit der mentalen Befindlichkeit in Zeiten des Terrors beschäftigen als mit dem Ereignis selbst, wie Ian McEwans "Saturday" oder Katharina Hackers "Die Habenichtse". Für literarische Wiederholungen der von der medialen Endlosschleife eingebrannten Bilder der einstürzenden Türme und mit Asche bedeckten New Yorker scheint es noch zu früh.
Dass sich Stig Dalager nun doch daran versucht, überrascht indes kaum, betrachtet man sein bisheriges Werk. Wer in seiner Autorenkarriere schon die Innensicht eines Juden im Warschauer Getto eingenommen hat ("David's Story", 1995) oder gar die Hitlers ("Zwei Tage im Juli", 2005), sollte, wenn es darum geht, die letzten Gedanken eines Terroristen im Flugzeug oder die Panik einer Angestellten im brennenden WTC zu schildern, keine Skrupel mehr entwickeln.
Immerhin gelingt es dem dänischen Autor eindrucksvoll, den Leser in das Inferno der Türme mitzunehmen. In seinem ambitionierten, durchgehend im Präsens gehaltenen Politthriller voller Perspektivwechsel arbeitet Eve Letterman in einer Maklerfirma in der sechsundachtzigsten Etage des Südturms - direkt über der zweiten Einschlagstelle. Eve hat das Glück, die einzige noch begehbare Treppe zu finden, auf der sich einige wenige aus den oberen Etagen durch das Feuer retten konnten.
Irgendwo auf der vierundsiebzigsten Etage wird sie bewusstlos und von Jon Baeksgaard mit schweren Verbrennungen gefunden, ihrem aus der Nachbarschaft herbeigeeilten Lebensgefährten. Er schafft es, Eve rechtzeitig aus dem Gebäude zu tragen, eine filmreife Leistung, wenn man bedenkt, dass zwischen erstem Einschlag und Einsturz des Südturms nur dreiundsiebzig Minuten vergingen. Baeksgaard, ein Anwalt "für aussichtslose Fälle", war schon in zwei früheren Romanen Dalagers Protagonist, zuletzt in "Das Labyrinth" (deutsch 2007), als er im Wien der Briefbomben-Ära NS-Kriegsverbrecher jagte und dabei sich und seine Familie in Lebensgefahr brachte. Mit seinem rücksichtslosen Einsatz für das Gute verkörpert Baeksgaard die moralische Zerrissenheit und Verzweiflung aufgeklärter Zeitgenossen in der globalisierten Gegenwart, eine durchaus interessante Figur.
Während Eve im Krankenhaus um ihr Leben kämpft, stürzt sich Jon, sein eigenes Trauma ignorierend, wieder in die Arbeit. In der Terrorhysterie in den Wochen nach dem Anschlag setzt er sich für einen muslimischen Mandanten ein, der einen jüdischen Juwelier ermordet haben soll, und behauptet, von einem weiteren Anschlag zu wissen. Dass Jon bereit ist, eher sein Leben und das seiner Mitarbeiter zu riskieren, als das FBI einzuschalten, lässt am Ende nicht nur die Behörden den Kopf schütteln, die den Anwalt bald mit Bushs Entweder-oder-Rhetorik unter Druck setzen. Der streckenweise spannend erzählte Plot leidet an einem dramaturgischen Fehler: Das noch ausstehende fiktive Attentat auf eine New Yorker U-Bahn-Station wirkt auf den Leser, nachdem er eben noch einmal den größten Anschlag der Geschichte miterlebt hat, zwangsläufig unbedeutender, als es diesem Vorhaben zukommen sollte. Problematischer ist freilich, das Dalager auf 330 Seiten alles zusammenrührt, was die jüngere Geschichte und die Weltgesellschaft an Konflikten hergeben, vom Vietnam-Krieg bis zum Palästina-Konflikt. Zuletzt fliegt das Paar sogar nach Israel, damit Jon auf der Westbank den letzten geflohenen Terroristen identifizieren kann, natürlich unter israelischem Geschützfeuer.
Wem das nicht reicht, für den schildert der Autor ausführlich, wie die Figuren sich in ihren Träumen in andere Personen hineinversetzten, die Spanne reicht dabei von Petrus bis Osama Bin Ladin, über den es da heißt: "Seine Knochen und Wunden schmerzen, er friert, ganz gleich, mit wie vielen Kamelhaardecken er sich zudeckt, hält die Kälte ihn gefangen und kann er nicht schlafen . . . Die Steinhöhle ist hart und leer, genauso wie die Welt in seinem Herzen." Das klingt ja fast so, wie man sich den Kerl immer vorgestellt hat.
OLIVER PFOHLMANN
Stig Dalager: "Im Schattenland". Roman. Aus dem Dänischen von Heinz Kulas und Jette Mez. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 336 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main